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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Anrechnung der Geschäftsgebühr in Inkassofällen

    | Ein Leser schilderte uns folgenden Fall: Die Geschäftsgebühr ist nach dem RVG zur Hälfte auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr anzurechnen. Für Inkassounternehmen findet sich eine solche Anrechnungsvorschrift nicht. Verschiedene AG wollen nun aber die vorgerichtlichen Inkassokosten auf eine 0,65-Geschäftsgebühr begrenzen, um den gleichen Effekt zu erzielen. Dabei berufen sie sich auf die Schadensminderungspflicht. Unser Leser erkennt allerdings weder eine Gesetzeslücke, die eine entsprechende Anwendung der Anrechnungsvorschrift vorsieht, noch eine Anwendbarkeit der Schadensminderungspflicht. Zu Recht? |

    1. Das schreiben die AG

    Die inhaltsgleich benutzten Textbausteine der AG lauten wie folgt:

     

    • Beispiel

    Die Klagepartei wird darauf hingewiesen, dass Obergrenze für die Ersatzpflicht der Inkassokosten wegen § 254 BGB die Sätze des RVG sind (Palandt, BGB, 72. Aufl., Rn. 46 zu § 286). Das Gericht geht von einer Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatz von 1,3 aus. Diese wäre zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 RVG VV). Die Anrechnung kann aber nicht vorgenommen werden, wenn ein Inkassobüro vorgerichtlich tätig geworden ist. Um insgesamt keinen weitergehenden Erstattungsanspruch zu gewähren, als im Fall des Tätigwerdens eines Rechtsanwalts, sind lediglich Inkassokosten in Höhe von 0,65, die Auslagenpauschale ungekürzt sowie die Mehrwertsteuer, soweit tatsächlich angefallen, erstattungsfähig (vergleiche Palandt, a. a. O.).

     

    2. § 4 Abs. 5 RDGEG ist statt § 254 BGB einschlägig

    Letztlich stellt sich die Frage, inwieweit die vorgerichtlichen Inkassokosten erstattungsfähig sind, wenn davon ausgegangen wird, dass der Gebührensatz einer 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG richtig bestimmt ist, im weiteren Verlauf aber ein Anwalt die Vertretung im Klageverfahren übernommen hat.

     

    Die AG gehen nach der Darstellung des Lesers dabei von dem Grundsatz aus, dass sich die Obergrenze der erstattungspflichtigen Inkassokosten nach dem RVG richten. Das ist in der Sache richtig, ergibt sich für Inkassounternehmen allerdings nicht aus § 254 BGB, sondern seit dem 1.8.13 aus der spezialgesetzlichen Regelung in § 4 Abs. 5 RDGEG. Inkassokosten von Personen, die außergerichtliche Inkassodienstleistungen erbringen, die eine nicht titulierte Forderung betreffen, sind danach nur bis zur Höhe der einem Rechtsanwalt nach den Vorschriften des RVG zustehenden Vergütung erstattungsfähig.

     

    PRAXISTIPP | Der Anwalt erhält vorgerichtlich die volle Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Diese wird durch die Anrechnungsvorschrift der Anm. 3 Abs. 4 VV RVG vorgerichtlich nicht gemindert. Angerechnet wird auf die folgenden Gebühren (s.u.). Daher fällt auch für das Inkassounternehmen die volle Geschäftsgebühr an.

     

    3. Schnelle Lösung: Die Anrechnungsvorschrift richtig lesen

    Die Geschäftsgebühr für das Inkassounternehmen würde also nach § 4 Abs. 5 RDGEG reduziert, wenn sich auch für den Anwalt im Weiteren eine Reduzierung der Geschäftsgebühr ergeben würde. Das ist aber nicht der Fall. Vorbem. 3. Abs. 4 VV RVG präzise anzuwenden, hilft, der Lösung näherzukommen: Soweit wegen desselben Gegenstands, wie des Klageverfahrens, bereits eine Geschäftsgebühr entstanden ist, wird diese zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

     

    MERKE | Angerechnet wird nach dem RVG also die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr und nicht umgekehrt. Es ist also die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG um die Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr, höchstens 0,75, zu kürzen. Eine Kürzung der Geschäftsgebühr kommt dagegen weder beim Anwalt in unmittelbarer Anwendung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG noch bei Inkassounternehmen in deren mittelbarer Anwendung über § 4 Abs. 5 RDGEG in Betracht.

     

    4. Falsche Sicht auf das Kostenfestsetzungsverfahren

    Verfehlt ist (auch) die Ansicht der AG, die Anrechnung könne im Kostenfestsetzungsverfahren nicht erfolgen, wenn vorgerichtlich ein Inkassounternehmen tätig geworden sei. Das zeigt eine unzureichende Unterscheidung zwischen dem Abrechnungs- und dem Erstattungsverhältnis. Die Ansicht der AG betrifft nur das Abrechnungsverhältnis, also den Anspruch des Anwalts gegen den Mandanten. Hier ist die volle Verfahrensgebühr für den Rechtsanwalt entstanden und für eine Anrechnung der beim Inkassounternehmen entstandenen Geschäftsgebühr nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG kein Raum. Wegen des Gegenstands des Klageverfahrens ist nämlich bei dem Rechtsanwalt keine Geschäftsgebühr entstanden. Der Mandant muss den Rechtsdienstleistern beide Gebühren voll erstatten.

     

    Im Kostenfestsetzungsverfahren sind aber nicht die Ansprüche des Rechtsanwalts gegen seinen Mandanten festzusetzen (mit Ausnahme des hier nicht relevanten Verfahrens nach § 11 RVG), sondern die erstattungsfähigen Kosten des Obsiegenden gegen den Unterliegenden. Erstattungsfähig sind nach § 91 Abs. 1 ZPO aber nur die „notwendigen“ Kosten des Rechtsstreites. Dabei bestimmt sich die Notwendigkeit aus der ex-ante-Sicht des Gläubigers im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsdienstleisters.

     

    MERKE | War im Zeitpunkt der Beauftragung des Inkassounternehmers die Notwendigkeit eines streitigen Klageverfahrens nicht abzusehen, muss der Schuldner beide Gebühren voll tragen. Denn auch ein Inkassounternehmen kann den Anspruch seit dem 1.7.08 im gerichtlichen Mahnverfahren titulieren und anschließend die gesamte Mobiliarzwangsvollstreckung betreiben, § 79 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.

     

    Anders, als die AG meinen, ist die Anrechnung unter dem Gesichtspunkt des Kostenminderungsgebots also im Kostenfestsetzungs- und nicht im Klageverfahren bei voller Geltendmachung der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen. Dabei ist der Einzelfall zu prüfen. Die Frage einer Gesetzeslücke stellt sich nicht.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2018 | Seite 161 | ID 45429882