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  • · Fachbeitrag · Beweislast

    Schuldnerverzug ohne Mahnung?

    | Nach § 286 Abs. 1 BGB kommt der Schuldner durch die Mahnung in Verzug. Gläubiger und Rechtsdienstleister stehen jedoch oft vor dem Dilemma, dass der Schuldner den Zugang einer Mahnung bestreitet und die Gläubigerseite den Zugang der Mahnung nicht verifizieren oder nachweisen kann. § 286 Abs. 2 und 3 BGB bieten hier wertvolle Surrogate an, die eine Mahnung entbehrlich machen können. Für den Gläubiger und Rechtsdienstleister ist es daher von Interesse, deren Möglichkeiten zu nutzen. Der folgende Beitrag zeigt die verschiedenen Handlungsoptionen auf. |

    1. Voraussetzungen des Schuldnerverzugs

    Der Schuldnerverzug setzt sieben Tatbestandsmerkmale voraus, die sich nicht alle unmittelbar aus dem Wortlaut des § 286 Abs. 1 BGB erschließen.

     

    Checkliste / Die sieben Voraussetzungen des Schuldnerverzugs

    • 1. Bestehen eines Schuldverhältnisses: Hier kommen alle Verträge in Betracht, aber auch gesetzliche Schuldverhältnisse.
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    • 2. Leistung noch möglich: Der Schuldner kann nur mit einer Leistungspflicht in Verzug geraten, wenn diese auch noch tatsächlich erbracht werden kann. Soweit die Leistung im Sinne des § 275 BGB nicht mehr möglich ist, handelt es sich um einen Fall der anfänglichen oder nachträglichen Unmöglichkeit, die anderen Regelungen folgt. Eine Geldleistung ist aber immer noch möglich.
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    • 3. Anspruch ist fällig: Die Fälligkeit einer Leistung bestimmt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen, gesetzlichen Vorgaben (z.B. §§ 614, 641 BGB) oder sonstigen besonderen Umständen. Im Zweifel ist die Leistung sofort fällig, § 271 BGB.
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    • 4. Schuldner hat nicht geleistet: Ferner ist zu prüfen, ob der Schuldner nicht geleistet bzw. ob er in anderer Weise geleistet hat, etwa durch eine Gutschrift oder eine Aufrechnung.
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    • 5. Durchsetzbarkeit: Schuldnerverzug tritt nicht ein, wenn gegen die Forderung eine Einrede besteht. Die in der Praxis häufigsten Fälle sind die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB, die Einrede der Verjährung nach § 214 BGB oder die Einrede der erteilten Restschuldbefreiung.
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    • 6. Mahnung oder deren Entbehrlichkeit: Die Mahnung setzt voraus, dass der Schuldner eindeutig und bestimmt aufgefordert wird, die Leistung zu erbringen. Auf die Rechtsfolgen des Verzugs muss nicht besonders hingewiesen werden (zur Entbehrlichkeit s. u., 2.).
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    • 7. Vertretenmüssen: Es gilt § 286 Abs. 4 BGB. Das Vertretenmüssen ist also keine vom Gläubiger nachzuweisende Voraussetzung des Verzugs, sondern das fehlende Vertretenmüssen eine Einwendung des Schuldners. Der Schuldner muss den Verzug insbesondere nicht vertreten, wenn der Leistung unverschuldet tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Im Übrigen gilt der Grundsatz „Geld hat man zu haben.“ Das subjektive Unvermögen des Schuldners, eine Geldleistung zu erbringen, begründet regelmäßig sein Verschulden.
     

     

    2. Wann ist die Mahnung entbehrlich ?

    Das unter Nr. 6 der Checkliste genannte Erfordernis einer Mahnung kann entbehrlich sein. § 286 Abs. 2 BGB normiert vier Fallkonstellationen, in denen der Schuldner auch ohne eine Mahnung in Verzug gerät:

     

     

    a) Der wichtigste Fall: kalendermäßige Bestimmung

    Eine Mahnung ist nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich, wenn der Leistungszeitpunkt nach dem Kalender bestimmt ist. Dies kann zunächst durch eine gesetzliche Regelung festgelegt sein, z. B. der Leistungszeitpunkt für die Entrichtung der Miete, die bis zum dritten Werktag der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten ist, nach denen sie bemessen ist (§ 556b BGB). Eine andere gesetzliche Regelung findet sich in § 17 Abs. 1 Strom GVV: Danach gerät der Versorgungskunde automatisch in Zahlungsverzug, wenn der Grundversorger von seinem in dieser Vorschrift normierten Recht zur einseitigen Bestimmung der Fälligkeit Gebrauch macht (BGH 25.1.17, VIII ZR 215/15, Abruf-Nr. 191767).

     

    In der Praxis bedeutsamer ist eine vertragliche Vereinbarung über den Leistungszeitpunkt. Dabei kann es sich um ein exaktes Datum handeln oder um einen Leistungszeitraum, innerhalb dessen die Leistung zu erbringen ist (z. B. Ende Januar, 5. Kalenderwoche). Der Verzug beginnt in diesen Fällen mit Ablauf des exakt bestimmten Datums oder mit Ablauf der bezeichneten Zeitspanne.

     

    Musterformulierung / Vereinbarung über den Leistungszeitpunkt

    Der nach dem Vertrag geschuldete Kaufpreis ist bis spätestens am ... (z. B. 31.3.20 oder Ende März 2020) in bar an den Verkäufer oder auf das Konto des Verkäufers bei der ...-Bank, IBAN ... BIC ... unter Angabe der vorbezeichneten Rechnungsnummer und dem Verwendungszweck ... zu zahlen.

     

    Für Irritationen sorgt regelmäßig die rechtliche Qualifizierung von Zahlungsfristen auf Rechnungen. Fraglich ist, ob damit eine Leistungszeit im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB begründet wird.

     

    • Beispiel

    Handwerker H. hat für seinen Kunden K. Installationsarbeiten durchgeführt. In den dem Vertrag zugrunde liegenden AGB findet sich kein bestimmtes Datum oder ein Zeitraum für die Leistungserbringung. Am 1.9.19 hat H. dem K. eine Rechnung für seine Tätigkeiten gestellt. Darauf findet sich der Hinweis: „Zahlbar bis zum 21.9.19 auf das angegebene Konto“. Befindet sich K. im Schuldnerverzug und ggf. ab welchem Zeitpunkt? Oder bedarf es einer Mahnung nach § 286 Abs. 1 BGB, um K. in Verzug zu setzen?

     

     

    Ist die Bestimmung vertraglicher Natur, muss sie durch übereinstimmende Vereinbarung beider Parteien erfolgt sein. Für einen Schuldnerverzug genügt die Übersendung einer Rechnung mit der einseitigen Bestimmung eines Zahlungsziels seitens des Gläubigers regelmäßig nicht. Die einseitige Festlegung einer Leistungszeit durch den Gläubiger reicht nicht aus, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzuwenden, es sei denn, er ist nach § 315 BGB zur Bestimmung der Leistung berechtigt, was regelmäßig bei Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge der Fall ist (BGH 25.10.07, III ZR 91/07, BGHZ 174, 77). Die Angabe einer Zahlungsfrist in der Rechnung kann auch nicht als befristete Mahnung qualifiziert werden, sondern allenfalls als Einräumung eines Zahlungsziels oder als Angebot für eine befristete Stundung (BGH, a. a. O.; OLG Saarbrücken 17.4.2013, 1 U 398/11).

     

    MERKE | Die einseitige Bestimmung von Zahlungsfristen in Rechnungen macht die Mahnung nicht entbehrlich. Die Bestimmung in § 286 Abs. 2 Nr. 1 muss zwischen den Vertragsparteien konsensual vereinbart worden sein. Anderenfalls ist eine Mahnung zwingend erforderlich.

     

    Nach st. Rspr kann eine Mahnung aber mit der die Fälligkeit begründenden Handlung verbunden werden (RGZ 50, 255, 261; BGH 14.7.70, VIII ZR 12/69) und daher auch in einer Rechnung enthalten sein, selbst wenn nach den vertraglichen oder gesetzlichen Bestimmungen die Forderung erst mit Zugang fällig wird (BGH 12.7.06, X ZR 157/05; 25.10.07, III ZR 91/07, BGHZ 174, 77).

     

    Dabei handelt es sich indessen um Ausnahmefälle. Ein solcher Ausnahmefall kann angenommen werden, wenn der Gläubiger den Schuldner auffordert, die Rechnung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu begleichen, und damit die für eine Mahnung erforderliche eindeutige Leistungsaufforderung zum Ausdruck bringt (BGH 12.7.06, X ZR 157/05; BGH 13.7.10, XI ZR 27/10).

     

    Musterformulierung / Rechnung mit Mahnungsfunktion

    Der Rechnungsbetrag ist sofort fällig und auf das angegebene Konto unter Angabe der vorbezeichneten Rechnungsnummer und dem Verwendungszweck ... bis spätestens ...x (z. B. „zum 31.1.20“ oder „innerhalb der nächsten 7 Werktage“) zu zahlen. Nach Ablauf der Zahlungsfrist geraten Sie ohne weitere Mahnung in Schuldnerverzug.

     

     

    Schließlich kann die Bestimmung eines Leistungszeitpunkts neben einer vertraglichen oder gesetzlichen Regelung auch in einem Urteil erfolgen.

     

    b) Leistungszeit nach vorausgegangenem Ereignis

    Eine Mahnung ist nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch entbehrlich, wenn der Leistung ein Ereignis vorausgeht und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Im Unterschied zu 2. a) wird kein bestimmter Kalendertag als Leistungszeitpunkt festgelegt, sondern der Leistungszeitpunkt von einem in der Zukunft liegenden Ereignis abhängig gemacht. Die Leistungszeit steht daher noch nicht fest. Sie kann erst ab Eintritt des Ereignisses berechnet werden.

     

    • Beispiel

    Handwerker H. hat für seinen Kunden K. Installationsarbeiten durchgeführt. In den dem Vertrag zugrunde liegenden AGB heißt es u. a.: „Der geschuldete Werklohn ist 10 Tage nach Zugang der Rechnung zahlbar.“

     

     

    Entscheidend ist: Der Leistung muss ein Ereignis vorausgehen und dieses ist der Ausgangspunkt für eine kalendermäßige Berechnung (Zeitraum-Bestimmung) für die Leistungserbringung (z. B. Fälligkeit der Zahlung vier Wochen nach Zugang der Kündigung). Wichtig ist, dass der Eintritt des Ereignisses für den Schuldner erkennbar ist (BGH 25.10.00, VIII ZR 326/99).

     

    • Beispiel

    Bei der Klausel „Der Kaufpreis ist binnen 20 Banktagen ab Beurkundung des Vertrags zu zahlen“ ist der Eintritt des Ereignisses erkennbar und die Leistungszeit berechenbar (BGH, a. a. O.).

     

     

    Der Zeitraum zwischen Ereignis und Leistung muss angemessen sein. Eine unangemessene Zeit für die Leistung oder ein zu kurzer Zeitraum zwischen Ereignis und Leistung sind unwirksam. Statt der vereinbarten Zeit, gilt dann eine angemessene Zeit für die Leistung. Diese ist abhängig vom Einzelfall.

     

    • Beispiel

    Die Klausel „Zahlung sofort nach Lieferung“ beinhaltet keine Zeitraumbestimmung (Fristsetzung), sondern nur eine für § 271 BGB erhebliche Fälligkeitsbestimmung (so BT-Drucksache 14/6040, S. 146). Daher reicht sie für eine Verzugsbegründung nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht aus.

     

     

    Grundlage für die Entbehrlichkeit der Mahnung ist auch hier i. d. R. eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Es finden sich aber auch entsprechende gesetzliche Regelungen (für den Fall des Widerrufs vgl. z. B. § 357 Abs. 1, § 357a Abs. 1 BGB). Eine einseitige Leistungsbestimmung durch den Gläubiger reicht (wie bei der kalendermäßigen Bestimmung) nicht aus.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Die weiteren Fälle der Entbehrlichkeit der Mahnung stellen wir Ihnen in einer der kommenden Ausgaben vor.
    Quelle: Ausgabe 02 / 2020 | Seite 33 | ID 46301817