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  • · Fachbeitrag · Basiswissen kompakt

    Das müssen Sie zur Gesamtschuld wissen

    | Die Gesamtschuld ist die häufigste Form der Schuldnermehrheit. Nach § 421 BGB ist sie gegeben, wenn mehrere Schuldner eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal zu fordern berechtigt ist. Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem Schuldner ganz oder zum Teil fordern. Er kann sich also unter mehreren Schuldnern den Leistungsfähigsten aussuchen. Das hat enorme Vorteile. |

     

    • Beispiel

    A. möchte von der B.-Bank einen Kredit zum Kauf einer Wohnungseinrichtung. Die B.-Bank erklärt sich dazu bereit, soweit A. eine Sicherheit für die Rückzahlung des Kredits bestellen kann. Die Geschwister des A. (C. und D.) übernehmen daher für den Kredit eine Bürgschaft (§ 765 BGB).

    Kurze Zeit später fällt A. in Insolvenz. Die B.-Bank möchte nun aus der Bürgschaft gegen C. und D. vorgehen. Gemäß § 769 BGB haften mehrere Bürgen dem Gläubiger als Gesamtschuldner. Die B.-Bank kann also nach ihrem Belieben entscheiden, ob Sie anteilig von C. und D. oder von einem der beiden alleine Zahlung verlangt. Dabei wird sie der effektivsten Form des Forderungseinzugs den Vorzug geben.

    1. Gesamtschuld kraft Gesetz

    § 421 BGB beschreibt zwar die Rechtsfolgen der Gesamtschuld, nennt aber nicht die Voraussetzungen für ihr Entstehen. Grundsätzlich kann die Gesamtschuld durch gesetzliche Anordnung oder durch vertragliche Vereinbarung begründet werden. Die gesetzlichen Anordnungen der Gesamtschuld sind zahlreich. Hier die häufigsten Fälle:

     

    Checkliste / Die häufigsten Fälle der gesetzlichen Gesamtschuld

    • § 769 BGB: Haftung der Bürgen als Gesamtschuldner
    • § 830 BGB: Mittäter und Beteiligte an unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB)
    • § 840 BGB: Mehrere Verantwortliche für eine unerlaubte Handlung
    • § 613a Abs. BGB: Bisheriger und neuer Arbeitgeber beim Betriebsübergang
    • § 42 Abs. 2 BGB: Vorstand für den Verein im Falle der Insolvenz
    • § 1664 Abs. 2 BGB: Eltern
    • § 1833 Abs. BGB: Haftung des Vormunds neben anderen Verantwortlichen
    • § 2058 BGB: Erben für die Nachlassverbindlichkeiten
    • § 25 Abs. 1 HGB: Veräußerer und Erwerber bei Übertragung eines Handelsgewerbes
    • § 93 Abs. 2 AktG: Haftung der Vorstandsmitglieder einer AG bei Pflichtverletzung
    • § 43 Abs. 2 GmbHG: Geschäftsführer einer GmbH für Obliegenheitsverletzungen
    • § 128 HGB: Gesellschafter einer Personengesellschaft (OHG, KG)
    • § 8 Abs. 1 PartGG: Partner einer Partnerschaftsgesellschaft

    2. Gesamtschuld durch Vertrag

    Daneben kann eine Gesamtschuld auch vertraglich begründet werden. Für eine Gesamtschuld, die durch einen Vertrag begründet werden soll, müssen sich die Gesamtschuldner gemeinsam verpflichten.

     

    Musterformulierung / Vertragliche Begründung einer Gesamtschuld

    Die Schuldner haften für sämtliche aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen als Gesamtschuldner.

    3. Gesamtschuld ohne Gesetz und Vertrag

    Was ist aber anzunehmen, wenn weder eine gesetzliche noch vertragliche Abrede erkennbar ist, die eine Gesamtschuld begründet?

     

    • Beispiel

    Vermieter V. hat mit den Mietern M. 1 und M. 2 einen Vertrag über die Vermietung einer Wohnung geschlossen. Eine Regelung über das Haftungsverhältnis der beiden wurde im Mietvertrag nicht vereinbart. Auch das Mietrecht begründet keine gesetzliche Regelung zum Haftungsverhältnis mehrerer Mieter. Haften die Mieter als Teil- oder Gesamtschuldner?

    Gemäß § 427 BGB ist im Zweifel eine Gesamtschuldnerschaft anzunehmen, wenn sich mehrere durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung verpflichten. § 431 BGB ordnet weiter an, dass mehrere Schuldner einer unteilbaren Leistung stets als Gesamtschuldner haften. Bei einem gemeinschaftlichen Vertrag kann daher Gesamtschuldnerschaft angenommen werden. Mieter haften also im Zweifel als Gesamtschuldner. Zuordnung und Abgrenzung erscheinen jedoch schwierig, wenn die Verpflichtungen nicht auf einem einheitlichen Vertrag beruhen. Daher haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene Voraussetzungen für das Entstehen einer Gesamtschuld definiert.

    4. Voraussetzungen der Gesamtschuld

    Zunächst muss eine Schuldnermehrheit vorliegen. Mindestens zwei Personen müssen dem gleichen Gläubiger gegenüber zur Leistung verpflichtet sein. Dabei müssen die Leistungspflichten nicht unbedingt identisch sein. Es genügt, wenn die Befriedigung auf das gleiche Leistungsinteresse des Gläubigers abzielt. So kann eine Gesamtschuld auch bei unterschiedlichen Schuldgründen angenommen werden. Architekt und Bauunternehmer haften z.B. für gemeinsam verursachte Baumängel als Gesamtschuldner, obwohl die Verpflichtungen in unterschiedlichen Verträgen begründet sind. Das gilt selbst dann, wenn einer auf Schadenersatz und der andere auf Nacherfüllung in Anspruch genommen wird (BGH NJW 96, 653; BauR 02, 1536). Entscheidend ist, dass der Gläubiger das gleiche Leistungsinteresse gegenüber beiden Schuldnern verfolgt, nämlich hier Ausgleich für die vorhandenen Baumängel zu erlangen.

     

    Ferner muss jeder Schuldner zur Bewirkung der ganzen Schuld verpflichtet sein. Das gilt nicht, wenn es sich um eine Teilschuld handelt. Im Fall der Teilschuld kann der Gläubiger von jedem Schuldner nur einen Anteil an der gesamten Leistung verlangen und der Gläubiger ist auch nur berechtigt, diesen Anteil zu fordern (§ 420 BGB). Außerdem liegt keine Gesamtschuld vor, wenn die Schuldner die Leistung nur gemeinsam erbringen können, ob dies nun aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Fall ist.

     

    • Beispiel

    Gläubiger G. hat das Gesangs-Quartett „Glückauf“ für einen Auftritt gebucht. Die Leistung eines einzelnen Schuldners ist für den G. nicht von Interesse.

    Darüber hinaus wird für das Vorliegen einer Gesamtschuld noch gefordert, dass die Forderungen gegen die einzelnen Schuldner verbunden sein müssen. Diese Verbindung besteht nur bei einer „Gleichstufigkeit” der Verpflichtungen. Die „Gleichstufigkeit“ fehlt, wenn deutlich wird, dass nur einer der Schuldner seiner Art nach vorrangiger Schuldner ist und die anderen Schuldner erst nachrangig haften sollen (z.B. bei der Bürgschaft, § 765 ff. BGB). Umgekehrt ist also Gleichstufigkeit zu bejahen, wenn jeder der Schuldner im Innenverhältnis wenigstens einen Teil der Schuld zu tragen hat und nicht nur vorläufig eintreten muss (BGH NJW 89, 2127; Palandt, BGB, § 421 Rn. 7 ff ).

    5. Gesamt- und Einzelwirkungen

    Für das Forderungsmanagement von besonderer Bedeutung sind die Wirkungen von bestimmten Umständen, die nur bei einem oder einem Teil der Gesamtschuldner vorliegen, bei allen anderen hingegen nicht.

     

    • Beispiel

    A. und B. schulden dem G. als Gesamtschuldner 10.000 EUR. Gesamtschuldner A. erklärt ein Anerkenntnis gegenüber G. Wirkt dieses Anerkenntnis auch für den Gesamtschuldner B.?

    Nach § 422 Abs. 1 S. 1 BGB hat die Erfüllung durch einen Schuldner für alle Schuldner schuldbefreiende Wirkung. Gleiches gilt gemäß § 422 Abs. 1, S. 2 BGB für die Leistung an Erfüllung statt, die Hinterlegung und die Aufrechnung. Gemäß Abs. 2 kann aber ein Schuldner nicht einfach mit der Forderung eines anderen Gesamtschuldners gegen den Gläubiger aufrechnen. Aufrechnung ist also stets nur mit eigenen Forderungen möglich.

     

    Bei einem Erlass ist nach § 423 BGB auszulegen, ob der Gläubiger nur den einen Gesamtschuldner befreien wollte oder der Erlass für das ganze Schuldverhältnis gelten soll.

     

    Nach § 424 BGB können sich alle Schuldner auf den Gläubigerverzug (§§ 293 ff. BGB) berufen, wenn der Gläubiger die ihm von einem Schuldner angebotene Leistung nicht annimmt.

     

    Alle sonstigen Umstände haben nach § 425 BGB Einzelwirkung, sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt. Sie wirken also nur für und gegen den jeweils betroffenen Gesamtschuldner. Abs. 2 nennt einige Fälle beispielhaft, ohne abschließend zu sein. Besonders sind hier die Kündigung, der Schuldnerverzug und die Verjährung zu nennen. Diese Umstände haben für das Forderungsmanagement erhebliche Bedeutung. Danach treten die Voraussetzungen und Umstände für eine Kündigung, den Eintritt des Schuldnerverzugs oder der Verjährung nur für den Schuldner ein, in dessen Person diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleiches gilt auch für die Kündigung und die Verjährung. Im o.g. Beispiel wirkt das Anerkenntnis also nur für A. Die Folge: Für ihn beginnt z.B. die Verjährungsfrist erneut zu laufen (§ 212 BGB). Das Anerkenntnis löst in Person des B. hingegen keine Rechtswirkungen aus.

     

    PRAXISHINWEIS | Soweit Gesamtschuldnerschaft begründet wird, erscheint es für den Gläubiger ratsam, dass sich die Schuldner zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Gläubigers wechselseitig bevollmächtigen. In der Folge genügt es, wenn der Gläubiger die Erklärung einem der Gesamtschuldner zukommen lässt, um die Wirkung der Willenserklärung herbeizuführen. Auf einen Zugang bei den übrigen Gesamtschuldnern kommt es dann nicht mehr an.

    Musterformulierung / Gesamtschuldnerhaftung

    Die Schuldner haften für sämtliche aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen als Gesamtschuldner. Für die Rechtswirksamkeit einer Erklärung des Gläubigers (genau bezeichnen, z.B. als: Vermieter) genügt es, wenn er gegenüber einem der Schuldner (genau bezeichnen, z.B. als: Mieter) abgegeben wird. Willenserklärungen eines Schuldners sind auch für den anderen Schuldner verbindlich. Die Schuldner bevollmächtigen sich gegenseitig zur Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen, und zwar unter gegenseitiger Befreiung der Beschränkungen des § 181 BGB. Dies gilt nicht für eine Kündigung durch einen Schuldner oder das Angebot eines Schuldners zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Die gegenseitige Bevollmächtigung kann aus wichtigem Grund widerrufen werden.

    § 425 Abs. 1 BGB stellt die Einzelwirkung der konkreten Tatsachen unter einen Vorbehalt. Danach kann von dem Grundsatz der Einzelwirkung abgewichen werden, „soweit sich aus dem Schuldverhältnis etwas anders ergibt“. Wann sich aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt, ist Auslegungsfrage. Dabei sind kaum nennenswerte Fälle bekannt, die eine solche Ausnahme vom Grundsatz der Einzelwirkung begründen können. In den wenigen bekannten Fällen stellt die Rechtsprechung darauf ab, ob die Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger eine wirtschaftliche Einheit darstellen und für ihn daher auch nicht erkennbar ist, wer die rechtlich relevante Handlung vorgenommen hat (OLG Köln 13.1.72, 10 U 104/71; OLG Hamm NJW-RR 86, 1248; NJW-RR 90, 315). In diesem Fall soll eine sogenannte „gleichlaufende“ Handlung angenommen werden können, d.h. die Handlung oder Erklärung des einen Schuldners hat gleichlaufende oder im o.g. Wortsinn Gesamtwirkung für alle Schuldner. In den vorzitierten Fällen der Rechtsprechung ging es u.a. um einen Möbelkauf von Eheleuten. Der Kaufpreis wurde durch Teilzahlungen bewirkt. Ferner um einen Fall in dem Eheleute gemeinschaftlich die Verbindlichkeiten des Gewerbebetriebs des Ehemannes übernommen hatten und die Ehefrau ein wirtschaftliches Interesse am Bestand des Betriebs hatte.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2013 | Seite 33 | ID 37822650