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  • · Fachbeitrag · Abtretung

    Selbstständiges Geltendmachen abgetretener Ansprüche auf Ersatz von Sachverständigenkosten

    | Nach einem Verkehrsunfall ist eine der ersten Maßnahmen die Begutachtung des Schadens, um schnell die Reparatur einleiten und über das Fahrzeug wieder verfügen zu können. Die Beauftragung des Sachverständigen erfolgt so unter hohem Zeitdruck. Nicht immer wird dabei auf die Vergütung des Sachverständigen geschaut und immer häufiger gibt es bei der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber dem Schädiger oder seiner Haftpflichtversicherung Streit. Schädiger und Versicherungen bestreiten dann die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten. Der BGH hat jetzt Grundsätze zu diesem Streit geklärt, die Sie beachten müssen. |

    Sachverhalt

    Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht auf Ersatz restlicher Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Fahrzeug des Geschädigten wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers steht dem Grunde nach außer Streit. Der Geschädigte beauftragte noch am Unfalltag die Klägerin mit der Erstellung eines Gutachtens zur Schadenshöhe. Das Auftragsformular enthielt unter der Überschrift „Zahlungsanweisung und Abtretungserklärung“ den folgenden Text: „Ich weise hiermit die Versicherungsgesellschaft meines Unfallgegners an, die Rechnung für das vorstehend in Auftrag gegebene Gutachten, zur Erfüllung meines Schadenersatzanspruchs auf Erstattung der Gutachtenkosten, an die ... zu bezahlen. Weiter trete ich meinen Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Gutachtenkosten gegen den Unfallgegner und dessen Versicherungsgesellschaft an die ... (Klägerin) ab. Meine persönliche Haftung für die Gutachtenkosten bleibt trotz dieser Abtretung bestehen. Die Abtretung erfolgt nicht an Erfüllungs statt. Die Kosten für das Gutachten werden nach der derzeit geltenden Honorartabelle der ... (Klägerin) berechnet. Im Übrigen gelten für diesen Auftrag die beigefügten Geschäftsbedingungen.“

     

    Das von der Klägerin erstellte Gutachten wies notwendige Reparaturkosten in Höhe von netto 1.599,65 EUR und einen merkantilen Minderwert von 250 EUR aus; es enthielt eine Lichtbildanlage mit 13 Lichtbildern. Die Klägerin stellte hierfür insgesamt 576,08 EUR in Rechnung. Die Beklagte lehnte eine über 499 EUR hinausgehende Erstattung ab. Die Differenz ist Gegenstand der Klage.

     

    Die Klägerin und der Geschädigte schlossen am 19./20.10.20 die folgende weitere „Abtretungsvereinbarung“: „Der Auftraggeber/Zedent tritt hiermit seinen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber der Haftpflichtversicherung an die ... [Klägerin] ab und ermächtigt die .../Zessionarin diese Kosten gerichtlich geltend zu machen. Im Zeitpunkt der Abtretung erlischt der Anspruch der ... (Klägerin) auf Erfüllung ihres Werklohnanspruchs gegenüber dem Auftraggeber. Die Abtretung erfolgt somit ausdrücklich an Erfüllungs statt.“

     

    Außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch die Klägerin und später durch deren Bevollmächtigte ließ die Beklagte unbeachtet. Das AG hat die Klage dann mangels Aktivlegitimation abgewiesen.

     

    Das LG hat der Klage bis auf Abzüge bei den Rechtsverfolgungskosten stattgegeben. Aufgrund zugelassener Revision hat nun der BGH zu entscheiden.

    Entscheidungsgründe

    Der BGH folgt im Ergebnis dem LG, sieht eine wirksame Abtretung und damit Aktivlegitimation der Sachverständigen und letztlich auch einen begründeten Zahlungsanspruch.

     

    • Leitsatz: BGH 7.2.23, VI ZR 137/22

    Hat der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben und mit dem Sachverständigen eine Preis- oder Honorarvereinbarung getroffen, ohne sich der daraus ergebenden Verpflichtung zugleich durch Abtretung eigener Ansprüche auf Ersatz der Sachverständigenkosten an Erfüllungs statt zu entledigen, bildet dies bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (Abruf-Nr. 234519).

     

    Abtretungsvereinbarung in AGB und Transparenzgebot

    Der Geschädigte hat nach dem BGH seinen Anspruch gegen den Schädiger auf Erstattung der Sachverständigenkosten nicht bereits mit dem Auftrag wirksam an den Sachverständigen abgetreten. Die in dem Auftrag enthaltene formularmäßige Abtretungsklausel verstößt vielmehr gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

     

    Beachten Sie | Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der Verwender von AGB ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, die Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen (Transparenzgebot).

     

    Die eindeutige und durchschaubare Vermittlung der mit einem beabsichtigten Vertragsschluss verbundenen Rechte und Pflichten ist Voraussetzung für eine informierte Sachentscheidung:

     

    • Der Verwender muss daher einerseits die tatbestandlichen Voraussetzun‒gen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.

     

    • Der Vertragspartner soll andererseits ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte und Pflichten feststellen können, damit er die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen bei Vertragsschluss hinreichend erfassen kann und nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird.

     

    Beachten Sie | Die Klausel muss deshalb nicht nur in ihrer Formulierung verständlich sein, sondern auch die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit wie möglich verdeutlichen (zuletzt BGH NJW 20, 1888).

     

    Abtretung des Erstattungsanspruchs ist grundsätzlich möglich

    Zwar mag es nicht ungewöhnlich und grundsätzlich auch für beide Seiten interessengerecht sein, dass ein Geschädigter zur Sicherung des vertraglich vereinbarten Vergütungsanspruchs im Rahmen des Auftrags zur Erstellung des Gutachtens seinen Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer auf Erstattung der Sachverständigenkosten an den Sachverständigen abtritt. Dies liegt zunächst im Interesse des Sachverständigen, der einen in der Regel zahlungsfähigen Schuldner, den Haftpflichtversicherer des Schädigers, erhält und diesem gegenüber seinen Vergütungsanspruch für seine eigene Leistung rechtfertigen kann.

     

    Die Abtretung entspricht regelmäßig auch dem Interesse des durchschnittlichen geschädigten Auftraggebers, der unter Beschränkung des eigenen Aufwands möglichst schnell einen Ausgleich vom Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer erhalten will. Eröffnet sich ihm die Möglichkeit einer Stundung der Honorarforderung des Sachverständigen oder deren Erfüllung ohne eigene finanzielle Vorlage und eigenes Zutun, ist er bereit, seinen Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten an den Sachverständigen abzutreten, damit dieser der Sache nach seine Honorarforderung selbst geltend machen kann (BGH NJW-RR 17, 501).

     

    Kann der Abtretende noch in Anspruch genommen werden?

    Für den durchschnittlichen Unfallgeschädigten muss aus der Klausel aber hinreichend deutlich werden, unter welchen Voraussetzungen er vom Sachverständigen trotz erfolgter Abtretung weiterhin wegen der Gutachtenkosten in Anspruch genommen werden kann. Das sah der BGH bei der konkreten Klausel für nicht gegeben an.

     

    Der Geschädigte wurde danach weder darauf hingewiesen, dass mit der Leistung erfüllungshalber regelmäßig eine Stundung der „Grundforderung“, hier also der Honorarforderung, verbunden ist, weshalb der Sachverständige auf diese erst zurückgreifen darf, wenn der Versuch der anderweitigen Befriedigung aus der ihm erfüllungshalber übertragenen Forderung gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer fehlgeschlagen und damit die Stundung der Honorarforderung entfallen ist. Noch wurde ihm mitgeteilt, dass er, auch wenn der Sachverständige seiner Verwertungsobliegenheit nachgekommen ist, zur Erfüllung der Honorarforderung nur Zug um Zug gegen Rückabtretung der erfüllungshalber an den Sachverständigen abgetretenen Schadensersatzforderung gegen den Schädiger und den Haftpflichtversicherer verpflichtet ist.

     

    PRAXISTIPP | Für den Sachverständigen empfiehlt es sich deshalb, die Abtretung einerseits außerhalb der allgemeinen AGB gesondert zu vereinbaren und dabei die vorgenannten Hinweise aufzunehmen, wenn die Forderung nicht an Erfüllungs statt, sondern nur erfüllungshalber abgetreten wird. Dabei sollte die Abtretung nicht nur den Erstattungsanspruch gegenüber dem Haftpflichtversicherer, sondern auch denjenigen gegenüber dem eigentlichen Schädiger erfassen.

     

    Die Aktivlegitimation der Klägerin ergab sich für den BGH aber aus der zweiten gesonderten Abtretungserklärung. Die darin vereinbarte Abtretung an Erfüllungs statt befreit den Geschädigten von der Honorarforderung der Klägerin (§ 364 Abs. 1 BGB), begünstigt den Geschädigten damit umfassend und ist auch im Übrigen wirksam.

     

    Der BGH hat die isolierte Abtretung gegen einen der beiden Gesamtschuldner (Haftpflichtversicherung und Schädiger) für möglich angesehen. Insbesondere bedürfe es keiner Zustimmung des weiteren Gesamtschuldners. Dies gelte jedenfalls im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft aus einem gesetzlichen Pflichtversicherungsverhältnis.

     

    PRAXISTIPP | Beachten Sie, dass die Abtretung einen Vertrag nach §§ 398 ff. BGB begründet, sodass beidseits vertretungsberechtigte Personen die Abtretungsvereinbarung geschlossen und ‒ wenn sie schriftlich abgeschlossen wird ‒ unterschrieben haben müssen, §§ 145 ff. BGB. Hier zeigen sich in der Praxis immer wieder Mängel, indem die Abtretungsurkunde nur vom Zedenten unterschrieben ist oder aufseiten des Zessionars von einem nicht vertretungsberechtigten Mitarbeiter. Mit diesen Einwänden musste sich der BGH nur aufgrund prozessualer Gründe nicht (mehr) auseinandersetzen.

     

    Weitere Sachverständigenkosten waren erforderlich

    Die streitbefangenen weiteren Sachverständigenkosten sind nach dem BGH sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach begründet.

     

    Dem Geschädigten und Zedenten stand dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, § 115 VVG zu. Denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH NJW 20, 1001; NJW 19, 430). Dieser Anspruch ist durch die wirksame Abtretung auf den Sachverständigen übergegangen, § 398 BGB.

     

    Die Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs richtet sich dann nach § 287 BGB.

     

    Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH 13.12.22, VI ZR 324/21; NJW 20, 1001).

     

    Begrenzt ist der Erstattungsanspruch auf die Kosten, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.

     

    Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten, zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet, den ihm zugänglichen Markt zu erforschen, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen.

     

    Ausgehend von diesen Grundsätzen muss der Geschädigte also nur eine Plausibilitätskontrolle zu den vom Sachverständigen bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preisen anstellen. Zu fragen ist also , ob die Preise des Sachverständigen für den Geschädigten erkennbar überhöht sind.

     

    MERKE | Wäre dies der Fall, ist die Erstattung der Sachverständigenkosten allerdings nicht gänzlich zu versagen, sondern sie ist auf den erforderlichen Betrag zu reduzieren.

     

    Indizien entscheiden

    Ob der Geschädigte überhöhte Preise erkannt hat, wird nur aus Indizien abzuleiten sein. Dabei ist Zurückhaltung geboten, wenn der Geschädigte nicht ständig mit Gutachtern zu tun hat. Dann wird ihm ein Überblick zu den üblichen und angemessenen Honoraren fehlen.

     

    Hat der Geschädigte vorab mit dem Sachverständigen eine Preis- oder Honorarvereinbarung getroffen, ohne sich der daraus ergebenden Verpflichtung zugleich durch Abtretung eigener Ansprüche auf Ersatz der Sachverständigenkosten an Erfüllungs statt zu entledigen, bildet dies bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO für den BGH ein ganz gewichtiges Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. In der Preis- oder Honorarvereinbarung schlagen sich dann die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten nieder (BGH NJW 20, 1001; NJW 18, 693).

     

    Der BGH hat es dann als hinreichend bestimmt für die Sachverständigenvergütung angesehen, wenn sich diese wertmäßig an den Nettoreparaturkosten orientiert.

     

    MERKE | Dies entspricht ja der anwaltlichen Vergütung, wenn sie sich nach § 13 RVG i. V. m. Anlage 1 zum RVG unabhängig vom Aufwand an dem Streitwert orientiert.

     

    Anhaltspunkte, dass der Geschädigte erkennen konnte, dass diese Vergütung überhöht ist, konnten nicht festgestellt werden. Im Gegenteil erwecken solche Tabellen den Eindruck, dass sie in jedem Fall anzuwenden und deshalb branchenüblich sind.

    Relevanz für die Praxis

    Bei den Nebenkosten in Form von Auslagenpauschalen je Foto und Seite sah der BGH eine Übereinstimmung mit der getroffenen Honorarvereinbarung und gleichfalls keine Erkennbarkeit für eine unangemessene Überhöhung. Die vereinbarten Preise entsprachen der BVSK-Honorarbefragungen 2015 und 2018 sowie den Bestimmungen des JVEG. Das JVEG sieht etwa in § 12 für jedes zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens erforderliche Foto 2 EUR und, wenn die Fotos nicht Teil des schriftlichen Gutachtens sind, 0,50 EUR für den zweiten und jeden weiteren Abzug oder Ausdruck eines Fotos vor.

     

    Für den BGH blieb es für den Ersatz der Umsatzsteuer ohne Bedeutung, dass gegenüber einem Verbraucher grundsätzlich Bruttopreise anzugeben sind (§ 1 Abs. 1 S. 1 PAngV), während die Tabellenpreise als Nettopreise ausgewiesen wurden und nur ein Hinweis erfolgt, dass die Umsatzsteuer zusätzlich anfällt. Die zivilrechtliche Preisvereinbarung bleibe davon unberührt.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2023 | Seite 100 | ID 49409773