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  • · Fachbeitrag · Unseriöse Geschäftspraktiken

    Verordnung des BMJ nach § 4 Abs. 5 S. 2 RDGEG

    von RiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz

    | Das BMJ kann bei Forderungen gegenüber Privatpersonen nach § 4 Abs. 5 S. 2 RDGEG Höchstsätze für die erstattungsfähigen Gebühren festlegen. Dies gilt vor allem für das erste Mahnschreiben und für Massenforderungen, also Konstellationen bei denen monatlich mehr als 100 gleichartige Forderungen von einem Gläubiger übergeben werden. Eine solche Verordnung existiert bisher nicht, sodass sich die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten bei Forderungen gegenüber Privatpersonen als Schuldnern ebenso wie bei Massenforderungen zunächst uneingeschränkt nach § 4 Abs. 5 
S. 1 RDGEG i.V.m. dem RVG richtet (FMP 13, 191 ff.). Im Folgenden erläutern wir, in welchem Rahmen sich die Verordnung halten muss und welche Auswirkungen dies für Rechtsanwälte und registrierte Inkassounternehmen hat. |

    1. Für wen gilt die Verordnung?

    Die Berücksichtigung der Möglichkeit einer o.g. Verordnung ist schon heute wichtig, wenn im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses zur Beitreibung offener Forderungen durch einen Rechtsanwalt oder ein Inkassounternehmen Gebührenvereinbarungen getroffen werden oder im Rahmen eines Forderungskaufes kalkuliert werden soll, in welchem Umfang von einer Refinanzierung der Rechtsverfolgungskosten ausgegangen werden kann.

     

    Ob und wann eine solche Verordnung kommt, ist offen. Die bisher bekannt gewordenen Teilergebnisse der Koalitionsverhandlungen belegen aber, dass die Politik die Thematik weiter bewegt. Da § 4 Abs. 5 S. 2 RDGEG ‒ anders als noch der ursprüngliche Referentenentwurf ‒ keine ausdrückliche Bestimmung zur Anwendung der Verordnungsbestimmungen auf Rechtsanwälte enthält, ist davon auszugehen, dass die Verordnung lediglich die von einem Rechtsanwalt nach § 14 RVG vorzunehmende Bestimmung der Gebühren 
innerhalb des gesetzlichen Rahmens für registrierte Inkassounternehmen verbindlich vorgibt. Letztlich wird sich dann das durch die Verordnung vorgegebene Gebührenniveau auch auf die Rechtsanwälte übertragen.

     

    PRAXISHINWEIS | Es wäre auch kaum nachzuvollziehen, dass die gleiche Forderung den Schuldner nur deshalb mit höheren Rechtsverfolgungskosten belastet, weil sie von einem Rechtsanwalt geltend gemacht wird.

     

     

    Bei einem vergleichbaren Sachverhalt (Inkassomandat gegenüber einer Privatperson als Schuldner oder aber bei mehr als 100 übergebenen gleichartigen Forderungen je Monat) würde es Art. 3 und 12 GG widersprechen, wenn der Rechtsanwalt höhere Gebühren verlangen könnte als ein registrierter Inkassodienstleister. Wollte man dieser Ansicht nicht folgen, verstieße der Gläubiger gegen seine Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB), wenn er vor-gerichtlich einen Rechtsanwalt mit der Forderungsbeitreibung beauftragen würde, der höhere Gebühren als ein registrierter Inkassodienstleister geltend machen würde.

    2. Massenforderungen: Wirklich ein geringerer Aufwand?

    Es bedarf der ausdrücklichen Begründung des Verordnungsgebers und der Politik, dass Massenforderungen tatsächlich einen geringeren Aufwand in der Bearbeitung erfordern als eine übergebene Einzelforderung. Auf der Hand liegt dies nämlich nicht. Es wird regelmäßig nur das Ergebnis betrachtet, das heißt, einheitliche Schreiben, nicht aber der Aufwand, der zu betreiben ist, damit dieses Schreiben erstellt werden kann. Der These von dem geringeren Aufwand ist deshalb die These vom „lediglich andersartigen Aufwand“ gegenüberzustellen. Zu nennen ist insbesondere die Anschaffung, Pflege und Weiterentwicklung einer hochkomplexen EDV einschließlich aufwendiger Schnittstellen zum Gläubiger, die gleichwohl notwendige Rechtsprüfung, die in jedem Einzelfall erforderliche Identitätsprüfung, die einzelne Aktenanlage, die individuelle Veraktung und Zuordnung von Vertragsurkunden und die Beachtung der ganz erheblichen Vorgaben des Datenschutzes. Letztlich wird die individuelle Einwendungsbearbeitung nicht dadurch leichter, dass der Gläubiger viele gleichartige Forderungen hat. Die Einwendungen des Schuldners sind nämlich individuell bestimmt. Auch wenn die Einwendungen formal gleich erscheinen, bedürfen sie der Prüfung im Einzelfall.

    • Beispiel

    Schuldner S. macht geltend, die Stromrechnung sei zu hoch, weil das Versorgungsunternehmen V. einen zu hohen Verbrauch zugrunde gelegt habe. Eine solche Einwendung wird zwar immer wieder erhoben. Es ist aber für den konkreten Einzelfall zu klären, wie der Verbrauch ermittelt wurde, und ob dies korrekt geschehen ist.

     

    3. Was kann die Verordnung regeln?

    Ausgehend vom Inhalt der Regelung kann vorgerichtlich für die Beitreibung einer Forderung mit durchschnittlicher Schwierigkeit eine 0,5 bis 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VVRVG erhoben werden. Die Praxis erhebt regelmäßig eine 1,3-Geschäftsgebühr, wenn nicht im Einzelfall die Kriterien des § 14 RVG einen niedrigeren Gebührensatz angezeigt sein lassen oder die Forderungsbeitreibung unterdurchschnittlich ist, also übliche Standardmaßnahmen entfallen (keine Rechts- und Identitätsprüfung erforderlich etc.). Der Verordnungsgeber ist ermächtigt, in diesem Rahmen tätigkeitsbezogene Gebührensätze zu bestimmen, die in der vorgerichtlichen Bearbeitung gegebenenfalls zu addieren sind. Die Höchstgrenze liegt dann bei einer 1,3-Geschäftsgebühr.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Verordnungsgeber muss dabei berücksichtigen, dass er zwar das erste Mahnschreiben als Anknüpfungspunkt wählen kann, aber nicht aus dem Auge verlieren darf, dass dem die Aktenanlage und die Informationsbeschaffung vorausgeht. Unter Berücksichtigung strenger Datenschutzbestimmungen müssen Vorhaltung und Pflege einer geeigneten Software und der weiteren Sicherungsmaßnahmen ebenso wie Haftung und Notwendigkeit auf Einwendungen es Schuldners zu reagieren und die Bewertung der Vergütung einbezogen werden.

    Im vorgerichtlichen Beitreibungsprozess können neben der Geschäftsgebühr weitere Gebühren ein- oder mehrfach entstehen, insbesondere die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VVRVG, die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VVRVG sowie die Hebegebühr nach Nr. 1009 VVRVG.

     

    PRAXISHINWEIS | Da eine Ratenzahlungsvereinbarung auf einer individuellen Absprache mit dem Schuldner beruht, ist kaum begründbar, dass es auch hier zu abweichenden Gebührensätzen kommen soll. Den im Inkasso besonders häufigen „reinen“ Zahlungsvereinbarungen, bei denen der Schuldner eine monatliche Rate leistet und das Inkassounternehmen oder der Rechtsanwalt so lange auf weitere Maßnahmen verzichtet, wird dem geringeren Aufwand bereits durch 
§ 31b RVG Rechnung getragen, der eine Begrenzung des Streitwertes auf 20 Prozent der Hauptforderung bestimmt.

     

    Ein höherer Streitwert kommt nur bei qualifizierten Raten-, Teil- und Abfindungsvergleichen in Betracht, die auch einen materiell-rechtlichen Inhalt haben.

     

    4. Was ist mit Bagatellforderungen?

    Der Gesetzgeber hat sein Anliegen aus dem Referentenentwurf, besondere Gebührensätze für Bagatellforderungen bis 50 EUR vorzusehen, nicht weiterverfolgt. Ungeachtet dessen ist in der Praxis festzustellen, dass die Inkassounternehmen mit Sozialtarifen arbeiten. Entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf sehen die seriösen Inkassounternehmen die Bagatellgrenze nicht bei 50 EUR, sondern sogar eher bei 100 EUR und begünstigen so weitere Schuldnerkreise.

     

    PRAXISHINWEIS | Dabei muss gesehen werden, dass dies nicht in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft möglich ist. Die Gewährung von Sozialtarifen, also die Geltendmachung von nicht auskömmlichen Rechtsverfolgungskosten, setzt eine Quersubventionierung voraus. Einerseits müssen höhere Forderungen vorhanden sein und andererseits die Verordnung dann dort auch auskömmliche 
Gebührensätze zulassen. Wenn aber nur niedrige Forderungen vorhanden sind, wie typische Lastschriftforderungen aus dem Einzelhandel oder aus Mehrwertdiensten im Telekommunikationsbereich, sind Ausnahmen nachvollziehbar.

     

    Auch der Gesetzgeber differenziert. So darf etwa im Energiesektor eine Sperrung des Anschlusses erst erfolgen, wenn die Hauptforderung über 100 EUR beträgt, während die Sperrgrenze im Telekommunikationsbereich schon bei 75 EUR beginnt. Andere Rechtsbereiche kennen noch niedrigere Bagatellschwellen.

     

     

    Die Bagatellgrenze von 100 EUR in der Praxis korrespondiert damit, dass 
86 Prozent aller Forderungen, die Gegenstand der im Gesetzgebungsverfahren immer wieder problematisierten Studie des Bundesverbands der Verbraucherzentralen zu Verbraucherbeschwerden über Inkassokosten sind, unter 100 EUR lagen.

     

    5. Verordnungsermächtigung erfasst nicht die Auslagen

    Die erstattungsfähigen Auslagen ergeben sich nach § 4 Abs. 5 RDGEG aus Teil 7 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 VV RVG. Im Bereich der Auslagen hat der 
Gesetzgeber dem Verordnungsgeber keine Regelungskompetenz eingeräumt. Das ist sachlich gerechtfertigt, weil zu Abschnitt 7 des VV RVG eine hinreichend konkretisierende Rechtsprechung vorliegt, die in der Praxis 
erlauben sollte, die Berechtigung von Auslagen zu überprüfen.

     

    PRAXISHINWEIS | Das hindert die Interessenvertreter von Schuldnern und Gläubigern allerdings nicht, einen Katalog von erstattungsfähigen Auslagen zu erstellen und auch zu publizieren, der nicht zuletzt über einheitliche Begrifflichkeiten geeignet ist, die gewünschte Transparenz für den Schuldner entfalten zu lassen.

     

    6. Verhindern die Regelungen unseriöses Inkasso?

    Es darf bezweifelt werden, ob der vom Gesetzgeber gewählte Ansatz erfolgversprechend ist, über das Gebührenrecht unseriöses Inkasso zu bekämpfen. Seriöse Inkassounternehmen haben schon bisher in Anwendung der Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB vom Schuldner keine Gebühren und Auslagen erhoben, die die entsprechenden Ansätze des RVG überschritten. Unseriöse Markteilnehmer haben hingegen nur vorgegeben, sich daran zu halten, ohne den Rechtsrahmen wirklich zu beachten. Warum sich das jetzt ändern soll, ist nicht ersichtlich.

     

    Ausgehend davon, dass die Gebührensätze des RVG in Kombination mit ihrer Streitwertabhängigkeit und der damit angelegten Quersubventionierung schon bisher angemessen waren, ist auch die These, dass am RVG bemessene Gebühren regelmäßig unangemessen hoch sind, jedenfalls nicht ohne hinreichende rechtstatsächliche Untersuchungen zu vertreten. So bleibt am Ende die Hoffnung, dass die Möglichkeit eine Verordnung zu erlassen, nicht fälschlicher Weise als Pflicht verstanden wird und zumindest erst einmal 
zugewartet wird, ob die am 9.10.13 in Kraft getretene Regelung Wirkung zeigt, sich für den Verbraucher in einer höheren Transparenz niederschlägt und der Wildwuchs von Gebühren und Auslagen ein Ende findet.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Erstattung von Inkassokosten seit dem 9.10.13, FMP 13, 191
    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 209 | ID 42418962