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  • · Fachbeitrag · Härteregelung

    Grobe Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs wegen Invalidität des Ausgleichspflichtigen

    von VRiOLG a.D. Hartmut Wick, Celle

    • 1. Erlangt ein Ehegatte aufgrund einer in der Ehezeit eingetretenen Dienstunfähigkeit einen anteilig unverhältnismäßig höheren Ehezeitanteil, als sich dieser bei einer durchgehenden beruflichen Tätigkeit bis zur festen Altersgrenze ergeben würde, tritt nicht bereits hierdurch eine grobe Unbilligkeit i.S. des § 1587c Nr. 1 BGB a.F. (§ 27 VersAusglG) ein.
    • 2. Verfügt der Ausgleichsberechtigte nach Durchführung des Versorgungsausgleichs über eine höhere Versorgung als der Ausgleichspflichtige, ergibt sich hieraus keine grobe Unbilligkeit, solange hierdurch nicht ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht der beiderseitigen Versorgungsverhältnisse entsteht, was insbesondere dann gegeben wäre, wenn der Ausgleichsberechtigte über eine unverhältnismäßig hohe Altersversorgung verfügen würde. Auch bestehen im Versorgungsausgleich keine Selbstbehaltsgrenzen.
    • 3. In die Prüfung der groben Unbilligkeit ist zur Vornahme einer Gesamtabwägung auch die künftige Versorgungsentwicklung nach Ehezeitende einzubeziehen. Die zu fordernde Prognosesicherheit besteht grundsätzlich erst dann, wenn beide Ehegatten bereits eine Versorgung beziehen oder eine abweichende Entwicklung nicht mehr eintreten kann.

    (BGH 24.4.13, XII ZB 172/08, FamRZ 13, 1200, Abruf-Nr. 141274)

     

    Sachverhalt

    Der Ehemann M wurde während der Ehezeit (1.2.84 bis 31.12.06) als Berufssoldat mit 38 Jahren wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er hatte am Ende der Ehezeit einen Anspruch auf Ruhegehalt i.H. von insgesamt monatlich 1.112,48 EUR, davon entfielen auf die Ehezeit monatlich 917,55 EUR. Wäre er nicht aus dem Dienst ausgeschieden, hätte er - ausgehend von seiner besonderen Altersgrenze von 54 Jahren - in der Ehezeit eine Anwartschaft auf Ruhegehalt von monatlich 1.213,03 EUR erworben. Die Ehefrau F hat als Sozialversicherungsfachangestellte eine Anwartschaft auf ein beamtenähnliches Ruhegehalt i.H. von monatlich 832,19 EUR erworben. Bei Fortdauer ihrer Beschäftigung bis zur Regelaltersgrenze würde sie voraussichtlich ein Ruhegehalt von monatlich rund 1.770 EUR erhalten. M hält die Durchführung des Versorgungsausgleichs (VA) für grob unbillig, weil F eine höhere Versorgung erreichen könne als er, der möglicherweise nicht einmal seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt erreichen werde.

     

    Das AG hat den VA nach früherem Recht durchgeführt und zulasten der Versorgung des M für die F eine gesetzliche Rentenanwartschaft in Höhe von monatlich 42,68 EUR (917,55 EUR ./. 832,19 EUR = 85,36 EUR : 2) begründet. Das OLG hat die Beschwerde des M zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt M weiter das Ziel, den VA wegen grober Unbilligkeit auszuschließen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Nach § 48 VersAusglG ist das frühere materielle Recht des VA anzuwenden, weil das Verfahren vor dem 1.9.09 eingeleitet und danach weder abgetrennt noch ausgesetzt oder zum Ruhen gekommen war.

     

    Gemäß § 1587c Nr. 1 BGB a.F. findet kein VA statt, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verhältnisse grob unbillig wäre. Eine grobe Unbilligkeit kann sich zwar im Einzelfall daraus ergeben, dass ein Ehegatte aufgrund seiner Dienstunfähigkeit einen anteilig unverhältnismäßig höheren Ehezeitanteil erworben hat, als es bei einer fiktiven Hochrechnung auf seine Altersgrenze der Fall wäre. Denn aus der vorzeitigen Invalidität des einen Ehegatten soll der andere Ehegatte keine Vorteile ziehen, die er im Einzelfall nicht benötigt (BGH FamRZ 99, 499). Vorliegend hätte M jedoch bei Fortbestehen seiner Erwerbstätigkeit bis zum Ende der Ehezeit sogar höhere Anwartschaften erworben.

     

    Der VA wird auch nicht dadurch unbillig, dass M infolge des VA nach Versorgungsbeginn bei F im ungünstigsten Fall den unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt unterschreiten wird. Der VA soll zwar zu einer ausgewogenen sozialen Sicherung der Ehegatten führen und darf nicht ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht bewirken. Unterhaltsrechtliche Selbstbehaltsgrenzen bestehen beim VA jedoch nicht.

     

    Der VA verfehlt seinen Zweck im Regelfall auch nicht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte nach Durchführung des VA höhere Versorgungsanrechte hat als der Ausgleichspflichtige. F wird nach Durchführung des VA über eine Anwartschaft von monatlich 923,87 EUR verfügen und M über eine solche von monatlich 825,87 EUR. Dadurch entsteht noch kein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht.

     

    Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass F im Ruhestand eine im Verhältnis zu M unverhältnismäßig hohe Versorgung erreichen wird. Die Prognose des Versorgungsträgers, nach der F ein Ruhegehalt von monatlich rund 1.770 EUR erreichen wird, kann nicht zugrunde gelegt werden. Denn F ist von der Regelaltersgrenze noch 23 Jahre entfernt, in denen sich noch erhebliche Änderungen ergeben können.

     

    MERKE | Die künftige Entwicklung kann sich nur insoweit auf die vorzunehmende Bewertung auswirken, als sie im Zeitpunkt der tatrichterlichen Beurteilung nicht nur möglich erscheint, sondern - zumindest annähernd - sicher zu erwarten ist. Die erforderliche Prognosesicherheit ist grundsätzlich erst gegeben, wenn beide Ehegatten aus den auszugleichenden Anrechten bereits ihre Versorgungen beziehen oder aus anderen Gründen keine abweichende Entwicklung mehr möglich ist (BGH FamRZ 07, 627).

     

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung ist noch zur Härteklausel des § 1587c Nr. 1 BGB a.F. ergangen, ist jedoch auch für die inhaltlich übereinstimmende Härteregelung des neuen Rechts in § 27 VersAusglG bedeutsam, vgl. Leitsatz 1.

     

    Folge der vorzeitigen Invalidität ist, dass zwar frühzeitig ein Rentenanspruch entsteht, dieser aber im Allgemeinen auch im Alter der Höhe nach hinter der Versorgung zurückbleibt, die bei fortdauernder Erwerbstätigkeit hätte erreicht werden können. Im VA ist grundsätzlich von der tatsächlich erworbenen Versorgung auszugehen. Dies kann bei zeitratierlicher Berechnung des Ehezeitanteils, wie sie bei der Beamten- und Soldatenversorgung vorgeschrieben ist (§ 44 Abs. 1 VersAusglG), zu einem Ehezeitanteil führen, der höher ist als der einer fiktiven Altersversorgung. Hierdurch kann sich im Einzelfall eine besondere Härte für den Ausgleichspflichtigen ergeben (anders jedoch hier).

     

    Es ist nicht Ziel des VA, dass beide Ehegatten im Ruhestand gleich hohe Versorgungen beziehen. Der VA bezieht sich nur auf die Anrechte, die die Ehegatten in der Ehezeit erworben haben. Der Ehegatte, der in der Ehezeit höhere Anrechte erworben hat und deshalb Anrechte abgeben muss, kann später eine geringere Rente erhalten als der andere, wenn dieser vor und/oder nach der Ehezeit höhere Anrechte erworben hat. Ein solches Ergebnis muss auch nicht grob unbillig sein, wenn der Ausgleichspflichtige mit seiner Versorgung im Alter nicht einmal seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt decken kann. Denn Selbstbehaltsgrenzen gibt es im VA nicht (BGH FamRZ 93, 682; 07, 996).

     

    Grob unbillig ist der VA nur, wenn er im Einzelfall ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Ehegatten bewirkt. Hierfür reicht es nicht aus, wenn ein Ehegatte aufgrund des VA besser dasteht als der andere. Erforderlich ist vielmehr, dass der Ausgleichsberechtigte bereits über eine gesicherte und in jeder Hinsicht ausreichende Altersversorgung verfügt und der Ausgleichspflichtige seinerseits auf den Erhalt seiner Versorgungsanrechte angewiesen ist. Nur wenn diese Voraussetzungen aufseiten beider Ehegatten zusammentreffen, kann eine Kürzung oder gar ein Ausschluss des VA gerechtfertigt sein (vgl. Wick, Der Versorgungsausgleich, 3. Aufl., Rn. 559).

     

    Nach altem Recht erfolgte eine Gesamtbilanzierung aller Anrechte. Der VA wurde nur in einer Richtung durchgeführt. Seine Auswirkungen ergaben sich aus dem Ausgleichsanspruch desjenigen mit den geringeren ehezeitlichen Anrechten. Nach neuem Recht findet dagegen ein Hin-und-her-Ausgleich der ehezeitlichen Anrechte statt. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des VA insgesamt feststellen und eine grobe Unbilligkeit prüfen zu können, ist ggf. eine Art Gesamtbilanzierung erforderlich, indem man die Ausgleichswerte der von beiden erworbenen Anrechte gegenüberstellt. Bei ungleichartigen Bezugsgrößen der Versorgungssysteme kann dies auf Basis der korrespondierenden Kapitalwerte der Anrechte (§ 47 VersAusglG) erfolgen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der Ehegatte, der sich auf grobe Unbilligkeit beruft, ist für die tatsächlichen Voraussetzungen der Härteklausel darlegungs- und beweispflichtig (BGH, a.a.O.). Er muss daher sämtliche Härtegründe vortragen und ggf. auch Beweis antreten (Wick, a.a.O., Rn. 554).
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 96 | ID 42659495