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  • · Fachbeitrag · Trennungsunterhalt

    Kein Erfordernis des Zusammenlebens

    von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    | Der BGH stellt klar: Trennungsunterhalt setzt nicht voraus, dass die Eheleute zusammengelebt oder gemeinsam gewirtschaftet haben. |

     

    Sachverhalt

    Die Antragstellerin F besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, der Antragsgegner M ist britischer Staatsbürger. Beide haben einen indischen kulturellen Hintergrund. Am 23.8.17 schlossen sie die Ehe, die von ihren Eltern arrangiert worden war. Spätestens seit August 18 leben sie getrennt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung arbeitete die F bei einer Bank mit einem Nettoeinkommen von monatlich 2.670 EUR und lebte im Haushalt ihrer Eltern in Frankfurt a. M. Der M lebte in Paris, wo er als Trainer Nettoeinkünfte i. H. v. monatlich 4.000 EUR erzielte, außerdem Mieteinnahmen i. H. v. monatlich 1.000 EUR. Er bewohnte eine Eigentumswohnung, deren Wohnwert mit 500 EUR anzusetzen ist. Auch nach der Eheschließung lebte und arbeitete die F weiterhin in Frankfurt a. M., der M in Paris. Es war geplant, dass sich die F nach Paris versetzen lässt und man dort gemeinsam lebt. In der Zeit von Ende Dezember 17 bis Anfang August 18 gab es Übernachtungskontakte an den Wochenenden, entweder in Frankfurt a. M. oder in in Paris. Dort kam es auch zu einem dreiwöchigen Aufenthalt der F. Eine sexuelle Beziehung wurde nicht aufgenommen. Die Eheleute verfügten über keine gemeinsamen Konten. Jeder verbrauchte seine Einkünfte für sich selbst. Soweit die F sich in Paris aufhielt, bezahlte der M die Einkäufe.

     

    Die F begehrt Trennungsunterhalt i. H. v. monatlich rund 1.600 EUR für die Zeit ab Dezember 18. Das AG hat den Antrag abgewiesen. Auf ihre Beschwerde hat das OLG den M verpflichtet, Trennungsunterhalt i. H. v. 1.320 EUR zu zahlen. Die Rechtsbeschwerde des M, mit der er die Wiederherstellung der Entscheidung des AG erstrebt, ist erfolglos (BGH 19.2.20, XII ZB 358/19, Abruf-Nr. 215350).

     

    Entscheidungsgründe

    Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte leitet sich aus der VO (EG) Nr. 4 aus 2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckungen von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.08 (EuUnthVO) ab. Für die Vorschriften zur internationalen Gerichtszuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob die Beteiligten die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Auch die britische Staatsangehörigkeit des M steht der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3b EuUnthVO mit Ablauf des 31.1.20 nicht entgegen.

     

    Es besteht ein Anspruch auf Trennungsunterhalt. Auch dafür ist die Anwendbarkeit deutschen Rechts zu bejahen, Art. 15 EuUnthVO i. V. m. Art. 3 Abs. 1 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.07 (HUP). Wegen der in Art. 2 HUP angeordneten Allseitigkeit kommt es aus deutscher Sicht weder darauf an, ob der Fall Bezüge zu einem weiteren Vertragsstaat aufweist, noch darauf, dass das Haager Unterhaltsprotokoll für das Vereinigte Königreich nicht gilt.

     

    Beim Unterhalt nach § 1361 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Begriff des Getrenntlebens nach § 1567 Abs. 1 BGB zugrunde zu legen: Zwischen den Eheleuten besteht keine häusliche Gemeinschaft und ein Ehegatte will sie erkennbar nicht herstellen, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Unerheblich ist, ob die Ehegatten vorher zusammengelebt und die Trennung dadurch herbeigeführt haben, dass sie die häusliche Gemeinschaft aufgehoben oder ob sie von Anfang an getrennt gelebt haben. Es kommt auch nicht darauf an, inwieweit sich die Lebensgemeinschaft verwirklicht und sich die Lebensdispositionen beider verflochten haben bzw. abhängig geworden sind oder ob die Unterhaltsbedürftigkeit ihre Ursache in einer ehelichen Lebensgemeinschaft hat. Ferner ist unerheblich, in welchem Maß die Ehegatten im Einzelfall ihre beiderseitigen Einkünfte für den Unterhalt des anderen und für die gemeinsame Lebensführung verwendet haben. Ein Anspruch ist auch zu bejahen, wenn die Ehegatten zu keinem Zeitpunkt ihres Zusammenlebens eine wirtschaftliche Einheit gebildet, sondern mit getrennten Kassen gewirtschaftet haben.

     

    Der Bedarf bemisst sich nach § 1578 Abs. 1 BGB. Danach sind die Einkünfte von Ehegatten maßgebend, soweit diese die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben. Es ist auf einen objektiven Maßstab abzustellen. Entscheidend ist derjenige Lebensstandard, der nach den ehelichen Lebensverhältnissen vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus angemessen erscheint.

     

    Ausnahmsweise ist der Anspruch auf Trennungsunterhalt bei anfänglichem Einvernehmen darüber, keine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, verwirkt, § 1361 Abs. 3, § 1579 Nr. 8 BGB. Dass aber kein irgendwie geartetes vorheriges Zusammenleben erforderlich ist, folgt aus dem Wortlaut des § 1361 und § 1567 Abs. 1 BGB. Der Verwirkungsgrund des § 1579 Abs. 1 Nr. 1 BGH, die kurze Ehedauer, gilt gem. § 1361 Abs. 3 BGB nicht für den Trennungsunterhalt, obwohl das Kriterium an und für sich geeignet wäre, an eine Billigkeitsregelung anzuknüpfen. Vielmehr wird die Dauer der Ehe nur in § 1361 Abs. 2 BGB als Kriterium dafür herangezogen, wann der getrennt lebende Ehegatte auf eine eigene Erwerbstätigkeit verwiesen werden darf, um sich selbst zu unterhalten.

     

    Wird Trennungsunterhalt auch ohne Zusammenleben geltend gemacht, führt dies nicht dazu, dass der getrennt lebende Ehegatte bessergestellt wird. Mit der Eheschließung entsteht ein Anspruch auf Familienunterhalt (§§ 1360, 1360a BGB), auf den die Ehegatten nicht wirksam verzichten können, § 1360a Abs. 3, § 1614 Abs. 1 BGB. Selbst wenn ein Ehegatte faktisch mit der für ihn ungünstigeren Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse dahin gehend einverstanden war, dass der andere nichts zu seinem Lebensunterhalt entsprechend den Lebensverhältnissen beider beisteuert, ist der Bedürftige betreffend den Familienunterhalt nicht daran gebunden. Da auf Trennungsunterhalt nicht verzichtet werden kann, kann es daher keine Besserstellung durch die Trennung geben.

     

    MERKE | Bei der Bemessung des Trennungsunterhalts ist ein objektiver Maßstab anzulegen, sodass sich der besser verdienende Ehegatte der Unterhaltspflicht nach § 1361 BGB auch nicht dadurch entziehen kann, dass er während des Zusammenlebens seinen Unterhalt im Wesentlichen aus seinem Einkommen selbst bestritten und keinen Beitrag zu den Kosten der gemeinsamen Lebensführung geleistet hat.

     

    Der Trennungsunterhaltsanspruch muss auch nicht an fehlenden Bemessungsgrundlagen scheitern. Die ehelichen Lebensverhältnisse bemessen sich primär nach dem verfügbaren Gesamteinkommen.

     

    Es gibt keine gesetzlichen Regelungen, Ehen unterschiedlich je nach Dauer mit verminderten gesetzlichen Rechten und Pflichten zu beurteilen.

     

    Ein Verwirkungsgrund besteht nicht, weil kein anfängliches Einvernehmen darüber vorliegt, keine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen. Vielmehr war geplant, dass die F zu M nach Paris kommt.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Rechtsprechung des BGH ist in der Literatur (MüKo/Weber Monecke, BGB, 8. Aufl., § 1361 Rn. 5; Palandt/Brudermüller, BGB, 79. Aufl., § 1361 Rn. 10) und in der Rechtsprechung (OLG Celle FamRZ 90, 519; OLG Hamburg FamRZ 02, 753) auf Kritik gestoßen, soweit die Ehegatten nie oder nur kurz zusammengelebt haben. In diesen Fällen fehle es an prägenden Faktoren für die ehelichen Lebensverhältnisse als Bemessungsgrundlage. Zudem bestehe kein Grund, vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit abzurücken, wenn kein gemeinsamer Lebensbereich entstanden und eheliche Solidarität nie in Kraft getreten sei, insbesondere wenn Unterhalt zuvor nicht gezahlt worden sei. Mit sämtlichen Argumenten hat der BGH sich überzeugend auseinandergesetzt. Was die Frage der Verwirkung anbelangt, ergeben sich deutliche Anhaltspunkte dafür, dass nicht die Kürze der Ehe, sondern vielmehr das Einverständnis der Beteiligten, keine Lebensgemeinschaft zu gründen, ausschlaggebendes Billigkeitskriterium ist.

     

    Der Entscheidung des BGH vom 9.2.94, XII ZR 220/92 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die geschiedenen Eheleute sahen ihre Ehe aus Gründen des von beiden für maßgeblich erachteten koptischen Kirchenrechts und des Heimatrechts des M als für sie persönlich unverbindlich an. Der Ehemann M war entgegen der Hoffnung der F nicht bereit, durch eine kirchliche Scheidung seiner vorausgegangenen Ehe die Voraussetzung für eine gültige Ehe herbeizuführen. Das Verhalten des M erschöpfte sich nicht darin, vom Zusammenleben Abstand zu nehmen. Vielmehr war er sich bewusst, dass ihre Ehe nach seinem Heimatrecht und nach dem von beiden verbindlich angesehenen Kirchenrecht ungültig war.

     

    Der Härtegrund bestand in Folgendem: Der M kennt die Vorstellungen der F und meint, der Eheschluss sei wegen der noch nicht kirchlich geschiedenen Vorehe unwirksam. Deswegen sieht er von der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft ab. Er will gleichwohl aus der formellen Rechtsstellung einen Unterhaltsanspruch herleiten, den ihm die Eheschließung nach deutschem Recht gibt. Er hält sich damit nicht an die Vereinbarung mit F über die internen Folgen der Eheschließung und setzt sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten. Darin sieht der BGH einen Grund, der ebenso schwer wiegt, wie die in § 1579 Nr. 2 bis 7 aufgeführten Gründe. Im Übrigen ist es unerheblich, ob ein schuldhaftes Verhalten des M darin gesehen werden kann, dass er es unterlässt, die kirchliche Scheidung seiner Vorehe zu betreiben. Für den Härtegrund des § 1579 Nr. 8 BGB reicht es aus, dass die aus der Unterhaltspflicht erwachsene Belastung für die F die Grenze des Zumutbaren aus Gründen übersteigt, die sich auch aus objektiven Gegebenheiten und Entwicklungen der Lebensverhältnisse der Ehegatte ergeben können. Es reicht deshalb aus, dass sich der M objektiv treuwidrig verhält.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 138 | ID 46634324