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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Grundsicherungsrechtliche Vergleichsberechnung: Angehörige der Bedarfsgemeinschaft einbeziehen

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    In die im Rahmen der Prüfung eines Anspruchsübergangs nach § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II anzustellende grundsicherungsrechtliche Vergleichsberechnung sind unabhängig vom Bestehen oder vom Rang bürgerlich-rechtlicher Unterhaltspflichten auch die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen, in der die unterhaltspflichtige Person lebt (BGH 23.10.13, XII ZB 570/12, FamRZ 13, 1962, Abruf-Nr. 133499).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten streiten um den Übergang von Kindesunterhalt auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Antragsteller). Der Antragsgegner ist Vater der drei 1998, 2001 und 2004 geborenen Kinder, die aus seiner geschiedenen ersten Ehe stammen und bei der Mutter leben. Er ist wiederverheiratet und lebt mit seiner neuen Ehefrau, dem aus der zweiten Ehe hervorgegangenen 2009 geborenen Kind und zwei weiteren minderjährigen Kindern aus einer früheren Beziehung seiner jetzigen Ehefrau im gemeinsamen Haushalt. Er ist als Lager- und Versandarbeiter vollschichtig erwerbstätig. Er erzielt ein um notwendige Fahrtkosten und Versicherungsbeiträge bereinigtes Nettoeinkommen in monatlicher Höhe von rund 1.750 EUR. Die Ehefrau des Antragsgegners verfügt nicht über eigene Einkünfte. Seine beiden im Haushalt lebenden Stiefkinder erhalten von ihrem Vater nur zeitweilig einen deutlich unter dem Mindestunterhalt liegenden Kindesunterhalt.

     

    Für die drei im Haushalt ihrer Mutter lebenden Kinder aus der ersten Ehe des Antragsgegners hat der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erbracht. Er ist der Ansicht, dass rückständiger Kindesunterhalt aus diesen Zeiträumen im Umfang der Leistungsgewährung auf ihn übergegangen ist und hat diesen erfolgreich gegen den Antragsgegner geltend gemacht. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG die Entscheidung abgeändert und die Anträge abgewiesen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende blieb ohne Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Es fehlt an dem nach § 33 SGB II zu beurteilenden Anspruchsübergang. Dieser ist nach Abs. 2 S. 3 ausgeschlossen, wenn und soweit Einkommen und Vermögen des Unterhaltspflichtigen das nach §§ 11 - 12 SGB II zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht übersteigen. Dadurch soll der Unterhaltspflichtige in gleicher Weise wie der Leistungsempfänger geschützt werden. Der Unterhaltspflichtige soll nicht selbst zum Empfänger staatlicher Leistungen werden.

     

    Grundsicherungsrechtliche Vergleichsberechnung vornehmen

    Zu der dafür anzustellenden grundsicherungsrechtlichen Vergleichsberechnung ist zu ermitteln, wie hoch der hypothetische Bedarf des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen nach dem SGB II wäre und diesem Bedarf anschließend das nach §§ 11 ff. SGB II zu berücksichtigende und zu bereinigende Einkommen gegenüber zu stellen. Nur wenn und soweit das Einkommen den Bedarf übersteigt, kann ein Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen auf den Träger der Grundsicherung übergehen.

     

    Es ist nicht allein auf den Bedarf des Unterhaltspflichtigen abzustellen

    Lebt der Unterhaltspflichtige in einer Bedarfsgemeinschaft i.S. von § 7 Abs. 3 SGB II, ist nicht allein auf seinen Bedarf abzustellen. Vielmehr ist auch der Bedarf von Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen. Lebt der Unterhaltspflichtige mit anderen in einer Bedarfsgemeinschaft, muss er sein zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nicht nur einsetzen, um seinen eigenen sozialrechtlichen Bedarf zu decken. Vielmehr steht er auch für den Bedarf der Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft ein. Reichen Einkommen und Vermögen hierfür nicht aus, gilt gemäß § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II jede Person innerhalb der Bedarfsgemeinschaft als hilfebedürftig, und zwar im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf. Ist der Unterhaltspflichtige individuell nicht hilfebedürftig, weil sein Einkommen den eigenen sozialrechtlichen Bedarf vollständig abdeckt, fingiert § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II somit seine Hilfebedürftigkeit, wenn sein Einkommen nicht ausreicht, um den Bedarf der anderen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft zu decken.

     

    MERKE | Insoweit unterscheidet sich das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II vom Recht der Sozialhilfe, das zwar die gemeinsame Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei der Bedarfsgemeinschaft kennt. Aus systemimmanenten Gründen enthält es aber keine dem § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II vergleichbare Regelung. Daher kann nach dem SGB XII derjenige, dessen Einkommen und Vermögen ausreicht, seinen individuellen Bedarf zu decken, niemals selbst sozialhilfebedürftig werden, und zwar auch nicht, wenn mit seinem Einkommen der zusätzliche Bedarf der weiteren Mitglieder seiner Einstandsgemeinschaft nicht gedeckt wird.

     

    Würde nur auf den sozialrechtlichen Bedarf des Unterhaltspflichtigen abgestellt, könnte der Unterhaltspflichtige aufgrund des zu leistenden Unterhalts aus seinem Einkommen und Vermögen nicht mehr den gesamten Bedarf der Bedarfsgemeinschaft decken. Deswegen könnte er nach § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II als Hilfebedürftiger behandelt werden und einen Leistungsanspruch gegen den Träger der Grundsicherung erwerben. § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II will aber vermeiden, dass der Unterhaltspflichtige hilfebedürftig wird, zumal dies auch für eine mögliche Erbenhaftung gemäß § 35 SGB II sowie für die Frage bedeutsam ist, wer Schuldner einer Erstattungsforderung bei unrechtmäßig gewährten Leistungen ist. Die Einbeziehung der Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Denn nach der Begründung des Gesetzesentwurfes soll der Anspruchsübergang nach § 33 SGB II immer ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltspflichtige dadurch seinerseits bedürftig „i.S. der Regelungen zum Arbeitslosengeld II oder zum Sozialgeld“ würde. Aus der Senatsentscheidung FamRZ 96, 1272 folgt nichts anderes. Dort hat der BGH nur auf den Unterschied zwischen Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen hingewiesen.

     

    Maßgeblich ist die sozialrechtliche Betrachtungsweise

    Bei der Mangelfallberechnung wird der Unterhalt der drei im ersten Rang stehenden minderjährigen Kinder gekürzt, da ihre Halbschwester gleichrangig ist. Die zweite Ehefrau und deren Kinder sind nur nachrangig oder haben als nicht berechtigte Familienmitglieder keinen Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner. Soweit es um den Forderungsübergang nach § 33 Abs. 2 SGB II geht, ist bei der grundsicherungsrechtlichen Vergleichsberechnung jedoch ausschließlich auf die sozialrechtliche Betrachtungsweise abzustellen. Dies bezieht sich auf die Einkünfte, bei denen nur reales Einkommen einzustellen ist. Dies gilt aber auch für die mit dem Unterhaltspflichtigen in der Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen, bei denen es auf den sozialrechtlichen Bedarf ankommt. Daher sind auch die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft in die grundsicherungsrechtliche Vergleichsberechnung einzubeziehen, die mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenleben, selbst wenn sie keinen Unterhaltsanspruch gegen diesen haben.

     

    Der sozialrechtliche Gesamtbedarf der aus dem Antragsgegner, seiner Ehefrau, dem Kind und den beiden Stiefkindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft kann durch dessen sozialrechtlich relevante Einkünfte sowie Wohn-, Kindergeld und dem zeitweilig gezahlten Kindesunterhalt der Stiefkinder nicht gedeckt werden. Damit war der Antragsgegner schon vor Beachtung der streitgegenständlichen Unterhaltsansprüche hilfebedürftig i.S. des SGB II. Ein Anspruchsübergang (§ 33 Abs. 2 S. 3 SGB II) ist ausgeschlossen.

    Praxishinweis

    Die Entscheidung enthält wichtige sozialrechtliche Aspekte, die auch für Unterhaltsberechnungen zu berücksichtigen sind:

     

    Übersicht / Unterhaltsberechnung- wichtige sozialrechtliche Aspekte

    • § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II bezweckt, dass der Unterhaltspflichtige nicht schlechter steht als der Leistungsempfänger. Er darf nicht selbst hilfebedürftig sein und nicht selbst Empfänger der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden, wenn er Unterhalt zahlt. Ihm ist soviel zu belassen, wie er als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten könnte (§§ 19 ff. SGB II; Klinkhammer, FamRZ 04, 1909). Ein Anspruch kann daher erst übergehen, wenn er Einkommen oder Vermögen hat, das diesen Bedarf übersteigt.

     

    • Lebt der Unterhaltsschuldner mit anderen in einer Bedarfsgemeinschaft, muss er sein zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen auch einsetzen, um den Bedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu decken. Reicht dies dafür nicht aus, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft als hilfebedürftig und zwar im Verhältnis des eigenen Bedarfs zu den Gesamteinkünften, § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II. Dafür gilt die Bedarfsanteilsmethode:
      • Zunächst ist für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der individuelle Bedarf zu ermitteln. Dabei werden die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung nach der Anzahl der Bewohner berücksichtigt, auch wenn nicht alle der Bedarfsgemeinschaft angehören (BSG FamRZ 08, 688). Der Bedarf der Kinder ist um deren Einkommen zu mindern.

     

      • Danach ist für jede Person der prozentuale Anteil am Gesamtbedarf festzustellen. Entsprechend diesem Prozentsatz ist das zu berücksichtigende Gesamteinkommen auf die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen (Wendel/Dose/Scholz, Das Familienrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl., § 8 Rn. 213).

     

    • Der BGH hat zu Recht auch die mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden Personen in die Bedarfsgemeinschaft einbezogen, für die kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch besteht.

     

    • Demgegenüber ist bei der öffentlich-rechtlichen Vergleichsberechnung im Sozialhilferecht streitig, ob nur auf den Unterhaltspflichtigen oder auch auf die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft abzustellen ist:

     

      • Nach Ansicht des BGH ist ausschließlich auf den Unterhaltspflichtigen abzustellen.

     

      • Nach der Gegenansicht wird überwiegend vertreten, dass auch in die sozialhilferechtliche Vergleichsberechnung der Bedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen ist (Schellhorn, SGB XII, § 94 Rn. 98; Fichtner/Wolf, Grundsicherung, 3. Aufl., § 94 Rn. 98; R. 58; im Ergebnis auch Nr. 188, Empfehlungen DV SGB XII FamRZ 05, 1387). Zwar stellt § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XII nach seinem Wortlaut nur auf die Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen ab. Diese hängt jedoch nicht allein von seinem Einkommen und Vermögen ab. Vielmehr hängt dies auch davon ab, ob er vom Einkommen und Vermögen der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unterhalten werden kann, § 19 Abs. 1 S. 2 SGB XII. Es wäre aber widersinnig, beim Schuldnerschutz im Rahmen SGB XII allein auf die Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltsschuldner abzustellen, im Rahmen des SGB II aber auf den sozialrechtlichen Bedarf der Bedarfsgemeinschaft (Scholz in Wendel/Dose/Scholz, a.a.O.,§ 8 Rn. 98).

     

    • Diese Entscheidung richtet ihr Augenmerk auf eine Problematik, die zu einer kritischen Überprüfung des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen führt, obwohl sein unterhaltsrechtlicher Selbstbehalt nicht beeinträchtigt ist. Ergibt sich, dass er mit mehreren bedürftigen Personen und zwar unabhängig vom Rang oder vom Bestehen einer Unterhaltspflicht zusammenlebt, muss bei der Prüfung des Forderungsübergangs an das Jobcenter festgestellt werden, ob durch die Verteilung seines „Selbstbehalts“ auf die mit ihm zusammenlebenden Personen nicht Sozialhilfebedürftigkeit bei ihm eingetreten ist. In diesen Fällen geht der Unterhaltsanspruch nicht auf das Jobcenter über, sodass das Jobcenter nicht aktiv legitimiert ist und der Berechtigte den Unterhalt auch für die Vergangenheit voll für sich beanspruchen kann.
     

    Weiterführender Hinweis

    • FK 14, 81, zu derselben Entscheidung im Hinblick auf die prozessuale Auswirkung des Zusatzes im Auftrag unter dem Schriftsatz
    • Klinkhammer, FamRZ 04, 1909, zu Änderungen im Unterhaltsrecht nach „Hartz IV“
    Quelle: Ausgabe 05 / 2014 | Seite 77 | ID 42604076