· Kindesunterhalt
Dauer und Höhe des Ausbildungsunterhalts orientieren sich am Einzelfall

| Beim Ausbildungsunterhalt gibt es keine feste Studiendauerbegrenzung. Stattdessen werden individuelle Umstände berücksichtigt. Ein Jurastudium kann auch mit 16 Semestern angemessen sein, wenn es ohne Verzögerungen und mit Auslandssemestern abgeschlossen wird, so das OLG Bremen. |
von RiOLG Eva Bode, Hamm
Sachverhalt
Der Antragsteller S nimmt seinen Vater V auf anteiligen Ausbildungsunterhalt zuletzt für die Zeit von Oktober 22 bis Oktober 24 für sein Jurastudium in Anspruch; bis September 22 zahlte der V dem S anteiligen Ausbildungsunterhalt. Nach seinem Abitur nahm der S mit 17 Jahren in 2016 unmittelbar das Studium auf, währenddessen er in 2018/2019 zwei Auslandssemester absolvierte. Im Oktober 22 schrieb er im Freiversuch erste Examensklausuren und bestand die Pflichtfachprüfung. Nach einem erfolgreichen Verbesserungsversuch schloss er im Oktober 24 das Studium ab. Der V bezieht Einkünfte als Universitätsprofessor und weitere Einnahmen aus einer Nebentätigkeit sowie aus Vermietung. Er lebt mit seiner kein Einkommen erzielenden Ehefrau F und einem gemeinsamen minderjährigen Kind zusammen. Die Mutter M des S ist diesem quotal zum Unterhalt verpflichtet. Das AG verpflichtete den V, laufenden anteiligen Ausbildungsunterhalt an den S neben der M zu zahlen. Dagegen wendet sich der V erfolglos mit seiner Beschwerde.
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Entscheidungsgründe
Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt nach § 1601, § 1610 Abs. 2 BGB ist vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Das Kind muss fleißig und zielstrebig die Ausbildung in angemessener und üblicher Zeit beenden. Leichte Verzögerungen müssen die Eltern hinnehmen. Eine feste Altersgrenze, ab deren Erreichen der Anspruch entfällt, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Maßgebend sind stets die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Obliegenheiten des Kindes und der Leistungsfähigkeit der Eltern. Wegen der erheblichen Folgen bei Wegfall des Ausbildungsunterhalts gerade in der Endphase des Studiums ist eine eher großzügige Betrachtungsweise geboten, um den Ausbildungsabschluss nicht zu gefährden.
Die angemessene und übliche Ausbildungsdauer richtet sich nach den individuellen Umständen. Die Regelstudienzeit, die Förderungshöchstdauer nach § 15a BAföG oder die durchschnittliche Studiendauer sind ungefähre Anhaltspunkte, aber keine starre zeitliche Grenze des Unterhaltsanspruchs.
Für den S beträgt die Regelstudienzeit 10 Semester und die durchschnittliche Studienzahl bis zum Abschluss 12,6 Semester. Die beiden Auslandssemester sind hinzuzurechnen, sodass für ihn 14 Semester üblich sind. Die weitere Überschreitung um zwei Semester ist zu tolerieren, zumal der S das Studium ernsthaft betrieben hat. Zu berücksichtigen ist, dass er bereits mit 17 Jahren begonnen hat zu studieren und jetzt erst 25 Jahre alt ist, sodass auch der Verbesserungsversuch für den V zumutbar ist. Der absehbare Abschluss im Oktober 24 ist zu finanzieren und die erreichten Noten (Freiversuch: 7,10 Punkte; Verbesserung: 10,22 Punkte) verdeutlichen die Zielstrebigkeit des S.
Der V verfügt über ausreichendes Einkommen und ist durch den Ausbildungsunterhalt nicht unzumutbar belastet, geschweige denn überfordert.
Bei der Ermittlung des Haftungsanteils des V ist der Familienunterhaltsanspruch der F nicht vorweg abzuziehen. Dieser bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die durch die anderweitige, nachrangige Unterhaltspflicht gegenüber dem studierenden S eingeschränkt ist. Der quotale Anteil des V für den Ausbildungsunterhalt steht betragsmäßig jedoch nicht fest, sondern beeinflusst die Höhe des Familienunterhaltsanspruchs. Tatrichterlich stehen verschiedene Berechnungsmethoden zur Verfügung:
- Ansatz des vollen oder hälftigen oder eines prozentualen Bedarfs des Kindes: Dieser Betrag kann jedoch nicht das widerspiegeln, was die Ehefrau des Unterhaltspflichtigen sich entgegenhalten lassen muss, da dessen Leistungsfähigkeit nicht einbezogen ist.
- Ansatz des Mindestbedarfs der Ehefrau: Dem steht jedoch entgegen, dass ihr Anspruch auch darüber hinausgehen kann und dann zugunsten des anderen Elternteils geschmälert werden würde.
- Ansatz eines bereits titulierten und vom Unterhaltspflichtigen gezahlten Unterhalts: Dieser Betrag hat bislang tatsächlich die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt, liegt aber nicht stets vor.
- Ansatz einer aufgrund der elterlichen Einkommensverhältnisse realistischen Quote des festen Bedarfs des Kindes: Diese Methode bietet sich an, wenn bei einem auswärts untergebrachten Student ein fester Bedarf anzusetzen ist. Die Quote stellt einen Näherungswert aufgrund der Einkommensverhältnissen der Eltern dar. Das Ergebnis ist zu überprüfen, ob sich ein Missverhältnis hinsichtlich des wechselseitigen Bedarfs ergibt. Nur bei einer Diskrepanz ist der Fehlbetrag für die Deckung des Familienunterhalts vorweg bei der Quotenberechnung des Ausbildungsunterhalts abzuziehen.
Zu berücksichtigen ist ferner
- die unzureichende Information der Eltern über Ausbildungsverlauf mit der Rechtsfolge eines Zurückbehaltungsrechts,
- die Verwirkung aufgrund Beschimpfungen des Pflichtigen, die unterbliebene Anzeige von (geringfügigen) Einnahmen des Berechtigten,
- die Anrechnung von Eigeneinkünften nach Billigkeit,
- die erhöhten Wohnkosten des Berechtigten,
- die Befristung bei absehbarem Ausbildungsabschluss sowie
- Übergangszeit von 3 Monaten nach Ausbildungsende.
Hier ergibt sich keine Obliegenheitsverletzung des S. Bei der Berechnung der Unterhaltsquote ist der Familienunterhalt für F nicht vorweg abzuziehen.
Relevanz für die Praxis
Der Lebens- und Studienverlauf des Kindes müssen umfassend dargestellt werden, um eine ausgewogene Einzelfallentscheidung zu ermöglichen. Bei Bestreiten trägt das Kind die Darlegungs- und Beweislast für seine zielstrebige Ausbildung. Beim Jurastudium ist der Studienverlauf oft bekannt, während in anderen Fächern zusätzliche Ausbildungsbestandteile wie Auslandssemester erläutert werden sollten. Verzögerungen und Abweichungen vom Regelstudienverlauf müssen erklärt werden. Das Kind steckt in einer Zwickmühle: Einerseits ist eine schnelle Entscheidung wichtig für seinen Lebensunterhalt, andererseits ist der erfolgreiche Ausbildungsabschluss bei Zeitlauf nachweisbar.
Die Ausführungen zur Berechnung des Haftungsanteils des V unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht gegenüber der F entsprechen der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGH 21.1.09, XII ZR 54/06; OLG Brandenburg 23.6.09, 10 UF 133/08). Es reicht nicht aus, nur auf den Nachrang des Ausbildungsunterhalts gem. § 1609 Nr. 4 BGB zu verweisen, da diese Norm nur bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit greift. Es ist ratsam, eine für den Mandanten günstige Berechnungsmethode darzustellen und ggf. zum Billigkeitsverhältnis der einzelnen Unterhaltsbedarfe vorzutragen. Beim Kind sollte ein dreimonatiger Unterhaltsanspruch nach Ausbildungsabschluss berücksichtigt werden.
Weiterführende Hinweise
- Erhebliches Überschreiten der Regelstudienzeit und Wegfall der BAföG-Förderung: OLG Hamm 20.7.82, 1 UF 13/82
- Erhebliches Überschreiten bei mehr als 15 Semestern: OLG Koblenz 24.4.15, 11 WF 317/15
- Überschreitung der Regelstudienzeit von 7 Semestern um 4 Semester: OLG Köln 24.5.22, II-14 UF 192/21
- Weitere Entscheidungen zum „Bummelstudium“: BGH 11.2.87, IVb ZR 23/86; OLG Zweibrücken 27.12.94, 5 UF 69/94; OLG Stuttgart 6.7.95, 16 UF 94/95; OLG Köln 19.8.97, 4 UF 42/97; OLG Hamm 2.12.98, 12 UF 95/98; OLG Schleswig-Holstein 30.9.02, 13 WF 48/02