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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Bezugsdauer des Elterngeldes verdoppeln

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Einem zu Minderjährigenunterhalt verpflichteten Elternteil, der sich nach Geburt eines weiteren Kindes dessen Betreuung widmet, kann im Fall einer zu respektierenden Rollenwahl jedenfalls für die ersten beiden Lebensjahre des von ihm betreuten Kindes unterhaltsrechtlich nicht vorgeworfen werden, dass er von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Bezugsdauer des Elterngeldes zu verdoppeln und deswegen keine für den Kindesunterhalt ausreichenden Einkünfte hat (BGH 11.2.15, XII ZB 181/14, FamRZ 15, 738, Abruf-Nr. 175525).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten streiten darüber, den durch Jugendamtsurkunde titulierten Kindesunterhalt herabzusetzen. Der 2004 geborene Antragsgegner ist der Sohn S der Antragstellerin M. Seit der Trennung der Eltern lebt der S bei seinem Vater V. Die Ehe der Eltern ist geschieden. Die M ist Mutter einer Tochter T geworden. Sie lebt mit deren Vater L zusammen und hat für zwei Jahre Elternzeit genommen. Das ihr gewährte Elterngeld ist wegen der von ihr beantragten verlängerten Bezugsdauer halbiert worden. Sie hat beantragt, die Jugendamtsurkunde dahin abzuändern, dass sie keinen Unterhalt mehr an den S zahlen muss. Dazu beruft sie sich auf ihr gesunkenes Einkommen. Das AG hat dem Antrag stattgegeben. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    M ist aufgrund der Geburt der T nicht leistungsfähig. Sie kann trotz der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber S nicht darauf verwiesen werden, weiterhin ihrer vor der Geburt der T ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zwar entfällt die Pflicht gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern, eine zumutbare Erwerbstätigkeit aufzunehmen, nicht ohne Weiteres dadurch, dass der Unterhaltspflichtige ein weiteres Kind betreut. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er erneut geheiratet hat und im Einvernehmen mit seinem Ehegatten allein den Haushalt führt. Dies gilt auch, wenn das weitere Kind aus einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft hervorgegangen ist. Der Unterhaltspflichtige erfüllt zwar seine gegenüber dem weiteren Kind bestehende Unterhaltspflicht dadurch, dass er dieses Kind pflegt und erzieht. Das Kind aus der früheren Beziehung hat aber ebenfalls wegen des Gleichrangs nach § 1609 Nr. 1 BGB einen Anspruch auf Unterhalt.

     

    Es kann unterhaltsrechtlich nur akzeptiert werden, dass der Unterhaltspflichtige das Kind betreut und sich deshalb seine Erwerbseinkünfte mindern, wenn wirtschaftliche Gesichtspunkte oder sonstige Gründe vom gleichen Gewicht, die einen erkennbaren Vorteil für die neue Familie mit sich bringen, im Einzelfall die Rollenwahl rechtfertigen. Die Kinder aus einer früheren Verbindung müssen nur hinnehmen, dass sich ihre Unterhaltsansprüche mindern, wenn das Interesse des Unterhaltspflichtigen und seiner neuen Familie an der Aufgabenverteilung ihr eigenes Interesse daran, ihre bisherige Unterhaltssicherung beizubehalten, deutlich überwiegt.

     

    Hier ist die Rollenwahl zu billigen. L bezieht ein höheres Einkommen als M. Auch hat er gesundheitliche Beschwerden, die ihn beeinträchtigen würden, wenn er T betreuen würde. Dies sind hinreichende Gründe, die es auch gegenüber S gerechtfertigt erscheinen lassen, dass M die T betreut.

     

    Allerdings trifft M, auch wenn die neue Rollenwahl nicht zu beanstanden ist, die Obliegenheit, erforderlichenfalls einen Nebenerwerb aufzunehmen, um zum Unterhalt von minderjährigen unverheirateten Kindern aus einer früheren Verbindung beizutragen. Während der Unterhaltspflichtige in den ersten zwei Jahren seit der Geburt des Kindes Elterngeld bezieht, ist er nicht verpflichtet, daneben eine Nebenerwerbstätigkeit auszuüben. Den Gleichrang der Unterhaltsansprüche aller Kinder aus verschiedenen Beziehungen hat schon § 9 S. 2 BErzGG berücksichtigt. Denn grundsätzlich bleibt das Erziehungsgeld unberücksichtigt, wenn Unterhaltspflichten bemessen werden. Es wird aber wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber den minderjährigen Kindern aus erster Ehe als Einkommen angesetzt.

     

    Dies gilt auch für das an die Stelle des Erziehungsgeldes getretene Elterngeld. Der Umstand, dass der Unterhaltspflichtige wählen kann, für den regulären Bezugszeitraum das volle Elterngeld zu beziehen oder das hälftige Elterngeld auf den doppelten Zeitraum zu strecken, ist keine entscheidende Veränderung. Dem Unterhaltspflichtigen kann nicht vorgeworfen werden, dass er den Auszahlungszeitraum verdoppelt, auch wenn dadurch der monatlich gezahlte Betrag halbiert wird. Wird das volle Elterngeld ausgezahlt, erlaubt dies teilweise, dass Kindesunterhalt gezahlt wird. Dafür muss der Unterhaltspflichtige für die nachfolgende Zeit ohne Leistungen auskommen, obwohl er auch in dieser Zeit unterhaltsrechtlich nicht gehalten wäre, erwerbstätig zu sein. Wenn er sich unter diesen Umständen für die Option entscheidet, das Elterngeld auf die doppelte Zeit zu strecken, verletzt dies keine Obliegenheit. Daher muss der barunterhaltspflichtige Elternteil nur insoweit für den Unterhalt aufkommen, als sein tatsächliches Einkommen seinen notwendigen Selbstbehalt übersteigt.

     

    Der eigene Unterhalt des Elternteils kann auch durch einen Anspruch auf Unterhalt nach § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB gesichert sein. Dieser richtet sich auf den angemessenen Bedarf. Für das Elterngeld gelten insoweit wie für das Erziehungsgeld keine Besonderheiten.

    Praxishinweis

    Der BGH bezieht sich auf seine sog. “Hausmann-Rechtsprechung“. Ist der Unterhaltspflichtige, der ein Kind aus einer neuen Verbindung betreut, nicht leistungsfähig, muss er sich fiktive Einkünfte zurechnen lassen. In welchem Umfang eine Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, hängt insbesondere davon ab, ob die alte Familie die Rollenwahl hinnehmen muss.

     

    Unterhaltspflichtiger muss ggf. eine Nebentätigkeit aufnehmen

    Aber auch wenn die Rollenwahl hinzunehmen ist, muss der Pflichtige seine häusliche Tätigkeit in der neuen Ehe oder Verbindung auf das unbedingt notwendige Maß beschränken und eine Nebentätigkeit aufnehmen. Der neue Ehegatte muss ihm dazu die erforderliche Zeit verschaffen, indem er zum Teil häusliche Arbeiten übernimmt. In welchem Umfang der Unterhaltspflichtige eine Nebentätigkeit aufnehmen muss, richtet sich nach dem Alter der zu betreuenden Kinder aus der neuen Ehe. Die Erwerbsobliegenheit setzt schon vor dem achten Lebensjahr des Kindes ein. Denn der Pflichtige muss es auf ein Mindestmaß beschränken, den Haushalt zu führen und Kinder zu betreuen.

     

    MERKE | Wenn Eltern- oder auch Erziehungsgeld gezahlt wird, ist eine Nebentätigkeit in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes aus der neuen Beziehung nicht erforderlich. Denn wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht ist auch der Sockelbetrag von 300 EUR einzusetzen. Das einsetzbare Einkommen dürfte etwa dem Einkommen entsprechen, das durch eine Nebentätigkeit erzielbar ist.

     

    Ob und in welchem Umfang das vom Unterhaltspflichtigen erzielte Einkommen bzw. das Erziehungs- oder Elterngeld für den Unterhalt einzusetzen ist, richtet sich danach, ob der Familienunterhalt sichergestellt ist. Soweit der Barunterhaltspflichtige in einer neuen Beziehung lebt, wird der Familienunterhalt durch den Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB ersetzt. Daran hat der BGH hier den Einsatz des Elterngeldes scheitern lassen.

     

    Offen bleibt, ob die Unterhaltsansprüche begrenzt sind

    Nicht angesprochen hat der BGH, ob die Unterhaltsansprüche des Unterhaltsberechtigten aus früherer Ehe durch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auf der Grundlage eines Einkommens aus vollschichtiger Tätigkeit begrenzt sind, wenn die Rollenwahl anerkannt wird. Bis zur Entscheidung des BGH vom 5.10.06 (FamRZ 06, 1827) ist zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige, wäre er vollschichtig erwerbstätig, aufgrund dieser Einkünfte den Unterhalt der Berechtigten aus früherer Ehe sicherstellen könnte. Denn der Unterhaltspflichtige darf nicht schlechter gestellt werden als er stünde, wenn er voll erwerbstätig wäre (BGH FamRZ 87, 472; 96, 796).

     

    Mit der Entscheidung aus 2006 hat der BGH auch die durch die Rollenwahl entstandenen Vorteile herangezogen, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Dies ist bedenklich, weil sich die Leistungsfähigkeit nach der Hausmann-Rechtsprechung nur durch überobligatorische Mitwirkungspflichten des neuen Ehegatten und im Regelfall dadurch erzielen lässt, dass fiktive Einkünfte zugerechnet werden. Im Hinblick darauf lässt sich zwar rechtfertigen, diese Konstruktion einzusetzen, um eine Teilleistungsfähigkeit wiederherzustellen. Ihr jedoch auch eine den Anspruch erhöhende Wirkung beizumessen, ist wegen des überobligatorischen Einsatzes des neuen, bereits vollschichtig erwerbstätigen Ehegatten dadurch, dass er weitere Aufgaben bei der Kinderbetreuung und Haushaltsführung übernommen hat, bedenklich.

     

    Weiterführende Hinweise

    • FuR 01, 183 zur Gleichstellung mit einem verheirateten Elternteil BGH)
    Quelle: Ausgabe 11 / 2015 | Seite 184 | ID 43556190