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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Ausbildungsunterhalt: Zielstrebigkeit beim Ausbildungsbeginn

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Das unterhaltsberechtigte Kind verliert den Ausbildungsunterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern nicht schon dann, wenn es ihm aufgrund eines notenschwachen Schulabschlusses erst nach drei Jahren vorgeschalteter Berufsorientierungspraktika und ungelernter Aushilfstätigkeiten gelingt, einen Ausbildungsplatz zu erlangen (BGH 3.7.13, XII ZB 220/12, FamRZ 13, 1375, Abruf-Nr. 132424).

     

    Sachverhalt

    Die 1989 geborene Antragstellerin begehrt von ihrem Vater, dem Antragsgegner, Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab September 10.

     

    Die Antragstellerin lebte nach der Trennung ihrer Eltern im Jahre 97 zunächst im Haushalt des Vaters in den Niederlanden, bevor sie 03 zu ihrer Mutter nach Deutschland wechselte. Dort erwarb sie 07 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 3,6. Anschließend nahm sie eine eigene Wohnung und bestritt ihren ­Lebensunterhalt selbst, indem sie als ungelernte Kraft in verschiedene ­Beschäftigungsverhältnisse eintrat und Praktika zum Teil in der Erwartung leistete, auf diese Weise Zugang zu einem Ausbildungsplatz zu erlangen. Im August 10 begann sie eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin. Ihre Mutter erzielt als geringfügig Beschäftigte Einkünfte von ­monatlich höchstens 400 EUR.

     

    Das AG hat den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin rückständigen und laufenden Unterhalt zu zahlen. Beschwerde und Rechtsbeschwerde dagegen blieb ohne Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

     

    Deutsches Recht ist anwendbar

    Die deutschen Gerichte sind zuständig. Es greift deutsches Recht, Art. 5 Nr. 2 VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.00 (Brüssel I-VO = EUGVVO); Art. 4 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HU Ü73) bzw. Art. 3 Abs. 1 des Haager Unterhaltsprotokolls (HUP). Denn die ­Antragstellerin hat als Unterhaltsberechtigte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

     

    Anspruch auf Ausbildungsunterhalt besteht

    Der Anspruch des Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner ­Begabung, Neigung und seinem Lebenswillen entsprechenden Berufsausbildung ist vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt.

     

    Der Unterhaltsschuldner ist verpflichtet, dem Kind eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Er muss nach Treu und Glauben Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind.

     

    Dem steht beim Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Verletzt das Kind nachhaltig diese Obliegenheit, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst verdienen. Daraus folgt also auch die ­Obliegenheit des Kindes, die Ausbildung in angemessener Zeit aufzunehmen. Auch ein Schulabgänger muss auf die Belange des Unterhaltspflichtigen Rücksicht nehmen und sich in angemessener Zeit darüber klar werden, welche Ausbildungsmöglichkeiten ihm nach dem Schulabschluss zur Verfügung stehen. Er muss sich alsbald um einen entsprechenden Ausbildungsplatz ­bemühen und die Ausbildung zielstrebig ­beginnen. Ihm ist zwar eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, ­deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Je älter er bei Schulabgang ist und je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg. Selbst wenn er bisher noch keine Berufsausbildung erfahren hat, kann eine lange Verzögerung dazu führen, dass sein Ausbildungsanspruch entfällt und er sich daher seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Bewerbung und Fertigkeiten verdienen muss.

     

    Es gibt keine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt. Dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich ist, ob den Eltern unter ­Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch zumutbar ist. Insbesondere mutet § 1610 Abs. 2 BGB den Eltern nicht zu, sich ggf. nach ­Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung etwa der Hochschulreife oder der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, ­einen Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Bedeutsam ist auch, dass es sich um Zeiträume handelt, in denen steuerliche Erleichterungen, Kindergeld oder kindbezogene Gehaltsbestandteile aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes unabhängig von seinem Ausbildungsstand wegfallen. Allerdings sind Verzögerungen insbesondere hinzunehmen, wenn sie auf einer psychischen Erkrankung des Kindes beruhen.

     

    Aufgrund dieser Erwägungen ist der Zeitraum zwischen Schulabschluss und Aufnahme einer Ausbildung noch nicht als schädlich für den Ausbildungsunterhalt anzusehen. Die Antragstellerin hat im Jahr 07 im Alter von 18 Jahren die mittlere Reife absolviert. Den verzögerten Schulabschluss aufgrund des Wiederholens einer Klasse muss der Unterhaltspflichtige hinnehmen. ­Außerdem kann einem Kind ein schulisches Versagen während seiner Minderjährigkeit ohnehin kaum vorgeworfen werden.

     

    Kindern ist eine Übergangszeit zuzugestehen

    Der Antragstellerin ist unterhaltsrechtlich nicht vorzuwerfen, dass sie nicht sofort nach Erlangung des Schulabschlusses in ein Ausbildungsverhältnis eintrat. Dazu ist ihr eine gewisse Übergangszeit zuzugestehen. Dies liegt im tatrichterlichen Ermessen. Dabei durfte das OLG berücksichtigen, dass es Bewerbern mit guter Ausgangsqualifikation, die sich vor allem in guten Schulnoten ausdrücken kann, im ersten Zugriff grundsätzlich leichter gelingt einen Ausbildungsplatz zu erlangen, als Bewerbern mit schwächerer Qualifikation. Letztere sind verstärkt darauf angewiesen, durch Motivation und Interesse an dem Berufsbild zu überzeugen, was auch durch vorgeschaltete ­Berufsorientierungspraktika oder mittels eines Aufstiegs über eine zunächst ungelernte Aushilfstätigkeit gelingen kann.

     

    Die tatrichterliche Wertung des OLG hält sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums, dass die Antragstellerin nicht gegen Obliegenheiten verstoßen hat. Sie hat in den Jahren 09 mehrere Praktika absolviert mit dem Ziel, im Anschluss hieran bei dem jeweiligen Unternehmen einen Ausbildungsplatz zu erlangen. Allerdings hat sie für das Jahr 08 keine konkreten Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz vorgetragen. Darin ist aber noch keine Obliegenheitsverletzung zu sehen.

     

    Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass die angeordnete Unterhaltspflicht den Antragsgegner unzumutbar belasten könnte. Die Ausbildungsmarktlage für Schulabsolventen mit schwacher Notenqualifikation ist schwierig. Der Antragsgegner musste damit rechnen, dass die Antragstellerin eine Ausbildungsstelle erst würde antreten können, nachdem sie sich in vorgeschalteten Berufsorientierungspraktika oder ähnlichen Tätigkeiten ­bewährt hatte. Auch liegt die gesamte Ausbildung noch innerhalb des Zeitraums vor der Vollendung des 25. Lebensjahres, für den Kindergeld beansprucht werden kann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird. Aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 BKGG ergibt sich insbesondere, dass die Rechtsordnung eine Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres unabhängig von ihrer Art grundsätzlich als förderungswürdig anerkennt. Außerdem handelt es sich um eine erste Ausbildung der Antragstellerin, die der Antragsgegner finanzieren muss. Er muss vergleichsweise geringe Beträge zahlen, die ­innerhalb des Ausbildungszeitraums wegen der jährlich steigenden Ausbildungsvergütung sich sogar noch weiter verringern.

     

    Antragsgegner ist leistungsfähig

    Ob sich der Bedarf der Antragstellerin dadurch ändert, dass sie mit einem Partner zusammenlebt, kann dahinstehen. Denn dies ist bestritten. Es ist nicht zu beanstanden, dass das OLG den Vortrag zum Zusammenleben als unsubstanziiert angesehen hat.

     

    Der Antragsgegner hat ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von 1.783 EUR abzüglich fünf Prozent berufsbedingter Aufwendungen und Krankenversicherungsbeiträge von 274,77 EUR. Nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts, den das OLG unter Hinweis auf seine Leitlinien mit 1.100 EUR bis Ende 2010 bzw. 1.150 EUR für die Zeit danach bemessen hat, war er für den zugesprochenen Unterhalt leistungsfähig und konnte den Unterhalt erbringen. Etwas anderes folgt auch nicht aus den erhöhten Selbstbehalten, die der Senat gegenüber einem vormals wirtschaftlich selbstständigen Kind gebilligt hat. Ein Kind, das die Phase vor seiner Erstausbildung durch Berufsorientierungspraktika und ähnliche Tätigkeiten überbrückt, ist noch nicht wirtschaftlich selbstständig im vorbezeichneten Sinne. Eine Erhöhung des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen aufgrund des Aufenthalts in den Niederlanden scheidet aus. Zwar sind die Lebenshaltungskosten um 4,5 Prozent höher als in der BRD. Dies lässt sich jedoch mit dem Selbstbehalt abgelten.

    Praxishinweis

    Die Entscheidung verursacht leichtes Unbehagen. Zu beachten ist, dass das Kind im Jahr 07 die mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 3,6 ­bestanden und bewusst erst 2010 eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin begonnen hat. Zwischen Schulabschluss und Ausbildungsbeginn liegen drei Jahre. Bis dahin hat es berufsorientierende Praktika absolviert und war in ungelernten Tätigkeiten tätig. Der BGH geht davon aus, dass dies alles ­unter der Prämisse erfolgt ist, bei den ­Unternehmen, insbesondere auch bei den Arbeitgebern, bei denen die ungelernten Tätigkeiten ausgeführt worden sind, eine ­Arbeitsstelle zu erlangen. Jedoch konnte das Kind für das Jahr 08 keine einzige Bewerbung vorlegen. Dabei geht der BGH davon aus, dass ­wegen der schlechten Schulnoten mit derartigen Verzögerungen zu rechnen ist. Genauso gut könnte man sagen, dass die Ausübung von ungelernten ­Tätigkeiten bei solchen Schulnoten dafür spricht, dass das Kind keine Absicht hat, eine Ausbildung zu beginnen und sich mit ungelernten Tätigkeiten ­begnügt. Gegen die Glaubwürdigkeit der Tochter dürfte auch sprechen, dass sie eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin mit mittlerer Reife ­begonnen hat, was eigentlich auch früher hätte möglich sein müssen.

     

    Fraglich ist, ob der Antragsgegner damit rechnen musste, dass das Kind noch ein Ausbildungsverhältnis eingehen wird. Die Zahlung des Unterhalts ist für den ­Vater schwieriger als vom BGH angenommen. Er verfügt über ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von 1.418,65 EUR. Nach Abzug des Volljährigenunterhalts von 284 bis 218,82 EUR verblieb ihm etwas mehr als der Selbstbehalt von 1.100 EUR bzw. 1.150 EUR für die Zeit ab Januar 11. Fraglich ist, ob es dem Vater zumutbar war, im Hinblick auf die erheblichen Verzögerungen bis zur Aufnahme einer Ausbildung zu deren Finanzierung beizutragen. Letztlich wird es auf die tatrichterliche Wertung ankommen, wie die einzelnen Umstände zu würdigen sind.

     

    Weiterführende Hinweise

    • BGH FamRZ 98, 671, zur Verwirkung des Ausbildungsunterhaltsanspruchs bei unangemessener Verzögerung der Ausbildungsaufnahme
    • Möller, FPR 08, 347, zum Unterhalt bei einem nicht vergüteten Praktikum
    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 9 | ID 42374920