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  • Fachbeitrag · Elternunterhalt

    Kein Familienselbstbehalt bei nicht ehelicher Lebensgemeinschaft

    von VRiOLG a.D. Jürgen Soyka, Meerbusch

    | Lebt das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft und schuldet es Kindesunterhalt, wirkt sich dies anders aus, als beim verheirateten Kind. Dazu ein aktueller Fall des BGH. |

    Sachverhalt

    Der Antragsteller begehrt als Sozialhilfeträger (ST) vom Antragsgegner (S) Elternunterhalt für dessen Vater (V) aus übergegangenem Recht. Der V wird von einem Pflegedienst betreut und versorgt. Er bezieht laufende Sozialhilfe. Der S lebt in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, aus der eine Tochter (T) hervorgegangen ist. Die Lebensgefährtin des S (L) ist geschieden. Zwei aus ihrer Ehe stammende minderjährige Kinder leben im gemeinsamen Haushalt. Das AG hat den S verpflichtet, Elternunterhalt zu zahlen. Auf die Beschwerde wurde der Unterhalt herabgesetzt. Die Rechtsbeschwerde führt dazu, dass die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wird.

     

    • a) Bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit für die Zahlung von Elternunterhalt ist ein von dem Unterhaltspflichtigen zusätzlich geschuldeter Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB als - gem. § 1609 Nr. 2 BGB vorrangige - sonstige Verpflichtung i. S. d. § 1603 Abs. 1 BGB von dessen Einkommen abzuziehen. Auf einen Familienselbstbehalt kann sich der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebende Unterhaltspflichtige nicht berufen.
    • b) Ein elternbezogener Grund zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts kann auch darin liegen, dass ein Elternteil das gemeinsame Kind im weiterhin fortdauernden Einvernehmen mit dem anderen persönlich betreut und deshalb voll oder teilweise an einer Erwerbstätigkeit gehindert ist. Die Mitwirkung an einer solchen Gestaltung der nichtehelichen Gemeinschaft ist dem Pflichtigen im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten Eltern nach Treu und Glauben nur dann verwehrt, wenn sie rechtsmissbräuchlich erscheint.
     

    Entscheidungsgründe

    Die Mietbelastungen des S sind höher als im Selbstbehalt ausgewiesen. Gleichwohl ist der Selbstbehalt nicht zu erhöhen. Denn in dem vom Einkommen abgezogenen Kindesunterhalt für die T ist ein Wohnkostenanteil von 20 Prozent enthalten, der den Wohnbedarf des Kindes deckt und die Mietaufwendungen entsprechend reduziert. Zudem ist die L Mieterin, ebenso wie ihre Kinder, zu deren Unterhaltsansprüchen nichts festgestellt ist. Diese müssen den geringeren Anteil als die Hälfte des gesamten Mietaufwands erbringen.

     

    Kein Familienselbstbehalt bei einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft

    Dem S ist kein Familienselbstbehalt, der für Eheleute gilt, zuzubilligen. Der Anspruch aus § 1615l BGB führt nicht dazu, einen Familienselbstbehalt anzusetzen. Vielmehr ist dieser Unterhalt lediglich als vorrangige Verpflichtung i. S. d. §  1603 Abs. 1 BGB vom Einkommen des S abzuziehen.

     

    Der Familienselbstbehalt bemisst sich nach dem angemessenen Selbstbehalt am Elternunterhalt, abzüglich 10 Prozent der Vorteile des Zusammenlebens. Ausgehend davon und den Gesamteinkünften der Ehegatten ist der individuelle Familienbedarf zu ermitteln, zu dem der Unterhaltspflichtige entsprechend den Verhältnissen der Einkünfte beider Ehegatten beitragen muss. Der Familienselbstbehalt beruht auf der Prämisse, dass der Unterhaltspflichtige verheiratet ist und die Ehegatten wechselseitig zum Familienunterhalt verpflichtet sind. Damit ist der Anspruch auf § 1615l BGB nicht vergleichbar. Der danach geschuldete Bedarf des Berechtigten richtet sich nach seiner eigenen Lebensstellung, § 1610 BGB. Daher bleibt die Höhe des Betreuungsunterhalts von einem daneben geltend gemachten Elternunterhaltsanspruch unberührt, sodass der Betreuungsunterhalt ohne Weiteres als sonstige Verpflichtung i. S. d. § 1603 Abs. 1 BGB vorab vom Einkommen des Pflichtigen abziehbar ist.

     

    Verlängerung des Betreuungsunterhalts

    Wenn das Kind älter als drei Jahre ist, kann der Betreuungsunterhalt nur verlängert werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dafür kommen kind- und elternbezogene Gründe in Betracht. Diese sind gegeben, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt haben und außerdem ein besonderer Vertrauenstatbestand als Nachwirkung dieser Familie entstanden ist. Ein elternbezogener Grund kann darin liegen, dass ein Elternteil das gemeinsame Kind im fortdauernden Einvernehmen mit dem anderen persönlich betreut und deshalb ganz oder teilweise daran gehindert ist, erwerbstätig zu sein. Allerdings ist eine solche Gestaltung der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft den Pflichtigen im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten Eltern nach Treu und Glauben verwehrt, wenn sie rechtsmissbräuchlich erscheint. Dies ist aber erst der Fall, wenn es den berechtigten Interessen der neuen Familie nicht entspricht, dass ein Partner zugunsten der Haushaltsführung und Kinderbetreuung darauf verzichtet, erwerbstätig zu sein.

     

    Die Darlegungs- und Beweislast trägt nach § 1615l BGB der Unterhaltsberechtigte. An der Darlegung von elternbezogenen Gründen sind bei § 1615l BGB höhere Anforderungen zu stellen als nach § 1570 Abs. 2 BGB, da sich bei nicht verheirateten Eltern mangels entsprechenden Rechtsakts nicht ohne Weiteres auf einen gegenseitigen Einstandswillen schließen lässt. Ein solches Einvernehmen ist aber indiziert, wenn ein Elternteil in einer intakten nicht ehelichen Lebensgemeinschaft das gemeinsame Kind betreut und diese Rollenverteilung von den Partnern gelebt wird. Ein besonderer Vertrauenstatbestand muss dazu nicht dargelegt werden. Das OLG hätte den Vortrag beachten müssen, dass die L in der intakten nicht ehelichen Lebensgemeinschaft die T betreut. Dies reicht aus, um elternbezogene Gründe darzulegen, zumal T zu Beginn des hier maßgeblichen Unterhaltszeitraums erst sein drittes Lebensjahr vollendet hatte, sodass auch ein möglicher Missbrauch zulasten des V bzw. des ST nicht ersichtlich ist. Daher hat der BGH die Entscheidung des OLG aufgehoben.

     

    Die Betreuung der beiden nicht gemeinsamen Kinder ist nicht zu berücksichtigen, weil es sich nicht um gemeinsame Kinder handelt und der S damit für den Betreuungsbedarf dieser Kinder nicht verantwortlich ist.

     

    Kindbezogene Gründe sind jedoch nicht substanziiert dargetan.

     

    Für das weitere Verfahren ist Folgendes zu beachten: Für die Beurteilung des § 1615l Abs. 2 BGB ist zu Einkünften und etwaigen Kapitaleinkünften und zum Bedarf vorzutragen, wobei der vom S der L gewährte Naturalunterhalt für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit zu monetarisieren ist.

     

    Die Betreuungsleistungen für die nicht gemeinsamen Kinder müssen bei der Beurteilung der Erwerbsobliegenheit außer Ansatz bleiben.

     

    Zusätzliche Aufwendungen für die Altersvorsorge in Höhe von 5 Prozent des Brutto-Einkommens sind nur zu berücksichtigen, wenn die Altersvorsorge tatsächlich betrieben wird.

     

    Weitere wirtschaftliche Belastungen des S aus dem Zusammenleben mit L in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, die darüber hinausgehen, ihr Betreuungsunterhalt zahlen zu müssen, sind unterhaltsrechtlich auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu beachten. Zwar eröffnet auch die nicht eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Kind den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG. Dennoch wird kein Familienunterhalt geschuldet. Der Familienunterhalt ist ausdrücklich Eheleuten vorbehalten. Dies ist immer noch ein sachlicher Differenzierungsgrund gegenüber nicht Verheirateten, sodass Eheleute anders beurteilt werden können, als weniger verbindliche Paarbeziehungen. Insbesondere ist es den Partnern einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft unbenommen, die Ehe zu schließen und ihre Beziehung auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, die einen weiteren Anwendungsbereich des Art. 6 GG eröffnet.

    Relevanz für die Praxis

    Zu Recht geht der BGH davon aus, dass der Familienselbstbehalt nur beim Ehegattenunterhalt anzusetzen ist, weil er auf der wechselseitigen Verpflichtung der Eheleute zum Familienunterhalt (§ 1360a BGB) beruht. Bei nicht verheirateten Paaren besteht kein Anspruch auf Familienunterhalt. Der Anspruch aus § 1615l BGB vermag dies nicht zu ersetzen, da er losgelöst von den ehelichen Lebensverhältnissen aufgrund der Lebensstellung des betreuenden Elternteils zu bemessen ist. Er kann unabhängig vom Elternunterhalt bemessen werden, während der Elternunterhalt wiederum den Familienunterhalt beeinflusst, da es sich um eine eheprägende Verbindlichkeit handelt.

     

    MERKE | Der BGH wendet den Familienselbstbehalt aber auch bei nicht verheirateten Paaren an, um den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen aufgrund von Vorteilen des Zusammenlebens zu senken. Diese sind nur anzusetzen, wenn der Partner, mit dem der Unterhaltspflichtige zusammenlebt, sich angemessen an den Kosten der Haushaltsführung beteiligen kann. Dies ist erst der Fall, wenn sein Einkommen über dem Mindestbedarf eines Ehegatten liegt. Bis dahin ist der Selbstbehalt auch bei Zusammenleben nicht zu senken.

     

    Die Wohnkosten sind hier höher, als der Mietanteil, der im Selbstbehalt enthalten ist. S lebt mit der L und der T in der Wohnung. Da er den Kindesunterhalt von seinem Einkommen abzieht, muss er sich 20 Prozent des Tabellenbetrags, der den Wohnanteil der T deckt, bei seinem Mietanteil zurechnen lassen. Im Übrigen leben auch die Kinder der L dort. Es ist nichts darüber bekannt, inwieweit diese Unterhalt erhalten. Zwar muss sich auch die L an den Wohnkosten beteiligen. Sie hat aber keine Einkünfte, sondern nur einen Unterhaltsanspruch gegen den S nach § 1615l BGB. Dabei sind die Naturalleistungen, die der S erbringt, in den Bedarf nach § 1615l BGB einzubeziehen. Dazu gehört es auch, den Wohnbedarf zu decken. Folge: Der Unterhalt nach § 1615l BGB senkt nur nach Abzug des Wohnbedarfs sein Einkommen. Es ist gerechtfertigt, die höheren Mietkosten, die auch darauf beruhen, dass die L in der Wohnung lebt, nicht anzusetzen, soweit sie ihrem Wohnbedarf zuzurechnen sind.

     

    • Berechnungsgrundlage

    Dem Pflichtigen

    zuzurechnende Mietkosten =

        tatsächlicher Mietaufwand

    ./. 20 % der Tabellenbeträge(wenn Kinder mitwohnen)

    ./. angemessene Mietkosten des Lebenspartners(in der Regel die Hälfte der verbleibenden Wohnkosten)

     

     

    Beim Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB können auch elternbezogene Gründe einen Verlängerungsgrund bilden, der einen Unterhalt über Jahre hinaus rechtfertigt. Letztlich entspricht der elternbezogene Grund dem Anwendungsbereich des § 1570 BGB. Zu Recht geht der BGH davon aus, dass ein elternbezogener Grund insbesondere vorliegt, wenn sich die Eltern darauf verständigt haben, dass ein Ehegatte das Kind betreut und der andere erwerbstätig ist. Im Unterschied zu § 1570 Abs. 2 BGB bedarf es keines besonderen Vertrauensschutzes, wenn die Lebensbeziehung weiterhin intakt ist, da § 1570 Abs. 2 BGB von der Scheidung ausgeht und deswegen ein Vertrauen auf die Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit begründet sein muss. Dieses ist insbesondere bei kürzeren Ehen wohl kaum der Fall. Bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, die intakt sind, sieht es in der Tat anders aus.

     

    Die Gestaltung von Hausarbeit und Kinderbetreuung während der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft darf aber nicht missbräuchlich sein. Dies wird letztlich vom Alter des betreuenden Kindes abhängen. Hier lag der Fall recht einfach, weil T gerade erst das dritte Lebensjahr vollendet hatte.

     

    MERKE | Sämtliche Verlängerungsgründe nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes muss der betreuende Elternteil darlegen und beweisen. Wird die Rollenverteilung in der intakten nicht ehelichen Lebensgemeinschaft praktiziert, ist es aber entbehrlich, weiter zu substanziieren.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2017 | Seite 4 | ID 44098794