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  • · Fachbeitrag · Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts

    Zentrale Änderungen im Betreuungsrecht ab 1.1.23

    von Prof. Dr. Wolfgang Böh, FA Erbrecht und FA Steuerrecht, München

    | Mit dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, das am 1.1.23 in Kraft tritt, gibt es wesentliche Änderungen im Betreuungsrecht. Der Gesetzgeber trägt mit diesem Gesetzesakt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass in zwei Forschungsvorhaben aus 2015 und 2017 Mängel im Betreuungsrecht und der Praxis festgestellt worden sind. Einige Inhalte des benannten Gesetzes bringen erhebliche Änderungen mit sich. Der Beitrag geht auf besonders interessante Änderungen ein. |

    1. Beschränkte gesetzliche Stellvertretung zwischen Eheleuten

    § 1358 BGB neu kodifiziert ein gesetzliches Stellvertretungsrecht zwischen Eheleuten in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge für den Fall der Betreuungsbedürftigkeit des einen Ehepartners. Dies beinhaltet, dass der vertretende Ehegatte

    • die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen erteilen darf,
    • er Erklärungsempfänger für die ärztliche Aufklärung ist,
    • er Verträge in diesem Kontext schließen kann,
    • in zeitlichen Grenzen freiheitsentziehende Maßnahmen bestimmen darf,
    • Ansprüche des vertretenen Ehegatten geltend machen kann.

     

    Der Arzt darf sich gegenüber dem vertretenden Ehegatten nicht auf die ärztliche Schweigepflicht berufen. Der Vertreter hat ein Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen.

     

    MERKE | So wünschenswert eine solche gesetzliche Stellvertretung zwischen Eheleuten ist, die die Mehrzahl der Ehepaare als ohnehin gegeben ansieht, so komplex ist der Vertretungsvorgang ausgestaltet, z. B., weil die Entscheidungskompetenz auf einen 6-Monats-Zeitraum beschränkt ist. Dieser Zeitraum beginnt, sobald der Arzt das Vorliegen der „Betreuungsbedürftigkeit“ ermittelt hat, z. B. wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann.

     

    Zudem greift die gesetzliche Stellvertretung nicht, wenn alternativ

    • die Ehegatten getrennt leben,
    • der betreuungsbedürftige Ehegatte die Vertretung ablehnt,
    • er eine abweichende Vorsorgevollmacht erstellt hat oder
    • ein gesetzlicher Betreuer konkurrierend bestellt ist.

     

    Gem. § 1358 Abs. 4 BGB neu muss der Arzt sowohl die positiven Voraussetzungen als auch die Ausschlussgründe prüfen und im Rahmen einer schriftlichen Erklärung auch die bestätigende Versicherung des Vertretenden einholen.

     

    MERKE | Zweifelhaft ist, ob die Ärzte diesen Anforderungen gerecht werden können.

     

    2. Gesetzliche Betreuung bei Krankheit oder Behinderung

    § 1814 Abs. 4 BGB n. F. stellt klar, dass bei einer lediglich körperlichen Krankheit oder Behinderung eine gesetzliche Betreuung nur zulässig ist, wenn der Betroffene selbst den Antrag stellt. Eine Anregung Dritter bzw. eine betreuungsgerichtliche Tätigkeit von Amts wegen ist nicht mehr zulässig. Voraussetzung ist allerdings, dass der Betroffene seinen Willen kundtun kann.

    3. Auswahl des gesetzlichen Betreuers

    Deutlich stärker als in der bisherigen Regelung sollen die Wünsche des Betroffenen bei der Auswahl des gesetzlichen Betreuers gem. § 1816 BGB n. F. berücksichtigt werden. Dies gilt sowohl für die positive Benennung einer bestimmten Person als gesetzlichen Betreuer durch den Betroffenen als auch für die Ablehnung einer Person.

     

    MERKE | Abzuwarten bleibt allerdings, inwieweit sich diese Regelung in der Praxis durchsetzt, da auch bisher im Rahmen einer sog. Betreuungsverfügung geäußerte Wünsche des Betroffenen zu beachten waren. Diese sind aber im Betreuungsverfahren oft unbeachtet geblieben.

     

    4. Reichweite der Kontrollbetreuung

    Gängige Problemstellung bei gesetzlichen Betreuungen ist der Konflikt zwischen Vorsorgebevollmächtigtem und Kontrollbetreuer, insbesondere mit Blick auf einen vielfach verfrühten Widerruf der Vorsorgevollmacht mit Endgültigkeitswirkung. Dem steht nun § 1820 Abs. 5 BGB neu entgegen. Ein Widerruf ist deshalb nur noch zulässig, wenn „das Festhalten an der Vollmacht eine künftige Verletzung der Person oder des Vermögens des Betreuten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt und mildere Maßnahmen zur Abwehr eines Schadens für den Betreuten nicht geeignet erscheinen“ und das Betreuungsgericht den Widerruf ausdrücklich genehmigt.

     

    MERKE | In der Praxis wird deshalb die Wahrscheinlichkeits- respektive Schadenprognose bedeutsamer werden.

     

    5. Auskunftsansprüche von nahen Angehörigen

    Der Gesetzgeber greift die jahrelang andauernde Kritik auf, dass die Rechtsposition von Angehörigen im Betreuungsverfahren zu schwach ausgestaltet ist. § 1822 BGB n. F. regelt, dass nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen durch den gesetzlichen Betreuer Auskunft über dessen persönliche Lebensumstände gegeben werden muss.

     

    MERKE | Erstaunlich ist, dass der Kreis der Auskunftsberechtigten über Familienangehörige hinaus auf sonstige Vertrauenspersonen ausgedehnt ist. Dies führt zu Streitpotenzial, insbesondere im Kontext des Begriffs der Erberschleichung, also wenn unklar ist, ob eine Person echte Vertrauensperson ist oder sich nur ein Näheverhältnis zum Betroffenen erschlichen hat.

     

    6. Ausschluss der Vertretungsmacht

    Die Vertretungsmacht des gesetzlichen Betreuers ist beschränkt. Gem. § 1824 Abs. 1 Nr. 1 BGB n. F. besteht eine solche nicht, wenn der Betroffene und sein Ehegatte bzw. ein Verwandter in gerader Linie ein Rechtsgeschäft abschließen. Ebenso sagt § 1824 Abs. 1 Nr. 3 BGB n. F., dass ein gesetzlicher Betreuer keine Vertretung bei einem Rechtsstreit in Bezug auf solche Vorgänge hat.

     

    MERKE | Ein Fall des § 1824 Abs. 1 Nr. 1 BGB n. F. kann z. B. die innerfamiliäre Veräußerung oder (schenkweise) Weitergabe einer Immobilie sein. Der Fall der Nr. 3 der Vorschrift ist praxisrelevant, da zahlreiche Fälle bekannt sind, in denen gesetzliche Betreuer mit Rechtsanwaltszulassung Prozesse für den Betroffenen führen, um zusätzliche Rechtsanwaltsgebühren zu erzielen. Eine Selbstmandatierung, die dieser Konstellation vorausgeht, dürfte damit obsolet sein.

     

    7. Reichweite der Patientenverfügung

    § 1827 BGB neu setzt voraus, dass der Betroffene in einwilligungsfähigem Zustand eine wirksame Patientenverfügung errichtet hat. Abs. 1 der Vorschrift gibt dem gesetzlichen Betreuer die Rechtsbefugnis zu prüfen, „ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutreffen“. Ist dies nach Ansicht des gesetzlichen Betreuers nicht der Fall, darf er, unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen von der Patientenverfügung abweichen, die gem. § 1827 Abs. 1 a. E. BGB neu jederzeit widerrufen werden kann.

     

    MERKE | Die Regelung, dass der gesetzliche Betreuer prüfen darf, ob die Patientenverfügung noch dem aktuellen Willen des Betreuten entspricht, ist problematisch, weil damit trotz eines einmal geäußerten wirksamen Patientenwillens der gesetzliche Betreuer in grundrechtsrelevante Bereiche der Gesundheit des Betroffenen eingreifen darf. Zweifelhaft ist, ob bzw. wie gewährleistet werden kann, dass der Betreuer als häufig medizinischer Laie diese Aktualität der Patientenverfügung zu prüfen vermag.

     

    8. Äußerungsrecht von nahen Angehörigen

    In Einklang mit § 1822 BGB n. F. regelt § 1828 Abs. 2 BGB neu: Um den Patientenwillen festzustellen, muss der Arzt mit dem gesetzlichen Betreuer sprechen und nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen die Gelegenheit geben, sich zu äußern, „sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist“.

     

    MERKE | Es bleibt abzuwarten, wie die Besprechungspflicht in der ärztlichen Praxis umgesetzt wird, da es dazu führt, dass der Arzt bei jeder Maßnahme mit dem gesetzlichen Betreuer sprechen muss. Er muss nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen ermitteln, damit diese ihr Äußerungsrecht ausüben können. Ausnahme: Es gelingt die Exkulpation, dass eine Verzögerung zu befürchten war.

     

    9. Vermögensverzeichnis

    Die Aufzeichnungspflicht des gesetzlichen Betreuers ist ausgeweitet worden. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein entsprechendes Anfangs- und Endvermögen dokumentiert wird, sondern insbesondere um die Erhöhung der Qualität eines solchen Verzeichnisses. Deshalb darf einerseits der gesetzliche Betreuer selbst abhängig vom Einzelfall einen Notar und/oder Sachverständigen hinzuziehen. Andererseits gibt § 1835 Abs. 4 BGB n. F. dem Betreuungsgericht die Möglichkeit anzuordnen, dass dritte Personen als Zeugen hinzugezogen werden, um Rechtsstreitigkeiten bei der Verzeichniserstellung zu vermeiden. § 1835 Abs. 5 BGB n. F. regelt darüber hinaus, dass das Betreuungsgericht anordnen kann, das alternativ zu einem gesetzlichen Betreuer die Betreuungsbehörde oder ein Notar das Vermögensverzeichnis erstellt.

     

    MERKE | Fraglich ist in der Praxis, wie die gerichtlichen Kapazitäten sind, um diese Vorgänge zu prüfen. Unklar ist auch, ob Notare/Sachverständige diese Vorgänge abarbeiten können. Die Praxis zeigt beispielsweise, dass es bereits schwierig sein kann, Notare zu finden, um Nachlassverzeichnisse zur Erfüllung pflichtteilsrechtlicher Auskunftsansprüche zu erstellen.

     

    10. Ausblick

    Wesentliche Leitgedanken des Reformgesetzgebers sind:

     

    • Der Wille des Betroffenen und seine Wünsche sollen stärker im Vordergrund stehen.
    • Eine Ablösung dieser Willensbildung durch eine Betrachtung des „objektiven Wohls“ des Betroffenen wird begrenzt.
    • Der Kontakt zwischen Betroffenem und gesetzlichem Betreuer soll intensiver ausgestaltet werden (Stichwort Berichtspflicht).
    • Berufsbetreuer sollen sich einem Betreuungsverein anschließen, müssen sich registrieren und eine entsprechende Qualifikation nachweisen.
    • Die Rechtsstellung des Betroffenen im Betreuungsverfahren wird gestärkt.

     

    Es bleibt abzuwarten, welcher dieser Zielsetzungen durchgesetzt wird.

     

    Insgesamt sind die Änderungen mit Blick auf die Leitgedanken zwar wünschenswert, allerdings liegt ein Kernproblem in diesem Bereich darin, dass eine erhebliche Unkenntnis in der Bevölkerung besteht. Wünschenswert wäre es deshalb, an diesem Bereich anzusetzen und die Gesetzesänderung als Initiative dafür zu begreifen, dass der Bevölkerung die Rechtslage zur gesetzlichen Betreuung stärker vermittelt wird.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2022 | Seite 210 | ID 48578759