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  • · Fachbeitrag · Gebührenrecht

    Aufklärungspflicht des Anwalts bei Beratung von Eheleuten in Scheidungsangelegenheit

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Suchen Eheleute gemeinsam einen Anwalt auf, um sich in ihrer Scheidungsangelegenheit beraten zu lassen, muss dieser vor Beginn der Beratung auf die gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer solchen Beratung hinweisen (BGH 19.9.13, IX ZR 322/12, FamRZ 14, 35, Abruf-Nr. 134054).

     

    Sachverhalt

    Der Beklagte suchte die klagende Anwältin in einer Scheidungsangelegenheit gemeinsam mit seiner Ehefrau auf. Zu Beginn des Gesprächs ergab sich, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen hatten. Wunschgemäß versandte die Klägerin das Protokoll über das Beratungsgespräch an beide. Die Ehefrau mandatierte andere Anwälte. Nachdem die Klägerin weiterhin für den Beklagten tätig geworden war, kündigte dieser das Mandat. Die Anwältin rechnete gegenüber dem Beklagten ab. Dieser beauftragte andere Anwälte. Die Anwältin verlangt erfolglos vom Beklagten den errechneten Betrag.

    Entscheidungsgründe

    Offenbleiben kann, ob der Anwaltsvertrag wegen eines Verstoßes gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA) unwirksam ist, § 134 BGB. Denn auch, wenn dieser Vertrag wirksam sein sollte, steht der Anwältin kein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu. Zwar stellt das durch die Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis eine identische Rechtssache dar. Eheleute haben aber bei Trennung und Scheidung über das möglicherweise gleichlaufende Interesse, schnell und kostengünstig geschieden zu werden, typischerweise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen. Dennoch ist eine gemeinsame Beratung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Scheidung grundsätzlich möglich. Führt diese aber nicht zur beabsichtigten Scheidungsfolgenvereinbarung und kommt es während der Beratung zum Interessenwiderstreit, darf der Anwalt für keinen der beiden Ehepartner mehr tätig werden.

     

    Anwältin hatte Vergütung zunächst verdient

    Hier ist der Interessenwiderstreit zwischen den Eheleuten erst aufgetreten, nachdem alle von der Anwältin abgerechneten Gebührentatbestände erfüllt waren. Die geltend gemachte Vergütung war also im Grundsatz verdient.

     

    Dem Beklagten steht aber ein Schadenersatzanspruch gegen sie zu

    Die Anwältin kann die Vergütung jedoch nicht vom Beklagten verlangen, § 242 BGB. Denn diesem steht in Höhe der Gebührenforderung aus dem Anwaltsvertrag i.V. mit § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB ein Schadenersatzanspruch gegen sie zu. Die Anwältin hätte den Beklagten und seine Ehefrau vor der Beratung darauf hinweisen müssen, dass ein Anwalt grundsätzlich nur einen von ihnen beraten kann. Der Anwalt darf nach einer gemeinsamen Beratung nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten. Er muss vielmehr das Mandat gegenüber beiden Eheleuten niederlegen, wenn keine Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen wird, sodass beide Eheleute neue Anwälte beauftragen müssen. Es entstehen Kosten für drei Anwälte. Außerdem hätte die Anwältin die Eheleute darüber belehren müssen, dass sie möglicherweise auch bei einer Scheidungsfolgenvereinbarung keinen der Eheleute vertreten kann, um den Scheidungsantrag zu stellen, weil diese Frage richterlich noch nicht geklärt ist. Die Eheleute müssen also auch bei einer einvernehmlichen Scheidung die Kosten für zwei Anwälte tragen. Dies hat sie pflichtwidrig unterlassen.

     

    Für Anwälte bestehen weitergehende Belehrungspflichten

    Ein Anwalt schuldet seinem Mandanten nicht nur Belehrungen über Umstände, die zu zusätzlichen Kosten für diesen führen können. Er muss ihn auch darüber aufklären, wenn aus Sicht des Mandanten Bedenken darüber bestehen können, ob der Anwalt seine Interessen konsequent durchsetzt:

     

    • Ein Anwalt, der während der Mandatsbearbeitung in einer anderen Sache einen Dritten gegen den Mandaten vertritt, muss darauf hinweisen, weil der Mandant i.d.R. darauf vertraut, dass der von ihm beauftragte Anwalt nur seine Interessen und nicht auch gleichzeitig die Interessen Dritter gegen ihn wahrnimmt.

     

    • Ferner muss ein Anwalt auch offenlegen, dass er oder ein anderes Mitglied seiner Sozietät den Gegner der Person, die ihm ein neues Mandat anträgt, häufig in Rechtsangelegenheiten vertritt, und zwar unabhängig davon, ob ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zum neuen Mandat besteht. Denn der Rechtsuchende darf einen unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Anwalt erwarten, der seine Interessen ohne Rücksicht auf die gegenläufigen Interessen der anderen Seite umfassend vertritt. Ist ein Anwalt oder dessen Sozius häufig für eine bestimmte Partei tätig, kann aus der Sicht anderer Mandanten fraglich sein, ob der Anwalt ihre Interessen gegenüber dem anderen Mandanten mit gleichem Nachdruck vertritt, wie gegenüber einem dem Anwalt gleichgültigen Gegner.

     

    Scheidungswillige, die den Anwalt aus Kostengründen gemeinsam aufsuchen, befinden sich in einer ähnlichen Lage. Ihnen ist nicht bewusst, dass ihre Interessen gegenläufig sein können, weil ihnen die gegenseitigen Rechte unbekannt sind. Zudem ist ihnen die Gefahr unbekannt, dass der Anwalt, der sie gemeinsam berät, u.U. das Mandat gegenüber beiden niederlegen muss und dass auf sie zusätzliche Anwaltskosten zukommen können.

     

    Infolge der unterlassenen Hinweise ist dem Beklagten ein Schaden in Höhe der Gebührenforderung der Klägerin entstanden. Dies folgt daraus, dass die Anwältin infolge der auftretenden widerstreitenden Interessen weder für seine Ehefrau noch für ihn mehr tätig werden durfte. Sie musste beiden gegenüber das Mandat niederlegen, § 43a Abs. 3 BRAO, § 3 Abs. 1 und 4 BORA, vgl. auch Nr. 3.2.1. und 3.2.2. der Berufsregeln der Anwälte der EU. Der Beklagte musste einen neuen Anwalt beauftragen, sodass die von der Anwältin geltend gemachten Gebühren für ihn erneut anfielen. Ihre Beratungsleistung war für ihn insoweit wertlos. Hätte die Anwältin dem Beklagten und seiner Ehefrau die erforderlichen Hinweise erteilt, spricht eine Vermutung dafür, dass diese sich nicht gemeinsam von ihr hätten beraten lassen. Vielmehr hätte sich der Beklagte allein von ihr beraten und vertreten lassen. Denn die Eheleute hatten vor dem Gespräch mit dem Kläger weder den Unterhalt, noch den Hausrat und den Kindesumgang des Beklagten geklärt. Ein Scheitern der gemeinsamen Beratung lag mithin auf der Hand. Bei dem Entschluss des Beklagten, sich allein oder gemeinsam mit der Ehefrau beraten zu lassen, handelte es sich auch nicht um eine Entscheidung im höchstpersönlichen Lebensbereich, bei der die Vermutungsregelung nicht gilt.

    Praxishinweis

    In der Praxis kommt es oft vor, dass Eheleute gemeinsam einen Anwalt aufsuchen, um sich in der Scheidungsangelegenheit beraten zu lassen. Haben sie sich noch keine Gedanken über die Scheidungsfolgen gemacht, tritt der Konfliktstoff i.d.R. erst während der anwaltlichen Beratung zu Tage. Der Anwalt muss daher die Eheleute von vornherein darauf hinweisen, dass die bis dahin angefallenen Gebühren abgerechnet werden müssen, dass er aber weder den einen noch den anderen weiter vertreten kann. Die Eheleute müssen also von vornherein wissen, dass sie möglicherweise nochmals Kosten für jeweils eigene Anwälte ausgeben müssen. Selbst bei einer einvernehmlichen Regelung muss der Anwalt darauf hinweisen, dass es streitig ist, ob er einen der Eheleute im Scheidungsverfahren vertreten kann, um den Scheidungsantrag zu stellen.

     

    Es bestehen aber keine Bedenken dagegen, dass der Anwalt vor endgültiger Annahme des Mandats abstrakt unter Hinweis auf die erwähnten Berufspflichten darüber belehrt,

    • welche Scheidungsgründe das Gesetz vorsieht,

     

    • dass im Scheidungsprozess und den damit verbundenen Folgesachen Anwaltszwang besteht,

     

    • dass eine Vereinbarung über die wesentlichen Ehescheidungsfolgen, insbesondere Unterhalt und Zugewinnausgleich, formbedürftig ist und

     

    • dass eine solche Vereinbarung nur zustande kommen kann, wenn beide Parteien anwaltlich vertreten sind und die notarielle Form eingehalten ist oder vor Gericht ein Vergleich gemäß § 127a BGB protokolliert worden ist.

     

    Anschließend muss er die Eheleute um die Entscheidung bitten, wer von ihnen das Mandat erteilen will (Göppinger/Börger, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung, 10. Aufl. Teil 1 Rn. 143).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Göppinger/Börger, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung, 10. Aufl., auch zum Gebührenrecht
    Quelle: Ausgabe 05 / 2014 | Seite 74 | ID 42583191