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  • · Fachbeitrag · Betreuungsverfahren trotz Vorsorgevollmacht

    Zehn Gründe, warum Vorsorgevollmachten scheitern

    von Prof. Dr. Wolfgang Böh, FA Erbrecht und FA Steuerrecht, München

    | Eine wirksame Vorsorgevollmacht schließt ein gesetzliches Betreuungsverfahren grundsätzlich aus, da es im rechtlichen Sinn nicht erforderlich ist, § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB. Es gibt privatschriftliche Vorsorgevollmachten auf Basis von Vordrucken (z. B. „Formular Vollmacht ‒ Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz“), notarielle Vorsorgevollmachten sowie die individuelle Vorsorgevollmacht, die ein Anwalt erstellt. Gleichwohl ist nicht stets gewährleistet, dass ein gesetzliche Betreuungsverfahren ausgeschlossen wird. Zehn Gründe dafür werden exemplarisch vor-gestellt: |

    1. Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers

    Ob ein Vorsorgevollmachtgeber mit Blick auf § 104 Nr. 2 BGB nicht in der Lage war, eine Vorsorgevollmacht wirksam zu erklären, ist ständiger Prüfungsgegenstand in betreuungsgerichtlichen Verfahren. Privatschriftliche Vorsorgevollmachten haben den Nachteil, dass hierzu kaum etwas dokumentiert ist, notarielle Vorsorgevollmachten geben ebenfalls keine Gewähr für eine Wirksamkeit. Denn ein Notar kann als medizinischer Laie nicht den Zustand der Geschäftsfähigkeit abschließend beurteilen. Konstatiert das Betreuungsgericht eine Unwirksamkeit mit Blick auf § 105 Abs. 1 BGB, scheitert die Vorsorgevollmacht (dazu BGH NJW 21, 63 ff.).

     

    PRAXISTIPP | Dokumentieren Sie die Geschäftsfähigkeit durch ein ärztliches Attest. Bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit ist ein fachärztliches Gutachten (Facharzt für Psychiatrie) einzuholen.

     

    2. Wegfall des Bevollmächtigten

    Vermehrt stellen Formularvordrucke darauf ab, dass nur eine Person als Bevollmächtigter benannt wird, aber kein Ersatzbevollmächtigter vorgesehen ist. Dies wird zum Problem, wenn entweder der Bevollmächtigte vorverstirbt oder er sein Amt aus anderen Gründen nicht antritt, also z. B., wenn er aus Altersgründen hierzu nicht mehr in der Lage ist, sein Amt ausdrücklich ablehnt (dazu instruktiv BayObLG FamRZ 04, 1403) oder er aus anderen Gründen (aktuelles Beispiel: längerer Auslandsaufenthalt ohne Rückkehrmöglichkeit wegen Corona-Maßnahmen) verhindert ist. Es wird deshalb empfohlen, mindestens einen Ersatzbevollmächtigten zu benennen, im besten Falle mehrere Ersatzbevollmächtigte in einem hierarchischen Verhältnis hintereinander.

     

    PRAXISTIPP | Es ist stets mindestens ein Ersatzbevollmächtigter zu benennen.

     

    3. Konkurrenz zwischen den Bevollmächtigten

    Ebenfalls an die Person des Bevollmächtigten anknüpfend ist oft problematisch, dass mehrere Personen auf derselben Stufe als Bevollmächtigte eingesetzt sind, wie z. B. bei einem Elternteil, der seine beiden Kinder gleichberechtigt einsetzt. Diese Regelung, so nachvollziehbar sie ist, führt vielfach dazu, dass sich die Bevollmächtigten gegenseitig angreifen oder blockieren und hierdurch handlungsunfähig werden. Folge: I. d. R. wird ein Fremdbetreuer im gesetzlichen Betreuungsverfahren bestellt, z. B., wenn beide Bevollmächtigte wechselseitig die jeweilige Vollmacht des anderen widerrufen und ein Wirksamkeitsstreit entsteht (dazu BGH FamRZ 13, 1724).

     

    PRAXISTIPP | (Ersatz-)Bevollmächtigte nur hierarchisch hintereinander benennen, niemals nebeneinander.

     

    4. Inhaltlich nicht ausreichende Vorsorgevollmacht

    Es gibt unterschiedliche Situationen, in denen eine Vorsorgevollmacht inhaltlich nicht ausreicht. Der Gesetzgeber selbst hat in den §§ 1904 ff. BGB zahlreiche inhaltliche Anforderungen formuliert. Fehlen sie, kann dies die Wirksamkeit einer Vorsorgevollmacht berühren (BGH in FamRZ 16, 699). Hieran scheitern viele laienhaft erstellte Vorsorgevollmachten. Bedauerlich ist, dass ein solches Lückenproblem sogar in zahlreichen standardisierten Vordrucken angelegt ist. Gemeint ist, dass viele Formulare die Option vorgeben, bei einzelnen Lebensbereichen auszuwählen, ob ein Kreuz bei „Ja“, ein Kreuz bei „Nein“ oder kein Kreuz zur Bevollmächtigung im genannten Lebensbereich gesetzt wird. Dies ist vom Grundgedanken bereits schädlich, da eine Vorsorgevollmacht regelmäßig nur ein gesetzliches Betreuungsverfahren ausschließt, wenn die Vorsorgevollmacht alle betroffenen Aufgabenkreise deckungsgleich miterfasst (OLG Köln FamRZ 00, 188).

     

    PRAXISTIPP | Die Vorsorgevollmacht muss 100 Prozent der Aufgabenkreise abdecken, sodass keine Entscheidungsalternativen hin zu einer Einschränkung enthalten sein dürfen.

     

    5. Durchsetzungsprobleme: Original, Aufgabenkreise, Bank

    Sowohl standardisierte Formulare als auch notariell beurkundete notarielle Vorsorgevollmachten beachten vielfach die Problematik nicht, dass die Vorsorgevollmacht praktikabel und durchsetzungsfähig ausgestaltet sein muss. Hierfür drei Beispiele.

     

    • Beispiele
    • 1. Nichtakzeptanz durch die Bank (Empfohlen wird hier eine gesonderte, zusätzliche Bankvollmacht, da Banken vielfach erstellte Vorsorgevollmachten nicht akzeptieren.)
    • 2. Vorlagenotwendigkeit im Original (Diese Regelung ist in vielen standardisierten Formularen enthalten, gibt es nur ein Original und geht dieses verloren, ist der Bevollmächtigte nicht mehr handlungsfähig.)
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    • 3. Zuweisung der Aufgabenkreise an unterschiedliche Bevollmächtigte (Dies führt dazu, dass Streit zwischen einzelnen Bevollmächtigten entsteht, da unklar sein kann, welcher Aufgabenkreis betroffen ist.)
     

    Bei solchen Durchsetzungsproblemen kann das Betreuungsgericht veranlasst sein, eine gesetzliche Betreuung einzusetzen.

     

    PRAXISTIPP | Neben der Vorsorgevollmacht sollte eine gesonderte Bankvollmacht erteilt werden.

     

    6. Nicht eingehaltene Form

    Oft mangelt es bei standardisierten Vorsorgevollmachten an der Form. Zwar weisen einige Formularanbieter (z. B. in Begleitheften, mit Fußnoten etc.) darauf hin, dass für besondere Rechtsgeschäfte (Handelsgeschäfte, Immobilien, Verbraucherdarlehen) ein erhöhtes Formerfordernis besteht. Diese Hinweise sind aber meistens kaum erkennbar und in Teilen fehlerhaft bzw. missverständlich, insbesondere, wenn pauschal mitgeteilt wird, dass eine öffentliche Beglaubigung genügt. Vorsorgevollmachtgeber lassen z. B. eine Beglaubigung bei der örtlichen Betreuungsstelle durchführen. Es ist aber streitig, ob eine solche Beglaubigung trotz § 6 BtBG auch für das grundbuchrechtliche Verfahren gilt (OLG Jena FamRZ 14, 1139; OLG Naumburg FGPrax 14, 109; BGH FamRZ 16, 699). I. d. R. sollten Vorsorgevollmachten mindestens notariell beglaubigt sein. (Nur) in Sonderfällen ist eine notarielle Beurkundung notwendig.

     

    PRAXISTIPP | Eine Vorsorgevollmacht sollte stets notariell beglaubigt werden.

     

    7. Kontrollbetreuung

    Im Kreis der Vorsorgevollmachtgeber ist i. d. R. nicht bekannt, dass eine Vorsorgevollmacht im Rahmen einer sog. Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB zum Scheitern gebracht werden kann. Die Praxis zeigt, dass in vielen Betreuungsverfahren Vorwürfe, die gegen den Bevollmächtigten gerichtet werden, erstinstanzlich übernommen werden, ohne dass eine ausreichende Sachaufklärung oder gar Beweisaufnahme stattfindet, um diese Vorwürfe formal zu prüfen. Das Betreuungsgericht kann dem Kontrollbetreuer nicht nur Kontrollbefugnisse gegenüber dem Bevollmächtigten geben, sondern auch diesem Kontrollbetreuer die Befugnis erteilen, die Vorsorgevollmacht zu widerrufen. Eine gesetzliche Betreuung ist fast automatisch die Folge (BGH FamRZ 12, 1631; 20, 629).

     

    PRAXISTIPP | In der Vorsorgevollmacht kann die Person des Kontrollbetreuers im Rahmen einer Betreuungsverfügung festgehalten werden.

     

    8. Widerspruch zur Patientenverfügung

    Vielen ist das Verhältnis zwischen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung (§ 1901a BGB) nicht bewusst. Deshalb kann es gerade bei medizinischen Entscheidungen Konflikte geben. Das gilt z. B., wenn der Bevollmächtigte medizinische Entscheidungen entgegen der Patientenverfügung treffen möchte oder Arztpersonal die Patientenverfügung nicht anerkennt und der Bevollmächtigte diese streitig durchsetzen muss. Diese Probleme fußen oft darauf, dass die Patientenverfügungen zu unkonkret (weil formularhaft [BGH FamRZ 16, 1671; 17, 748] abgefasst oder nicht aktuell [weil in einer älteren notariellen Vorsorgevollmacht als Unterpunkt enthalten]) sind. Sie rufen das Arztpersonal zum Widerspruch auf, da ein klarer, aktueller Patientenwille fehlt, aber unklar sein kann, ob sich der Bevollmächtigte über diese Erklärung hinwegsetzen darf.

     

    PRAXISTIPP | Es muss abgewogen werden, ob überhaupt eine Patientenverfügung neben der Vorsorgevollmacht erstellt wird.

     

    9. Gültigkeit

    Vollmachtgeber möchten oft geklärt wissen, ab wann eine Vorsorgevollmacht anwendbar ist. Dafür gibt es keinen Königsweg, da rechtlich ein Bevollmächtigter eine Vorsorgevollmacht zwar erst ab einer Betreuungsbedürftigkeit verwenden darf, deren Beginn im Einzelfall aber schwierig einzuschätzen ist (z. B. bei sich widersprechenden ärztlichen Stellungnahmen (BGH FamRZ 20, 945). Es gibt Vorsorgevollmachten, die ihre Rechtswirkung im Außenverhältnis deshalb an eine (ärztlich) festgestellte Betreuungs- oder Geschäftsunfähigkeit knüpfen, sodass der Bevollmächtigte schon dadurch handlungsunfähig sein kann.

     

    PRAXISTIPP | Die Vorsorgevollmacht sollte so ausgestaltet sein, dass sie im Außenverhältnis sofort wirksam ist.

     

    10. Aufbewahrung

    In vielen Fällen lagern Vollmachtgeber ihre Vorsorgevollmachten bei sich, z. B., weil sie fürchten, dass der Bevollmächtigte zu früh davon Gebrauch macht. Im Ernstfall ist die Vorsorgevollmacht aber nicht auffindbar, ggf. sogar mit der Folge, dass der Bevollmächtigte über einen längeren Zeitraum nicht informiert und eine gesetzliche Betreuung angeordnet wird.

     

    PRAXISTIPP | Auch die Registrierung beim Zentralen Vorsorgeregister gem. § 20a BeurkG genügt für sich genommen nicht, es sollte z. B. ein Hinweis auf die Vorsorgevollmacht bei den Ausweisdokumenten mitgeführt werden.

     

    Beachten Sie | Ist die Vorsorgevollmacht unwirksam, inhaltlich nicht ausreichend oder nachträglich (durch einen Kontrollbetreuer) widerrufen, kommt es für den Vorsorgevollmachtgeber meistens unerwartet zu einer gesetzlichen Betreuung, wenn eine Betreuungsbedürftigkeit vorliegt.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2022 | Seite 85 | ID 47078444