08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 20.03.2002 – 9 K 2904/01
Ein in einem Internat untergebrachtes minderjähriges Kind, das vor der Internatsunterbringung im Haushalt der Mutter gelebt hat, verliert die Haushaltszugehörigkeit zur Mutter auch dann nicht, wenn es die Wochenenden abwechselnd beim Vater und bei der Mutter verbringt. Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 70 Abs. 2 EStG tritt jedoch dann ein, wenn das Kind die Wochenenden und Ferien nur noch beim Vater verbringt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin ihren Sohn M. von Januar bis November 2000 in ihren Haushalt aufgenommen hatte.
Die geschiedene Klägerin lebt seit 1995 von ihrem früheren Ehemann, dem Beigeladenen, getrennt. Das Sorgerecht über den 1988 geborenen gemeinsamen Sohn M. haben beide Eltern gemeinsam. M. lebte bis September 1999 bei der Klägerin in M. Seit September 1999 ist M. im Internat des Schülerheims S. in W. untergebracht, wo er auf die Heimvolksschule geht. Beide Elternteile einigten sich auf die Internatsunterbringung, weil M. wegen der Berufstätigkeit der Mutter nachmittags oft alleine war und sich seine schulischen Leistungen stark verschlechtert haben. In der Zeit von September 1999 bis Anfang Januar 2000 verbrachte M. die Wochenenden abwechselnd bei der Klägerin und beim Beigeladenen. Streitig ist, bei welchem Elternteil sich M. ab Januar 2000 mehr aufhielt. Die Klägerin behauptet, dass weiterhin ein ausgewogenes Verhältnis vorgelegen habe, wobei der Schwerpunkt bei ihr gelegen habe, da M. bis mindestens November 2000 bei ihr seine Kleidung, seine Spielsachen und seinen Computer gehabt habe. Die Klägerin habe in Anbetracht der Wochenendaufenthalte von M. am 1. April 2000 eine größere Wohnung in M., L.-Str. … bezogen, wo auch M. mit Wohnsitz gemeldet worden sei.
Der Beigeladene dagegen behauptet, M. lebe bereits seit September 1999 bei ihm in seinem Haus. Die neue Wohnung der Klägerin in der L.-Str. habe M. erstmals am 24. Dezember 2000 für eine Stunde betreten. Die Klägerin habe bei der Anmeldung von M. beim Einwohnermeldeamt falsche Angaben gemacht.
Der für M. bestellte Ergänzungspfleger erteilte im Rahmen eines Unterhaltsverfahrens in der Sitzung des Amtsgerichts E. vom 14. September 2000 die Auskunft, dass M. nach seinen Feststellungen seinen Lebensmittelpunkt beim Beigeladenen habe. Der Hilfeplan der Jugendhilfe- und Familienberatung des Landkreises E. vom 24. Oktober 2001 enthält die Feststellung, dass M. vor seiner Unterbringung im Internat regelmäßig Kontakt zu seinem Vater gehabt habe und vierzehntägig das Wochenende bei ihm gewesen sei und dort auch seine Freunde gehabt habe. Er habe wieder ganz in E. leben wollen. Nach seiner Unterbringung im Internat in W. habe M. nur noch wenig Kontakt zur Klägerin gehabt. Ein Mal pro Woche telefoniere die Klägerin mit ihm. Der Beigeladene erkundige sich regelmäßig nach Ms Befinden und Verhalten und finde sich auch zu Krisengesprächen ein. Wichtige Bezugspersonen für M. seien auch seine Großeltern väterlicherseits gewesen, insbesondere seine Großmutter, die im Haushalt des Beigeladenen gewohnt hätten, beide jedoch im Mai 2000 verstorben seien, was für M. einen erheblichen Verlust bedeutet habe.
Anfang 2000 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen über das Umgangsrecht mit M. mit der Folge, dass die Aufenthalte von M. bei der Klägerin ganz beendet wurden. Auf das Schreiben des Klägervertreters an das Amtsgericht E. vom 17. April 2000 wird Bezug genommen. Sowohl in der Wohnung der Klägerin, wie auch in der Wohnung des Beigeladenen stand für M. ein Kinderzimmer zur Verfügung.
Die Klägerin hat sich mit 500 DM monatlich an den Internatskosten beteiligt, der Beigeladene mit 700 DM bzw. 750 DM monatlich. Am 26. September 2000 hat der Beigeladene M. beim Einwohnermeldeamt E. mit Wohnsitz bei ihm gemeldet und als Einzugsdatum den 1. Januar 2000 angegeben.
Die Klägerin bezog bis November 2000 Kindergeld für M. Nachdem der Beigeladene unter Vorlage der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt Kindergeld für M. ab 1. Januar 2000 beantragt hatte, hob das beklagte Arbeitsamt – Familienkasse – mit Bescheid vom 17. Januar 2001 die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin mit Wirkung ab Januar 2000 auf und forderte das von Januar bis November 2000 bezahlte Kindergeld in Höhe von 2.970 DM zurück. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001).
Mit der Klage trägt die Klägerin vor, die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zum 1. Januar 2000 sei zu Unrecht erfolgt, weil sich zu diesem Zeitpunkt die Verhältnisse hinsichtlich der Haushaltszugehörigkeit von M. nicht geändert hätten. Nach seiner Internatsunterbringung im September 1999 habe M. den Haushalten beider Elternteile angehört. Dies habe sich auch nicht dadurch geändert, dass der Beigeladene den Aufenthalt von M. bei der Klägerin ab Mai 2000 verhindert habe, denn der Beigeladene habe M. massiv beeinflusst, nicht mehr zur Klägerin zu gehen, obwohl er dies gewünscht habe. Bei einer widerrechtlichen Entziehung des Kindes entfalle nicht seine Haushaltszugehörigkeit. Maßgebend sei, dass M. in der Wohnung der Klägerin ein Kinderzimmer gehabt habe und darin bis November 2000 auch seine persönlichen Sachen und Spielsachen untergebracht gewesen seien. Hilfsweise trägt die Klägerin vor, dass in der Bezahlung der Internatskosten eine Weiterleitung des Kindergeldes an den Beigeladenen zu sehen sei, da dieser grundsätzlich unterhaltspflichtig sei.
Die Klägerin beantragt,
den Kindergeldaufhebungsbescheid vom 17. Januar 2001 und die Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001 mit der Maßgabe aufzuheben, dass Kindergeld für den Sohn M. bis einschließlich Oktober 2000 gezahlt wird.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
M. gehöre seit dem Internatsbesuch im September 1999 nicht mehr dem Haushalt der Klägerin an. Gehöre M. dem Haushalt des Beigeladenen an, stehe der Klägerin nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz – EStG – kein Kindergeld zu. Gehöre M. hingegen keinem Haushalt eines Elternteiles an, richte sich die Kindergeldberechtigung nach § 64 Abs. 3 EStG danach, wer den höheren Unterhalt leiste. Dies sei unstreitig der Beigeladene.
Der Senat hat M. als Zeugen vernommen. Auf den Beweisbeschluss vom 19. Februar 2002 und auf die Sitzungsniederschrift vom 20. März 2002 wird Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist nur teilweise begründet. Die Klägerin ist bis einschließlich Februar 2000 kindergeldberechtigt. Im Februar 2000 ist eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 70 Abs. 2 EStG eingetreten, so dass die Kindergeldfestsetzung ab März 2000 aufzuheben war.
1. Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind die höchste Unterhaltsrente zahlt (§ 64 Abs. 3 EStG). Es kommt nur auf die tatsächlichen Verhältnisse an, die Meldung beim Einwohnermeldeamt spielt keine Rolle.
Unter Haushaltsaufnahme ist das örtlich gebundene Zusammenleben in einer gemeinsamen Familienwohnung zu verstehen. Das Kind muss ferner in diesem Haushalt seine persönliche Versorgung und Betreuung finden. Eine räumliche Trennung steht dem Fortbestand der Haushaltsaufnahme dann nicht entgegen, wenn die auswärtige Unterbringung nur von vorübergehender Natur ist. Von einer vorübergehenden auswärtigen Unterbringung kann im Allgemeinen bei einer zeitweiligen auswärtigen Unterbringung zur Schul- oder Berufsausbildung ausgegangen werden (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs – DA-FamEStG – Ziff. 64.2 i.V.m. Ziff. 63.2.2.2).
Im Streitfall führte die Unterbringung von M. im Internat nach den vorgenannten Grundsätzen zunächst nicht dazu, dass seine bisherige Haushaltszugehörigkeit beendet wurde; denn besondere Umstände, die abweichend vom Normalfall dafür sprächen, dass er durch seine Internatsunterbringung nicht mehr im Haushalt eines Elternteils aufgenommen war, liegen nicht vor. Nach seiner Internatsunterbringung im September 1999 stand M. gemäß dem Ergebnis der Beweisaufnahme weiterhin in einem Obhutsverhältnis zur Klägerin, bei der er bereits vorher lebte und bei der er danach vierzehntägig die Wochenenden und auch den größten Teil der Weihnachtsferien 1999/2000 verbrachte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass M. vierzehntägig auch die Wochenenden beim Beigeladenen verbrachte; denn das bereits vorher bestehende Obhutsverhältnis zur Klägerin wurde dadurch nicht beendet, so dass M. weiterhin im Haushalt der Klägerin aufgenommen war. Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 70 Abs. 2 EStG ist daher zunächst nicht eingetreten. Dies änderte sich jedoch ab dem Zeitpunkt, ab dem M. nicht mehr in die Wohnung der Klägerin zurückkehrte und die Wochenenden und Ferien nur noch beim Beigeladenen verbrachte. Denn da M. nunmehr nicht mehr mit der Klägerin zusammenlebte, konnte er auch nicht in ihren Haushalt aufgenommen sein. Vielmehr fand er ab diesem Zeitpunkt auch seine persönliche Versorgung und Betreuung im Haushalt des Beigeladenen. Allein der Umstand, dass in der Wohnung der Klägerin ein Kinderzimmer für ihn bereit stand und sich dort Kleidung, Spielsachen und sein Computer befanden, führt mangels eines persönlichen Betreuungsverhältnisses nicht zu einer Haushaltsaufnahme. Auch die von der Klägerin schriftsätzlich aufgestellte Behauptung, der Beigeladene habe M. der Klägerin widerrechtlich entzogen, hat sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt und wurde von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht aufrechterhalten. Der Senat ist auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme der Überzeugung, dass M. nur bis Februar 2000 die Wochenenden zum Teil bei der Klägerin verbracht hat. M. hat erklärt, spätestens ab Mitte Februar 2000 nicht mehr in die Wohnung der Klägerin zurückgekehrt zu sein und ist auch auf den Vorhalt der Klägerin, noch bis Ende März mit Ausnahme eines Wochenendes vierzehntägig zu ihr gekommen zu sein, ohne zu zögern bei seiner Aussage geblieben. Da M. bei der Zeugeneinvernahme die Vorgänge im Jahr 2000 sicher und widerspruchfrei schilderte, hält der Senat seine Aussage für glaubwürdig. Damit war der Kindergeldbescheid gegenüber der Klägerin mit Wirkung ab März 2000 nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben.
2. Über die Frage der Weiterleitung des Kindergeldes ist nicht im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides zu entscheiden, sondern in einem davon gesonderten Billigkeitsverfahren, das nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Juli 1999 VI B 344/98, BFH/NV 2000, 36).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO); die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 2, 151 Abs. 3, 155 FGO, §§ 708 Ziff. 10, 711 Zivilprozessordnung.