29.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243502
Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 24.07.2024 – 5 WF 62/23
Bei dem Regelbeispiel für eine Kostenentscheidung nach § 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG steht das Verschweigen einer wesentlichen Tatsache in einer Kindschaftssache dem Vortrag einer unwahren Tatsache grundsätzlich nicht gleich.
Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss vom 24.07.2024
Tenor:
- Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Singen vom 04./05.05.2023 wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
- Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 990,85 € festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Verteilung der Kosten in einem Sorgerechtsverfahren.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die getrennt lebenden Eltern der Kinder Li., E., J. und L.
Die Antragstellerin beantragte beim Familiengericht Singen, die Zustimmung des Antragsgegners zur Übertragung der Krankenversicherungen der Kinder E., J. und L, die bislang beim Antragsgegner bei der HUK Coburg versichert sind, auf den Versicherungsvertrag der Antragstellerin bei der HUK Coburg durch gerichtlichen Beschluss zu ersetzen. Es gebe Probleme mit dem Zahlungsausgleich der Arztrechnungen, da der Antragsgegner zwar der für die Kinder agierende Versicherungsnehmer sein möchte, jedoch die Rechnungen nicht oder nur teilweise ausgleiche. Der zunächst auch hinsichtlich des Kindes Li gestellte Antrag wurde zurückgenommen.
Der Antragsgegner beantragte, den Antrag abzuweisen. Es sei zwingend geboten, dass er weiterhin Versicherungsnehmer sei. Die Antragstellerin habe durch das Fälschen von Arzt- und Laborrechnungen auf betrügerische Art und Weise die Erstattung von Beträgen erreicht. Die Antragstellerin habe von zwei Verwandten das Datum bzw. den Patienten so ändern lassen, dass die Rechnung ein Kalenderjahr bzw. einen Patienten betroffen habe, bei dem der Selbstbehalt bereits ausgeschöpft gewesen sei. So sei die Krankenversicherung zur Erstattung der entsprechenden Rechnungsbeträge verpflichtet gewesen.
Die Antragstellerin räumte den Vorwurf ein und führte aus, sie habe sich in ihrer finanziellen Not nicht anders zu helfen gewusst.
Mit Beschluss vom 04.05.2023, der am 05.05.2023 der Geschäftsstelle übergeben wurde, übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - Singen gemäß § 1628 BGB die Entscheidung über die Frage, in der Krankenversicherung welchen Elternteils die Kinder E., J. und L. mitversichert werden, auf den Antragsgegner, der keinen eigenen Antrag gestellt hatte, und ordnete an, dass die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben werden. In den Gründen führte das Familiengericht aus, die Antragstellerin habe Rechnungen manipuliert. Dies könne u.a. den Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) erfüllen. Es bestehe daher die konkrete Gefahr, dass die HUK Coburg den Versicherungsvertrag mit der Antragstellerin kündigen werde und die Kinder, wären sie über die Antragstellerin versichert, zumindest vorübergehend ihren Krankenversicherungsschutz verlieren würden. Allein aus diesem Grund könne dem Antrag der Antragstellerin nicht entsprochen werden. Ferner sehe das Gericht die von der Antragstellerin angesprochene Gefahr einer Kündigung der Behandlungsverträge durch die Ärzte der Kinder im Fall der Versicherung über den Antragsgegner nicht.
Gegen den dem Antragsgegner am 08.05.2023 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit der am 08.05.2023 beim Amtsgericht Singen eingegangenen Beschwerde, die auf die Kostenentscheidung beschränkt ist. Er beantragt, der Antragstellerin die erstinstanzlichen Kosten aufzuerlegen. Die Antragstellerin habe im Rahmen der Antragstellung ihr betrügerisches und kriminelles Verhalten im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen privaten Krankenversicherung bei der HUK Coburg verschwiegen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen. Sie trägt vor, der Antragsgegner habe durch sein Verhalten Anlass zu ihrem Verfahren gegeben. Er habe einerseits darauf bestanden, die Krankenversicherungsverträge für die Kinder zu übernehmen. Andererseits habe er jedoch verlangt, dass die Antragstellerin zunächst alle Arztrechnungen für die Kinder bis zum Erreichen des Selbstbehalts verauslagen müsse. Er habe gewusst, dass er mit diesem Verhalten die Antragstellerin, welche kaum über eigenes Einkommen verfüge, finanziell überfordere. Daher sei die Kostenentscheidung des Gerichts trotz der Rechnungsmanipulationen der Antragstellerin richtig.
Für die Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig
a) Im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit - zu der das hier vorliegende Sorgerechtsverfahren gehört - ist die selbständige Anfechtung der in einer Endentscheidung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG getroffenen Kostenentscheidung statthaft (vgl. Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Auflage 2022, § 58 Rn. 14; Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Auflage 2020, § 58 FamFG Rn. 11).
b) Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt.
c) Auf die Frage, in welcher Höhe der Antragsgegner durch die Kostenentscheidung beschwert ist, kommt es für die Zulässigkeit nicht an. Obwohl nur die Kostenentscheidung angefochten ist, handelt es sich vorliegend nicht um eine vermögensrechtliche Angelegenheit im Sinne des § 61 Abs. 1 FamFG (vgl. BGH FamRZ 2014, 372, juris Rn. 3 f.).
2. Die Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
a) Zutreffend geht das Familiengericht davon aus, dass sich die Kostenentscheidung nach §§ 83 Abs. 2, 81 FamFG richtet.
Die Regelung des § 81 Abs. 1 und 2 FamFG räumt dem Gericht mit dem Maßstab des billigen Ermessens einen weiten Gestaltungsspielraum dahingehend ein, welchem Beteiligten welche Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Das Gericht kann beispielsweise die Kosten ganz oder teilweise zwischen den Beteiligten aufteilen, die Kosten gegeneinander aufheben oder die Kostenregelung getrennt in Bezug auf die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten vornehmen, nur bestimmte Kosten einem der Beteiligten auferlegen oder von der Erhebung der Kosten ganz oder teilweise absehen. Dieses weite Ermessen bei der Kostenentscheidung wird durch § 81 Abs. 2 FamFG eingeschränkt, wonach in den dort aufgeführten Fällen die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegt werden sollen.
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe entspricht es vorliegend billigem Ermessen, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
aa) Der Senat hat eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und ist nicht auf die Überprüfung von Fehlern bei der Ausübung des Ermessens durch die erste Instanz beschränkt (vgl. BGH FamRZ 2017, 97, juris Rn. 8 ff; Musielak/Borth/Frank, a.a.O., § 81 Rn. 18 und § 69 Rn. 13).
bb) Ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG, wonach die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten aufzuerlegen sind, liegt hier nicht vor.
(1) Es ist nicht festzustellen, dass gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG der Antrag der Antragstellerin von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und die Antragstellerin dies hätte erkennen müssen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde und sich das Familiengericht auch mit den von der Antragstellerin gegen den Antragsgegner erhobenen Vorwürfen auseinander gesetzt hat.
(2) Weiterhin sind der Antragstellerin die Kosten nicht gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG aufzuerlegen.
Danach soll das Gericht die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn dieser zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat.
(a) Die Antragstellerin erwähnte in der Antragsschrift ihre Rechnungsmanipulationen nicht. Sie machte insoweit aktiv keine falschen Angaben, vielmehr verschwieg sie die Rechnungsmanipulationen.
(b) Vorliegend ist es nicht geboten, die Sonderregelung des § 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG über den Wortlaut hinaus auch auf den Fall anzuwenden, dass ein Beteiligter schuldhaft wesentliche Tatsachen verschweigt.
In der Literatur wird teilweise vertreten, dass unter "unwahren Angaben" nicht nur Falschangaben zu verstehen seien, sondern auch das Verschweigen notwendiger Angaben (vgl. Prütting/Helms/Feskorn, FamFG, 6. Auflage 2023, § 81 Rn. 24; Sternal/Weber, FamFG, 21. Auflage, § 81 Rn. 42; Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Auflage 2024, § 81 FamFG Rn. 10). Dies überzeugt jedoch nicht.
(aa) Eine solche Auslegung würde zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen, welche Angaben ein Beteiligter notwendig zu machen hätte und welche nicht.
Zwar haben die Beteiligten gemäß § 27 Abs. 2 FamFG ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Anderseits besteht in FG-Verfahren nach § 23 Abs. 1 FamFG keine Verpflichtung, einen verfahrenseinleitenden Antrag zu begründen. Folglich kann ein Antrag ohne bzw. nur mit einer sehr kurzen Begründung eingereicht werden, was insbesondere in Sorge- und Umgangsverfahren zur Vermeidung einer Konfliktverschärfung in verschiedenen gerichtlichen Modellen, beispielsweise dem "Cochemer Modell", sogar ausdrücklich gewünscht wird. Es obliegt dann dem Richter im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG), die notwendigen Tatsachen zu ermitteln.
(bb) Auch im Lichte der anderen Regelbeispiele für eine Kostensanktion in § 81 Abs. 2 FamFG hat ein bloßes Schweigen ein deutlich geringeres Gewicht als eine ausdrückliche Lüge. So verlangt beispielsweise die Regelung des § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, dass ein Beteiligter durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat.
(cc) Weiterhin besteht kein Bedarf für eine solche Auslegung, da ein schuldhaftes Verschweigen notwendiger Angaben im Rahmen der Ermessensausübung nach § 81 Abs. 1 FamFG berücksichtigt werden kann.
(dd) Soweit in den Kommentierungen auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg verwiesen wird, wurden dort gerade keine Angaben verschwiegen, sondern die Mutter machte aktiv die unwahre Angabe, dass es keinen weiteren Mehrverkehr gegeben habe (OLG Brandenburg FamRZ 2018, 1018, juris Rn. 14).
cc) Mangels Eingreifens eines Regelbeispiels nach § 81 Abs. 2 FamFG bleibt es bei den allgemeinen Abwägungskriterien des § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG.
(1) In Sorgerechts- und Umgangsverfahren ist mit der Auferlegung von Kosten auf einen Elternteil allein Zurückhaltung geboten. Die hälftige Teilung der Gerichtskosten entspricht - auch bei Antragsabweisung - regelmäßig der Billigkeit (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2021, 1821, juris Rn. 10; Musielak/Borth/Frank, a.a.O., § 81 Rn. 9; Sternal/Weber, a.a.O., § 81 Rn. 35).
(2) Das vorliegende Verfahren gibt keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Beide Eltern haben sich auf das Kindeswohl bezogen, dieses nur subjektiv unterschiedlich interpretiert. Die Antragsrücknahme hinsichtlich des Kindes Li. hat, worauf das Familiengericht bereits zutreffend hingewiesen hat, keinen Einfluss auf die Höhe der Verfahrenskosten.
III.
1. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 84 FamFG. Es gibt keinen Anlass, von diesem Grundsatz der Kostentragung durch den erfolglosen Beschwerdeführer abzuweichen.
2. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird gemäß §§ 40, 37 Abs. 3 FamGKG festgesetzt.
Maßgebend sind die Kosten, die der Antragsgegner bei Erreichen seines Beschwerdeziels, die erstinstanzlichen Verfahrenskosten der Antragstellerin aufzuerlegen, nicht zu tragen hätte. Ausgehend von einem Verfahrenswert der ersten Instanz in Höhe von 4.000 € belaufen sich diese auf 990,85 € (Hälfte der Gerichtsgebühren: 140 € + eigene Rechtsanwaltsgebühren: 850,85 €).
RechtsgebietFamFGVorschriften§ 81 Abs. 2 Nr. 3 FamFG