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  • 24.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219087

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 30.09.2020 – XII ZB 438/18

    Zur Auskunftsverpflichtung der Ehegatten in der Folgesache Versorgungsausgleich und zu deren zwangsweiser Durchsetzung, wenn das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Ehescheidung streitig ist.


    Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling
    beschlossen:

    Tenor:

    Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Kammergerichts in Berlin vom 2. August 2018 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

    Wert: 500 €



    Gründe



    I.

    1


    Die Beteiligten sind Eheleute, zwischen denen ein Scheidungsverbundverfahren rechtshängig ist. Sie streiten über die Festsetzung von Zwangsmitteln, um die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) zur Erteilung von Auskünften zum Versorgungsausgleich anzuhalten.


    2


    Der Scheidungsantrag des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) vom 15. Januar 2018 wurde der Ehefrau am 22. Februar 2018 zugestellt. Der Ehemann hat darin behauptet, dass die Beteiligten seit dem 3. Februar 2017 in der Ehewohnung getrennt lebten. Die Ehefrau hat durch Schriftsatz vom 22. März 2018 einen eigenen, dem Ehemann am 6. April 2018 zugestellten Scheidungsantrag gestellt, im Folgenden aber bestritten, dass die Eheleute überhaupt getrennt leben würden. Nachdem die Ehefrau einer mit dem Hinweis auf Zwangsmaßnahmen verbundenen Aufforderung zur formularmäßigen Erteilung von Auskünften über die von ihr in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte nicht nachgekommen war, hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 23. Mai 2018 gegen sie ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € festgesetzt und ersatzweise Zwangshaft angeordnet. Das Kammergericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die weiterhin eine Aufhebung des Zwangsmittelbeschlusses erstrebt.




    II.

    3


    Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 35 Abs. 5 FamFG, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO iVm § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat. Sie ist auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.


    4


    1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die verfahrensrechtliche Auskunftspflicht mit der Rechtshängigkeit des Verfahrens beginne und eine Begründetheit des Scheidungsantrags nicht voraussetze. Eine Pflicht des Amtsgerichts, zur Verhinderung von rechtsmissbräuchlich verfrüht gestellten Scheidungsanträgen einen sofortigen Termin zu bestimmen, bestehe nicht. Denn im Scheidungsverbundverfahren sei die Sache gemäß § 137 Abs. 1 FamFG so vorzubereiten, dass sie möglichst in einem Termin entschieden werden könne. Einem missbräuchlich verfrühten Scheidungsbegehren könne nicht nur bei der Kostenentscheidung, sondern auch durch die Anwendung des § 27 VersAusglG beim Versorgungsausgleich und durch die Modifizierung des maßgeblichen Stichtags beim Zugewinnausgleich Rechnung getragen werden. Zwar könne dies im Einzelfall möglicherweise anders gehandhabt werden, wenn weder zum Trennungsjahr noch zu etwaigen Härtegründen im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB vorgetragen worden sei. So liege der Fall hier aber nicht.


    5


    2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.


    6


    a) Nach § 220 Abs. 1 FamFG kann das Gericht über Grund und Höhe der Versorgungsanrechte Auskünfte von den Ehegatten einholen.


    7


    aa) Es entspricht allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, dass die Auskunftspflicht gemäß § 220 FamFG allein an die Einleitung des Versorgungsausgleichsverfahrens anknüpft und deshalb grundsätzlich auch dann besteht, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ehescheidung vorliegen und der im Verbund gestellte Scheidungsantrag deshalb Aussicht auf Erfolg hat (vgl. OLG Oldenburg FamRZ 2012, 55 f.; MünchKommFamFG/Stein 3. Aufl. § 220 Rn. 13; MünchKommBGB/ Dörr 7. Aufl. § 220 FamFG Rn. 2; Zöller/Lorenz ZPO 33. Aufl. § 220 FamFG Rn. 4; Schulte-Bunert/Weinreich/Breuers FamFG 6. Aufl. § 220 Rn. 4; Bahrenfuss/Schwedhelm FamFG 3. Aufl. § 220 Rn. 6; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 147; Borth Versorgungsausgleich 8. Aufl. Kap. 11 Rn. 69; Götsche/Rehbein/Breuers Versorgungsausgleichsrecht 3. Aufl. § 220 FamFG Rn. 10; Ruland Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 1198; vgl. auch OLG Dresden FamRZ 2004, 1981, 1982; OLG Karlsruhe Beschluss vom 21. Oktober 2003 - 16 WF 131/03 - juris Rn. 6; OLGR Saarbrücken 2001, 290; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 681 f.; OLG Braunschweig FamRZ 1995, 300, 301; OLG Köln FamRZ 1984, 1111, jeweils zu § 11 Abs. 2 VAHRG).


    8


    Diese Ansicht ist auch zutreffend. Bereits aus der amtlichen Überschrift des § 220 FamFG („verfahrensrechtliche Auskunftspflicht“) ergibt sich eindeutig, dass die Auskunftspflicht von Ehegatten, Hinterbliebenen, Versorgungsträgern oder sonstigen Stellen grundsätzlich schon durch die Existenz eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich ausgelöst werden soll. Auch dem Wortlaut des § 220 FamFG lassen sich insoweit keine einschränkenden Voraussetzungen entnehmen. Die Vorschrift soll es dem Gericht erleichtern, seine mit der Verfahrenseinleitung einhergehende Pflicht zur Amtsermittlung (§ 26 FamFG) von Grund und Höhe der Versorgungsanrechte zu erfüllen und das Verfahren dadurch effizienter zu gestalten. Dem Effizienzgedanken stünde es entgegen, wenn das Gericht zunächst aufwändige Ermittlungen zum Vorliegen der materiell-rechtlichen Scheidungsvoraussetzungen vornehmen müsste, bevor es die Ehegatten zur Erteilung von Auskünften über ihre Versorgungsanrechte auffordern dürfte.


    9


    bb) Ob im Hinblick auf die Auskunftspflicht der Ehegatten nach § 220 FamFG ausnahmsweise etwas Anderes gelten kann, wenn der Scheidungsantrag offensichtlich unzulässig (Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 147; Götsche/Rehbein/Breuers Versorgungsausgleichsrecht 3. Aufl. § 220 FamFG Rn. 10) oder offensichtlich unschlüssig ist, weil schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift das Trennungsjahr (noch) nicht abgelaufen ist und seinem Vortrag auch keine tragfähigen Gründe für eine Anwendung der Härteklausel (§ 1565 Abs. 2 BGB) zu entnehmen sind (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2009, 1836; OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 618, 619, jeweils zu § 11 Abs. 2 VAHRG), braucht nicht entschieden zu werden, denn so liegt der Fall hier nicht.


    10


    b) Die Ehegatten sind gemäß § 220 Abs. 5 FamFG verpflichtet, den gerichtlichen Ersuchen um Auskunftserteilung Folge zu leisten. Die Pflicht zur Auskunftserteilung kann unter den Voraussetzungen des § 35 FamFG auch zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 6. September 2017 - XII ZB 42/17 - FamRZ 2017, 1948 Rn. 17). Steht die Begründetheit des Scheidungsantrags zwischen den beteiligten Eheleuten im Streit, ist dem Gericht im Rahmen seiner Verfahrensleitung ein pflichtgemäßes Ermessen dahingehend eingeräumt, ob es einen Termin anberaumt, um vorab das Vorliegen der materiell-rechtlichen Scheidungsvoraussetzungen aufzuklären, oder ob es stattdessen unmittelbar in die Ermittlung zu den Versorgungsanrechten eintritt und die Verpflichtung der Ehegatten zur Auskunftserteilung gegebenenfalls auch mit Zwangsmitteln durchsetzt. Die Ermessensausübung durch den Tatrichter ist vom Rechtsbeschwerdegericht auf entsprechende Verfahrensrüge nur eingeschränkt daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtsfehlerhaft ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Tatrichter sich des ihm zustehenden Ermessens nicht bewusst ist, nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, von dem Ermessen in einer mit dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch macht oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 8. November 2017 - XII ZB 90/17 - FamRZ 2018, 206 Rn. 22 und vom 1. Februar 2012 - XII ZB 172/11 - FamRZ 2012, 610 Rn. 19). Rechtsfehler dieser Art vermag die Rechtsbeschwerde nicht aufzuzeigen.


    11


    aa) Das Gericht darf sich in diesem Zusammenhang bei der Ausübung seines Ermessens maßgeblich durch das Verbundprinzip (§ 137 Abs. 1 FamFG) leiten lassen. Danach hat das Familiengericht über sämtliche im Verbund stehenden Folgesachen gleichzeitig und zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und - sofern dem Scheidungsantrag stattzugeben ist - durch einheitlichen Beschluss zu entscheiden. Erscheint es deshalb aus Sicht des Gerichts zumindest möglich, dass sich in dem anzuberaumenden Termin nach Anhörung der Ehegatten oder der Erhebung sonstiger Beweise das Vorliegen der materiellrechtlichen Scheidungsvoraussetzungen erweisen kann, handelt das Gericht grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn es zuvor zweckentsprechende Ermittlungen zu den Versorgungsanrechten der Ehegatten vornimmt, um über die Scheidung und die im Verbund stehende Folgesache Versorgungsausgleich einheitlich entscheiden zu können.


    12


    bb) Die getroffene Ermessensentscheidung wird auch durch den Einwand der Rechtsbeschwerde, der Ehemann könne sich auf diese Weise durch einen „verfrühten“ Scheidungsantrag wirtschaftliche Vorteile im Versorgungsausgleich oder im Güterrecht verschaffen, nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Lassen sich konkrete Tatsachen dafür feststellen, dass ein Ehegatte mit seinem „verfrühten“ Scheidungsantrag in illoyaler Weise bezweckt hat, die maßgeblichen Stichtage zu seinen Gunsten vorzuverlagern, kann diesem Umstand in besonders gelagerten Einzelfällen einerseits durch die Anwendung von § 27 VersAusglG im Versorgungsausgleich (vgl. Senatsbeschluss vom 16. August 2017 - XII ZB 21/17 FamRZ 2017, 1914 Rn. 16 ff.) und andererseits durch eine Abweichung von den gesetzlich geregelten Stichtagen im Zugewinnausgleich (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 217, 119 = FamRZ 2018, 331 Rn. 21 f.) Rechnung getragen werden.


    13


    cc) Schließlich ergibt sich auch keine andere Beurteilung aus dem Umstand, dass die Darlegungen des Antragstellers zu den Tatsachen, aus denen sich das Scheitern der Ehe ergeben soll, hinreichend substantiiert sein müssen. Leidet das Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift an Substantiierungsmängeln, ist es gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 139 Abs. 1 ZPO zuvörderst Aufgabe des Gerichts, sich um Klärung und Vervollständigung des Tatsachenvortrags zu bemühen. Hält es das Gericht danach für möglich, dass der Antragsteller durch ergänzendes Vorbringen die Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Scheidungsantrages bis zur mündlichen Verhandlung ausräumen kann, ist es regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, das Verfahren gleichzeitig durch die Einholung von Versorgungsauskünften zu fördern.


    14


    Ob der Tatsachenvortrag des Ehemanns - namentlich zur räumlichen Trennung innerhalb der Ehewohnung - hinreichend substantiiert ist, braucht im vorliegenden Fall aber nicht entschieden zu werden. Das Amtsgericht hat in der Begründung seiner Nichtabhilfeentscheidung darauf abgestellt, dass jedenfalls die Tatsache einer auf Dauer angelegten neuen Partnerschaft des Ehemanns unstreitig sei und die Ehefrau über das schlichte Bestreiten einer Trennung innerhalb der Ehewohnung hinaus selbst keinen konkreten Gegenvortrag über das Maß der noch bestehenden Gemeinsamkeiten gehalten habe. Darüber hinaus habe die Ehefrau sogar einen eigenen Scheidungsantrag gestellt, der schon für sich genommen eine verfahrensrechtliche Auskunftspflicht der Ehegatten ausgelöst hat. Wenn es das Gericht aus diesem Grund für zweckmäßig erachtet hat, das Verfahren in der Folgesache Versorgungsausgleich weiter zu fördern, lässt dies Rechtsfehler bei der Ausübung des Ermessens nicht erkennen.


    15


    dd) Im Zusammenhang mit der Höhe des festgesetzten Zwangsgelds sind Ermessensfehler nicht gerügt und auch sonst nicht ersichtlich.


    Dose
    Günter
    Nedden-Boeger
    Botur
    Guhling

    Vorschriften