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  • · Fachbeitrag · Rechtsmittelbegründungsfrist

    Antrag auf Fristverlängerung vorrangig vor Antrag auf Wiedereinsetzung

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Wenn ein Rechtsanwalt erkennt, dass er eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht einhalten kann (hier: wegen Erkrankung), muss er durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird (BGH 1.7.13, VI ZB 18/12,NJW 13, 3183, Abruf-Nr. 132648).

     

    Sachverhalt

    Der Kläger verlangt vom Beklagten die Unterlassung bestimmter Äußerungen. Gegen die dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellte Entscheidung hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Auf seinen in der Berufungsschrift gestellten und auf Arbeitsüberlastung seines Prozessbevollmächtigten gestützten Antrag hat der Vorsitzende die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat verlängert. Mit einem am 21.12.11 um 17.19 Uhr vorab per Telefax eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten von diesem Tag hat der Kläger beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter sei in der Zeit vom 14. bis 20.12.11 plötzlich und unvorhersehbar an einer Grippe erkrankt gewesen. Mit einem am 22.12.11 vorab per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger seine Berufung begründet. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten. Das Ende der Frist fiel auf Samstag, den 19.11.11, sodass die Frist ohne Verlängerung erst am Montag, dem 21.11.11 abgelaufen wäre. Da der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf dieses nächsten Werktages begann, ist die um einen Monat verlängerte Frist einen Monat nach diesem Tage, also am 21.12.11 abgelaufen. Die Berufungsbegründung ist allerdings erst am 22.12.11 beim Berufungsgericht eingegangen.

     

    Es liegt kein Entschuldigungsgrund vor

    Die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist kein hinreichender Entschuldigungsgrund. Die Erkrankung bezog sich ausweislich der Begründung auf die Zeit vom 14. bis 20.12.11. Daher hatte der Prozessbevollmächtigte nach Beendigung seiner Krankheit noch einen Tag Zeit, um Maßnahmen zu ergreifen, um die an diesem Tag ablaufende Frist zu wahren. Die Wiedereinsetzung darf nur auf eine Fristversäumung gestützt werden. Eine bloße Verkürzung der Frist reicht für ein Wiedereinsetzungsgesuch hingegen nicht aus. Das bedeutet, dass, wenn ein als Wiedereinsetzungsgrund angesehenes Hindernis bereits vor Fristablauf entfällt, alles Zumutbare getan werden muss, um die Frist trotz des vorangegangenen Hindernisses zu wahren.

     

    Fristverlängerung und Wiedereinsetzung sind nicht gleichrangig

    Offenbleiben kann, ob es einem Anwalt zugemutet werden kann, eine Rechtsmittelbegründung fristgemäß zu fertigen und einzureichen, wenn ihm dafür ohne sein Verschulden nur eine kürzere als die gesetzliche Frist zur Verfügung steht. Denn hier hätte die Frist durch einen Fristverlängerungsantrag gewahrt werden können. Die Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist und die Wiedereinsetzung in eine solche Frist sind keine gleichrangigen Optionen, zwischen denen ein Anwalt im Verhinderungsfall wählen darf.

     

    Wenn ein Anwalt erkennt, dass er eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht einhalten kann, muss er vielmehr durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch gar nicht erst notwendig wird. Dies setzt voraus, dass ein Vertrauen auf die Bewilligung der Fristverlängerung begründet ist. Nach § 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist mit Einwilligung des Gegners auch über einen Monat hinaus verlängert werden. Dabei handelt es sich zwar grundsätzlich um eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden. Beantragt der Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung um weitere sieben Tage zu verlängern, darf der Berufungskläger nach der Rechtsprechung des BGH darauf vertrauen, dass diesem Antrag auch stattgegeben wird (BGH NJW 09, 3100). Aus diesem Grund hätte der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass ein mit Einwilligung der Beklagten gestellter Antrag Erfolg haben würde, die Berufungsbegründungsfrist über den Zeitraum der vorangegangenen krankheitsbedingten Verhinderung seines Prozessbevollmächtigten um sieben Tage weiter zu verlängern. Daher hätte sich der Prozessbevollmächtigte rechtzeitig um die Einwilligung des Beklagten in eine weitere Fristverlängerung bemühen müssen, um durch einen Verlängerungsantrag die Fristversäumnis abzuwenden.

     

    Wiedereinsetzungsrelevante Tatsachen sind fristgerecht vorzutragen

    Der Kläger hat in der Gegenvorstellung nach Bekanntgabe der Beschlussgründe vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter am 21.12.11 vergeblich versucht hat, nachmittags den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu erreichen, um die Einwilligung einzuholen. Dieser Vortrag ist unerheblich, weil er erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt ist. Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung bedeutsam sein können, sind innerhalb der Antragsfrist vorzutragen, § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 S. 2 S. 1 ZPO. Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen nach Fristablauf erweitert oder vervollständigt werden. Der Vortrag in der Gegenvorstellung erläutert oder vervollständigt nicht nur das frühere Vorbringen, auf das das Berufungsgericht hätte hinwirken müssen. Der Kläger hat in seinen Wiedereinsetzungsschriftsätzen auf die krankheitsbedingte Verhinderung seines Prozessbevollmächtigten hingewiesen, ohne auch nur ansatzweise darzutun, dass sich dieser bemüht hat, beim Gegner um Zustimmung für die weitere Fristverlängerung zu bitten.

     

    Die Bemühungen, die Zustimmung des Gegners einzuholen, sind auch unzureichend. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte sich vorrangig um die Bearbeitung der Sache bemühen müssen und nicht erst am späten Nachmittag, sondern bereits über den gesamten Tag versuchen müssen, den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu erreichen. Dass dieser für ihn nicht erreichbar war, lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.

     

    Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Berufungsbegründung nicht innerhalb eines Tages (am 21.12.11) angefertigt. Für die Begründung eines Rechtsmittels der schuldlos säumigen Partei muss nicht die volle Frist zur Verfügung stehen. Das Gesetz billigt dem Rechtsmittelführer zwar für die Begründung eines Rechtsmittels eine bestimmte Frist zu. Dies beruht aber auf einer typisierenden Bewertung des damit verbundenen Aufwands. Diese Grundsätze gelten nicht für die Verschuldensprüfung im Rahmen des § 233 ZPO. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Daher kann nicht ohne Berücksichtigung dieser Umstände aus jeder unverschuldeten Fristverkürzung ohne Weiteres ein Wiedereinsetzungsgrund abgeleitet werden. Es kommt vielmehr darauf an, was von der Partei und ihrem Anwalt in ihrer Lage bei Beachtung der Umstände des Einzelfalls zu erwarten war.

     

    MERKE| Der BGH hat daher in einer anderen Sache sogar geprüft, ob dem Anwalt zuzumuten war, die Berufungsbegründung nicht am Abend des letzten Tages des Fristablaufs zu fertigen (BGH VersR 67, 476).

     

    Was dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im vorliegenden Fall zumutbar war, lässt sich mangels entsprechenden Vortrags nicht ersehen.

     

    Keine Umdeutung des Wiedereinsetzungsgesuchs

    Das Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht in einen Antrag auf erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist umzudeuten. Zwar ist es grundsätzlich erforderlich, fehlerhafte Parteihandlungen in zulässige und wirksame umzudeuten. Dies gilt aber nicht, wenn eine Umdeutung nicht in Betracht kommt, weil die formellen Voraussetzungen für den Antrag, in den umgedeutet werden soll, nicht eingehalten sind. Der Schriftsatz des Klägers vom 21.12.11 kann nicht als Verlängerungsantrag ausgelegt werden, weil es an der Darlegung der Einwilligung des Gegners fehlt. Diese ist insbesondere auch aufgrund des Vorbringens in der Gegenvorstellung nicht eingeholt worden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Prozessbevollmächtigten des Gegners nicht erreicht hat. Schon daher würde ein Fristverlängerungsantrag wegen § 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO unwirksam sein.

    Praxishinweis

    Diese Entscheidung des BGH ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam:

     

    • Fällt das Ende einer Berufungsbegründungsfrist auf einen Feiertag oder ein Wochenende, ist fraglich, ob die Verlängerung der Frist um einen Monat ab dem eigentlichen Ende der Frist oder am nächsten Werktag beginnt. Der BGH hat nun darauf abgestellt, dass maßgebend der nächste Werktag ist. Denn der verlängerte Teil der Frist beginnt erst mit dem Ablauf dieses nächsten Werktags. Endet also die eigentliche Frist an einem Samstag und wird die Frist um einen Monat verlängert, berechnet sich die Verlängerung ab dem dem eigentlichen Fristende folgenden Werktag (Montag).

     

    • Bedeutsam ist auch die Berücksichtigung eines Hindernisses, das noch vor Ablauf der Begründungsfrist behoben wird. In einem solchen Fall muss der Prozessbevollmächtigte alle Anstrengungen anstellen, das Rechtsmittel noch innerhalb der verbleibenden Frist zu begründen. Dies gilt selbst, wenn ihm nur ein Abend zur Verfügung steht (BGH VersR 67, 476).

     

    • Sollte es dem Prozessbevollmächtigten unmöglich sein, das Rechtsmittel innerhalb der verbleibenden Frist zu begründen, muss er sich bemühen, einen weiteren Fristverlängerungsantrag zu stellen. Der ist aber nur zulässig, wenn der Gegner einwilligt, § 520 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO. Er muss sich, sobald er erkennt, dass die verbleibende Zeit für eine Rechtsmittelbegründung nicht ausreicht, sofort nach dieser Erkenntnis um die Genehmigung bemühen und alle Anstrengungen unternehmen, den Prozessbevollmächtigten des Gegners zu erreichen. Sollte in der Kanzlei des Gegners ein Rückruf eingestellt worden sein und kommt der Prozessbevollmächtigte des Gegners diesem innerhalb angemessener Zeit nicht nach, muss der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelführers sogar versuchen, diesen erneut zu erreichen.

     

    • Ein Wiedereinsetzungsgesuch kommt erst in Betracht, wenn es ihm nicht möglich war, den Gegner zu erreichen oder dieser der Fristverlängerung nicht zugestimmt hat. Im Wiedereinsetzungsgesuch ist Folgendes glaubhaft zu machen:

     

      • Eine Anfertigung der Rechtsmittelbegründung war innerhalb der verbleibenden Zeit nicht möglich. Dazu ist der Umfang der Sache oder die schwierige Rechtslage darzustellen.

     

      • Ferner müssen die Bemühungen vorgetragen werden, den Prozessbevollmächtigten des Gegners zu erreichen, sollte dies nicht zum Erfolg geführt haben. Im Übrigen reicht es aus, die Verweigerung der Zustimmung vorzutragen und glaubhaft zu machen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • NJW 09, 3100, dazu, dass eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass ihrem lediglich mit der Einwilligung des Gegners begründeten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird
    • BGH VersR 67, 476, zur Frage des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten, der infolge plötzlich eintretender Herz- und Kreislaufbeschwerden verhindert wurde, eine vorbereitete Berufungsbegründung am letzten Tage der Berufungsbegründungsfrist zu fertigen und einzureichen
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 58 | ID 42522927