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  • · Fachbeitrag · Härtefallscheidung

    Auslegung eines verfrühten Scheidungsantrags

    von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, BGM-Anwaltssozietät, Münster, und RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Ein Antrag, mit dem ein verfrühter Ehescheidungsantrag zurückgewiesen werden soll, ist nicht als Feststellungsantrag auszulegen, dass die Voraussetzungen für eine Ehescheidung derzeit nicht vorliegen. Das hat das OLG Hamburg entschieden. |

     

    Sachverhalt

    Die Antragsgegnerin (F) verließ am 9.7.21 die Ehewohnung und zog mit der gemeinsamen Tochter T in ein Frauenhaus. Der Antragsteller (M) reichte unter dem 4.2.22 einen Ehescheidungsantrag bei Gericht ein. Die Ehe sei schon vor Ablauf des Trennungsjahrs zu scheiden, da die Fortsetzung für ihn eine unzumutbare Härte darstelle. Die F bezichtige ihn fälschlicherweise eines gewalttätigen Übergriffs. In der mündlichen Verhandlung hat der Anwalt des M erklärt: „Es soll in dieser Sache hier heute kein Antrag gestellt werden, es würde begrüßt werden, wenn die Gegenseite auch keinen Antrag stellt, sodass das Verfahren ruhend gestellt werden kann“. Der Anwalt der F hat erklärt: „Aus unserer Sicht ist der Antrag hier verfrüht gestellt, es wird also beantragt, i. S. e. Antragszurückweisung zu entscheiden“. Das AG hat mit Beschluss festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe zum derzeitigen Zeitpunkt nicht vorliegen. Weiter hat es die Kosten des Verfahrens dem M auferlegt. Die Beschwerde des M führt zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung (OLG Hamburg 25.8.22, 12 UF 98/22, Abruf-Nr. 231956).

     

    Entscheidungsgründe

    Sowohl die vom AG getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen der Ehescheidung derzeit nicht vorliegen, als auch die inzidente Zurückweisung des Ehescheidungsantrags des M sind aufzuheben, § 117 Abs. 2 S. 1 FamFG i. V. m. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sowie des § 146 Abs. 1 FamFG.

     

    Der M hat ein Ehescheidungsverfahren anhängig gemacht, § 121 Nr. 1 FamFG. Es handelt sich um einen auf Rechtsgestaltung gerichteten Antrag. Die F ist dem entgegengetreten. Der M hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt. Er hat damit nicht gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 333 ZPO verhandelt (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 333 Rn. 1) und war damit säumig. Dennoch hat das AG inzident über den Antrag des M entschieden. Es hat das Begehren der F „i. S. e. Antragszurückweisung zu entscheiden“ als Antrag auf Feststellung ausgelegt, dass die Voraussetzungen einer Ehescheidung derzeit nicht vorliegen. Es hat das von M eingeleitete Verfahren mit der getroffenen Kostenentscheidung (inzident) abgeschlossen.

     

    Der Auslegung des AG ist nicht zu folgen. Im Prozessrecht ist dabei nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Vielmehr ist der wirkliche Wille der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH 16.5.17, XI ZR 586/15, juris Rn. 11).

     

    Hier ist der Antrag der F nicht als Feststellungsantrag auszulegen. Der M hat in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt. Die F hat in der Sache nur Abweisung beantragt und ist dem Ehescheidungsantrag schlicht entgegengetreten. Einen eigenen (positiven) Feststellungsantrag hat sie dem gegenüber nicht formuliert. Dies folgt aus dem Wortlaut der Erklärung „i. S. e. Antragszurückweisung zu entscheiden“. Darüber hinaus wäre eine Auslegung als Feststellungsantrag weder vernünftig noch entspräche dies der wohlverstandenen Interessenlage der F. Es kann offenbleiben, ob ein solcher Feststellungsantrag gem. §§ 126, 121 FamFG mit Erfolg mit dem Ehescheidungsantrag verbunden werden kann. Denn nach der Systematik des § 121 FamFG ist als Ehesache nur über die Ehescheidung (Nr. 1), die Aufhebung der Ehe (Nr. 2) oder über das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe (Nr. 3) zu entscheiden. Die Auslegung des Antrags in einen Feststellungsantrag widerspricht dieser Konzeption. Nach der Systematik des § 121 FamFG stellt der Antrag keine Ehesache dar. Es handelt sich auch nicht um einen Zwischenfeststellungsantrag im Scheidungsverbund (BGH 20.3.19, XII ZB 310/18).

    Jedenfalls würde es dem so verstandenen Antrag der F am Rechtsschutzbedürfnis fehlen (Müko/Lugani, FamFG, 3. Aufl., § 121 Rn. 12). Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist ein Feststellungsantrag nur zulässig, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Das Feststellungsinteresse liegt vor, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und die erstrebte Entscheidung geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH 19.11.14, VIII ZR 79/14). Um das Rechtsschutzziel der F zu erreichen, hätte es genügt, dass der Antrag des M auf Ehescheidung zurückgewiesen wird. Da die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten gem. § 113 Abs. 1 FamFG, § 251a ZPO nicht vorlagen, hätte der Antrag aufgrund der Säumnis des M als Antrag gem. § 130 Abs. 1 FamFG ausgelegt werden können, nach der eine Versäumnisentscheidung gegen den M dahin zu erlassen ist, dass der Antrag als zurückgenommen gilt. Soweit die F darüber hinaus erreichen möchte, dass die Fristen eines aus ihrer Sicht verfrühten Scheidungsantrags nicht greifen, lässt sich dieses Ziel nicht durch einen Feststellungsantrag erreichen.

    Soweit das AG den in der mündlichen Verhandlung nicht gestellten Ehescheidungsantrag (inzident) zurückgewiesen hat, liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung gem. § 146 Abs. 1 FamFG vor.

     

    Relevanz für die Praxis

    Bei einem verfrühten Scheidungsantrag ist Folgendes zu beachten: Häufig akzeptieren die Gerichte es, wenn ein Scheidungsantrag bei einer Trennungszeit von zehn bis elf Monaten eingereicht wird, auch weil davon ausgegangen wird, dass sich Verzögerungen durch die Auskünfte zum VA ergeben.

     

    VKH ist wegen fehlender Erfolgsaussicht zu versagen, wenn ein Scheidungsantrag nicht auf den Scheidungsgrund der besonderen Härte nach § 1565 Abs. 2 BGB gestützt und vor Ablauf des Trennungsjahres eingereicht wird. Denn ein verfrüht gestellter Scheidungsantrag ist bis zum Ablauf des Trennungsjahres unschlüssig (OLG Bamberg 3.7.19, 2 WF 150/19).

     

    Wenn die Voraussetzungen der Scheidung erst in der Beschwerdeinstanz eintreten ‒ das Trennungsjahr also in der Beschwerdeinstanz abläuft ‒ muss das OLG eine zum damaligen Zeitpunkt zu Recht die Ehescheidung ablehnende Entscheidung abändern. Allerdings sind dem Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens gem. § 150 FamFG, § 97 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen.

     

    MERKE | Dennoch kann ein verfrühter Scheidungsantrag ein Gestaltungsmittel sein. Denn für die Berechnung des VA ist auf das Ende der Ehezeit abzustellen, § 5 Abs. 2 S. 1 VersAusglG. Die Ehezeit i. S. d. VA endet am letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags, § 3 Abs. 1 VersAusglG. Ferner kommt es für die Berechnung des ZGA und für die Höhe der Ausgleichsforderung auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags an, § 1384 BGB. Auswirkungen auf den Ehegattenunterhalt können sich ergeben, wenn gem. § 1579 Nr. 1 BGB zu prüfen ist, ob nach einer Ehe von kurzer Dauer der Unterhaltsanspruch zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen ist. Auch bei dieser Frist kommt es auf die Eheschließung und den Tag der Zustellung des Scheidungsantrags an (Erdrich, Praxishandbuch Familienrecht, 42. EL, Juni 22, Teil F, Rn. 36 ff.).

     

    Wegen der materiellen Folgen eines verfrühten Scheidungsantrags muss der gegnerische Anwalt auch aus Haftungsgesichtspunkten überlegen, ob er dem Ruhen des Verfahrens bis zum Ablauf des Trennungsjahres zustimmt.

     

    Bei einem verfrühten Scheidungsantrag kann der Stichtag zu modifizieren sein, wenn das sich ohne eine solche Korrektur ergebende Ergebnis grob unbillig ist und die Gewährung des Ausgleichsanspruchs in der vom Gesetz vorgesehenen Art und Weise dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde (BGH 13.12.17, XII ZB 488/16).

     

    Der Antragsgegner sollte auf einen verfrühten Scheidungsantrag in der Antragserwiderung hinweisen und wegen des Ziels der Manipulation der Stichtage um eine unverzügliche Terminierung bitten. Zwar kann der Antragsteller in die Beschwerde gehen, damit das Trennungsjahr in der Beschwerdeinstanz abläuft. Weist das Gericht den Antrag zurück, bevor es die Auskünfte zum VA eingeholt hat, ist das Verfahren zum Erhalt des Verbundes an das Familiengericht zurückzuverweisen, § 146 FamFG. In der „zweiten“ Runde beim FamG erhöhen sich die Chancen, den Ausnahmefall der Modifikation des Stichtags wegen Unbilligkeit zu erwirken. Denn der verfrühte Antrag steht dann fest. Das OLG wird ‒ schon wegen der Kostenfolge ‒ auch dazu ausführen, ob der ursprüngliche Antrag begründet war. Waren keine Gründe für eine Härtefallscheidung dargelegt, spricht einiges für eine Manipulation des Stichtags. Es kann erreicht werden, dass auf den Stichtag bei Einreichung des Scheidungsantrags nach Ablauf des Trennungsjahres abgestellt wird. Hilfsweise können Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden, sollte das Gericht auf die nach dem Wortlaut des Gesetzes maßgeblichen Stichtage abstellen und einem der Ehepartner dadurch ein Schaden entstehen (Erdrich, a. a. O., Teil F, Rn. 37).

    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 4 | ID 48598335