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  • · Fachbeitrag · ZGA

    Kursverluste bei Aktien in Zeiten von Corona: Rechtliche Hinweise und anwaltliche Strategien

    von VRiOLG i.R., RA Dieter Büte, Bad Bodenteich

    | Das Coronavirus wirkt sich auch auf das Familienrecht aus. Wie in der Finanzkrise 2008/2009 beeinflussen wirtschaftliche Folgen u. a. denAktienmarkt. Trotz Stützungsmaßnahmen der Staaten und der EU sind die Aktienkurse seit Anfang März z. T. eingebrochen. Sofern ein Scheidungsantrag rechtshängig ist, ist darauf prozessual richtig zu agieren. |

    1. Bewertung von Aktien im Zugewinn

    Für die Bewertung von Wertpapieren kommt es auf den jeweiligen Veräußerungswert an. Dieser richtet sich bei börsennotierten Aktien nach überwiegender Ansicht nach dem mittleren Tageskurs der dem Wohnsitz der Ehegatten nächstgelegenen Börse (BGH FamRZ 01, 413). Einer in der Literatur vertretenen Ansicht (u. a. Hoppenz, FamRZ 10, 16, 17 f.), wonach bei Kurssprüngen eine längere Kursentwicklung zu berücksichtigen sei, hat der BGH wegen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip eine Absage erteilt (FamRZ 12, 1479).

    2. Stichtagsprinzip

    Der Anspruch auf ZGA entsteht zwar gem. § 1378 Abs. 3 S. 1 BGB erst mit Rechtskraft der Ehescheidung. Für die Berechnung des ZGA und für die Höhe wird aber der Stichtag auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des das Verfahren einleitenden Antrags (§§ 1384, 1387 BGB, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO) bzw. bei einer fehlenden Zustellung des Scheidungsantrags auf den Zeitpunkt der Geltendmachung in der mündlichen Verhandlung (§ 261 Abs. 2 ZPO) vorverlegt. Der Gesetzgeber hat sich dabei bewusst zu einer stark schematisierenden Berechnung bekannt (BT-Drucksache 16/10798, S. 1).

     

    a) Beiderseitiger Scheidungsantrag

    Haben beide Ehegatten einen Scheidungsantrag gestellt, bleibt der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des ersten Scheidungsantrags auch maßgeblich, wenn dieser zurückgenommen oder abgewiesen wurde (BGH FamRZ 96, 1142, 1144). Die Zustellung des späteren Scheidungsantrags ist für die Anwendung des § 1384 BGB nur maßgebend, wenn sie nach der Rücknahme des älteren Scheidungsantrags erfolgt (BGH FamRZ 06, 260).

     

    b) Konkurrierende Anträge

    Wird nach Einleitung eines Scheidungsverfahrens ein Verfahren auf vorzeitigen ZGA (§§ 1386, 1385 BGB) eingeleitet (zur Zulässigkeit des Nebeneinanders beider Verfahren vgl. BGH FamRZ 19, 1045; 1535; Büte, FuR 19, 114 ff. und 172 ff.), ist für die Berechnung des ZGA der Tag der Zustellung des Scheidungsantrags maßgeblich (Nachweise bei: Büte [Fn. 2] Rn. 43). Wird der vorzeitige ZGA eingeleitet und dann ein Scheidungsantrag rechtshängig gemacht, ist für den Stichtag die Zustellung des Antrags auf vorzeitigen ZGA maßgeblich (Weinreich in: Weinreich/Klein, Familienrecht, 6. Aufl., § 1384 BGB Rn. 10).

     

    c) Materiell-rechtliche Korrekturmöglichkeiten nach dem Stichtag

    Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/2009 wurde in der Literatur (vgl. dazu Büte, FuR 12, 618 mit Nachweisen zu den im Einzelnen vertretenen Auffassungen) umfangreich erörtert, ob im Wege der teleologischen Reduktion der Stichtag verändert oder ob einem unverschuldeten Vermögensverlust mit Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 1381, 242 BGB) begegnet werden könne. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 4.7.12 eindeutig gegen eine einschränkende Auslegung des § 1384 BGB gewandt, wonach bei einem vom Ausgleichspflichtigen nicht zu vertretenen Vermögensverlust die Begrenzung des § 1378 Abs. 2 S. 1 BGB an die Stelle derjenigen des § 1384 BGB tritt (FamRZ 12, 1479).

     

    Hingegen hält der BGH § 1381 BGB in Fällen eines schuldlosen Vermögensverlustes nicht generell für unanwendbar (so auch Schwab, FamRZ 09, 1445, 1449; Büte, FuR 19, 114 ff. und 172 ff. [Fn. 2] Rn. 314). Diese Vorschrift gewährt aber nur einem ausgleichspflichtigen Ehegatten eine rechtsvernichtende Einrede gegen die ZGA-Forderung. Eine analoge Anwendung zugunsten des Ausgleichsgläubigers, um eine Ausgleichsforderung zu begründen oder zu erhöhen, ist nach h.M. unzulässig (vgl. nur MüKo/Koch, BGB, 8. Aufl., § 1381 Rn. 1). Ohne nähere Begründung geht der BGH ‒ ohnehin nur in Form eines Obiter Dictum ‒ davon aus, dass im Rahmen der Prüfung des § 1381 BGB auch Umstände zu berücksichtigen sind, die nach Rechtshängigkeit entstanden sind.

     

    Damit könnte ein Kursverfall von Aktien durch § 1381 BGB abgefangen werden. Die Vorschrift ermöglicht eine Korrektur von Ergebnissen, die sich in besonders gelagerten Einzelfällen aus der schematischen Anwendung der Vorschriften zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs ergeben können. Dafür genügt es aber nicht, dass sich die Unbilligkeit allein aus dem vom Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität festgelegten pauschalierenden und schematischen Berechnungssystem ergibt, sog. systemimmanente Unbilligkeit, (BGH FamRZ 13, 1954; 14, 24). Allein ein Vermögensverfall nach dem Stichtag genügt dafür nicht.

     

    Eine Korrektur über § 242 BGB lehnt der BGH mit einem Hinweis auf eine frühere Entscheidung (BGH FamRZ 89, 276, 279) ab, ohne dies aber näher begründet zu haben, soweit der Anwendungsbereich des § 1381 BGB ‒ vom BGH bejaht ‒ eröffnet ist (BGH FamRZ 12, 1479, 1483). Diese Ansicht begegnet zwar Bedenken (Schwab, FamRZ 09, 1145, 1449; Büte, FuR 13, 619, 621). Ob der BGH aber seine Rechtsauffassung ändern wird, erscheint mehr als fraglich. Aus anwaltlicher Vorsorge sollte darauf nicht vertraut werden.

     

    d) Verfahrensrechtliche Möglichkeiten

    Gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 269 Abs. 1 ZPO kann ein Scheidungsantrag ohne Zustimmung des Antragsgegners nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Antragsgegners zur Hauptsache zurückgenommen werden. Die mündliche Verhandlung beginnt entsprechend § 137 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 113 Abs. 1 S. 2 ZPO mit Stellung der Anträge. Ein Sachantrag ist nicht erforderlich. Es genügt dafür, dass der Antragsgegner seinen Standpunkt zum Scheidungsbegehren zu erkennen gibt (BGH FamRZ 04, 1364). Die nach § 128 Abs. 1 S. 1 FamFG notwendige Anhörung der Eheleute stellt kein mündliches Verhandeln dar (BGH FamRZ 04, 1364). Ist verhandelt worden, bedarf es zur Wirksamkeit der Rücknahme des Scheidungsantrags, die nicht widerruflich ist, der Zustimmung des Antragsgegners (OLG Celle FamRZ 12, 1071).

     

    Gem. § 150 Abs. 2 S. 1 FamFG muss ein Antragsteller sowohl die Kosten der Scheidungssache als auch die der Folgesache tragen.

     

    Gem. § 141 S. 1 FamFG erstrecken sich die Wirkungen der Rücknahme auch auf die Folgesachen. Bei Vertretung eines ZGA-Verpflichteten ist ‒ nach Hinweis auf die Kostenpflicht und die Höhe der Kosten ‒ der Scheidungsantrag zurückzunehmen und ein neuer für den Mandanten günstigerer Stichtag zu schaffen, indem ein neuer Scheidungsantrag gestellt wird. Um das zu verhindern, sollte bei Vertretung eines Antragsgegners stets ein eigenständiger Scheidungsantrag gestellt werden (zur Problematik und zur Anwaltshaftung bei einer ähnlichen Problematik im VA: OLG Düsseldorf FamRZ 14, 42).

     

    Ist als Folgesache im Verbund auch der ZGA anhängig (§ 137 Abs. 2 Nr. 4 FamFG), kann ein Beteiligter vor Wirksamwerden der Rücknahme des Scheidungsantrags ausdrücklich erklären, die Folgesache ZGA als selbstständige Folgesache fortzuführen. Dazu ist der Antrag umzustellen auf vorzeitigen ZGA nach §§ 1386, 1385 BGB (OLG Köln FamRZ 03, 541, 542; KG FamRZ 04, 1044; MüKo/BGB, Koch, a.a.O., § 1384 Rn. 10; vgl. auch BGH FamRZ 19, 1535, 1538). Die Sachprüfung des Gerichts erstreckt sich allein auf die formalen Voraussetzungen, die Schlüssigkeit des Antrags ist dabei nicht zu prüfen (KG FamRZ 04, 1044). Es besteht kein Ermessensspielraum des Gerichts (OLG Hamm NJW-RR 05, 1023). Der Stichtag des ursprünglichen Scheidungsantrags bleibt erhalten (OLG Köln FamRZ 08, 2043; 03, 539; Büte [Fn. 2] Rn. 43).

     

    PRAXISTIPP | Sofern ein ZGA-Pflichtiger das Scheidungsverfahren rechtshängig gemacht hat und der andere Ehegatte die Folgesache ZGA in den Verbund eingeführt hat, ist im Hinblick auf die Problematik eines Wertverlustes von Aktien die Umstellung auf den vorzeitigen ZGA zu prüfen, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1385 Nr. 1 bis 4 BGB in Betracht kommen, z. B. wenn die Ehegatten bereits mehr als drei Jahre getrennt leben, § 1385 Nr. 1 BGB.

     

    3. Fazit

    Je nachdem, welchen Ehepartner ein Anwalt vertritt, wird er prüfen müssen, ob der Scheidungsantrag zurückgenommen wird oder ein Scheidungswiderantrag gestellt werden soll, was in jedem Fall empfohlen wird. Ein Anwalt wird stets während des Verfahrens prüfen müssen, ob sich Veränderungen ergeben haben, auf die mit einer Antragsänderung zu reagieren ist. Die Auswirkungen der Corona-Krise werden sicher nicht auf die Problematik des Absinkens des Aktienwerts beschränkt bleiben. Auch auf dem Immobilienmarkt wird ein Wertverlust prognostiziert. Gleiches gilt für die Bewertung von Unternehmen. Generell kann diese Problematik bei allen Spekulationsobjekten eintreten.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, 5. Aufl.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 124 | ID 46480977