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  • · Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt

    Unterhalt des geschiedenen Ehegatten bei Nach- und Gleichrangigkeit des neuen Ehegatten

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    • a) Ist der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nach § 1609 Nr. 3 BGB nachrangig, ist dessen Unterhaltsanspruch im Rahmen der Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht als sonstige Verpflichtung zu berücksichtigen; der unterhaltsrechtliche Vorrang des geschiedenen Ehegatten wirkt sich bei der Billigkeitsabwägung nach § 1581 BGB vielmehr in Höhe des vollen Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, da die Rangvorschriften des § 1609 BGB selbst Ausdruck einer gesetzlichen Billigkeitswertung sind.
    • b) Sind ein geschiedener und ein neuer Ehegatte nach § 1609 BGB gleichrangig, ist im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eine Billigkeitsabwägung in Form einer Dreiteilung des gesamten unterhaltsrelevanten Einkommens rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden (im Anschluss an BGHZ 192, 45 = FamRZ 12, 281).
    • c) Steht der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen im Bezug von Elterngeld, bleibt der nach § 11 S. 1 BEEG geschonte Sockelbetrag des Elterngeldes bei der Ermittlung des für die Dreiteilung verfügbaren Gesamteinkommens unberücksichtigt (Fortführung von FamRZ 06, 1182).
    • d) Übt der neue Ehegatte des Unterhaltspflichtigen wegen der Betreuung der im Haushalt lebenden gemeinsamen minderjährigen Kinder keine Erwerbstätigkeit aus, können ihm bei der Ermittlung des Gesamteinkommens fiktive Erwerbseinkünfte zugerechnet werden, wenn und soweit er im hypothetischen Fall einer Scheidung trotz der Kindesbetreuung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verpflichtet wäre; während der ersten drei Lebensjahre des Kindes kommt dies aber auch dann nicht in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige als Rentner selbst keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht.
     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten streiten über die Abänderung einer Entscheidung zum nachehelichen Unterhalt. Der 1942 geborene Antragsteller und die 1946 geborene Antragsgegnerin heirateten 1975. Ihre Ehe, aus der eine 1978 geborene Tochter hervorgegangen ist, wurde 2010 rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsverbund wurde der Versorgungsausgleich (VA) durchgeführt und der Antragsteller verurteilt, nachehelichen Unterhalt, teils Elementar-, teils Krankenvorsorgeunterhalt zu zahlen. Die Antragsgegnerin hatte Philosophie, Psychologie und Romanistik studiert. Nach der Heirat, einem Umzug und der Geburt der gemeinsamen Tochter, gab sie ihr Studium und ihr Promotionsvorhaben auf. Während der Ehe versorgte sie die Tochter und war als Übersetzerin hauptsächlich für den während der Ehe als Hochschullehrer tätig gewesenen Antragsteller beschäftigt.

     

    Der Antragsteller bezieht seit 2008 ein Ruhegehalt nach beamtenrechtlichen Vorschriften und ist noch freiberuflich wissenschaftlich tätig. Am 28.12.10 heiratete er seine jetzige Ehefrau, eine bei ihm angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterin, die das Studium der Geschichte und Philosophie mit dem Magister abgeschlossen hat. Aus der neuen Ehe ging das am 22.7.11 geborene Kind hervor. Seit der Geburt übt die 1976 geborene Ehefrau, die erst Mutterschafts- und danach bis zum 21.7.12 Elterngeld bezogen hatte, keine Berufstätigkeit mehr aus.

     

    Seit dem 1.12.11 bezieht die Antragsgegnerin eine gesetzliche Altersrente (zuzüglich eines Zuschusses zu ihrer privaten Krankenversicherung, die überwiegend auf den im VA erworbenen Rentenrechten beruht. Das bis dahin aufgrund des Pensionistenprivilegs ungekürzt gezahlte monatliche (brutto) Ruhegehalt des Antragstellers wird seit Dezember 11 wegen des VA gekürzt.

     

    Auf den am 7.4.11 zugestellten Abänderungsantrag des Antragstellers hat das AG den Unterhalt für die Zeit seit dem 7.4.11 und seit dem 20.7.11 weiter herabgesetzt. Für den Zeitraum seit dem 1.12.11 hat es ihn nur noch verurteilt, Krankenvorsorgeunterhalt zu zahlen. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das OLG den Abänderungsantrag des Antragstellers bis Dezember 11 abgewiesen und für die Zeit ab 15.12. den titulierten Unterhalt aufrechterhalten. Seine Rechtsbeschwerde hat für die Zeit bis einschließlich 21.7.11 keinen Erfolg und führt im Übrigen zur Aufhebung und Zurückverweisung.

    Entscheidungsgründe

    Abänderungsgründe sind die Wiederheirat und das gesunkene unterhaltsrelevante Einkommen des Antragstellers. Im Ergebnis ergibt sich aber keine wesentliche Veränderung der maßgebenden Verhältnisse.

     

    Wiederheirat bleibt bei den ehelichen Lebensverhältnissen unberücksichtigt

    Die Wiederheirat ist bei der Beurteilung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht zu beachten, weil sie keinen Anknüpfungspunkt in der Ehe findet. Dies gilt für die Unterhaltspflicht gegenüber dem neuen Ehegatten und auch für die finanziellen Vorteile wie den Splittingvorteil oder die sonstigen von der neuen Ehe abhängigen Einkommenszuschläge. Der Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin ist daher ohne Berücksichtigung des Splittingvorteils zu bemessen, der der neuen Ehe des Antragstellers vorbehalten bleibt.

     

    Besoldungsrechtlicher Familienzuschlag nur zur Hälfte ansetzen

    Der besoldungsrechtliche Familienzuschlag, der zu den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen gehört, ist zwischen der geschiedenen und neuen Ehefrau hälftig zu teilen. Denn dieser Zuschlag wird bezahlt, wenn der Versorgungsempfänger verheiratet oder wenn er geschieden ist und aus der geschiedenen Ehe mindestens in Höhe dieses Zuschlags zum Unterhalt verpflichtet ist. Ist also der Versorgungsempfänger seinem geschiedenen Ehegatten gegenüber unterhaltspflichtig und nach der Scheidung eine zweite Ehe eingegangen, wird ein Familienzuschlag bei der Berechnung des Ruhegehalts aus zwei alternativen Rechtsgründen gewährt. Damit werden die Unterhaltsbelastung aus der geschiedenen und die aus der neuen Ehe herrührenden wirtschaftlichen Belastungen abgemildert.

     

    Unterhalt für neue Ehefrau bei Leistungsfähigkeit berücksichtigen

    Die Leistungsfähigkeit hat sich durch die Wiederheirat nicht geändert, da die geschiedene der neuen Ehefrau gegenüber zunächst vorrangig war. Denn die geschiedene Ehe war mit mehr als 31 Jahren von langer Dauer, § 1609 Nr. 2 BGB. Sie war aufgrund der Rollenverteilung und der Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von einer engen persönlichen und wirtschaftlichen Verflechtung geprägt. Dies beruhte auf dem ehebedingten Abbruch der Ausbildung der Antragsgegnerin, der Übernahme der Haushaltsführung und Kinderbetreuung und darauf, dass sie ihre Tätigkeit als Übersetzerin im Wesentlichen für den Antragsteller entfaltete. Dem gegenüber war die neue Ehefrau des Antragstellers bis zur Geburt des Kindes nachrangig, § 1609 Nr. 3 BGB.

     

    Ist der neue Ehegatte gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nachrangig, ist dessen Unterhaltsanspruch bei der Leistungsfähigkeit nicht als sonstige Verpflichtung zu beachten. Der sich aus § 1609 BGB ergebende Rang der Unterhaltsansprüche ist Ausdruck einer Billigkeitswertung, die den Vorrang des vom Gesetzgeber als schutzbedürftiger angesehenen Unterhaltsberechtigten sichern soll. Dies führt i.d.R. dazu, dass der vorrangige geschiedene Ehegatte den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Bedarf insgesamt zur Verfügung haben muss und die neue Ehe ergänzend auf die durch den nachrangigen Ehegatten erzielten und erzielbaren Einkünfte sowie auf die der neuen Ehe vorbehaltenen wirtschaftlichen Vorteile zu verweisen ist.

     

    Mit der Geburt des gemeinsamen Kindes aus der neuen Ehe am 22.7.11 ist die neue Ehefrau mit der geschiedenen Ehefrau gleichrangig geworden, § 1609 Nr. 2 BGB. Das Kind ist vorrangig. Allerdings ändert die Geburt des Kindes nicht den Bedarf der geschiedenen Ehefrau, weil das Kind aus der neuen Ehe nach Rechtskraft der Scheidung geboren worden ist. Daher hat es die Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehe nicht geprägt.

     

    Es erfolgt eine Mangelfallberechnung

    Bei der Leistungsfähigkeit sind die Unterhaltsansprüche beider Ehegatten zu beachten, sodass ein relativer Mangelfall zwischen dem Unterhaltspflichtigen und der geschiedenen Ehefrau eingetreten ist, der den Unterhaltsanspruch gem. § 1581 BGB nach Billigkeit kürzt. Dem Unterhaltspflichtigen muss mehr als die Hälfte des Einkommens verbleiben, um auch den neuen gleichrangigen Unterhaltsanspruch bedienen zu können. Dies kann grundsätzlich im Wege der Dreiteilung des Gesamteinkommens aller Beteiligten erfolgen. Einzubeziehen sind daher auch der steuerliche Splittingvorteil und der volle Familienzuschlag nach Stufe I, weil die Dreiteilung i.d.R. den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten kürzen wird. Deshalb ist es nicht mehr erforderlich, bestimmte Einkommensbestandteile für die neue Ehe zu reservieren.

     

    Nicht zu beanstanden ist, dass der Vorteil des Zusammenlebens der neuen Ehe mit einem Abzug von 10 Prozent ihres Gesamtbedarfs angesetzt wird.

     

    Zu beanstanden ist, dass der kindbezogene Anteil des Familienzuschlags (§ 40 Abs. 2 BBesG) nicht berücksichtigt worden ist. Dieser wird einem Versorgungsempfänger neben dem Ruhegehalt gewährt, § 50 Abs. 1 S. 2 BeamtVG. Er zählt bei der Billigkeitsabwägung (§ 1581 BGB) zu den zu beachtenden Einkünften.

     

    Kindesunterhalt für das vorrangige Kind ist zu berücksichtigen

    Ferner ist der vorrangige Kindesunterhalt für das in der neuen Ehe geborene Kind zu beachten. Sein Unterhaltsanspruch setzt sich beim Familienunterhalt (§ 1360a Abs. 1 BGB) aus Gewährung von Wohnung, Nahrung, Kleidung und sonstige Leistungen in Form von Naturalien zusammen. Der Anspruch muss monetarisiert werden, um bei § 1581 BGB ermitteln zu können, wie dadurch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eingeschränkt wird. Der Geldwert des Anspruchs wird dabei mindestens mit dem hypothetischen Anspruch auf Barunterhalt zu veranschlagen sein, den das Kind bei einer Trennung seiner Eltern gegen den Unterhaltspflichtigen hätte. Dies gebietet auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Minderjährigen aus der neuen und aus der geschiedenen Ehe. Denn soweit die Lebensstellung aller Kinder des Unterhaltspflichtigen gleichermaßen durch seine Einkommensverhältnisse bestimmt wird, kann sich für das Kind aus der neuen Ehe kein geringerer Bedarf ergeben. Daraus folgt auch, dass der als vorrangige Verbindlichkeit bei § 1581 BGB abzuziehende tatsächliche oder hypothetische Barunterhaltsanspruch der Minderjährigen unter Einbeziehung aller dem Unterhaltspflichtigen zur Verfügung stehenden Mittel und damit auch unter Einschluss des steuerlichen Splittingvorteils zu bemessen ist.

     

    Kindergeld ist nur hälftig anzurechnen

    Anzusetzen ist der um das anteilige Kindergeld geminderte Zahlbetrag. Nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte zu verwenden, um seinen Barbedarf zu decken, wenn ein Elternteil i.S. von § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB das Kind betreut. Sonst wird das Kindergeld voll angerechnet. Die Anrechnungsregel ist auf getrennt lebende Eltern zugeschnitten, in denen einer den Minderjährigen betreut, der andere Barunterhalt leistet. Davon abzugrenzen ist der Volljährigenunterhalt, bei dem kein Betreuungsbedarf mehr besteht. Keine dieser Konstellationen, die dem § 1612b Abs. 1 BGB zugrunde liegen, ist gegeben, wenn das Kind in intakter Ehe betreut wird. Die hälftige Anrechnung des Kindergeldes beruht auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass Elternteile bei der Betreuung unterstützt werden sollen. Dieser Zweck wird auch bei der Betreuung des Kindes in der intakten Familie erreicht. Wenn der Barunterhaltsbedarf des in der neuen Ehe geborenen Kindes allein nach den Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen bemessen wird, weil der neue Ehegatte keine oder nur geringe Geldbeträge zum Familienunterhalt beisteuern kann, ist es sachgerecht, das Kindergeld auf den so ermittelten hypothetischen Barunterhaltsanspruch des Kindes nur zur Hälfte anzurechnen. Alles andere würde den nachrangigen Unterhaltsberechtigten einen zu hohen Anteil an der Verteilungsmasse zur Verfügung stellen und zur ungerechtfertigten Ungleichbehandlung mit Minderjährigen aus geschiedenen Ehen des Unterhaltspflichtigen führen.

     

    Elterngeld: Sockelbetrag von 300 EUR bleibt anrechnungsfrei

    Nach § 11 S. 1 BEEG berührt das Elterngeld die Unterhaltspflicht nur insoweit, als die Zahlung 300 EUR monatlich übersteigt. Diese Vorschrift umschreibt die Unterhaltspflicht nicht näher, schränkt sie aber auch nicht ein, sodass die Schonung des Sockelbetrags von 300 EUR grundsätzlich Unterhaltspflichten jeder Art umfasst. Dies betrifft auch solche zwischen zusammenlebenden Ehegatten. Dementsprechend ist der Sockelbetrag des Elterngeldes nicht in eine Billigkeitsentscheidung nach § 1581 BGB einzubeziehen, um die Mittel zu erhöhen, mit denen der gleichrangige Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin bedient wird.

     

    Keine Zurechnung fiktiver Einkünfte nach Ende des Elterngeldbezugs

    Zu beanstanden ist, dass das OLG der zweiten Ehefrau nach dem Ende des Bezugs des Elterngelds fiktive Erwerbseinkünfte zugerechnet hat. Die Ehegatten können ihre Rollenverteilung in der Ehe frei wählen und dadurch Ansprüche auf Familienunterhalt gegeneinander begründen, § 1356 BGB. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn sie beschließen, dass der Partner eines aus Altersgründen nicht mehr erwerbstätigen Ehegatten seine Berufstätigkeit aufgeben und einschränken soll, um sich der Betreuung eines gemeinsamen minderjährigen Kindes zu widmen. Hier war die Rollenwahl in der neuen Ehe nicht rechtsmissbräuchlich, da sich die bei Geburt des Kindes 35-jährige Ehefrau besser eignet, ein Kleinkind zu betreuen und zu versorgen, als der seinerzeit im 70. Lebensjahr stehende Antragsteller.

     

    Unterhaltsrechtliche Konkurrenz beachten

    Durch die von den Ehegatten in der neuen Ehe gewählte Rollenverteilung darf der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nicht über Gebühr geschmälert werden. Dies folgt aus der Wertung des § 1609 Nr. 2 BGB, wonach bei Konkurrenz zwischen geschiedenem und neuem Ehegatten beim neuen Ehegatten darauf abzustellen ist, ob er bei einer Scheidung wegen Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt wäre. Ihm liegt die allgemeine Billigkeitserwägung zugrunde, dass der neue Ehegatte seine Erwerbsmöglichkeiten in gleicher Weise ausschöpfen soll wie der geschiedene Ehegatte in einer vergleichbaren Situation. Die Erwerbsobliegenheit eines kinderbetreuenden Ehegatten bestimmt sich auf der Grundlage einer hypothetischen Betrachtung der Verhältnisse, wie sie sich bei einer Scheidung der neuen Ehe darstellen würde. Mit der Einführung des Basisunterhalts bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres gemäß § 1570 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Gesetzgeber dem Betreuenden die Entscheidung eingeräumt, ob er das Kind in dieser Zeit selbst erziehen oder andere Betreuungsmöglichkeiten beanspruchen will. In diesem Zeitraum besteht keine Erwerbsobliegenheit des Betreuenden. Eine solche kann im Basisunterhaltszeitraum für die Ehefrau auch nicht damit begründet werden, dass sie nicht vom Antragsteller getrennt lebt und sich ihre Lebenssituation daher von einem getrennt lebenden Betreuungselternteil unterscheidet. Das Auseinanderfallen von tatsächlichen und gedachten Verhältnissen liegt in der Natur einer hypothetischen Betrachtungsweise.

     

    Nicht ausschlaggebend ist, dass der pensionierte Antragsteller auch für die Betreuung des Kindes zur Verfügung stehen würde. Zwar ist er gegenüber der Antragsgegnerin nicht mehr verpflichtet, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Die Rollenwahl in der neuen Ehe ist aber nicht mit der Lebenssituation zu vergleichen, die in Fällen der sog. Hausmann-Rechtsprechung gegeben ist. Daher kann vom Antragsteller nicht verlangt werden, dass er durch Übernahme von Betreuungsaufgaben seiner neuen Ehefrau ermöglichen muss, im Unterhaltsinteresse der Antragsgegnerin zeitweise wieder eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Dies lässt sich nicht mit den Maßstäben des § 1570 BGB vereinbaren, die kraft gesetzlicher Wertung in § 1609 Nr. 2 BGB für die Rangfolge konkurrierender Unterhaltsansprüche zwischen neuem und geschiedenem Ehegatten gelten. Gerade bei der hypothetischen Beurteilung des Unterhaltsanspruchs nach § 1570 BGB muss sich die Ehefrau nicht auf Betreuungsangebote des Antragstellers einlassen. Daher ist die Entscheidung des OLG aufzuheben.

    Praxishinweis

    Bei einer erneuten Heirat des Unterhaltspflichtigen bleiben die Vorteile der Wiederheirat, wie der Splittingvorteil, der neuen Ehe vorbehalten. Sein Einkommen ist nach Steuerklasse I umzurechnen.

     

    Der Eintritt des Gleichrangs des geschiedenen und des neuen Ehegatten ist bei der Leistungsfähigkeit mittels der Dreiteilung zu berücksichtigen. Es ist das vollständige Einkommen des Unterhaltspflichtigen anzusetzen, also auch der Splittingvorteil. Außerdem sind die ihm und seinem Ehegatten verbleibenden Einkünfte um die Vorteile des Zusammenlebens um 10 Prozent zu bereinigen. Dieser Betrag ist dem geschiedenen Ehegatten zuzuschlagen.

     

    • Beispiel

    M erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von bereinigt 3.500 EUR nach STK III, nach STK I von 3.000 EUR. Er ist wieder verheiratet. Seine jetzige nachrangige Ehefrau F2 ist nicht erwerbsfähig. Seine geschiedene Ehefrau F1 ist ebenfalls erwerbsunfähig und verlangt Unterhalt.

     

    Bedarf F1: 3.000 EUR x 3/7 = gerundet 1.286 EUR

    Unterhalt von F2 bleibt unberücksichtigt, da sie nachrangig ist. Das Einkommen des M ist nach STK 1 umgerechnet. 

    Leistungsfähigkeit: 3.000 EUR (3.500 EUR STK III ./. Erwerbstätigenbonus 1/7 = 500 EUR) : 3 = 1.000 EUR für F1, M und F2, wobei M auch noch den Erwerbstätigenbonus von 500 EUR behält. Kürzung des Bedarfs von M und F2 um je 10 %, also um insgesamt 250 EUR (1.500 EUR und 1.000 EUR). Dieser Betrag ist dem Unterhalt von F1 zuzuschlagen. F1 erhält 1.250 EUR.

     

    Die Unterhaltspflicht gegenüber einem in der Ehe geborenen Kind prägt die ehelichen Lebensverhältnisse nicht, weil die Unterhaltspflicht erst nach der Scheidung entstanden ist. Sie ist daher bei der Leistungsfähigkeit zu beachten. Es ist auch insoweit ein Billigkeitsunterhalt auszuwerfen.

     

    • Abwandlung

    M erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von bereinigt 2.800 EUR (STK I). Seine geschiedene Ehefrau F, die erwerbsunfähig ist, verlangt Unterhalt. M wird Vater von Zwillingen, die ebenfalls Unterhalt verlangen.

     

    Bedarf der F1: 2.800 EUR x 3/7 = 1.200 EUR

    Bedarf des M: 2.800 EUR x 4/7 = 1.600 EUR

    Bedarf der Kinder gem. Einkommensgruppe 1/Altersstufe 1 je 225 EUR (Zahlbetrag).

    Diese Unterhaltspflichten sind bei der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Daher kommt ein Billigkeitsunterhalt in Betracht: M muss sich mit 4/7, F mit 3/7 an dem Unterhalt von 450 EUR der Kinder beteiligen. Dies entspricht gerundet 193 EUR. Der Unterhalt der F beträgt wegen eingeschränkter Leistungsfähigkeit des M 1.007 EUR (1.200 EUR ./. 193 EUR).

     

    MERKE | Besteht eine Erwerbsobliegenheit, kann man die Zurechnung eines Einkommens des zweiten Ehegatten dadurch vermeiden, dass sich der geschiedene Ehegatte von seinem neuen Partner trennt. Denn letzterer ist im ersten Jahr nach der Trennung grundsätzlich nicht zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2015 | Seite 38 | ID 42902175