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  • · Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt

    Störung der Geschäftsgrundlage beim Scheidungsfolgenvergleich

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    | Hat der Unterhaltspflichtige auf Abänderungsmöglichkeiten verzichtet, ist fraglich, ob er sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) berufen kann mit der Folge, dass der Unterhalt begrenzt oder befristet werden kann. Dies hat der BGH nun geklärt. |

    Sachverhalt

    Der Antragsteller (M) und die Antragsgegnerin (F) sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Sie streiten darum, eine 1993 gerichtlich protokollierte Unterhaltsvereinbarung (Vergleich) abzuändern. Aus der im September 1985 geschlossenen Ehe der Beteiligten ist die im Oktober 1987 geborene Tochter (T) hervorgegangen. M und F lebten seit Juli 1989 getrennt. Im Mai 1990 wurde der Scheidungsantrag zugestellt. Im Januar 1993 ließen sie im Scheidungstermin einen Scheidungsfolgenvergleich protokollieren, durch den sich der M dazu verpflichtete, einen wertgesicherten Ehegattenunterhalt an die F zu zahlen. M bezog u. a. Einkünfte als selbstständiger Architekt. F war in Teilzeit als technische Zeichnerin beschäftigt.

     

    Der Vergleich enthielt Regelungen, um die Unterhaltsleistung anzupassen: Insbesondere soll die F höheren Unterhalt verlangen können bei Krankheit, Berufsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit, letzteres auch für den Fall einer durch nachweislich gestiegenen Betreuungsbedarf für die T veranlassten Eigenkündigung ihres Arbeitsplatzes. Der nach einer Anhebung durch den M zu zahlende Unterhalt ist durch 3/7 seines „durchschnittlichen bereinigten Nettoeinkommens“ und durch einen absoluten Höchstbetrag begrenzt.

     

    Der M kann bei eigener Krankheit, Arbeits- oder Berufsunfähigkeit seinerseits fordern, die Unterhaltsvereinbarung zugunsten einer vollständigen „Neuberechnung des geschuldeten Unterhalts entsprechend der gesetzlichen Regelung“ abzuändern. Heiratet die F erneut, entfällt die Unterhaltspflicht. M ist nach Maßgabe der „im Zeitpunkt des Abänderungsverlangens gültigen Rechtsprechung zu § 1579 Nr. 7 BGB“ berechtigt, seine Zahlungen zu reduzieren oder einzustellen, wenn die F in „eheähnlichen Verhältnissen“ mit einem neuen Partner lebt. Anschließend enthält die Vereinbarung folgende Regelung:

     

    • Klausel der Scheidungsfolgenvereinbarung aus 1993

    Die Eheleute sind im Übrigen berechtigt, ihre gegenwärtigen Einkünfte beliebig zu erhöhen, ohne dass sich hieraus ein Abänderungsgrund ergibt.

     

    Die in dieser Vereinbarung genannten Abänderungsgründe sind abschließend. Im Übrigen verzichten die Eheleute auf das Recht zur Abänderung der Vereinbarung über die Unterhaltszahlungen.

     

    Die Scheidung ist seit April 1993 rechtskräftig. Der in der Scheidungsfolgenvereinbarung festgesetzte nacheheliche Unterhalt wurde zwischen 1995 und 2011 aufgrund einer vereinbarten Wertsicherungsklausel mehrfach angepasst.

     

     

    Im vorliegenden Abänderungsverfahren hat der M unter Hinweis auf eine geänderte Rechtsprechung, den Unterhalt zeitlich zu begrenzen, beantragt, dass seine Unterhaltspflicht seit Oktober 2012 entfällt. Das AG hat dem Antrag entsprochen. Das OLG hat den Abänderungsantrag zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde dagegen blieb erfolglos.

     

    Haben die Parteien in einem Scheidungsfolgenvergleich die Zahlung eines unbefristeten Ehegattenunterhalts vereinbart, kann sich der Unterhaltspflichtige nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage durch spätere Änderung der Rechtsgrundlage (hier: Änderung der Senatsrechtsprechung zur Bedeutung der Ehedauer im Rahmen von Billigkeitsentscheidungen nach § 1573 Abs. 5 BGB a. F.) berufen, wenn die Parteien in der Ausgangsvereinbarung auf das Recht zur Abänderung des Vergleichs ausdrücklich verzichtet haben (Abruf-Nr. 175543).

     

    Entscheidungsgründe

    Der Scheidungsfolgenvergleich ist nicht wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage abzuändern. Dem Antragsteller ist es aufgrund der vertraglichen Risikoverteilung zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten, obwohl sich die Vertragsgrundlage schwerwiegend verändert hat.

     

    Auslegung des Scheidungsfolgenvergleichs

    Zunächst ist auszulegen und zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten bindend geregelt haben, den im Vergleich festgesetzten Unterhalt möglicherweise zu begrenzen. M und F haben schon bei Vertragsschluss bedacht, ihre Unterhaltsvereinbarung später abzuändern und einzelne Regelungen dazu getroffen, etwa im Hinblick auf die Einkommensentwicklung. Daraus lässt sich aber nicht zwingend folgern, dass damit alle anderen denkbaren Abänderungsgründe und insbesondere der Befristungseinwand ausgeschlossen werden sollten.

     

    Hätten die Beteiligten den Unterhalt vom Gesetz losgelöst geregelt und damit eine eigene vertragliche Unterhaltsschuld geschaffen, läge keine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vor. Denn der vertragliche Unterhalt wird von einer geänderten Rechtslage zum gesetzlichen Unterhalt nicht betroffen.

     

    MERKE | Der Wille, den Unterhaltsanspruch auf eine vertragliche Grundlage zu stellen und ihn damit des Wesens eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs zu entkleiden, darf nur bei besonderen Anhaltspunkten angenommen werden.

     

    M und F haben zwar die Abänderungsmöglichkeit beschränkt. Dies besagt für sich genommen aber noch nichts über die Rechtsnatur des Anspruchs. Auch Vereinbarungen darüber, Einkünfte nicht anzurechnen, sind sowohl beim gesetzlichen als auch beim vertraglichen Unterhaltsanspruch möglich. Demgegenüber sind andere Regelungen aus der Unterhaltsvereinbarung an unterhaltsrechtliche Grundsätze angelehnt.

     

    Die F sollte, wenn typische unterhaltsrechtliche Bedürfnislagen eintreten, fordern können, dass der Unterhalt erhöht wird. Dies wäre z. B. der Fall, wenn sie die Kinderbetreuung ausweitet, erkrankt oder arbeitslos wird. Soweit der M selbst erkrankt oder erwerbsunfähig wird, soll er verlangen können, die Vereinbarung abzuändern. Der Unterhalt soll entsprechend der gesetzlichen Regelung neu berechnet werden. Der Unterhaltsanspruch soll entfallen, wenn F wieder heiratet. Dasselbe gilt, wenn sie ein eheähnliches Verhältnis im Hinblick auf § 1579 Nr. 7 BGB a. F. aufnimmt. Dies lässt hinreichend deutlich darauf schließen, dass die Beteiligten nur den sich aus § 1570 ff. BGB ergebenden gesetzlichen Unterhaltsanspruch ausgestalten wollten.

     

    Nicht zu folgen ist dem OLG, dass die Befristung eines Aufstockungsunterhalts gem. § 1573 Abs. 5 BGB a. F. schon nach dem Stand der Rechtsprechung bei Vertragsabschluss möglich war. Nach früherer Rechtsprechung hat sich eine Ehedauer von mehr als zehn Jahren dem Grenzbereich genähert, in dem die Dauer der Ehe als Billigkeitskriterium bei § 1573 Abs. 5 BGB a. F. ein durchschlagendes Gewicht für eine dauerhafte Unterhaltsgarantie hatte. Dies spricht dagegen, den Unterhalt zeitlich zu begrenzen.

     

    Als der Vergleich aus 1993 protokolliert wurde, war absehbar, dass die Ehe bis zur Scheidung knapp sieben Jahre gedauert haben würde. Da die T erst sechs Jahre alt war, verlängerte sich die Ehedauer noch um eine rund zehnjährige Kinderbetreuungszeit. Daraus hätte sich eine insgesamt zu berücksichtigende Zeitspanne von etwa 17 Jahren ergeben. In diesem Fall wäre nach dem Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Abschluss des Vergleichs die spätere Befristung nicht möglich gewesen. Es liegt daher nahe, dass der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaute. Sie erwarteten, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung, nach der die Ehedauer bei der Billigkeitsabwägung überragend bedeutsam ist, auch künftig bestehen würde.

     

    Die BGH-Rechtsprechung bezogen auf die Befristung des Aufstockungsunterhalts (§ 1573 Abs. 5 BGB a. F.) hat sich erst durch die BGH-Entscheidung vom 12.4.06 ergeben, mit der die neue Rechtslage schon beachtet worden ist.

     

    Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) prüfen

    Diese Veränderung der Vertragsgrundlage reicht jedoch nicht aus, um die Vereinbarung nach § 313 BGB anzupassen. Vielmehr muss Folgendes hinzukommen: Eine Partei wird dadurch belastet, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Ihr muss es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, unzumutbar sein, am Vertrag festzuhalten. Die Geschäftsgrundlage wird nicht gestört, wenn nach dem Vertrag derjenige das Risiko tragen muss, der sich auf die Störung beruft.

     

    Eine vertragliche Risikoübernahme liegt in dem Fall vor, dass die Parteien den umfassenden Anpassungsausschluss vereinbart haben. Dieser ergibt sich aber nicht daraus, dass sie einen lebenslangen Unterhalt verabredet und den Unterhalt pauschal ohne konkrete Berechnungsmodalitäten und ohne Rücksicht auf ihre tatsächlichen Einkommensverhältnisse festgelegt haben. Dies führt noch nicht dazu, dass die Vereinbarung in Bezug auf den Befristungseinwand auch bei nachträglich geänderter Gesetzeslage oder geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung absolut bindend wäre.

     

    M und F haben bestimmt, dass der Vergleich aus anderen als den darin selbst nummerierten Gründen nicht abänderbar sein soll. Enthält der Vertrag einen solchen ausdrücklichen Anpassungsausschluss, soll dieser unbedingt und ohne Rücksicht auf mögliche Störungen gelten. Die Risiken sollen dort verbleiben, wohin sie fallen. Für eine Auslegung dahingehend, dass der Abänderungsverzicht schwerwiegende Störungen der Geschäftsgrundlage nicht erfassen sollte, bestehen keine Anhaltspunkte.

     

    Insbesondere gibt es keine besonderen Umstände, die an dem Verständnis der Regelung als einem uneingeschränkten Anpassungsausschluss zweifeln lassen könnten. Auch schon zum Zeitpunkt des Vergleichs war Folgendes bekannt: Ändert sich die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, stellt dies eine Störung der Geschäftsgrundlage dar. Sie rechtfertigt, dass der Vergleich abgeändert wird. Deswegen musste den Vertragschließenden bei Vertragsabschluss bewusst sein, dass sie sich mit dem uneingeschränkten Abänderungsverzicht solcher Anpassungsmöglichkeiten begaben, die sich erst ergeben konnten, weil sich die Rechtslage nachträglich zu ihren Gunsten geändert hat.

    Relevanz für die Praxis

    Hat sich der Unterhaltspflichtige zu lebenslangen Unterhaltszahlungen verpflichtet, ist die Vereinbarung vorrangig auszulegen. Dabei sind stets zwei Aspekte zu prüfen:

     

    • Handelt es sich um einen vertraglich geregelten oder den gesetzlichen Unterhalt? I. d. R. wollen die Beteiligten den gesetzlichen Unterhalt regeln. Nur wenn eindeutige Anhaltspunkte erkennbar sind, die darauf schließen lassen, dass der Unterhalt völlig losgelöst vom gesetzlichen Leitbild zu berechnen ist, darf auf einen vertraglichen Unterhalt geschlossen werden.

     

    • Im vorliegenden Fall hat der BGH viele Anhaltspunkte herausgearbeitet, die eindeutig einen Bezug zur gesetzlichen Unterhaltsberechnung herleiten.

     

    • Bei der Auslegung ist zu prüfen, ob der Unterhalt nicht auch schon nach damaliger Rechtslage begrenzbar war, sodass die spätere Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. der Gesetzeslage insoweit keinen Abänderungsgrund darstellen kann. Denn der Unterhalt hätte schon nach damaliger Rechtslage erfolgen können. Hier ist insbesondere die Ehedauer maßgeblich. Bei einer nahezu zehnjährigen Ehe konnte auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Unterhalt nicht begrenzt werden. Insoweit sind nach § 1573 Abs. 5 BGB die Kinderbetreuungszeiten bei der Ehedauer zu berücksichtigen.

     

    • MERKE | Hier war die T zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sechs Jahre alt. Nach dem damaligen Altersphasenmodell endete der Betreuungsunterhalt erst mit dem 16. Lebensjahr der T. Dadurch verlängerte sich die bereits zum Vertragsabschluss sieben Jahre alte Ehe noch um weitere zehn Jahre, sodass von einer 17-jährigen Ehedauer auszugehen war, bei der auch nach damaliger höchstrichterlicher Rechtsprechung der Unterhalt nicht begrenzt werden konnte.

       

    Bezüglich der Risikoverteilung ist zu beachten, dass die Pflicht, lebenslang Unterhalt zu zahlen, anders zu beurteilen ist als der Verzicht auf sonstige Abänderungsgründe mit Ausnahme derer, die enumerativ im Vergleich aufgezählt waren. Darin sieht der BGH eine Risikoübernahme für alle Abänderungsmöglichkeiten, die nicht enumerativ aufgeführt worden sind. Folge: Bei schwerwiegender Veränderung der Vertragsgrundlage soll das Risiko dort bleiben, wohin es fällt. Hier lag es beim M, weil es für ihn ein günstiger Umstand war, dass sich die BGH-Rechtsprechung geändert hatte. Denn die Beteiligten hätten ohne Weiteres als weiteren Abänderungsgrund die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder die Gesetzesänderung aufführen können, die damals schon als Abänderungsgründe anerkannt waren.

     

    MERKE | Wenn nach der Ansicht des BGH von einem Abänderungsverzicht auch solche Abänderungsgründe erfasst werden, mit denen niemand zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gerechnet hat, ist dringend von derartigen Verzichtsvereinbarungen abzuraten. Würde z. B. die F dem M nach dem Leben trachten, wäre der Verwirkungseinwand nach § 1579 Nr. 3 BGB ebenfalls wegen der Risikoverteilung ausgeschlossen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • FamRZ 10, 192, die vorliegende Entscheidung führt die Rechtsprechung fort
    • FamRZ 12, 197, die vorliegende Entscheidung führt die Rechtsprechung fort
    • FamRZ 12, 525, die vorliegende Entscheidung führt die Rechtsprechung fort
    Quelle: Ausgabe 02 / 2016 | Seite 23 | ID 43555676