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  • · Fachbeitrag · Gestaltungshinweis

    Unternehmensbewertung ‒ zur Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens

    von Professor Dr. Gerhard Brüggemann, Rechtsanwalt, Münster

    | Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist bisher kaum Gegenstand grundsätzlicher Entscheidungen des BFH geworden. Ein Revisionsverfahren gegen ein Urteil des FG Düsseldorf (12.12.18, 4 K 108/18 F) hat dem BFH nun allerdings Gelegenheit gegeben, dessen Anwendungsbereich zu konkretisieren (BFH 2.12.20, II R 5/19, Abruf-Nr. 223508 ). Es ging um die grundsätzliche Frage, in welchem Verhältnis das vereinfachte Ertragswertverfahren zu anderen Bewertungsverfahren steht und unter welchen Voraussetzungen die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens i. S. d. § 199 Abs. 1 BewG zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. |

    1. Der zu beurteilende Sachverhalt

    In dem Verfahren ging es um die Bewertung von Anteilen an einer GmbH (§ 97 Abs. 1b BewG), deren beide Gesellschafter im Abstand von etwa vier Jahren verstorben waren. Der Erblasser, der mit einem Geschäftsanteil von circa 17 % Gesellschafter einer GmbH war, die insbesondere Kapitalvermögen für Anleger verwaltete, war am 1.1.11 verstorben. Erbin war seine Ehefrau. Weitere Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH waren u. a. der am Todestag des Erblassers 64-jährige B sowie C. Aufgrund von Gesellschafterbeschlüssen hatten die Gesellschafter B und C Sondergewinnbezugsrechte, sodass dem Erblasser im Ergebnis nur etwa 15 % des Gewinns der GmbH zustanden.

    2. Vereinfachtes Ertragswertverfahren versus IDW-Standard 1

    Das Finanzamt stellte auf den 1.1.11 den Wert des Anteils des Erblassers an der GmbH für Zwecke der Erbschaftsteuer im vereinfachten Ertragswertverfahren fest. Die Ehefrau ging davon aus, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führe, und übersandte eine gutachterliche Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers, in der der Wert des Anteils deutlich niedriger beziffert wurde. Der Unternehmenswert wurde darin unter Anwendung des Ertragswertverfahrens entsprechend den „Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ des Instituts der Wirtschaftsprüfer Standard 1 (IDW S 1) durch Abzinsung der künftigen finanziellen Überschüsse ermittelt.

     

    Der Wirtschaftsprüfer wies darauf hin, dass es sich nicht um ein vollständiges Unternehmensbewertungsgutachten nach IDW S 1 handele. Für eine solche Begutachtung seien Unterlagen und Informationen über die GmbH (u. a. Branchen- und Wettbewerbsanalysen, vertiefende Plausibilitätsbeurteilungen) erforderlich, die die Klägerin als Minderheitsgesellschafterin aber selbst unter Ausnutzung aller ihr aus dem Gesellschaftsrecht eingeräumten Auskunftsrechte nicht beschaffen könne. Die Ertragsprognose basiere im Wesentlichen auf den historischen Jahresergebnissen, die angepasst worden seien. Konkret erstellte Planungsrechnungen hätten nicht zur Verfügung gestanden. Außerdem werde in der Ertragsprognose berücksichtigt, dass die GmbH wegen ihrer hohen Personenbezogenheit auf B nur noch zeitlich begrenzt finanzielle Überschüsse erwirtschaften werde. Schließlich sei bei Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes im Rahmen des Risikozuschlags ein Betafaktor von 1,3 angesetzt worden.

     

    Das Finanzamt wies das Gutachten jedoch zurück, da es nach seiner Auffassung nicht den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Gutachtens, insbesondere nicht dem des IDW S 1, entsprach, und wendete stattdessen das vereinfachte Ertragswertverfahren an.

    3. Entscheidungskriterien für das anzuwendende Verfahren

    Der BFH stellt klar, dass die Finanzverwaltung das vereinfachte Ertragswertverfahren auch dann nicht als Auffangverfahren anwenden kann, wenn das von einem Steuerpflichtigen vorgelegte Gutachten den Anforderungen nicht genügt. Kernaussage der Entscheidung ist, dass für die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft allein der Steuerpflichtige die Wahl zwischen einem individuellen Ertragswertverfahren nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG und der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG hat. Nimmt der Steuerpflichtige eine Wertermittlung nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten (z. B. nach IDW S 1) vor, ist er nicht verpflichtet, gesondert darzulegen, dass die von ihm gewählte Methode grundsätzlich gegenüber anderen anerkannten Bewertungsmethoden oder dem vereinfachten Ertragswertverfahren vorzugswürdig ist. Diese Wertung führt in einem finanzgerichtlichen Streit über die Anerkennung von Gutachten zu weitgehenden Verfahrenskonsequenzen:

     

    MERKE | Kann sich das FG auf der Grundlage der Wertermittlung des Steuerpflichtigen nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG keine ausreichende Überzeugung von dem gemeinen Wert des Anteils bilden, hat es von Amts wegen geeignete Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, um den gemeinen Wert zu ermitteln, denn die Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren stellt keine Auffangmethode dar.

     

    Beachten Sie | Für ein Gutachten zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 und 2 BewG gelten die gleichen Anforderungen, wie der II. Senat des BFH sie für die Ordnungsmäßigkeit von Gutachten zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts bei Grundstücken gemäß § 198 BewG (BFH 25.4.18, II R 47/15, BStBl II 19, 144; BFH 24.10.17, II R 40/15, BStBl II 19, 21; BFH 12.6.20, II B 46/19, BFH/NV 20, 1273) bestimmt hat.

     

    Die in einem zur Wertermittlung nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG vorgelegten Gutachten nach IDW S 1 enthaltene Berücksichtigung der Abhängigkeit der Ertragskraft der nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft (hier: einer GmbH) von ihrem bisherigen Geschäftsführer ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, soweit mit dessen Ausscheiden am Stichtag bereits konkret zu rechnen war.

     

    Der BFH folgt damit der nahezu gleichlautenden ertragsteuerrechtlichen Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Falle einer Entnahme oder Betriebsaufgabe (BFH 12.6.19, X R 38/17, BStBl II 19, 518; BFH 10.4.19, X R 28/16, BStBl II 19, 474). Im Einzelnen gelten für die Wertfindung sowohl für Zwecke der Erbschaftsteuer als auch für die Ertragsteuer folgende Kriterien:

     

    • Auch unter Berücksichtigung des Stichtagsprinzips können Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten, aber so hinreichend konkretisiert sind, dass mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist.

     

    • Der Steuerpflichtige kann ein Sachverständigengutachten außergerichtlich einholen und in das finanzgerichtliche Verfahren als urkundlich belegten Beteiligtenvortrag einbringen.

     

    • Ein solches Gutachten bindet das FG zwar nicht. Allerdings wird es das FG seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn der Senat von der Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens überzeugt ist und auch keiner der Beteiligten substanziierte Einwendungen gegen die Richtigkeit erhebt (BFH 5.12.19, II R 9/18, BStBl II 21, 135, Rz. 13; BFH 28.4.20, IX B 9/20, BFH/NV 20, 904, Rz. 5).

     

    • Zur Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens gehören sowohl dessen methodische Qualität als auch eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen. Der Gutachter muss aus den festgestellten Fakten seine Schlussfolgerungen ziehen und diese zusammen mit den von ihm für richtig erkannten Annahmen im Gutachten dokumentieren.

     

    • Besteht Streit über die Richtigkeit der Methodik eines Gutachtens zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an nichtbörsennotierten Kapitalgesellschaften gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 und 2 BewG oder streiten sich die Beteiligten über den Ansatz einzelner Berechnungsparameter eines ansonsten methodisch beanstandungsfreien Gutachtens, bedarf dies der Sachaufklärung durch das FG.

     

    • Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen, berechtigt dies das FG nicht ohne Weiteres dazu, das Gutachten insgesamt unberücksichtigt zu lassen. Etwaige Lücken im Gutachten können vom FG selbst geschlossen werden, wenn und soweit dies ohne Sachverständige im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung möglich ist.

     

    • Sind einzelne Parameter eines zur Ermittlung des gemeinen Werts des Anteils nach der Methodik gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 BewG durch den Steuerpflichtigen vorgelegten Gutachtens nicht plausibel, muss das FG von Amts wegen entweder die beanstandeten Lücken schließen oder dem Steuerpflichtigen die entsprechende Nachbesserung aufgeben.

     

    • Erachtet das Gericht das Gutachten für ungenügend, kann es eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen (§ 412 Abs. 1 ZPO, § 82 FGO). Hiervon absehen kann das FG nur dann, wenn es ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese in den Entscheidungsgründen darlegt.

     

    • Die Verpflichtung des FG zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen gilt ‒ anders als bei der Nachweispflicht des Steuerpflichtigen gemäß § 198 BewG für Grundstücke ‒ auch dann, wenn der Steuerpflichtige sein Wahlrecht, den gemeinen Wert im vereinfachten Ertragswertverfahren zu ermitteln, nicht ausgeübt hat. Damit ergibt sich ein erheblicher Unterschied zur Anerkennung von Gutachten bei der Bewertung von Grundstücken. Während bei der Bewertung von Grundstücken die Nichtanerkennung von Gutachten zur Anwendung der im Bewertungsgesetz vorgesehenen Bewertungsmethoden gemäß §§ 178 ff. BewG führt (Vergleichswert, Ertragswert- oder Sachwertverfahren), können bei Vorlage eines Gutachtens nach den Grundsätzen des § 11 Abs. 2 S. 1 und 2 BewG weder das FA noch das FG ohne Weiteres dem vereinfachten Ertragswertverfahren den Vorrang einräumen.

     

    Beachten Sie | Überholt sein dürfte aufgrund dieser Rechtsprechung des BFH die Aussage in R B 199.1 Abs. 4 S. 6 ErbStR 2019. Kommt der Steuerpflichtige danach seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, kann entgegen R B 199.1 Abs. 4 S. 6 ErbStR 2019 gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Wahlrecht nicht vorliegen.

    4. Anwendungsbereich des Substanzwertverfahrens

    Der Streit um die richtige Bewertungsmethode kann bedeutungslos bleiben, wenn der Substanzwert höher ist und gemäß § 11 Abs. 2 S. 3 BewG als Mindestwert heranzuziehen ist. Nach wohl richtiger Auffassung des FG Düsseldorf stellt der Substanzwert des Betriebsvermögens i. S. d. § 11 Abs. 2 S. 3 BewG auch bei der Bewertung im vereinfachten Ertragswertverfahren den Mindestwert dar. Für die Bewertung mit dem Substanzwert besteht demnach kein Vorbehalt eines offensichtlich unzutreffenden Ergebnisses.

     

    Das FG Düsseldorf weist zwar darauf hin, dass an der Auslegung des Gesetzes Zweifel bestehen könnten, weil der Gesetzgeber die Regelung über den Mindestwert in § 11 Abs. 2 S. 3 BewG, die Verweisung auf die Bestimmungen über das vereinfachte Ertragswertverfahren aber erst in § 11 Abs. 2 S. 4 BewG getroffen hat. Es geht aber gleichwohl davon aus, dass die Mindestwert-Regelung des § 11 Abs. 2 S. 3 BewG auch bei der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens anzuwenden ist (so auch R B 11.5 Abs. 1 S. 1 ErbStR 2019).

     

    Noch weiter geht das FG Münster (15.4.21, 3 K 3724/19 F, EFG 21, 1177; Rev. BFH: II R 15/21). Danach soll der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 S. 3 BewG auch dann als Mindestwert anzusetzen sein, wenn die Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus Verkäufen unter fremden Dritten geltend gemacht wird (entgegen R B 11.3 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2011 bzw. R B 11.5 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019).

     

    Im Revisionsverfahren wird der BFH damit Gelegenheit bekommen, auch den Anwendungsbereich des Substanzwertverfahrens gegenüber anderen Bewertungsmethoden höchstrichterlich zu klären.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2021 | Seite 244 | ID 47642545

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