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  • · Fachbeitrag · Familienheim

    Update Familienheim: Keine Nachversteuerung trotz Verstoßes gegen Behaltens- und Verwendungsfristen

    von RA StB Dr. Thomas Stein, Ulm und StB Dipl.-Kauffrau Dr. Katrin Dorn, Hamburg

    | Die Steuerbefreiung für das „Familienheim“ ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung, wenn der Wert des Grundstücks die persönlichen Freibeträge i. S. d. § 16 ErbStG übersteigt oder diese bereits ausgeschöpft sind. Erfolgt die Übertragung des Familienheims nicht zu Lebzeiten, ist dies steuerfrei nur unter einer zehnjährigen Nachbehaltens- und Verwendungsfrist möglich, sofern keine im Gesetz vorgesehene Ausnahme vorliegt. Bei einem Verstoß gegen diese Frist kommt es zur Nachversteuerung des gesamten Erwerbs; eine (zeit-)anteilige Steuerbefreiung sieht das Gesetz nicht vor. Schon wegen der erheblichen steuerlichen Konsequenzen kommt den im Gesetz enthaltenen Ausnahmen entscheidende Bedeutung zu. Danach kann eine Nachversteuerung im Einzelfall beispielsweise ausscheiden, obwohl der Erwerber vorzeitig aus dem Familienheim ausgezogen ist. Der BFH hat jüngst zwei Entscheidungen veröffentlicht, in denen ein solcher Ausnahmefall zu bejahen sein könnte. Der Beitrag befasst sich mit den Praxisauswirkungen und weiteren Überlegungen. |

    1. Steuerbefreiung für das Familienheim bei Erwerb von Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG

    § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis c ErbStG sieht eine Steuerbefreiung für das sog. Familienheim vor. Variante a befreit die Übertragung des „Familienheims“ durch eine Zuwendung unter Lebenden von einem Ehe- bzw. eingetragenen Lebenspartner auf den anderen Partner von der Schenkungsteuer, soweit auf dem bebauten Grundstück eine eigene Wohnung zu Wohnzwecken, das sog. Familienheim, genutzt wird.

     

    Erfolgt die Übertragung hingegen durch Erwerb von Todes wegen, greifen die Varianten b und c. Nach Nr.  4b ist eine steuerfreie Übertragung eines Familienheims unter Eheleuten bzw. Ehepartnern möglich, nach Nr.  4c eine solche auf Kinder i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2 oder Kinder verstorbener Kinder i. S. d. Steuerklasse I Nr. 2. Voraussetzung ist, dass der Erblasser die übertragene Wohnung bis zum Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war.

     

    MERKE | Diese Steuerbefreiung greift allerdings nur dann, wenn die Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist. Die Steuerbefreiung nach § 13b Abs. 1 Nr. 4c ErbStG wird nur insoweit gewährt, als die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt; hierbei ist die Grundstücksfläche jedoch irrelevant. Sollte die Wohnfläche des Familienheims diese Größenbeschränkung übersteigen, ist im Anwendungsbereich von Nr. 4c lediglich eine anteilige Steuerbefreiung vorgesehen.

     

    Anders als die Steuerbefreiung zu Lebzeiten stehen die Übertragungen von Todes wegen unter einer zehnjährigen Nachbehaltens- und Verwendungsfrist. Daher entfällt die Steuerbefreiung mit Wirkungen für die Vergangenheit insgesamt, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt. Als Aufgabehandlungen betrachtet die Finanzverwaltung in R E 13.4 Abs. 6 S. 4 ErbStR den Verkauf, die Vermietung, aber auch einen längeren Leerstand oder eine unentgeltliche Überlassung.

     

    Beachten Sie | Ist der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, soll die Nachversteuerung unterbleiben. Eine solche Ausnahme wurde von der Rechtsprechung insbesondere bei Tod oder Unterbringung im Heim, nicht aber bei Umzug in eine kleinere Wohnung bejaht. Sollte es zu einer Nachversteuerung kommen, ist der Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Hierzu besteht nach R E 13.4 Abs. 6 S. 6 und 7 ErbStR eine Anzeigepflicht gem. § 153 Abs. 2 ErbStG.

    2. Keine Nachversteuerung bei verhinderter Selbstnutzung aus zwingenden Gründen

    Jüngst hatte der II. Senat des BFH Anlass, den Begriff der „zwingenden Gründe“ in zwei Urteilen näher abzugrenzen. Infrage stand, ob der jeweilige Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung der Wohnung gehindert war.

     

    2.1 BFH vom 1.12.21, II R 1/21 ‒ psychische gesundheitliche Probleme

    Dem Urteil vom 1.12.21 (II R 1/21) lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehefrau, auf welche das Familienheim nach dem Tod des Ehemanns steuerfrei nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG überging, litt an Depressionen. Zwei Jahre nach dem Erwerb veräußerte sie das Familienheim und zog in eine Eigentumswohnung um. Daraufhin nahm das Finanzamt eine Nachversteuerung vor, weil es die Auffassung der Erwerberin (Klägerin) nicht teilte, dass sie aus zwingenden Gründen an der Nutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert war. Die Erwerberin hingegen begehrte die Inanspruchnahme dieser Ausnahme des § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG, da sie eine depressive Erkrankung habe, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe. Daher habe sie dieses auf ärztlichen Rat hin verlassen. Das FG Münster gab noch der Finanzverwaltung recht, weil nach Ansicht des Gerichts keine zwingenden Gründe für den Auszug vorlagen, wonach der Klägerin die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei.

     

    Der BFH sah die Revision der Klägerin hingegen als begründet an und wies die Entscheidung zur anderweitigen Verhandlung an das Finanzgericht zurück. In tatsächlicher Hinsicht war es dem II. Senat nicht möglich, abschließend zu beurteilen, ob die Steuerbefreiung rückwirkend nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG entfallen ist. Das Finanzgericht hatte nicht alle erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen, um abschließend beurteilen zu können, ob sich das Urteil im Ergebnis dennoch als richtig erweist. Jedoch sei die Klage nicht allein deshalb abzuweisen, weil der Klägerin die selbstständige Haushaltsführung an einem anderen Ort als dem ererbten Familienheim möglich war.

     

    Denn eine Nachversteuerung des Erwerbs eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims erfolgt nicht, wenn der Erwerber aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist, d. h., diesem die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Dabei können auch gesundheitliche Beeinträchtigungen derartige zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbstständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unzumutbar machen. Entscheidend ist damit nicht die Unmöglichkeit der Selbstnutzung, sondern die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung als schwächerer Maßstab. Ein abgeschlossener Katalog von Gründen besteht diesbezüglich nicht.

     

    MERKE | Ob der Erwerber „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ ist, muss dabei bezogen auf das betreffende Eigenheim geprüft werden. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist nicht entscheidend. Insoweit trat der BFH der Auffassung des FG Münster entgegen. Denn dieses hatte mit Urteil vom 31.1.13 (3 K 1321/11 Erb, Abruf-Nr. 130968, EFG 13, 715) abweichend davon entschieden, dass nicht nur das Führen des Haushaltes im nämlichen Familienheim nicht möglich sei, sondern sich die Unmöglichkeit auf das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin bezieht und daher in der Person des Erwerbers begründet liegen muss.

     

    Dabei hat der BFH betont, dass die Feststellungslast für diejenigen Umstände, die die Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder objektiv unzumutbar erscheinen lassen, und damit dafür, ob eine Ausnahme vorliegt oder nicht, der Erwerber trägt. Zudem hat der BFH klargestellt, dass die Frage, ob eine Erkrankung vorliegt, die dazu führt, dass die Unzumutbarkeitsschwelle überschritten wird, regelmäßig allein mit Hilfe ärztlicher Begutachtung festgestellt werden kann.

     

    2.2 BFH vom 1.12.21, II R 18/20 ‒ Mängel am Haus und körperlicher Gesundheitszustand

    Ein vergleichbarer Fall lag dem zweiten Urteil vom 1.12.21 zugrunde (Abruf-Nr. 230108). Klägerin war hier die Alleinerbin ihres Vaters, von dem sie ein Grundstück mit einem 1951 erbauten Einfamilienhaus von Todes wegen im Jahr 2009 erhielt. Dieses Haus hatte die Tochter zunächst gemeinsam mit ihrem Vater bewohnt und wohnte auch nach dem Tod des Vaters weiterhin im Obergeschoss. Im Jahr 2016 zog die Klägerin aus dem Gebäude aus und ließ das Haus abreißen. Das Finanzamt erfuhr 2018 von diesem Sachverhalt und nahm eine Nachversteuerung vor. Die Klägerin trat dem mit den Argumenten entgegen, das Haus sei aufgrund vieler Mängel nicht mehr bewohnbar gewesen. Überdies konnte sie sich angesichts ihres Gesundheitszustands (Bandscheibenvorfälle und ein inoperables Hüftleiden) kaum mehr allein in dem Haus bewegen und sei daher in eine Erdgeschosswohnung auf dem Nachbargrundstück umgezogen. Das Finanzamt sah die gesundheitlichen Probleme hingegen nicht als nachgewiesen an und war zudem der Auffassung, diese Probleme hätten eine eigene Haushaltsführung nicht schlechthin ausgeschlossen. Dieser Auffassung ist das Finanzgericht gefolgt.

     

    Der II. Senat des BFH hingegen sah die Revision als begründet an und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurück. Denn auch in diesem Fall vermag der Senat auf Grundlage der Feststellungen des Finanzgerichts nicht abschließend zu entscheiden, ob die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 5 ErbStG rückwirkend weggefallen ist. Hierzu führte der BFH insbesondere aus, dass eine Nachversteuerung nach dem Gesetzeswortlaut zunächst voraussetzt, dass „der Erwerber das Familienheim … nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt“. Daher kann die unmittelbar folgende Wendung „an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ nur die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims meinen, sodass sich die Selbstnutzung nicht auf die Führung jeglichen Haushalts, auch anderenorts, erstreckt.

     

    Interessant und auslegungswesentlich sind auch die Erwägungen des II. Senats zur Entscheidungsbegründung. Eine (ungeschriebene) Voraussetzung der objektiven Unmöglichkeit einer allgemeinen Selbstnutzung verfehle die Zielrichtung der Vorschrift. Die Begünstigung des Familienheims in § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG soll u. a. das Familiengebrauchsvermögen erhalten und den gemeinsamen familiären Lebensraum schützen (vgl. BT-Drs. 16/11107, S. 9). An diesem Schutz des familiären Lebensraums ist auch die Rückausnahme der Zwangslage im Auslegungswege zu bemessen. Die Zwangslage muss sich daher auf das selbstständige Führen eines Haushalts im erworbenen Familienheim erstrecken.

     

    Das Kriterium der Zwangslage als Korrektiv ist erforderlich, um die Aufgabe der Selbstnutzung aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen ausschließen zu können.

     

    Beachten Sie | Von derartigen Zweckmäßigkeitserwägungen müssen Fälle abgegrenzt werden, in denen der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist ‒ also wenn eine Selbstnutzung ihm unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar wird. Eine Beschränkung auf die Fälle der objektiven Unmöglichkeit besteht aber gerade nicht, andernfalls erschöpfte sich der Anwendungsbereich der Rückausnahme praktisch im Tod des Erwerbers. Eine solche Regelung war ersichtlich nicht gesetzgeberisches Ziel.

     

    Selbst der Fall der Pflegebedürftigkeit, der im Gesetzgebungsverfahren als Beispiel diente (BT-Drs. 16/11107, S. 9) und auch von der Finanzverwaltung übernommen wurde (R E 13.4 Abs. 6 S. 9 ErbStR), begründet regelmäßig keine objektive Unmöglichkeit. Die Pflege kann im Allgemeinen auch mit Hilfe entsprechender Dienste im eigenen Heim durchgeführt werden. Ob dies wirtschaftlich sinnvoll ist, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Daher ist es vielmehr erforderlich, aber auch ausreichend, wenn dem Erwerber aus objektiven Gründen die Selbstnutzung des Familienheims nicht mehr zuzumuten ist. Bei der Prüfung im Einzelfall ist aber ein strenger Maßstab anzulegen, um eine verfassungswidrige Begünstigung zu vermeiden.

     

    Vermag der Erwerber diesen Lebensraum nicht mehr aus im Wesentlichen eigener Kraft auszufüllen, ist das Familienheim zur äußeren Hülle entwertet. Sollten zwingende Gründe vorliegen, nach denen der Erwerber an einer Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Zwecken gehindert ist, führt weder die spätere Aufgabe des Eigentums an dem Familienheim noch der Abriss des Gebäudes oder eine spätere Veräußerung zur Nachversteuerung. Sobald die Aufgabe der Selbstnutzung aufgrund eines zwingenden Grundes unschädlich ist, werden somit auch Folgeschritte vom Nachversteuerungstatbestand nicht erfasst.

     

    Der II. Senat stellt damit klar, dass selbst eine Grundstücksveräußerung dann keinen Verstoß gegen die Nachbehaltensfristen darstellen würde, wenn die Aufgabe der Selbstnutzung zuvor nachversteuerungsunschädlich war. Die Feststellungslast für diejenigen Umstände, die eine Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder aus objektiven Gründen unzumutbar erscheinen lassen, trägt dabei der Erwerber.

    3. Erkenntnisse aus den jüngeren Entscheidungen des BFH

    Zunächst einmal ist es erfreulich, dass der BFH zu den Ausnahmen, nach denen es trotz Aufgabe der Selbstnutzung des Familienheims zu keiner Nachversteuerung der Übertragung des Familienheims durch Erwerb von Todes wegen kommt, ausführlich Stellung bezogen hat. Dabei bestärkt der BFH den bereits bekannten Grundsatz, dass die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG für das Familienheim eng auszulegen ist, weil sie nur dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken entfaltet. Seit der Entscheidung II R 35/11 (BFH 18.7.13, II R 35/11, Abruf-Nr. 133448, BStBl II 13, 1051) ist diese verfassungsrechtliche Vorgabe zur Vermeidung einer Überprivilegierung die Leitlinie der Rechtsprechung zum Familienheim. Die Befreiungsvorschriften sollen nur den engeren Kernbereich begünstigen.

     

    Überdies ist zu beachten, dass auch die persönlichen Freibeträge nach § 16 ErbStG so bemessen wurden, dass die Übertragung eines Familienheims steuerfrei bleibt (Stein in: von Oertzen/Loose, ErbStG, § 16, Rn. 3; BT-Drs. 16/7918, 37). Diese Einschränkung gilt folglich auch für die in dieser Regelung enthaltene Rückausnahme, wann die fehlende Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken keine Nachversteuerung auslöst. Auch hier ist die Ausnahmeregelung eng auszulegen. Dabei stellt der BFH auch klar, dass sich die zwingenden Gründe, welche eine Aufgabe der Selbstnutzung rechtfertigen, auf das jeweilige Familienheim beziehen müssen.

     

    Der Prüfungsmaßstab, den der BFH für eine Ausnahme anwendet, sind die Ausführungen in der Gesetzesbegründung. Danach dient die Steuerbefreiung dazu, das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten. „Der Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums gebietet es jedoch andererseits, die Steuerbefreiung davon abhängig zu machen, dass der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner das Familienheim auch tatsächlich selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Gibt er diese Nutzung innerhalb von zehn Jahren auf, ist ein solcher Schutz nicht mehr geboten, so dass die Steuerbefreiung rückwirkend entfällt. Schädlich sind ein Verkauf oder eine Vermietung des Familienheims oder von Teilen davon oder ein längerer Leerstand. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ist auch noch gegeben, wenn der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner, zum Beispiel als Berufspendler, mehrere Wohnsitze hat, das Familienheim aber seinen Lebensmittelpunkt bildet. Der Wegfall der Steuerbefreiung soll dann nicht eintreten, wenn zwingende, objektive Gründe vorliegen, die das selbstständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen, z. B. eine entsprechende Pflegebedürftigkeit oder Tod“ (s. BT-Drs. 16/11107, S. 9 zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG. Eine entsprechende Begründung ist für § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG aufgeführt).

     

    Aus dieser Begründung ergibt sich zugleich, dass objektive Gründe vorliegen müssen und subjektive Gründe nicht entscheidend sind. Laut BFH reicht es nicht aus, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen an der Selbstnutzung gehindert fühlt (z. B. bei Umzug aus beruflichen Gründen oder wenn er einen kleineren Lebensraum beziehen möchte). Durch die Benutzung des Wortes „zwingend“ werden Gründe ausgeschlossen, kraft derer die Beendigung der Selbstnutzung aus Sicht des Erwerbers nachvollziehbar und auch verständig scheint, jedoch Gegenstand seiner freien Entscheidung ist. Dann gehört die Beendigung der Selbstnutzung zur privaten Lebensgestaltung des Erwerbers ‒ weil das Familienheim z. B. nach Art und Gestaltung nicht den persönlichen Vorstellungen des Erwerbers entspricht. Zu den zwingenden Gründen gehört nach Auffassung des BFH auch eine Unzumutbarkeit der Nutzung des Familienheims.

     

    3.1 An der Nämlichkeit der Nutzung ausgerichtete Prüfung

    In Zukunft wird daher zu prüfen sein, ob eine Unzumutbarkeit der Selbstnutzung als zwingender Grund in Bezug auf das nämliche Familienheim besteht. Somit kann eine Nachversteuerung auch dann unterbleiben, wenn der Erwerber in eine andere Wohnung umzieht, und nicht nur, wenn der Erwerber aus gesundheitlichen Gründen in ein (Pflege-)Heim ziehen muss.

     

    Dieser Prüfungsfokus ist die wesentliche Erkenntnis aus beiden Entscheidungen, da sowohl der Auszug aufgrund von Depressionen wie auch aufgrund eines nicht mehr selbstständig möglichen Lebens im Familienheim als zwingende Gründe für den Auszug vom BFH als möglich erachtet werden. Letzteres wird weitreichende Bedeutung für alle Fälle haben, in denen der Erwerber gebrechlich ist und daher das Familienheim aufgrund seines Zuschnitts und der baulichen Beschaffenheiten nicht mehr im Rahmen einer selbstständigen Lebensführung nutzen kann. Das Erfordernis barrierefreien Wohnens im Alter zur Ermöglichung einer Selbstnutzung einer Wohnung kann daher im Einzelfall ein zwingender Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung sein. Eine Nachversteuerung würde dann entfallen.

     

    Interessant werden aber auch die ausstehenden Entscheidungen der Finanzgerichte, da Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht nachzuholen sind. Hieraus werden sich weitere Leitlinien zu diesen Aspekten ableiten lassen können.

     

    3.2 Bauwerksbezogene Erwägungen

    Zugleich kann die bauliche Substanz des Gebäudes dennoch in den Prüfungsfokus der zwingenden Aufgabe der Selbstnutzung gelangen.

     

    Alleine der bauliche Zustand des Gebäudes bleibt zwar kein zwingender Grund, der eine unschädliche Aufgabe der Selbstnutzung bewirken kann. Schließlich ist der bauliche Zustand grundsätzlich anpassbar. Die Renovierung des Gebäudes oder deren Unterlassung ist primär eine wirtschaftliche Zweckmäßigkeitserwägung und bleibt eine solche auch infolge der beiden BFH-Entscheidungen.

     

    Wichtig wird aber die weitere Abgrenzungsfrage sein, welche Anpassungen dem Erwerber ‒ insbesondere aufgrund von Krankheiten und altersbedingten Veränderungen ‒ zumutbar sind. Als Leitlinie kann aus den jüngsten Entscheidungen die Vorgabe herausgearbeitet werden, dass der Erwerber diesen Lebensraum nicht mehr im Wesentlichen aus eigener Kraft auszufüllen vermag, wodurch das Familienheim zur äußeren Hülle entwertet wird.

     

    Denkbare zwingende Gründe für die Aufgabe der Selbstnutzung können damit unseres Erachtens auch gravierende Schadenfälle an der Immobilie sein, die eine Nutzung als Familienheim nicht mehr ermöglichen. Hierzu kann die Überlegung zum Umgang mit einer Immobilie, die nach einer Überflutung abbruchreif ist, helfen. In diesem Fall sind nicht reine Wirtschaftlichkeits- und damit Zweckmäßigkeitserwägungen betroffen, sondern die Nutzung des Familienheims als solches. Das bestehende Haus ist schlicht nicht mehr nutzbar.

     

    Ebenso wird die zwingende Aufgabe der Selbstnutzung zu erörtern sein, wenn aus der Gebäudesubstanz oder der Umgebung resultierende Einflüsse eine Selbstnutzung des Familienheims nicht mehr ermöglichen. Schimmelbefall des Gebäudes, der zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Erwerbers führt, mag noch als Zweckmäßigkeitserwägung angesehen werden, sofern eine Renovierung des Gebäudes einen solchen Mangel beseitigen kann. Offen bleibt aber, ob diese Wirtschaftlichkeitserwägung zu einem faktischen Zwang zum Auszug erwachsen kann, wenn für den jeweiligen Erwerber eine solche Renovierung offensichtlich nicht möglich bzw. nicht finanzierbar ist. Dann kann die Weiternutzung des Familienheims aus objektiven Gründen unzumutbar sein und sich damit nicht mehr als reine Zweckmäßigkeitserwägung darstellen.

     

    Auftretende Emissionen mit entsprechenden gesundheitlichen Belastungen werden ebenfalls als objektiv unzumutbare Gründe zu prüfen sein. Wiederum dürfte es auf den Prüfungsmaßstab ankommen, ob damit das Familienheim für den jeweiligen Erwerber zur bloßen Hülle verkommt. Solange auftretender Umgebungslärm etwa durch einen Fensteraustausch als Renovierungsmaßnahme beseitigt werden kann, würde sich die Aufgabe der Selbstnutzung noch als Zweckmäßigkeitserwägung erweisen. Sobald der Lärmbelästigung allerdings nicht durch bauliche Maßnahmen beizukommen ist und zugleich erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen des Erwerbers aus diesem Grund bestehen, kann dies zu einer objektiven Unzumutbarkeit der fortwährenden Selbstnutzung führen.

     

    3.3 Festlegung einer Prüfungsreihenfolge

    Wesentlich ist zugleich die Erkenntnis, dass für die Prüfung des Nachversteuerungstatbestands bei § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG eine Prüfungsreihenfolge besteht. Es kommt nicht entscheidend auf die Veräußerung des Grundstücks an, sondern auf die objektive Möglichkeit und Zumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims über diesen 10-Jahreszeitraum hinweg.

     

    Tritt aber ein zwingender Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung auf, wird das zehnjährige Selbstnutzungserfordernis insgesamt beendet. Weitere an sich nachsteuerschädliche Handlungen wie Veräußerungen bleiben in der Folgezeit unschädlich. Die Selbstnutzungsfrist und -kontrolle wird mit dem Auftreten des zwingenden Grundes insgesamt beendet.

     

    FAZIT UND AUSBLICK | Die Beurteilung der Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen in dem jeweiligen Fall eine Ausnahme vorliegt, nach welcher eine Nachversteuerung der Übertragung des Familienheims nicht erfolgt, wird die Praxis (weiterhin) vor große Herausforderungen stellen und nur in wenigen Fällen eindeutig beantwortet werden können. Insoweit sind die Ausführungen des BFH zwar zu begrüßen, sie werden jedoch nur in wenigen Fällen eine Nachversteuerung eindeutig verhindern können. Insoweit wird in vielen Fällen die unbefriedigende Situation verbleiben, dass eine Nachversteuerung erfolgen muss, wenn gegen die zehnjährige Nachbehaltens- und Verwendungsfrist verstoßen wird.

     

    Unverändert bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG entsprechend den Bedürfnissen der Erwerber anpasst. Die derzeitige Regelung, dass ein Familienheim unverändert über zehn Jahre ‒ insbesondere nach Tod des eigenen Ehe- bzw. Lebenspartners ‒ beibehalten wird, entspricht in einer Vielzahl der Fälle nicht der Lebenswirklichkeit. Dies zeigt der vom BFH entschiedene Fall, in dem die Ehefrau nach dem Tod ihres Ehemanns an einer Depression litt, deutlich. Zudem ist zu überlegen, ob bei Aufgabe der Selbstnutzung des nämlichen Familienheims eine vollumfängliche Nachversteuerung erfolgen muss, wenn der Erwerber nicht aus zwingenden Gründen, aber aus beruflichen oder privaten Gründen die Selbstnutzung des Familienheims aufgibt und in einer anderen Stadt oder in der gleichen Gegend ein solches (vielleicht kleineres, dem Alter und den neuen Lebensumständen angemessenes) Familienheim begründet. Durch eine entsprechende Reinvestitionsklausel könnte eine Nachversteuerung (ggf. nur anteilig) vermieden und gleichwohl, wie vom Gesetzgeber gewünscht, der familiäre Lebensraum geschützt werden.

     

    Vorstellbar wäre eine Regelung, die vergleichbar der Behaltensfrist in § 13a Abs. 6 ErbStG für betriebliches Vermögen ausgestaltet wird, d. h., eine Reinvestitionsklausel enthält und zudem ein Abschmelzen des nachversteuerungspflichtigen Betrags unter Berücksichtigung der bereits abgelaufenen Behaltensfrist vorsieht. Würde das Familienheim beispielsweise nach fünf Jahren nicht mehr selbst benutzt (z. B. aufgrund eines beruflichen Wohnortwechsels), würde es danach nur zu einer zeitanteiligen Nachversteuerung kommen, indem die bereits abgelaufene Behaltensfrist berücksichtigt wird. Zugleich könnte durch eine Reinvestitionsklausel vorgesehen werden, dass es zu keiner Nachversteuerung kommt, soweit das Familienheim verkauft und von dem Veräußerungserlös ein neues Familienheim erworben wird, auf das dann die noch nicht abgelaufene Behaltens- und Verwendungsfrist übergeht. Zwar würde durch eine solche Regelung nicht das übertragene Familienheim geschützt, wohl aber das Familienheim als solches. Dies erscheint insbesondere für Übertragungen von Todes wegen durchaus zweckmäßig und ggf. auch sachgerecht, weil die Steuerfreiheit für die Übertragung zu Lebzeiten gerade nicht unter einer Nachbehaltens- und Verwendungsfrist steht.

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2022 | Seite 276 | ID 48628606

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