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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Erwerb mehrerer wirtschaftlicher Einheiten und Optionsmodell: Der BFH hat sich klar positioniert!

    von Professor Dr. Gerhard Brüggemann, Münster

    | Mit Urteil vom 26.7.22 (II R 25/20, Abruf-Nr. 231915 ) zur Ausübung der optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen beim Erwerb mehrerer wirtschaftlicher Einheiten hat der BFH sich in einer für die Praxis äußerst wichtigen Thematik positioniert. Es ging um die Frage, ob bei der einheitlichen Schenkung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten die Verwaltungsvermögensquote nach § 13b Abs. 2 ErbStG a. F. und die sog. Optionsverschonung des § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. jeweils isoliert für jede wirtschaftliche Einheit oder einheitlich für alle wirtschaftlichen Einheiten zu ermitteln bzw. anzuwenden sind. Die Entscheidung ist zwar zur vor dem 1.7.16 maßgeblichen Rechtslage ergangen. Da diese aber der neuen Rechtslage im Grundsatz entspricht, erfordert das Urteil eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Der folgende Musterfall geht der Frage nach, welche Folgewirkungen sich aus der Entscheidung des BFH für „Altfälle“ und für die Rechtslage nach dem 30.6.16 ergeben. |

    1. Musterfall ‒ nach BFH II R 25/20

    Die Tochter erhält am 31.12.01 schenkweise Beteiligungen an vier KG übertragen (KG I, KG II, KG III und KG IV). Das Finanzamt gewährt für alle erworbenen KG-Beteiligungen zunächst die Regelverschonung i. H. v. 85 % (§ 13a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 13b Abs. 4 ErbStG a. F.). In der Folge stellt das für die Bewertung zuständige Finanzamt die Werte der Anteile am Betriebsvermögen für Zwecke der Schenkungsteuer sowie die Verwaltungsvermögensquoten der vier Anteile gesondert fest. Für den Anteil an der KG II stellt es im Verhältnis zum begünstigten Vermögen eine Verwaltungsvermögensquote von 13,74 % fest. Für die Anteile an der KG I, KG III und KG IV stellt es Verwaltungsvermögensquoten von nicht mehr als 10 % fest. Das Verwaltungsvermögen für alle vier KG-Anteile zusammengerechnet ergibt im Verhältnis zum begünstigten Vermögen aller Anteile eine Verwaltungsvermögensquote von unter 10 %.

     

    Im Einspruchsverfahren erklärt die Tochter, dass sie für den gesamten Erwerb des begünstigten Vermögens die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. (100 %-Vollverschonung) in Anspruch nehmen will. Sie begründet ihren Antrag damit, dass bei konsequenter Anwendung der Auffassung der Finanzverwaltung, wonach der Antrag zur Vollverschonung nur einheitlich für alle erworbenen wirtschaftlichen Einheiten gestellt werden könne, auch die Verwaltungsvermögensquote einheitlich zu berechnen sei. Ergänzend vertritt sie die Auffassung, dass für den Anteil an der KG II die Regelverschonung zur Anwendung kommt, sollte die Verwaltungsvermögensquote entgegen ihrer Auffassung je Betrieb zu ermitteln sein.

     

    Aufgrund des Antrags gewährt die Finanzverwaltung für die übertragenen Anteile an der KG I, KG III und KG IV die Vollverschonung, für den Anteil an der KG II jedoch weder die Vollverschonung noch die Regelverschonung.

    2. Maßgebliche Verwaltungsvermögensquote für Vollverschonung

    Eine Vollverschonung ist gemäß der vor dem 1.7.16 maßgeblichen Rechtslage (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F.) für eine wirtschaftliche Einheit zu gewähren, wenn ein Erwerber begünstigten Vermögens einen entsprechenden Antrag stellt und das Verwaltungsvermögen die Grenze von 10 % nicht überschreitet. Ist dies der Fall, wird der gesamte Unternehmenswert einschließlich des Verwaltungsvermögens mit 100 % begünstigt. Wird die Vollverschonung nicht beantragt und hat die wirtschaftliche Einheit Verwaltungsvermögen von mehr als 10 % bis zu 50 %, wird der gesamte Unternehmenswert einschließlich des Verwaltungsvermögens mit 85 % begünstigt.

     

    Eine Vollverschonung ist gemäß der nach dem 30.6.16 maßgeblichen Rechtslage (§ 13a Abs. 10 ErbStG) für eine wirtschaftliche Einheit zu gewähren, wenn ein Erwerber begünstigten Vermögens einen entsprechenden Antrag stellt und das Verwaltungsvermögen gemäß § 13b Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG eine Grenze von 20 % nicht überschreitet. Ist dies der Fall, wird nicht mehr der gesamte Unternehmenswert, sondern nur das begünstigte Vermögen (ohne das steuerpflichtige Verwaltungsvermögen) mit 100 % begünstigt. Wird die Vollverschonung nicht beantragt, wird das begünstigte Vermögen (ohne das steuerpflichtige Verwaltungsvermögen) mit 85 % begünstigt.

    3. Bisherige Auffassung der Finanzverwaltung

    Will der Erwerber die Vollverschonung von 100 %, muss er den Antrag auf Vollverschonung (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F. § 13a Abs. 10 ErbStG) bei dem für die Erbschaft- oder Schenkungsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich stellen oder zur Niederschrift abgeben. Er kann den Antrag bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft der Festsetzung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer stellen. Ist der Antrag gestellt, kann er nach Zugang dieser Willenserklärung beim ErbSt-FA nicht mehr widerrufen werden (RE 13a.21 Abs. 2 ErbStR 2019).

     

    Beachten Sie | Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Verwaltungsvermögensquote auch im Fall der Vollverschonung für jede wirtschaftliche Einheit gesondert zu prüfen (RE 13b.12 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019).

     

    Zudem ist die Finanzverwaltung der Auffassung, dass der Erwerber den Antrag auf Optionsverschonung (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F., § 13a Abs. 10 ErbStG) im Erbfall insgesamt nur einheitlich für alle Arten des erworbenen begünstigungsfähigen Vermögens (L+F-Vermögen, Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften) stellen kann (RE 13a.21 Abs. 1 S. 1 ErbStR 2019). Auch bei Schenkungen mit z. B. mehreren Betriebsübertragungen in mehreren Schenkungsverträgen soll nach Auffassung der Finanzverwaltung bei Vorliegen eines einheitlichen Schenkungswillens von nur einer Schenkung auszugehen sein (RE 13a.21 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019).

     

    Stellt ein Erwerber begünstigten Vermögens daher einen Antrag auf Vollverschonung, ist diese nur für die übertragenen wirtschaftlichen Einheiten zu gewähren, bei denen das Verwaltungsvermögen gemäß der Rechtslage vor dem 1.7.16 (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F.) die Grenze von 10 %, gemäß der Rechtslage nach dem 30.6.16 (§ 13a Abs. 10 ErbStG, § 13b Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG) die Grenze von 20 % nicht überschreitet. Für wirtschaftliche Einheiten, die über Verwaltungsvermögen von mehr als 10 % bis zu 50 % (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F.) bzw. von mehr als 20 % (§ 13a Abs. 10 ErbStG, § 13b Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG) verfügen, kommt nach bisheriger Auffassung der Finanzverwaltung dann jedoch weder eine Vollverschonung noch eine Regelverschonung in Betracht (RE 13a.21 Abs. 4 S. 1 und 2 ErbStR 2019).

     

    Geht der Antrag allerdings ins Leere, weil das Verwaltungsvermögen aller übertragenen wirtschaftlichen Einheiten mehr als 10 % bis zu 50 % (§ 13a Abs. 8 ErbStG a. F.) bzw. mehr als 20 % (§ 13a Abs. 10 ErbStG, § 13b Abs. 3 und Abs. 4 ErbStG) beträgt, soll trotz des Antrags auf Vollverschonung die Regelverschonung nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG möglich sein. Dies soll auch dann gelten, wenn erst nachträglich ermittelt wird (z. B. im Rahmen einer Betriebsprüfung), dass die Verwaltungsvermögensgrenze für die Optionsverschonung in allen wirtschaftlichen Einheiten nicht erfüllt ist (RE 13a.21 Abs. 4 S. 3 und 4 ErbStR 2019). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Aussagen in RE 13a.21 Abs. 4 S. 1 bis 4 ErbStR 2019 gemäß RE 13a.21 Abs. 4 S. 5 ErbStR 2019 auch gelten sollen, wenn nur eine wirtschaftliche Einheit erworben wird.

     

    • Zwischenergebnis

    Im vorliegenden Musterfall durfte die Finanzverwaltung gemäß ihren bisherigen Verwaltungsanweisungen daher nur für die Anteile an der KG I, KG III und KG IV die Steuerverschonung gewähren und ‒ da der Antrag auf Vollverschonung für alle vier wirtschaftlichen Einheiten gestellt worden war ‒ für die Anteile an der KG II auch keine Regelverschonung gewähren.

     

    4. Bisherige Rechtsprechung zur Optionsverschonung

    4.1 Urteil des FG Münster vom 9.12.13 zu einem Erbfall

    Die Auffassung der Finanzverwaltung für den Erbfall fand zunächst Unterstützung in einem zu § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. ergangenen Urteil des FG Münster (9.12.13, 3 K 3969/11 Erb, rkr.; EFG 14, 660). Das FG leitete aus dem Wortlaut des § 13a ErbStG a. F. ab, dass der Antrag auf Optionsverschonung für verschiedene durch Erbfall erworbene wirtschaftliche Einheiten nur einheitlich gestellt werden kann. Damit seien bei Ausübung des Wahlrechts alle erworbenen wirtschaftlichen Einheiten an § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. zu messen.

     

    4.2 Urteil des FG Münster vom 9.7.18 zu Schenkungen von GmbH-Anteilen

    Für eine Schenkung von drei GmbH-Anteilen hat das FG Münster (9.7.18, 3 K 2134/17, ZEV 18, 674 bis 676) dann allerdings entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung die Ansicht vertreten, dass grundsätzlich jede Schenkung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gesondert zu behandeln ist. Dies gilt unabhängig davon, was Gegenstand der Zuwendung ist, ob bei mehreren Zuwendungen diese an einem oder mehreren Tagen erfolgt und ob die Schenkungsversprechen in einem Schriftstück bzw. einer notariellen Urkunde zusammengefasst sind oder jedes Schenkungsversprechen getrennt erfolgt.

     

    MERKE | Ob bei Schenkung mehrerer selbstständiger Gegenstände in einem (notariellen) Vertrag oder in mehreren (notariellen) Verträgen eine einheitliche Schenkung vorliegt, bestimmt sich nach Ansicht des FG Münster letztlich nach dem Parteiwillen, dessen Feststellung Tatfrage ist. Allein aus dem Umstand, dass drei Geschäftsanteile an verschiedenen Kapitalgesellschaften am selben Tag in direkt aufeinanderfolgenden Urkunden übertragen wurden, könne nicht auf einen einheitlichen Schenkungswillen geschlossen werden. Das FG hat daher einen einheitlichen Schenkungswillen verneint und drei eigenständige Schenkungen angenommen. Die Folge war, dass für jede Einheit gesondert entschieden werden konnte, ob eine Verschonung mit 85 % oder 100 % in Anspruch genommen wird.

     

    4.3 Urteil des FG Münster vom 10.9.20 zu Schenkungen von KG-Anteilen

    Das FG Münster (10.9.20, 3 K 2317/19 Erb, EFG 20, 1713) hat als Vorinstanz zu dem jetzt vom BFH beurteilten Musterfall die Auffassung der Finanzverwaltung erneut bestätigt. Es hat entschieden, dass die Verwaltungsvermögensquote bei der einheitlichen Schenkung mehrerer Kommanditanteile für jeden Anteil gesondert zu ermitteln ist und der Antrag auf Optionsverschonung ‒ wie im Erbfall ‒ entsprechend dem Gesetzeswortlaut nur einheitlich für die gesamte Schenkung gestellt werden kann. Eine Inanspruchnahme der Regelverschonung für einzelne wirtschaftliche Einheiten komme nicht in Betracht. Dies folge u. a. daraus, dass der Antrag auf Optionsverschonung nur unwiderruflich erklärt werden könne.

     

    In einem „obiter dictum“ zweifelte das FG Münster zudem an, ob die Auffassung der Finanzverwaltung zutrifft, dass ein Rückfall auf die Regelverschonung zumindest dann möglich sein soll, wenn keine der wirtschaftlichen Einheiten die Voraussetzungen der Optionsverschonung erfüllt.

     

    • Zwischenergebnis

    Für den vorliegenden Musterfall ergibt sich somit als Zwischenergebnis, dass auch nach Auffassung des FG Münster nur für die Anteile an der KG I, KG III und KG IV die Steuerverschonung gewährt werden durfte und ‒ da der Antrag auf Vollverschonung für alle wirtschaftlichen Einheiten gestellt worden war ‒ für die Anteile an der KG II auch die Regelverschonung nicht gewährt werden durfte.

     

    5. Entscheidung des BFH zur Rechtslage vor dem 1.7.16

    Der BFH (26.7.22, II R 25/20, DStR 22, 2150) hat sich jetzt sowohl zur Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote als auch zu den Folgen eines Antrags auf Vollverschonung geäußert. Das Urteil steht hinsichtlich der Folgen eines Antrags auf Vollverschonung den bisherigen ErbStR und auch der Rechtsprechung des FG Münster entgegen und dürfte zu einer Anpassung der ErbStR führen.

     

    5.1 Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote

    Der BFH ist der Auffassung der FinVerw und des FG Münster zur Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote gefolgt und hat für die Rechtslage vor dem 1.7.16 entschieden, dass der relevante Anteil des Verwaltungsvermögens in Bezug auf jede übertragene wirtschaftliche Einheit und damit für jeden übertragenen Anteil an einer Gesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG gesondert zu ermitteln ist. Das gilt sowohl für die Regelverschonung nach § 13a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 13b Abs. 1, 2 und 4 ErbStG a. F. (nicht > 50 %) als auch für die über § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. eröffnete Vollverschonung (nicht > 10 %).

     

    5.2 Willenserklärung zur Vollverschonung je wirtschaftliche Einheit möglich

    Der BFH hat jedoch entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung und entgegen der Auffassung des FG Münster weiter entschieden, dass bei einer einheitlichen Schenkung von mehreren wirtschaftlichen Einheiten die Erklärung zur optionalen Vollverschonung für jede wirtschaftliche Einheit gesondert abgegeben werden kann. Dem „obiter dictum“ des FG Münster folgend hat er aber ‒ entgegen der großzügigeren Auffassung der Finanzverwaltung ‒ auch entschieden, dass keine Verschonung (auch nicht die Regelverschonung!) zu gewähren ist, wenn die Erklärung zur optionalen Vollverschonung für eine wirtschaftliche Einheit abgegeben wird und diese wirtschaftliche Einheit die Anforderungen an die Vollverschonung nicht erfüllt.

     

    Hierzu weist er zunächst darauf hin, dass durch die Rechtsprechung bereits entschieden ist, dass die für einen Übertragungsfall erklärte optionale Vollverschonung jedenfalls keine Wirkung für weitere Übertragungsfälle hat. Vielmehr kann der Beschenkte oder Erbe in jedem Übertragungsfall neu entscheiden, ob er die optionale Vollverschonung wählt und sich deren Voraussetzungen unterwirft. Nach seiner Auffassung bietet das Gesetz zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erklärung nur einheitlich für alle wirtschaftlichen Einheiten abgegeben werden könne.

     

    5.3 Notwendigkeit der Auslegung der Willenserklärung

    Ob und in welchem Umfang eine Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. abgegeben wurde, ist durch Auslegung der abgegebenen Willenserklärung zu ermitteln. Im entschiedenen Fall legt der BFH die Erklärung der Tochter dahingehend aus, dass sie auch für den Erwerb der Anteile der KG II die Vollverschonung unwiderruflich erklärt hat. Hierzu führt er aus:

     

    „Anders als die Klägerin (Tochter) nunmehr im Revisionsverfahren ‒ erstmals ‒ vorträgt, kann ihre Erklärung hinsichtlich der Gewährung der Vollverschonung nicht dahingehend verstanden werden, dass sie sich auf die Anteile an der KG I, KG III und KG IV beschränkt habe. Ihr Hauptbegehren im verwaltungs- und anschließenden Klageverfahren war stets auf eine einheitliche Berechnung der Verwaltungsvermögensquote gerichtet, der nach Auffassung der Klägerin konsequenterweise ein einheitlicher Optionsantrag entspreche. Dieses Begehren führte sie auch im Revisionsverfahren als Hauptantrag fort und beantragte eine Steuerfestsetzung von 0 EUR. Lediglich als Hilfsbegründung wurde der Rückfall auf die Regelverschonung angeführt.“

     

    5.4 Folgen der Willenserklärung zur Vollverschonung

    Wird die optionale Vollverschonung für eine wirtschaftliche Einheit erklärt, die die Anforderungen daran nicht erfüllt, ist für diese wirtschaftliche Einheit auch die Regelverschonung nach § 13a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG a. F. nicht zu gewähren, auch wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind. Das Tatbestandsmerkmal „unwiderruflich“ hätte nach Auffassung des BFH keine Bedeutung, wenn in solchen Fällen quasi als Auffangtatbestand die Regelverschonung i. H. v. 85 % greifen würde.

     

    Nach dem Wortlaut des § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. ist erst nach Ausübung der Option zu prüfen, ob die erworbene wirtschaftliche Einheit (u. a.) die Verschonungsvoraussetzung nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 i. V. m. § 13b Abs. 2 S. 1 ErbStG a. F. erfüllt, d. h., die Verwaltungsvermögensquote weniger als 10 % beträgt. Wird die Voraussetzung nicht erfüllt, ist für die erworbene wirtschaftliche Einheit weder die Vollverschonung noch die Regelverschonung zu gewähren. Die Gewährung der Regelverschonung für die einzelne Wirtschaftseinheit setzt daher voraus, dass der Erwerber für diese wirtschaftliche Einheit keine Erklärung zur optionalen Vollverschonung abgegeben hat.

     

    Das Ziel der Vollverschonung besteht darin, dem Steuerpflichtigen einen vermehrten Anreiz für die Einhaltung der strengeren Verschonungsvoraussetzungen zu geben, um den gesetzgeberischen Zweck ‒ den bestehenden Betrieb des Erblassers oder Schenkers und dessen Arbeitsplätze zu schützen ‒ in noch weiterem Umfang zu verwirklichen. Der BFH vertritt hierzu die etwas provokant wirkende Auffassung, dass auch der drohende Verlust der Regelverschonung zu diesen „Anreizen“ gehört.

     

    • Ergebnis

    Der BFH geht davon aus, dass bei der Berechnung der Verwaltungsvermögensquote eine Einzelbetrachtung vorzunehmen ist und deshalb auch eine mögliche Erklärung zur Vollverschonung jeweils pro wirtschaftlicher Einheit abgegeben werden muss. Nur für die Einheiten, für die eine Erklärung zur Vollverschonung abgegeben worden ist, gilt das „Alles-oder-Nichts“-Prinzip. Für den Musterfall bedeutet dies, dass eine Vollverschonung für die Übertragung der Anteile an der KG II nach der vor dem 1.7.16 maßgeblichen Rechtslage nicht gewährt werden kann, da die Verwaltungsvermögensquote des Anteils an der KG II über 10 % liegt und der Antrag auf Vollverschonung nach der Willenserklärung der Tochter auch für diese wirtschaftliche Einheit gestellt worden ist. Wäre nach Auslegung der Willenserklärung für die wirtschaftliche Einheit KG II kein Antrag gestellt worden, wäre dafür laut BFH die 85 %-Verschonung zur Anwendung gekommen.

     

    6. Schlussfolgerungen für die Rechtslage nach dem 30.6.16

    Auch das aktuelle ErbStG enthält in § 13a Abs. 10 S. 1 Nr. 1 ErbStG die Möglichkeit einer Option zur Vollverschonung. Erforderlich ist dafür u. a., dass das begünstigungsfähige Vermögen nicht zu mehr als 20 % aus Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG besteht (§ 13a Abs. 10 S. 2 ErbStG).

     

    6.1 Berechnung des Anteils des Verwaltungsvermögens

    Der Anteil des Verwaltungsvermögens am gemeinen Wert des Betriebs bestimmt sich nach dem Verhältnis der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG zum gemeinen Wert des Betriebs. Bei der Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote sind die quotale Schuldenverrechnung und der Freibetrag für das Verwaltungsvermögen nicht anzuwenden (RE 13a.21 Abs. 3 ErbStR 2019). Die Ermittlung der Quote erfolgt durch das ErbSt-Finanzamt.

     

    • Beispiel

    Der vom Betriebsfinanzamt festgestellte Wert des Einzelunternehmens beträgt 2.000.000 EUR. Der vom Betriebsfinanzamt festgestellte Wert der Wertpapiere beträgt 200.000 EUR, der festgestellte Wert der Finanzmittel 1.000.000 EUR und der Schulden 750.000 EUR. Der vom Betriebsfinanzamt ebenfalls festgestellte Wert des Sockelbetrags von 15 % beträgt 150.000 EUR, sodass nach Anwendung von § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG noch Finanzmittel von 100.000 EUR verbleiben. Die Verwaltungsvermögensquote ermittelt sich demgemäß wie folgt:

     

     

    6.2 Folgen des Antrags auf Vollverschonung

    Aufgrund der ähnlichen Gestaltung der aktuellen Fassung hinsichtlich der unwiderruflichen Erklärungsausübung und der Notwendigkeit der Ermittlung einer Verwaltungsvermögensquote ist davon auszugehen, dass die Grundsätze des BFH-Urteils auch auf die aktuelle Fassung der Vollverschonungsoption übertragen werden können. Die Folgen eines Antrags auf Vollverschonung seien an zwei Beispielen verdeutlicht.

     

    • Beispiel 1

    Erbfall wie folgt:

    Anteil KG
    Anteil GmbH

    Gemeiner Wert EUR

    5.500.000 EUR

    5.500.000 EUR

    Davon begünstigt

    4.620.000 EUR

    4.950.000 EUR

    Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 3 und 4 ErbStG)

    1.300.000 EUR

    1.000.000 EUR

    Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 7 ErbStG)

    880.000 EUR

    550.000 EUR

     

    Wird mit eindeutiger Willenserklärung nur für den Anteil an der GmbH ein Antrag gestellt, erhält der Erwerber eine Verschonung von 4,95 Mio. EUR für den Anteil an der GmbH. Für den Anteil an der KG erhält der Erwerber entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung und des FG Münster im Urteil vom 9.12.13 nicht 0 % Verschonung, sondern laut BFH eine Verschonung von 85 % von 4,62 Mio. EUR.

     

    • Beispiel 2

    Erbfall wie folgt:

    Anteil KG
    Anteil GmbH

    Gemeiner Wert EUR

    5.500.000 EUR

    5.500.000 EUR

    Davon begünstigt

    4.620.000 EUR

    4.950.000 EUR

    Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 3 und 4 ErbStG)

    1.300.000 EUR

    1.120.000 EUR

    Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 7 ErbStG)

    880.000 EUR

    550.000 EUR

     

    Wird eindeutig nur für den Anteil an der GmbH ein Antrag gestellt, geht der Antrag ins Leere, da in der wirtschaftlichen Einheit GmbH (ebenso wie in der KG) das Verwaltungsvermögen mehr als 20 % beträgt. Für den Anteil an der GmbH erhält der Erwerber entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (85 %) nach Ansicht des BFH gar keine Verschonung, auch nicht die Regelverschonung von 85 %.

     

    Für den Anteil an der KG erhält der Erwerber ‒ wenn auch mit unterschiedlicher Begründung ‒ sowohl nach Auffassung der Finanzverwaltung (Antrag geht ins Leere) als auch nach Auffassung des BFH (Antrag auf Vollverschonung gilt nur für die GmbH) die Verschonung von 85 % von 4,62 Mio. EUR.

    7. Bedeutung der materiellen Bestandskraft

    Der Antrag auf Optionsverschonung sollte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH aufgrund des Risikos eines vollständigen Verlustes bei Überschreitung der 20 %-Grenze („Alles-oder-Nichts“-Prinzip) möglichst spät, aber nicht zu spät gestellt werden. Solange der ErbSt-Bescheid formal nicht bestandskräftig wird, kann der Antrag noch gestellt werden. Gemäß § 13a Abs. 10 ErbStG und R E 13a.21 Abs. 2 S. 2 ErbStR 2019 kann er aber ‒ unabhängig von der formalen Bestandskraft ‒ auch noch bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden. Fraglich ist allerdings, wie der Begriff der materiellen Bestandskraft in der aktuellen Rechtslage zu verstehen ist. Diese Frage lässt sich nur unter Berücksichtigung der Feststellungen zum Verwaltungsvermögen klären und sollte vorsichtig beurteilt werden.

     

    7.1 Feststellungsverfahren und Erbschaftsteuerveranlagung

    Das für die Bewertung der jeweiligen wirtschaftlichen Einheit örtlich zuständige Finanzamt i. S. d. § 152 Nr. 1 bis 3 BewG (Betriebsfinanzamt) stellt nach aktueller Rechtslage die Summen der gemeinen Werte

    • der Finanzmittel (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 1 ErbStG),
    • der jungen Finanzmittel (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG),
    • der Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 bis 4 ErbStG),
    • der Schulden und
    • des jungen Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 7 S. 2 ErbStG)

    gesondert fest, wenn und soweit diese Werte für die Erbschaftsteuer oder eine andere Feststellung im Sinne dieser Vorschrift von Bedeutung sind.

     

    7.2 Auswirkungen der Feststellungen auf die materielle Bestandskraft

    Soweit in einem Feststellungsbescheid Regelungen getroffen werden, die sich auf die Höhe der maßgebenden VV-Quote auswirken, wird nach Auffassung des LfSt Bayern (7.7.16, DStR 16, 1931) insoweit die materielle Bestandskraft der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerfestsetzung (Folgebescheid) durchbrochen. Da die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Optionsverschonung (und somit die Antragstellung) allerdings untrennbar mit der Höhe der VV-Quote verbunden ist, soll die Wirkung des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO auch die Möglichkeit der Antragstellung auf Optionsverschonung umfassen. Es soll dem Erwerber daher möglich sein, im Rahmen der Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (Grundlagenbescheid) einen entsprechenden Antrag auf Anwendung der Optionsverschonung zu stellen.

     

    Beachten Sie | Dies dürfte aber nach einem Beschluss des BFH (5.3.20, II B 101/18) zur Rechtslage vor 2016 wohl nur gelten, wenn sich durch den Feststellungsbescheid die maßgebende Verwaltungsvermögensquote dergestalt ändert, dass dadurch die Möglichkeit der Optionsverschonung erstmals eröffnet wird. Wenn spätere Änderungen mit der VV-Quote nichts zu tun haben, ergibt sich m. E. aus dem Beschluss des BFH, dass § 351 Abs. 1 AO dem Antrag auf Optionsverschonung entgegensteht.

     

    Wird ein Änderungsbescheid angefochten, so folgt nach Ansicht des BFH aus § 351 Abs. 1 AO, dass die Änderung der Wahlrechtsausübung nur dann möglich ist, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung „den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen“ nicht verlässt. Die Vorschrift begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheides auf den Umfang der Änderung und stellt damit klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft verbleibt. Aus der Entscheidung ergibt sich zudem, dass ein Vorläufigkeitsvermerk nicht vor dem (partiellen) Eintritt der materiellen Bestandskraft schützt.

     

    Ob ein bereits bestandskräftiger Schenkungsteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu ändern ist, wenn sich aufgrund eines geänderten Feststellungsbescheids erstmalig eine Verwaltungsvermögensquote von unter 10 % ergibt und dem Steuerpflichtigen damit erstmalig die Option zur Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a. F. eröffnet wird, konnte der BFH in seinem Beschluss allerdings offenlassen ‒ im entschiedenen Fall betrug die Verwaltungsvermögensquote stets unter 10 %.

     

    Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses lehnt der BFH ebenfalls ab. Ein Ereignis hat steuerliche Wirkung für die Vergangenheit, wenn der infrage stehende rechtlich bedeutsame Vorgang erst nach Erlass des zu ändernden Bescheids eingetreten ist und ihm nach dem einschlägigen materiellen Recht rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer aber nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt. Die Feststellung von Wertansätzen ist nach Ansicht des BFH auch kein Ereignis, weil der der Feststellung zugrunde liegende tatsächliche Lebensvorgang im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer bereits eingetreten ist. Lediglich die Bewertung dieses Sachverhalts kann sich im Nachhinein durch die Wertfeststellung ändern. Dies rechtfertige jedoch keine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.

     

    In der Begründung des zur Rechtslage vor dem 1.7.16 ergangenen Beschlusses verweist der BFH auch auf die aktuelle Rechtslage und führt hierzu aus:

     

    „Die Wahl zur Vollverschonung setzt voraus, dass das begünstigungsfähige Vermögen zu nicht mehr als 20 % ‒ nicht wie im Streitfall 10 % ‒ aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13a Abs. 10 ErbStG). Darüber hinaus steht die Vorschrift in einem anderen Regelungszusammenhang. Anders als früher wird das Verwaltungsvermögen mit Ausnahme des unschädlichen Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 7 ErbStG) nach neuem Recht nicht mehr begünstigt und die Berechnung des begünstigten Vermögens erfolgt in komplizierten und unübersichtlichen Rechenschritten. Welche Auswirkungen veränderte Wertfeststellungen in diesem Regelungszusammenhang auf die Wahlmöglichkeiten haben, bleibt späteren Entscheidungen vorbehalten.“

     

    Die Entscheidung des BFH dürfte allerdings auch im aktuellen Recht bedeuten, dass nach Eintritt der formellen Bestandskraft ein Antrag auf 100 %-Verschonung nur noch unter engen Voraussetzungen möglich ist. Die „Spielregeln“ könnten die folgenden sein:

     

    • Wird die VV-Quote gemäß § 13a Abs. 10 i. V. m. § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG aufgrund neuer Feststellungen des Betriebsfinanzamts ‒ z. B. nach einer BP ‒ von 15 % auf 10 % reduziert oder auf exakt 20 % erhöht und wird aufgrund des neu zu berechnenden Verwaltungsvermögens der Erbschaftsteuerbescheid geändert, eröffnet diese Änderung nicht erst die Möglichkeit des Antrags auf Vollverschonung, weil dieser schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte gestellt werden können. Ist der Antrag aber vor Eintritt der formalen Bestandskraft nicht gestellt worden, dürfte er nunmehr ausgeschlossen sein, weil die materielle Bestandskraft durch die Änderung nicht durchbrochen wird. Es bliebe bei der Verschonung von 85 %.

     

    • Wird die VV-Quote aufgrund neuer Feststellungen des Betriebsfinanzamts von 25 % auf 20 % oder weniger reduziert und wird deswegen der Erbschaftsteuerbescheid geändert, eröffnet diese Änderung erstmals die Möglichkeit des Antrags auf Vollverschonung, weil dieser zu einem früheren Zeitpunkt noch gar nicht hätte gestellt werden können. In diesem Fall dürfte die materielle Bestandskraft durchbrochen sein und der Antrag auf Vollverschonung (erstmals) möglich werden.

     

    • Wird die VV-Quote von 20 % oder weniger auf mehr als 20 % erhöht und wird deswegen der Erbschaftsteuerbescheid geändert, schließt diese Änderung die Möglichkeit des Antrags auf Optionsverschonung aus. Ist zu einem früheren Zeitpunkt der Antrag auf Vollverschonung voller Optimismus gestellt worden, kann er nicht mehr zurückgenommen werden. Da der Antrag unwiderruflich ist, kommen in diesem Fall weder die Vollverschonung noch die Regelverschonung zur Anwendung.

     

    FAZIT | Im Ergebnis unbefriedigend ist, dass im Falle des unwiderruflichen Antrags auf Vollverschonung ein „Alles-oder-Nichts“-Prinzip gilt. Dies würde nur dann nicht bestehen, wenn der Antrag widerruflich gestellt werden könnte. Eine dahingehende Gesetzesänderung wäre zwar wünschenswert, ist aber derzeit nicht zu erwarten. Festzuhalten bleibt, dass die Finanzverwaltung ihre Richtlinien aufgrund des Urteils des BFH wird anpassen müssen. Ein Nichtanwendungserlass ist zu dieser Entscheidung wohl nicht zu erwarten.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2023 | Seite 98 | ID 49045536

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