· Fachbeitrag · Akteneinsicht
Berechtigtes Interesse einer Anwaltskanzlei an der Gewährung von Einsicht in eine Nachlassakte
| Das BayObLG entschied im Rahmen des Verfahrens nach § 23 Abs. 1, 2 EGGVG über einen Antrag einer Anwaltskanzlei auf Einsichtnahme in ein in der Nachlassakte enthaltenes Sachverständigengutachten über die Testierfähigkeit des Erblassers. |
Sachverhalt
Nach einem abgeschlossenen Erbscheinsverfahren vor dem Nachlassgericht hat eine Rechtsanwaltskanzlei ergänzende Akteneinsicht in die Nachlassakte begehrt, um im Schadensersatzprozess die Testierfähigkeit des Erblassers bestreiten zu können. Das AG hatte die begehrte Akteneinsicht durch Beschluss mit der Begründung verweigert, das Gericht habe bei der zunächst gewährten Akteneinsicht „die im Verfahren erstellten Gutachten“ zurückbehalten. Der weitere Beteiligte habe seine Erklärung mit Schreiben zutreffend damit begründet, dass bereits aus der Tatsache der Erteilung des Erbscheins abzuleiten sei, was in „den Gutachten“ stehe. Zur Abwehr eventueller Schadensersatzansprüche der Erbin sei es nicht nötig, Einsicht in „die Gutachten“ zu nehmen. Hierfür reiche die schon gewährte Akteneinsicht aus. Es sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin „daraus“ alle für ihre Verteidigung notwendigen Informationen habe entnehmen können. Die Einsicht in die Gutachten sei nicht erforderlich. Ein berechtigtes Interesse bestehe nicht.
Die Antragstellerin hat gegen die als Beschluss ergangene Entscheidung des Rechtspflegers des Nachlassgerichts einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 2 EGGVG gestellt und dies damit begründet, dass es sich bei dem angefochtenen Beschluss um einen Justizverwaltungsakt handele. Ein berechtigtes Interesse könne nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Das Nachlassgericht habe verkannt, dass der Erbschein gemäß § 2353 BGB lediglich ein Zeugnis über das Erbrecht darstelle, jedoch das Erbrecht nicht begründe. Im Rahmen des Erbscheinsverfahrens sei lediglich über die Ausstellung dieses Zeugnisses zu entscheiden gewesen, hingegen sei keine materiellrechtliche Entscheidung über das Erbrecht getroffen worden. Diese Entscheidung sei der streitigen Gerichtsbarkeit vorbehalten. Daher hänge die Aktivlegitimation des weiteren Beteiligten im anhängigen Schadensersatzverfahren von der Wirksamkeit des vorgelegten Testaments ab und diese wiederum von der Testierfähigkeit des Erblassers. „Die angeforderten psychiatrischen Gutachten“ könnten über die Testierfähigkeit Aufschluss geben.
Das BayObLG (7.5.25, 101 VA 12/25, Abruf-Nr. 250394) hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur Neubescheidung an das Amtsgericht zurück.
Entscheidungsgründe
Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 13 Abs. 2 FamFG müsse sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, es gehe über ein rechtliches Interesse hinaus und sei anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse bestehe, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein könne und im Allgemeinen dann vorliegen werde, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden könne. Es sei nicht durch den Gegenstand des Verfahrens, dessen Akten eingesehen werden sollen, begrenzt. Ein berechtigtes Interesse liege regelmäßig vor, wenn Rechte des Antragstellers durch den Streitstoff der Akten auch nur mittelbar berührt werden könnten und Kenntnis vom Inhalt der Akten für ihn zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sei.
Zur Abwehr des gegen sie gerichteten Anspruchs sei es nach dem glaubhaften Vorbringen der Antragstellerin von Interesse, aufgrund welcher konkreten Erwägungen der Sachverständige zu seiner Bewertung gelangt sei. Maßgeblich sei, dass die Antragstellerin noch nicht über die erbetenen Informationen verfüge und nicht erkennbar sei, dass die Akteneinsicht nicht zu weitergehenden Erkenntnissen führen werde. Ein berechtigtes Interesse liege im Allgemeinen bereits dann vor, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden könne. Dies schließe beispielsweise auch die Möglichkeit ein, dass die Antragstellerin nach Einsicht in das Gutachten keine Zweifel an der Testierfähigkeit mehr hege.
Auch der aus der Garantie der Menschenwürde folgende Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Erblassers stehe der Einsicht in das Sachverständigengutachten nicht entgegen, denn das postmortale Persönlichkeitsrecht sei vorliegend nicht betroffen. Die Schutzwirkungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts seien nicht identisch mit denen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz lebender Personen ergeben. Postmortal geschützt werde zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem lebenden Menschen als solchem zusteht und den Verstorbenen davor bewahre, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Zum anderen sei der sittliche, personale und soziale Geltungswert geschützt, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben habe (wird ausgeführt).
Ein Makel, Schuldvorwurf oder Unwerturteil hafte weder der Anordnung einer Betreuung, der eine schicksalhafte Erkrankung des Betreuten zugrunde liegt, noch einer Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen auf Testierfähigkeit an. Auch eine Darstellung der typischen Folgen einer Erkrankung, zu denen auch Einschränkungen der körperlichen wie der intellektuellen Leistungsfähigkeit und Persönlichkeitsveränderungen gehören können, ist nicht geeignet, das Ansehen einer Person negativ zu beeinträchtigen, da diese dem Einfluss des Betroffenen entzogen sind und sich der Wert einer Person im Rahmen des dem Grundgesetz zugrunde liegenden Menschenbildes gerade nicht nach ihrer natürlichen Leistungsfähigkeit beurteilt.
MERKE | Die Entscheidung hilft bei der Einordnung des „berechtigten Interesses“ i. S. d. § 13 Abs. 2 FamFG. Nach Auffassung des Gerichts bestanden allerdings keine hinreichenden Gründe dafür, nach § 30 Abs. 1 S. 1 EGGVG eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aus der Staatskasse anzuordnen. Hierfür müsse der Justizbehörde ein offensichtlich oder grob fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten zur Last gelegt werden können. Eine derartige Pflichtverletzung könne hier mit Blick auf die Verneinung des berechtigten Interesses nicht festgestellt werden. |