19.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132937
Oberlandesgericht Naumburg: Beschluss vom 16.07.2013 – 2 Wx 44/12
1. Der Feststellungsbeschluss nach § 352 Abs 1 FamFG entfaltet nur eine eingeschränkte Bindungswirkung; erweist sich nach seinem Erlass, dass der danach zu erteilende Erbschein wegen Unrichtigkeit sofort wieder einzuziehen wäre, so steht er einer neuen, inhaltlich abweichenden Feststellung nicht entgegen.
2. Zu den Anforderungen an das Nachlassgericht zur Aufdeckung des Erblasserwillens.
OLG Naumburg
19.07.2013
2 Wx 44/12
In der Nachlasssache
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Engel, den Richter am Oberlandesgericht Wiedemann und die Richterin am Oberlandesgericht Joost am 16. Juli 2013 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Magdeburg vom 4. Juni 2012 aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen.
Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 143.000 € festgesetzt.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung eines Erbscheins darum, mit welcher Rechtsstellung der Beteiligte zu 1) als (zweiter) Ehemann der Erblasserin diese allein beerbt hat - entweder als Vollerbe oder als Vorerbe unter Anordnung der Nacherbfolge und der Ersatznacherbfolge.
Die Erblasserin war in erster Ehe mit J. S. verheiratet; die Beteiligte zu 2) ist das gemeinsame Kind aus dieser Ehe. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit dem Antragsteller verheiratet; die Beteiligte zu 3) ist das gemeinsame Kind aus der zweiten Ehe.
Am 09.07.2006 errichteten die Erblasserin und der Antragsteller ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem sie folgende Verfügungen trafen:
"I. Erbfolge
Wir vererben unser gesamtes Vermögen gegenseitig und setzen uns gegenseitig als Vorerben ein.
Abweichend von dieser Regel erhält ... [die Beteiligte zu 2)] sofort:
a) aus der Erbmasse (Nettoerlös) der Eltern der Erblasserin 50 Prozent ...,
b) aus der Risikolebensversicherung ..., der Kapitallebensversicherung ... und der Unfallversicherung ... der Erblasserin den gesetzlichen Erbteil,
c) ein für ... [sie] von der Erblasserin angelegtes Sparkonto.
II. Nacherben und ihre Erbanteile
Als Nacherben bestimmen wir unsere gemeinsamen Kinder sowie ... [die Beteiligte zu 2)]. Die gemeinsamen Kinder erben zwei Drittel. ... [Die Beteiligte zu 2)] erbt ein Drittel.
Sollten wir keine gemeinsamen Kinder haben, erben als Nacherben:
a) ... [die Beteiligte zu 2)] drei Viertel des gesamten Vermögens
b) ... [der Bruder des Antragstellers] ... ein Viertel des gesamten Vermögens.
III. Minderjährigkeitsklausel
a) Minderjährigkeit von ... [der Beteiligten zu 2)]
Ist ... [sie] zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin minderjährig, so bestimmen wir ... J. Sch. als Testamentsvollstrecker für die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit. ...
b) Minderjährigkeit der gemeinsamen Kinder
Sind Erblasserin und Erblasser verstorben, so bestimmen wir ... [den Bruder des Antragstellers] zum Testamentsvollstrecker für unsere gemeinsamen, minderjährigen Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit."
Dieses Testament wurde am 17.08.2009 eröffnet (Az.: 193 IV 101/09 Amtsgericht Magdeburg).
Mit notarieller Urkunde vom 19.08.2009, beim Amtsgericht Magdeburg eingegangen am 09.09.2009, beantragte der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins, wonach er alleiniger Vorerbe, die Beteiligte zu 2) nach seinem Tode Nacherbin zu einem Drittel und die Beteiligte zu 3) nach seinem Tode Nacherbin zu zwei Dritteln geworden seien. Der Antragsteller vertrat die Ansicht, dass in dem Erbschein eine Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen auszuweisen sei. Er behauptete, dass eine unbeschränkte Vorerbschaft der gemeinsamen Intension der Testierenden entsprochen habe, und berief sich darauf, dass er als Mitverfasser des Testaments zu einer authentischen Interpretation in der Lage sei. Zudem sei hierüber im Familienkreis gesprochen worden (Beweis: Zeugnisse des Vaters der Erblasserin, J. L., und des Bruders des Antragstellers, P. Sch., beide GA Bl. 22).
Dem gegenüber vertrat die Beteiligte zu 2) die Ansicht, dass nur eine Vorerbschaft unter Aufrechterhaltung der gesetzlichen Beschränkungen sicherstellen könne, dass nach dem Tode des Vorerben beide Kinder der Erblasserin zu betragsmäßig gleichen Anteilen erbten.
Das Amtsgericht - Nachlassgericht - Magdeburg entschied mit Beschluss vom 10.02.2010, dass die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen festgestellt seien und dass danach die Erblasserin vom Antragsteller als Vorerbe allein beerbt worden sei. Nacherbfolge und Ersatznacherbfolge seien angeordnet worden. Zudem sei eine Testamentsvollstreckung, beschränkt auf die Verwaltung des zu Gunsten der Beteiligten zu 2) ausgesetzten Vermächtnisses und befristet bis zum Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit, angeordnet worden. Der testamentarisch eingesetzte Vorerbe sei von den gesetzlichen, in § 2136 BGB beschriebenen Beschränkungen und Verpflichtungen nicht befreit worden. Die vom Antragsteller benannten Zeugen für einen vom Wortlaut des Testaments abweichenden Testierwillen der Verfasser seien nicht anzuhören, weil der Text der letztwilligen Verfügung nicht einmal eine Andeutung eines entsprechenden Willens enthalte.
Der Antragsteller legte hiergegen Beschwerde ein und berichtigte im Beschwerdeverfahren, nunmehr anwaltlich vertreten, sein Vorbringen dahin, dass die Testierenden das Gewollte falsch bezeichnet hätten und insbesondere das Institut der Nacherbfolge mit demjenigen der Schlusserbfolge verwechselt hätten. Nur hilfsweise berief er sich auf eine Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen. Der erkennende Senat wies die Beschwerde mit seinem am 07.02.2012 erlassenen Beschluss (2 Wx 13/10) zurück und führte aus, dass mit dem Hauptantrag, gerichtet auf die Erteilung eines Erbscheins als Vollerbe, ein neues, erstmals in der Beschwerdeinstanz aufgegriffenes Antragsziel verfolgt werde, was nicht zulässig sei, und der Hilfsantrag unbegründet sei, weil jedenfalls eine Befreiung der Vorerbschaft von ihren gesetzlichen Beschränkungen nicht angeordnet worden sei. Zugleich machte der erkennende Senat deutlich, dass Zweifel an der Anordnung einer Vor- und einer Nacherbschaft bestünden.
Der Antragsteller nahm daraufhin am 21.02.2012 vor Erteilung eines antragsgemäßen Erbscheins den ursprünglichen Erbscheinsantrag zurück und hat ergänzend mit Schriftsatz vom 30.03.2012, einen neuen (zweiten) Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, wonach er als Vollerbe Alleinerbe geworden sei. Das Nachlassgericht hat im Termin vom 10.05.2012 den Antragsteller persönlich zu den Umständen der gemeinsamen Testamentserrichtung mit der Erblasserin und zur Willensrichtung beider Testierenden angehört. Der Vater der Beteiligten zu 2) hat diesen Angaben widersprochen und sich auf das Zeugnis eines - noch nicht ladungsfähig benannten - Freundes der Erblasserin berufen. Der Beteiligten zu 2) ist - ohne Fristsetzung - aufgegeben worden, die Anschrift dieses Zeugen zu benennen.
Mit Beschluss vom 04.06.2012 hat das Nachlassgericht die erforderlichen Tatsachen zur Erteilung des (nunmehr) beantragten Erbscheins zugunsten des Antragstellers für festgestellt erachtet. Es hat eine weitere Sachaufklärung für nicht erforderlich erachtet, insbesondere habe die Beteiligte zu 2) die ladungsfähige Anschrift des von ihr benannten Zeugen nicht nachgereicht.
Die Beteiligte zu 2) hat gegen diese, ihr am 07.06.2012 zugestellte Entscheidung mit einem am 06.07.2012 beim Nachlassgericht eingegangenen Schreiben ihres Vaters Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, die Erteilung eines Erbscheins, wie jetzt beantragt, sei schon unzulässig, weil dem die Rechtskraft des Beschlusses vom 10.02.2010 entgegen stehe. Hilfsweise sei die vom Nachlassgericht getroffene Feststellung fehlerhaft. Sie entspreche nicht dem Willen der Erblasserin, wie er im Testament zum Ausdruck gekommen sei. Im Übrigen habe das Nachlassgericht versäumt, den benannten Zeugen, G. T. (vgl. GA Bl. 163 Rs.), anzuhören, und sei stattdessen einseitig von den Angaben des Antragstellers ausgegangen. Sie behauptet, dass die Erblasserin die Begriffe der Vor- und Nacherbschaft gekannt und zutreffend angewandt habe.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 12.07.2012 dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
Die Beteiligte zu 2) hat im Beschwerdeverfahren keinen ausdrücklichen Antrag formuliert. Sie beantragt sinngemäß,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins vom 30.03.2012 zurückzuweisen,
und hilfsweise,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Nachlassgericht zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Senat hat allen Beteiligten jeweils Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben.
B.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und jedenfalls insoweit begründet, als die Sache derzeit nicht zur Entscheidung reif ist. Der Senat erachtet die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht als geboten.
I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig. Das Rechtsmittel ist nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Es ist - bei hier vorzunehmender Auslegung - nicht vom Vater der Beteiligten zu 2) in eigener Sache eingelegt worden, sondern in Vertretung für die Beteiligte zu 2) und zur Wahrung ihrer Rechte. Die Beteiligte zu 2) ist beschwerdeberechtigt. Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG ist gewahrt worden.
II. Dem Erlass eines (inhaltlich abweichenden) Feststellungsbeschlusses i.S. von § 352 Abs. 1 S. 1 FamFG steht - anders als die Beteiligte zu 2) meint - die formelle Rechtskraft des vorangegangenen Beschlusses des Nachlassgerichts vom 10.02.2012 nicht entgegen.
1. Allerdings ist der Beschluss vom 10.02.2012 in formelle Rechtskraft erwachsen, wie die Beteiligte zu 2) zu Recht geltend macht. Er stellt zwar seinem Wesen nach nur eine Zwischenentscheidung dar, ist aber nur mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbar. Mit seinem Wirksamwerden - entweder mangels Widerspruches sofort mit seinem Erlass (§ 352 Abs. 1 S. 2 BGB) oder nach fruchtlosem Ablauf der Beschwerdefrist (§ 352 Abs. 2 S. 2 BGB) oder, wie hier, nach Zurückweisung des Rechtsmittels - hätte ein Erbschein auf der Grundlage dieser Feststellungen erteilt werden können. Vor Erteilung eines entsprechenden Erbscheins hatte hier der Antragsteller jedoch seinen Antrag zurückgenommen. Die Rücknahme des Antrags auf Erteilung des Erbscheins beendete das (erste) Erbscheinsverfahren.
2. Ein Feststellungsbeschluss i.S. von § 352 Abs. 1 S. 1 FamFG entfaltet nur eine eingeschränkte Bindungswirkung. Zeigt sich nach seinem Erlass, dass der danach zu erteilende Erbschein wegen Unrichtigkeit sofort wieder einzuziehen wäre, so steht er einer neuen, inhaltlich abweichenden Feststellung nicht entgegen (vgl. auch Zimmermann in: Keidel, FamFG, 17. Aufl., § 352 Rn. 125). Ein neuer Erbscheinsantrag, der ein anderes Antragsziel verfolgt und auf einen neuen Sachverhalt, hier vor allem auf eine vertiefte Auslegung, gestützt wird, ist zulässig (vgl. Zimmermann, aaO., § 352 Rn. 38). So liegt der Fall hier.
III. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist jedenfalls insoweit begründet, als das Nachlassgericht auf unzureichender tatsächlicher Erkenntnisgrundlage entschieden hat.
1. Das Nachlassgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Auslegung jeder letztwilligen Verfügung, so auch hier, der wirkliche Wille des bzw. der Testierenden zu erforschen ist. Rechtsgrundlage sind vor allem § 133 BGB und - eingeschränkt - § 2084 BGB. Der Wortlaut des Testaments bildet zwar die Grundlage, es ist aber nicht an dem buchstäblichen Sinn eines Ausdrucks zu haften. Das gilt insbesondere für Rechtsbegriffe; insoweit ist zu klären, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Deshalb durfte sich das Nachlassgericht bei seiner Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und des Antragstellers vom 09.07.2006 nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, sondern musste auch alle ihm zugänglichen Umstände außerhalb dieses Testaments auswerten, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sein konnten. Erst dann, wenn der Inhalt der letztwilligen Verfügung durch Auslegung ermittelt werden kann, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob dieser Wille im Testament selbst eine hinreichende Stütze gefunden hat. Mit anderen Worten: Die Formfrage stellt sich erst dann, wenn der Inhalt der Erklärung durch Auslegung ermittelt worden ist.
2. Das Nachlassgericht hat jedoch versäumt, alle ihm zug änglichen Umstände der Testamentserrichtung bzw. des Willens der beiden Testierenden von Amts wegen zu ermitteln. Insbesondere angesichts des Widerspruchs der Beteiligten zu 2) hätte es Veranlassung gehabt, neben den Angaben des Antragstellers, denen angesichts der Mitwirkung an der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments eine hohe Bedeutung zukommt, auch die weiteren ihm benannten Auskunftspersonen zu vernehmen, d.h. die als Zeugen benannten G. T., J. L. und P. Sch.. Das Nachlassgericht ist zwar an Beweisanregungen oder -anträge nicht gebunden; es hätte sich hier aber um Aufklärung der ladungsfähigen Anschrift des von der Beteiligten zu 2) benannten Zeugen bemühen müssen, bevor es das Beweismittel als unerreichbar unberücksichtigt lässt. Eine Zurückweisung der Einwendungen der Beteiligten zu 2) einschließlich ihrer Aufklärungsanregung hätte es nicht vornehmen dürfen, ohne der Beteiligten zu 2) für deren Mitwirkungshandlung eine Ausschlussfrist zu setzen und sie auf die Folgen der Fristversäumnis deutlich hinzuweisen.
IV. Der Senat erachtet es für geboten, die Sache zur Fortführung der Sachaufklärung und zur erneuten Entscheidung an das Nachlassgericht zurückzuverweisen.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG liegen vor. In der unzureichenden Sachaufklärung, die hier mit einer Verletzung des Anspruchs der Beteiligten zu 2) auf Gewährung rechtlichen Gehörs einhergeht, liegt ein wesentlicher Mangel des Verfahrens. Die Herbeiführung der Entscheidungsreife erfordert die Vernehmung von drei Zeugen und würde im Falle der Durchführung der Beweiserhebung durch den Senat u.U. auch eine Wiederholung der Anhörung des Antragstellers notwendig machen. Die Beteiligte zu 2) hat hilfsweise einen entsprechenden Antrag gestellt.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO.
Die Festsetzung des Kostenwerts des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus §§ 131 Abs. 4 i.V.m. 30 Abs. 1 S. 1 und 107 Abs. 2 KostO. Der Senat hat seiner Schätzung die Angaben des Antragstellers bei der Beurkundung des Erbscheinsantrags vom 19.08.2009 zugrunde gelegt.