08.08.2025 · IWW-Abrufnummer 249600
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 24.07.2025 – 3 Wx 116/25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 24.07.2025, Az. 3 Wx 116/25
I. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1. und zu 2. gegen den Einziehungsbeschluss des Amtsgerichts Viersen vom 12. Juni 2025 werden zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten zu 1. und zu 2. haben gesamtschuldnerisch die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und dem Beteiligten zu 3. die ihm in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
IV. Der Beschwerdewert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2
I.
3
Die Beteiligten zu 1. und zu 2. sind die ehelichen Kinder des Erblassers und seiner im Juli 2020 vorverstorbenen Ehefrau. Der Beteiligte zu 3. ist der vorehelich geborene Sohn der Ehefrau des Erblassers, der bis zum Erwachsenenalter im Haushalt der Eheleute aufgewachsen ist.
4
Die Eheleute haben am 29. September 1997 (Bl. 47 d.A.) das folgende privatschriftliche gemeinschaftliche Testament errichtet:
5
Unser Letzter Wille
6
1.7
Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein. Der Überlebende ist mithin der alleinige Erbe. Erst nach dessen Tod soll der Nachlaß zu gleichen Teilen an unsere Kinder fallen.
8
2.9
Wenn unsere Kinder von dem Überlebenden den Pflichtteil verlangen, so geschieht dies gegen unseren Willen. Wer solche Ansprüche erhebt, soll auch aus dem Nachlass des Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten.
10
3.11
Heiratet der Überlebende wieder, so ist er verpflichtet, dreiviertel des Wertes, den der Nachlaß zur Zeit der Wiederverheiratung hat, den Kindern als Vermächtnis herauszugeben.
12
Nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser mit privatschriftlichem Einzeltestament vom 1. Juli 2022 (Bl. 55 f. d.A.) die Beteiligten zu 1. und zu 2. zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt und angefügt, dass dies auch der gemeinsame Wille bei Errichtung des Gemeinschaftlichen Testament am 29. September 1997 gewesen sei.
13
Auf Antrag der Beteiligten zu 1. und zu 2. hat das Nachlassgericht am 22. Oktober 2024 einen Gemeinschaftlichen Erbschein (Bl. 15 d.A.) erteilt, der sie als hälftige Erben des Erblassers ausweist. Dagegen hat sich der Beteiligte zu 3., der Stiefsohn des Erblassers, mit Schreiben vom 27. März 2025 (Bl. 24 d.A.) gewandt und geltend gemacht, dass er durch das privatschriftliche gemeinschaftliche Testament vom 29. September 1997 gleichfalls als Miterbe berufen sei. Die in jenem Testament verwendete Formulierung, wonach der Erblasser und seine Ehefrau „unsere Kinder“ zu Erben einsetzen, sei in diesem Sinne zu verstehen.
14
Das Nachlassgericht hat sich diesem Standpunkt angeschlossen und mit der angefochtenen Entscheidung den Erbschein vom 22. Oktober 2024 eingezogen.
15
Dagegen wenden sich die Beteiligten zu 1. und zu 2. mit ihren Beschwerden.
16
Zwischenzeitlich sind alle erteilten Ausfertigungen des Erbscheins an das Nachlassgericht zurückgesandt worden.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakte Bezug genommen.
18
II.
19
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
20
Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen die Einziehung des Erbscheins vom 22. Oktober 2024 angeordnet, weil dieser inhaltlich unrichtig ist.
21
A. Die Beschwerden sind zulässig, obschon die Beteiligten zu 1. und zu 2. der Einziehungsanordnung entsprochen und alle Ausfertigungen des Erbscheins an das Nachlassgericht zurückgesandt haben. Zwar ist der Erbschein vom 22. Oktober 2024 dadurch gemäß § 2361 Satz 2 BGB kraftlos und sind die Rechtsbehelfe infolgedessen mit ihrem ursprünglichen Petitum gegenstandslos geworden. Die Einziehungsanordnung kann in einem solchen Fall allerdings mit dem Ziel angefochten werden, einen neuen gleichlautenden Erbschein zu erteilen (BGHZ 40, 54/56; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 4.11.1988, BReg 1 a Z 10/88). So liegt es auch hier, weshalb die zur Entscheidung stehenden Beschwerden auf die erneute Erteilung eines mit dem eingezogenen Erbschein inhaltsgleichen Erbscheins gerichtet sind. Nach der Begründung ihrer Beschwerden erstreben die Beteiligten zu 1. und zu 2. eine dahingehende Beschwerdeentscheidung. Denn sie stellen die rechtliche Beurteilung des Amtsgerichts, dass der eingezogene Erbschein sachlich unrichtig und der Erblasser von den Beteiligten zu 1., zu 2. und zu 3. beerbt worden sei, zur Überprüfung durch den Senat.
22
B. Die Beschwerden haben aber in der Sache keinen Erfolg.
23
Das Amtsgericht hat den Erbschein vom 22. Oktober 20024 gemäß § 2361 Satz 1 BGB zu Recht eingezogen, weil er inhaltlich unrichtig ist und die wahre Erbfolge nicht ausweist. Der Erblasser ist aufgrund des Gemeinschaftlichen Testaments vom 29. September 1997 nicht nur ‒ wie im eingezogenen Erbschein niedergelegt ‒ zu gleichen Teilen von den Beteiligten zu 1. und zu 2., sondern mit einem Anteil von einem Drittel auch von dem Beteiligten zu 3. beerbt worden, und das Einzeltestament des Erblassers vom 1. Juli 2022 lässt diese Schlusserbenbestimmung aus Rechtsgründen unberührt.
24
1. In dem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 haben der Erblasser und seine Ehefrau die Beteiligten zu 1. bis zu 3. zu gleichen Teilen zu Schlusserben berufen. Das ergibt die Auslegung der letztwilligen Verfügung.
25
a) Bei der Testamentsauslegung ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks festzuhalten. Die Ermittlung des Erblasserwillens darf sich daher nicht auf eine Analyse des Wortlauts be-schränken. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss vielmehr „hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen, wozu auch nicht der Testamentsform genügende Schriftstücke zählen. Erforderlich ist allerdings stets, dass der in Betracht gezogene Wille des Erblassers in dem Testament zumindest andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist. Denn eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 14.9.2022, IV ZB 34/21 Rn. 20 m.w.N., juris). Dementsprechend müssen für eine in Frage stehende testamentarische Anordnung des Erblassers wenigstens gewisse Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sein, die im Zusammenhang mit den sonstigen heranzuzie-henden Umständen außerhalb des Testaments den entsprechenden Willen des Erb-lassers erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 10.11.2021, IV ZB 30/20 Rn. 18, juris). Bei wechselseitigen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist darüber hinaus festzustellen, dass ein nach dem Verhalten des einen Testierenden mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen entsprochen hat. Dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an (Senat, Beschluss vom 25.11.2020, I-3 Wx 198/20 m.w.N.).
26
b) Im Entscheidungsfall war der gemeinsame letzte Wille des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau darauf gerichtet, die Beteiligten zu 1. bis zu 3. zu gleichen Teilen als ihre testamentarischen Schlusserben zu berufen.
27
aa) Zwar deutet der Wortlaut „unsere Kinder“ im Ausgangspunkt auf die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder der Eheleute. Während eine Erbeinsetzung von Eheleuten dahin, dass „die Kinder“ Erben sein sollen, nach ihrem Wortlaut ohne weiteres das Verständnis zulässt, dass sowohl die gemeinsamen ehelichen Kinder wie auch ein vorehelich geborenes Kind eines Ehepartners gemeint sind (siehe Senat, Beschluss vom 25.11.2020, I-3 Wx 198/20 m.w.N.), adressiert der Sinngehalt der vorliegend in Rede stehenden Formulierung durch die Verwendung des Possessivpronomens „unsere“ die gemeinsamen ehelichen Kinder; nur sie werden aus der rechtlich maßgeblichen Sicht beider testierenden Eheleute üblicherweise als „unsere“ Kinder bezeichnet.
28
Dieses am strengen Wortlaut ausgerichtete Begriffsverständnis ist allerdings nicht zwingend. Das vorehelich geborene Kind eines Ehepartners kann auch ohne eheliche Abstammung dann unter die Formulierung „unsere Kinder“ gefasst werden, wenn der andere Ehepartner im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu dem Kind ein enges persönliches Verhältnis unterhalten und es emotional wie sein eigenes Kind betrachtet hat. In diesem Fall werden beide Ehepartner gleichermaßen mit der Wendung „unsere Kinder“ sowohl die gemeinsamen ehelichen Abkömmlinge wie auch das zur Familie gehörende vorehelich geborene Kind des einen Ehepartners verbinden. Eine solche Fallkonstellation drängt sich auch im Entscheidungsfall auf. Wie das Nachlassgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt hat, ist der Beteiligte zu 3. bis in das Erwachsenenalter hinein im ehelichen Haushalt aufgewachsen und war fast zehn Jahre lang das einzige Kind der Eheleute. Der Beteiligte zu 3. hat unwidersprochen vorgetragen, dass er bei der Geburt des Beteiligten zu 1. fast zehn Jahre alt und bei der Geburt des Beteiligten zu 2. nahezu 19 Jahre alt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass auch der Erblasser seinen Stiefsohn im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als ein zur Familie gehörendes Kind betrachtet hat und auch ihn mit der Formulierung „unsere Kinder“ in die letztwillige Verfügung einbeziehen wollte.
29
bb) Darin fügt sich ein, dass beide Eheleute mit dem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 erkennbar ihre Erbfolge umfassend und abschließend regeln wollten. Sie haben sich nicht nur gegenseitig zu Alleinerben berufen und Schlusserben bestimmt, sondern auch durch die Aufnahme einer Pflichtteilsstrafklausel Vorkehrungen dagegen getroffen, dass der Überlebende durch die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen in finanzielle Bedrängnis gebracht werden kann. Sie haben überdies den Fall einer Wiederverheiratung des überlebenden Ehepartners bedacht und für diesen Fall Vermächtnisse zugunsten der Kinder angeordnet. Mit seinem Inhalt erfüllt das Gemeinschaftliche Testament nur dann uneingeschränkt seinen Zweck, wenn die Formulierung „unsere Kinder“ auch den Beteiligten zu 3. umfasst. Alleine in diesem Fall hätte nicht nur der Erblasser, sondern auch seine Ehefrau ihre Erbfolge in allen testamentarisch geregelten Punkten letztwillig geklärt. Nimmt man demgegenüber an, dass „unsere Kinder“ ausschließlich die Beteiligten zu 1. und zu 2. als eheliche Abkömmlinge in Bezug nimmt, enthält das Gemeinschaftliche Testament keine letztwilligen Anordnungen zur Person des Beteiligten zu 3.. Dieser wäre weder von seiner Mutter zum Schlusserben berufen worden noch würde er der Pflichtteilsstrafklausel unterfallen; denn beide Anordnungen beziehen sich ausdrücklich auf „unsere Kinder“. Gleiches gilt für die Wiederverheiratungsklausel, die mit der Formulierung „den Kindern“ den in den beiden vorstehenden Ziffern des Testaments angesprochenen Personenkreis („unsere Kinder“) aufgreift. Die erbrechtlichen Ansprüche des Beteiligten zu 3. würden sich vielmehr nach dem Gesetz richten.
30
Für einen dahingehenden letzten Willen der Eheleute bei Testamentserrichtung spricht nichts. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vorverstorbene Ehefrau mit dem Gemeinschaftlichen Testament nur ihre beiden ehelich geborenen Söhne begünstigen wollte, nicht aber auch ihren vorehelich geborenen Sohn, obschon er in der Familie wie ein eheliches Kind aufgewachsen ist. Die Erkenntnis, dass seine Frau die drei Kinder testamentarisch gleichbehandelt wissen wollte, drängte sich für den Erblasser auf. Das gilt umso mehr, als der Beteiligte zu 3. nach den Schilderungen seiner Stiefbrüder im Verfahren zeitlebens von seiner Mutter unterstützt worden ist. Dass der Erblasser dem Wunsch nach Gleichbehandlung der drei Kinder bei Testamentserrichtung widersprochen und eine zum Nachteil seiner Ehefrau lückenhafte letztwillige Verfügung gefordert hat, so dass der gemeinsame Wille der Eheleute bei Abfassung des Testaments darauf gerichtet war, ausschließlich Regelungen für die beiden ehelich geborenen Kinder zu treffen und die Rechte des Stiefbruders ungeregelt zu lassen, ist nicht zu erkennen. Darauf deutet kein einziges Indiz.
31
cc) Bestätigt wird der Befund, dass die Formulierung „unsere Kinder“ auch den Beteiligten zu 3. umfasst, schließlich durch den Inhalt der Wiederverheiratungsklausel in Ziffer 3. des Gemeinschaftlichen Testaments. Danach hat der überlebende Ehepartner „den Kindern“ drei Viertel des im Zeitpunkt der Wiederverheiratung vorhandenen Nachlasswertes als Vermächtnis auszuzahlen. Die Verfügung ist ganz offensichtlich darauf gerichtet, den bei Heirat vorhandenen Nachlass zwischen dem überlebenden Ehepartner und den Kindern zu gleichen Teilen aufzuteilen und die neue Ehefrau vom Vermögen auszuschließen. Sollen die begünstigten Kinder ‒ wie angeordnet ‒ drei Vierteil des Nachlasswertes erhalten, muss der Beteiligte zu 3. neben seinen beiden Stiefbrüdern begünstigt sein; andernfalls wäre der Nachlasswert nämlich zwischen dem wiederverheirateten Ehepartner und den beiden ehelichen Kindern zu dritteln gewesen. Das zwingt zu der Schlussfolgerung, dass der Beteiligte zu 3. zu den im Gemeinschaftlichen Testament genannten Kindern („unsere Kinder“, „den Kindern“) gehört und neben den Beteiligten zu 1. und zu 2. testamentarischer Schlusserbe geworden ist.
32
dd) Dass der Erblasser in seinem privatschriftlichen Einzeltestament vom 1. Juli 2022 ‒ aus welchen Gründen auch immer ‒ einen abweichenden Testierwillen behauptet, ändert nichts. Die Behauptung des Erblassers ist mit den vorstehend erörterten Gesichtspunkten schlechterdings unvereinbar. Sie lässt nicht im Ansatz nachvollziehbar erkennen, aufgrund welcher Umstände und/oder Erklärungen die Eheleute in ihrem Gemeinschaftlichen Testament nur zugunsten der beiden ehelich geborenen Kinder verfügt haben sollen, obwohl der Inhalt der Wiederverheiratungsklausel auch den Beteiligten zu 3. begünstigt und die Eheleute ihre Erbfolge durch das Testament vollständig und umfassend regeln wollten.
33
ee) Darüber gibt auch das Beschwerdevorbringen keinen Aufschluss. Der Hinweis der Beteiligten zu 1., das Verhältnis des Erblassers zum Beteiligten zu 3. sei „nie wirklich gut“ gewesen (Seite 2 des Schreibens vom 28.5.2025, Bl. 81 d.A.), ist derart substanzarm, dass er schon als solcher nicht den Schluss trägt, der Beteiligte zu 3. gehöre nicht zu den testamentarisch Begünstigten. Darüber hinaus schließt der Sachvortrag in keiner Weise die naheliegende Möglichkeit aus, dass der Erblasser seiner Ehefrau zu Liebe die beiden ehelichen Kinder und ihren in der Familie aufgewachsenen Sohn testamentarisch gleich bedacht hat.
34
ff) Ob der Beteiligte zu 3. nach dem Tod seiner Mutter den Kontakt zum Erblasser abgebrochen hat, ist für die Auslegung des Testaments ebenso bedeutungslos wie die Tatsache, dass der Erblasser das Familieneinkommen verdient hat. Unerheblich ist ebenso die Frage, in welchem Umfang die Beteiligten von welchem Elternteil zu dessen Lebzeiten in welcher Höhe finanziell unterstützt worden sind. Denn diese Gesichtspunkte betreffen entweder nicht den Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder haben keinerlei Niederschlag in dem Testamentstext gefunden und können deshalb wegen der Formbedürftigkeit eines Testaments (§§ 2247 Abs. 1, 2267 BGB) nicht in die Auslegung einbezogen werden (BGH, Beschluss vom 14.9.2022, IV ZB 34/21).
35
2. Das Einzeltestament des Erblassers vom 1. Juli 2022 ist unwirksam, weil es die wechselbezüglichen und infolge dessen mit dem Tod der Ehefrau bindend gewordenen letztwilligen Verfügungen nach deren Tod abändert, indem es den Beteiligten zu 3. von der Schlusserbfolge ausschließt.
36
a) Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 2005, 1931 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17; siehe auch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.4.2021, 20 W 3/20). Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGHZ 112, 229, 233). Ob Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden (BGH NJW-RR 1987, 1410; OLG München FamRZ 2010, 1846,1847; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17).
37
Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung der Wechselbezüglichkeit, muss nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden, ob sie wechselbezüglich ist oder nicht (BGH NJW-RR 1987, 1410). Führt die Ermittlung des Erblasserwillens weder zur gegenseitigen Abhängigkeit noch zur gegenseitigen Unabhängigkeit der beidseitigen Verfügung, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist allerdings erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel am Erblasserwillen nicht zu beseitigen sind (BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17; Senat, Beschluss vom 11.4.2022, I-3 Wx 82/21 m.w.N.).
38
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen in mehrfacher Hinsicht wechselbezüglich.
39
aa) Der Erblasser und seine Ehefrau haben zunächst wechselbezüglich testiert, soweit sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben. Denn die Erbeinsetzung des Ehemannes sollte mit der gleichzeitigen Erbeinsetzung der Ehefrau und die Berufung der Ehefrau mit derjenigen des Ehemannes stehen und fallen.
40
bb) Wechselbezüglichkeit besteht darüber hinaus zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Berufung der drei testamentarisch bedachten Kinder zu Schlusserben. Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Alleinerbin berufen, weil diese als Schlusserbe des gemeinsamen Vermögens die drei Kinder bestellt hat und umgekehrt.
41
Zwar enthält das gemeinsame Testament der Eheleute dazu keine ausdrückliche Erklärung. Die Wechselbezüglichkeit folgt allerdings aus den Umständen des Falles. Es ist in der obergerichtlichen Judikatur anerkannt, dass das Näheverhältnis der Testierenden zu einem als Schlusserbe Berufenen Rückschlüsse auf die Wechselbezüglichkeit der zugrunde liegenden letztwilligen Verfügung zulässt. So entspricht es einerseits der Lebenserfahrung, dass die Einsetzung eines Schlusserben, der mit keinem der testierenden Ehegatten verwandt oder verschwägert ist, dem überlebenden Teil das Recht belässt, die Schlusserbeneinsetzung zu ändern, und dass dies insbesondere dann gilt, wenn eine caritative oder gemeinnützige Organisation zur Schlusserbschaft berufen ist (OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17). Eine Wechselbezüglichkeit ist ferner abgelehnt worden, wenn als Schlusserben die gesetzlichen Erben des überlebenden Ehepartners berufen sind (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2.7.1997, 20 W 193/95). Andererseits spricht die Lebenserfahrung für eine bindende Schlusserbeneinsetzung, wenn ein Verwandter der testierenden Eheleute bedacht ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 9.4.1996, 20 W 265/95). Denn die verwandtschaftliche Nähe des Bedachten legt es im Allgemeinen nahe, dass dem betreffenden Ehepartner daran gelegen ist, dass das gemeinsame Vermögen - und damit auch sein eigener, wenn auch möglicherweise bei Eintritt des Schlusserbfalles bereits geschmälerter Nachlass - dem zum Schlusserben berufenen eigenen Verwandten zukommt. Das gilt in besonderem Maße, wenn Eltern ihre Kinder zu Schlusserben berufen. Es besteht ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte den anderen nur deswegen als Erbe eingesetzt hat, weil er darauf vertraut hat, dass das beim Tod des Überlebenden verbliebene gemeinsame Vermögen auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9.12.2024, 14 W 87/24 (Wx)). Das gilt mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch im Entscheidungsfall. Der Umstand, dass es sich bei dem Beteiligten zu 3. nicht um den ehelichen Sohn des Erblassers handelt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn die Eheleute haben in ihrem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 die beiden ehelich geborenen Söhne und den Beteiligten zu 3. gleich behandelt.
42
Unerheblich ist ebenso, dass der Erblasser im Jahre 2022 abweichend testiert und dadurch zum Ausdruck gebracht habe, sich an das gemeinschaftliche Testament nicht gebunden zu fühlen. Denn für die Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügungen kommt es auf den übereinstimmenden Willen der Eheleute bei Errichtung des Testaments im Jahre 1997 an. Darüber gibt das Verhalten des Erblassers im Jahr 2022 keinen tragfähigen Aufschluss.
43
III.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels demjenigen der Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.
45
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.
46
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 2 GNotKG. Bei der Bemessung des wirtschaftlichen Interesses der Beteiligten zu 1. und zu 2. an dem Beschwerdeverfahren hat der Senat ‒ den Wertangaben im Erbscheinantrags folgend ‒ einen Nachlasswertes von 150.000 Euro zugrunde gelegt und berücksichtigt, dass in der Beschwerdeinstanz der auf den Beteiligten zu 3. entfallende Erbteil von einem Drittel streitbefangen ist.
Tenor:
II. Die Beteiligten zu 1. und zu 2. haben gesamtschuldnerisch die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und dem Beteiligten zu 3. die ihm in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
IV. Der Beschwerdewert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2
I.
3
Die Beteiligten zu 1. und zu 2. sind die ehelichen Kinder des Erblassers und seiner im Juli 2020 vorverstorbenen Ehefrau. Der Beteiligte zu 3. ist der vorehelich geborene Sohn der Ehefrau des Erblassers, der bis zum Erwachsenenalter im Haushalt der Eheleute aufgewachsen ist.
4
Die Eheleute haben am 29. September 1997 (Bl. 47 d.A.) das folgende privatschriftliche gemeinschaftliche Testament errichtet:
5
Unser Letzter Wille
6
1.7
Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein. Der Überlebende ist mithin der alleinige Erbe. Erst nach dessen Tod soll der Nachlaß zu gleichen Teilen an unsere Kinder fallen.
8
2.9
Wenn unsere Kinder von dem Überlebenden den Pflichtteil verlangen, so geschieht dies gegen unseren Willen. Wer solche Ansprüche erhebt, soll auch aus dem Nachlass des Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten.
10
3.11
Heiratet der Überlebende wieder, so ist er verpflichtet, dreiviertel des Wertes, den der Nachlaß zur Zeit der Wiederverheiratung hat, den Kindern als Vermächtnis herauszugeben.
12
Nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser mit privatschriftlichem Einzeltestament vom 1. Juli 2022 (Bl. 55 f. d.A.) die Beteiligten zu 1. und zu 2. zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt und angefügt, dass dies auch der gemeinsame Wille bei Errichtung des Gemeinschaftlichen Testament am 29. September 1997 gewesen sei.
13
Auf Antrag der Beteiligten zu 1. und zu 2. hat das Nachlassgericht am 22. Oktober 2024 einen Gemeinschaftlichen Erbschein (Bl. 15 d.A.) erteilt, der sie als hälftige Erben des Erblassers ausweist. Dagegen hat sich der Beteiligte zu 3., der Stiefsohn des Erblassers, mit Schreiben vom 27. März 2025 (Bl. 24 d.A.) gewandt und geltend gemacht, dass er durch das privatschriftliche gemeinschaftliche Testament vom 29. September 1997 gleichfalls als Miterbe berufen sei. Die in jenem Testament verwendete Formulierung, wonach der Erblasser und seine Ehefrau „unsere Kinder“ zu Erben einsetzen, sei in diesem Sinne zu verstehen.
14
Das Nachlassgericht hat sich diesem Standpunkt angeschlossen und mit der angefochtenen Entscheidung den Erbschein vom 22. Oktober 2024 eingezogen.
15
Dagegen wenden sich die Beteiligten zu 1. und zu 2. mit ihren Beschwerden.
16
Zwischenzeitlich sind alle erteilten Ausfertigungen des Erbscheins an das Nachlassgericht zurückgesandt worden.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakte Bezug genommen.
18
II.
19
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
20
Das Amtsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen die Einziehung des Erbscheins vom 22. Oktober 2024 angeordnet, weil dieser inhaltlich unrichtig ist.
21
A. Die Beschwerden sind zulässig, obschon die Beteiligten zu 1. und zu 2. der Einziehungsanordnung entsprochen und alle Ausfertigungen des Erbscheins an das Nachlassgericht zurückgesandt haben. Zwar ist der Erbschein vom 22. Oktober 2024 dadurch gemäß § 2361 Satz 2 BGB kraftlos und sind die Rechtsbehelfe infolgedessen mit ihrem ursprünglichen Petitum gegenstandslos geworden. Die Einziehungsanordnung kann in einem solchen Fall allerdings mit dem Ziel angefochten werden, einen neuen gleichlautenden Erbschein zu erteilen (BGHZ 40, 54/56; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 4.11.1988, BReg 1 a Z 10/88). So liegt es auch hier, weshalb die zur Entscheidung stehenden Beschwerden auf die erneute Erteilung eines mit dem eingezogenen Erbschein inhaltsgleichen Erbscheins gerichtet sind. Nach der Begründung ihrer Beschwerden erstreben die Beteiligten zu 1. und zu 2. eine dahingehende Beschwerdeentscheidung. Denn sie stellen die rechtliche Beurteilung des Amtsgerichts, dass der eingezogene Erbschein sachlich unrichtig und der Erblasser von den Beteiligten zu 1., zu 2. und zu 3. beerbt worden sei, zur Überprüfung durch den Senat.
22
B. Die Beschwerden haben aber in der Sache keinen Erfolg.
23
Das Amtsgericht hat den Erbschein vom 22. Oktober 20024 gemäß § 2361 Satz 1 BGB zu Recht eingezogen, weil er inhaltlich unrichtig ist und die wahre Erbfolge nicht ausweist. Der Erblasser ist aufgrund des Gemeinschaftlichen Testaments vom 29. September 1997 nicht nur ‒ wie im eingezogenen Erbschein niedergelegt ‒ zu gleichen Teilen von den Beteiligten zu 1. und zu 2., sondern mit einem Anteil von einem Drittel auch von dem Beteiligten zu 3. beerbt worden, und das Einzeltestament des Erblassers vom 1. Juli 2022 lässt diese Schlusserbenbestimmung aus Rechtsgründen unberührt.
24
1. In dem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 haben der Erblasser und seine Ehefrau die Beteiligten zu 1. bis zu 3. zu gleichen Teilen zu Schlusserben berufen. Das ergibt die Auslegung der letztwilligen Verfügung.
25
a) Bei der Testamentsauslegung ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks festzuhalten. Die Ermittlung des Erblasserwillens darf sich daher nicht auf eine Analyse des Wortlauts be-schränken. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss vielmehr „hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen, wozu auch nicht der Testamentsform genügende Schriftstücke zählen. Erforderlich ist allerdings stets, dass der in Betracht gezogene Wille des Erblassers in dem Testament zumindest andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist. Denn eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 14.9.2022, IV ZB 34/21 Rn. 20 m.w.N., juris). Dementsprechend müssen für eine in Frage stehende testamentarische Anordnung des Erblassers wenigstens gewisse Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sein, die im Zusammenhang mit den sonstigen heranzuzie-henden Umständen außerhalb des Testaments den entsprechenden Willen des Erb-lassers erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 10.11.2021, IV ZB 30/20 Rn. 18, juris). Bei wechselseitigen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament ist darüber hinaus festzustellen, dass ein nach dem Verhalten des einen Testierenden mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen entsprochen hat. Dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an (Senat, Beschluss vom 25.11.2020, I-3 Wx 198/20 m.w.N.).
26
b) Im Entscheidungsfall war der gemeinsame letzte Wille des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau darauf gerichtet, die Beteiligten zu 1. bis zu 3. zu gleichen Teilen als ihre testamentarischen Schlusserben zu berufen.
27
aa) Zwar deutet der Wortlaut „unsere Kinder“ im Ausgangspunkt auf die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder der Eheleute. Während eine Erbeinsetzung von Eheleuten dahin, dass „die Kinder“ Erben sein sollen, nach ihrem Wortlaut ohne weiteres das Verständnis zulässt, dass sowohl die gemeinsamen ehelichen Kinder wie auch ein vorehelich geborenes Kind eines Ehepartners gemeint sind (siehe Senat, Beschluss vom 25.11.2020, I-3 Wx 198/20 m.w.N.), adressiert der Sinngehalt der vorliegend in Rede stehenden Formulierung durch die Verwendung des Possessivpronomens „unsere“ die gemeinsamen ehelichen Kinder; nur sie werden aus der rechtlich maßgeblichen Sicht beider testierenden Eheleute üblicherweise als „unsere“ Kinder bezeichnet.
28
Dieses am strengen Wortlaut ausgerichtete Begriffsverständnis ist allerdings nicht zwingend. Das vorehelich geborene Kind eines Ehepartners kann auch ohne eheliche Abstammung dann unter die Formulierung „unsere Kinder“ gefasst werden, wenn der andere Ehepartner im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu dem Kind ein enges persönliches Verhältnis unterhalten und es emotional wie sein eigenes Kind betrachtet hat. In diesem Fall werden beide Ehepartner gleichermaßen mit der Wendung „unsere Kinder“ sowohl die gemeinsamen ehelichen Abkömmlinge wie auch das zur Familie gehörende vorehelich geborene Kind des einen Ehepartners verbinden. Eine solche Fallkonstellation drängt sich auch im Entscheidungsfall auf. Wie das Nachlassgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt hat, ist der Beteiligte zu 3. bis in das Erwachsenenalter hinein im ehelichen Haushalt aufgewachsen und war fast zehn Jahre lang das einzige Kind der Eheleute. Der Beteiligte zu 3. hat unwidersprochen vorgetragen, dass er bei der Geburt des Beteiligten zu 1. fast zehn Jahre alt und bei der Geburt des Beteiligten zu 2. nahezu 19 Jahre alt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass auch der Erblasser seinen Stiefsohn im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als ein zur Familie gehörendes Kind betrachtet hat und auch ihn mit der Formulierung „unsere Kinder“ in die letztwillige Verfügung einbeziehen wollte.
29
bb) Darin fügt sich ein, dass beide Eheleute mit dem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 erkennbar ihre Erbfolge umfassend und abschließend regeln wollten. Sie haben sich nicht nur gegenseitig zu Alleinerben berufen und Schlusserben bestimmt, sondern auch durch die Aufnahme einer Pflichtteilsstrafklausel Vorkehrungen dagegen getroffen, dass der Überlebende durch die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen in finanzielle Bedrängnis gebracht werden kann. Sie haben überdies den Fall einer Wiederverheiratung des überlebenden Ehepartners bedacht und für diesen Fall Vermächtnisse zugunsten der Kinder angeordnet. Mit seinem Inhalt erfüllt das Gemeinschaftliche Testament nur dann uneingeschränkt seinen Zweck, wenn die Formulierung „unsere Kinder“ auch den Beteiligten zu 3. umfasst. Alleine in diesem Fall hätte nicht nur der Erblasser, sondern auch seine Ehefrau ihre Erbfolge in allen testamentarisch geregelten Punkten letztwillig geklärt. Nimmt man demgegenüber an, dass „unsere Kinder“ ausschließlich die Beteiligten zu 1. und zu 2. als eheliche Abkömmlinge in Bezug nimmt, enthält das Gemeinschaftliche Testament keine letztwilligen Anordnungen zur Person des Beteiligten zu 3.. Dieser wäre weder von seiner Mutter zum Schlusserben berufen worden noch würde er der Pflichtteilsstrafklausel unterfallen; denn beide Anordnungen beziehen sich ausdrücklich auf „unsere Kinder“. Gleiches gilt für die Wiederverheiratungsklausel, die mit der Formulierung „den Kindern“ den in den beiden vorstehenden Ziffern des Testaments angesprochenen Personenkreis („unsere Kinder“) aufgreift. Die erbrechtlichen Ansprüche des Beteiligten zu 3. würden sich vielmehr nach dem Gesetz richten.
30
Für einen dahingehenden letzten Willen der Eheleute bei Testamentserrichtung spricht nichts. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vorverstorbene Ehefrau mit dem Gemeinschaftlichen Testament nur ihre beiden ehelich geborenen Söhne begünstigen wollte, nicht aber auch ihren vorehelich geborenen Sohn, obschon er in der Familie wie ein eheliches Kind aufgewachsen ist. Die Erkenntnis, dass seine Frau die drei Kinder testamentarisch gleichbehandelt wissen wollte, drängte sich für den Erblasser auf. Das gilt umso mehr, als der Beteiligte zu 3. nach den Schilderungen seiner Stiefbrüder im Verfahren zeitlebens von seiner Mutter unterstützt worden ist. Dass der Erblasser dem Wunsch nach Gleichbehandlung der drei Kinder bei Testamentserrichtung widersprochen und eine zum Nachteil seiner Ehefrau lückenhafte letztwillige Verfügung gefordert hat, so dass der gemeinsame Wille der Eheleute bei Abfassung des Testaments darauf gerichtet war, ausschließlich Regelungen für die beiden ehelich geborenen Kinder zu treffen und die Rechte des Stiefbruders ungeregelt zu lassen, ist nicht zu erkennen. Darauf deutet kein einziges Indiz.
31
cc) Bestätigt wird der Befund, dass die Formulierung „unsere Kinder“ auch den Beteiligten zu 3. umfasst, schließlich durch den Inhalt der Wiederverheiratungsklausel in Ziffer 3. des Gemeinschaftlichen Testaments. Danach hat der überlebende Ehepartner „den Kindern“ drei Viertel des im Zeitpunkt der Wiederverheiratung vorhandenen Nachlasswertes als Vermächtnis auszuzahlen. Die Verfügung ist ganz offensichtlich darauf gerichtet, den bei Heirat vorhandenen Nachlass zwischen dem überlebenden Ehepartner und den Kindern zu gleichen Teilen aufzuteilen und die neue Ehefrau vom Vermögen auszuschließen. Sollen die begünstigten Kinder ‒ wie angeordnet ‒ drei Vierteil des Nachlasswertes erhalten, muss der Beteiligte zu 3. neben seinen beiden Stiefbrüdern begünstigt sein; andernfalls wäre der Nachlasswert nämlich zwischen dem wiederverheirateten Ehepartner und den beiden ehelichen Kindern zu dritteln gewesen. Das zwingt zu der Schlussfolgerung, dass der Beteiligte zu 3. zu den im Gemeinschaftlichen Testament genannten Kindern („unsere Kinder“, „den Kindern“) gehört und neben den Beteiligten zu 1. und zu 2. testamentarischer Schlusserbe geworden ist.
32
dd) Dass der Erblasser in seinem privatschriftlichen Einzeltestament vom 1. Juli 2022 ‒ aus welchen Gründen auch immer ‒ einen abweichenden Testierwillen behauptet, ändert nichts. Die Behauptung des Erblassers ist mit den vorstehend erörterten Gesichtspunkten schlechterdings unvereinbar. Sie lässt nicht im Ansatz nachvollziehbar erkennen, aufgrund welcher Umstände und/oder Erklärungen die Eheleute in ihrem Gemeinschaftlichen Testament nur zugunsten der beiden ehelich geborenen Kinder verfügt haben sollen, obwohl der Inhalt der Wiederverheiratungsklausel auch den Beteiligten zu 3. begünstigt und die Eheleute ihre Erbfolge durch das Testament vollständig und umfassend regeln wollten.
33
ee) Darüber gibt auch das Beschwerdevorbringen keinen Aufschluss. Der Hinweis der Beteiligten zu 1., das Verhältnis des Erblassers zum Beteiligten zu 3. sei „nie wirklich gut“ gewesen (Seite 2 des Schreibens vom 28.5.2025, Bl. 81 d.A.), ist derart substanzarm, dass er schon als solcher nicht den Schluss trägt, der Beteiligte zu 3. gehöre nicht zu den testamentarisch Begünstigten. Darüber hinaus schließt der Sachvortrag in keiner Weise die naheliegende Möglichkeit aus, dass der Erblasser seiner Ehefrau zu Liebe die beiden ehelichen Kinder und ihren in der Familie aufgewachsenen Sohn testamentarisch gleich bedacht hat.
34
ff) Ob der Beteiligte zu 3. nach dem Tod seiner Mutter den Kontakt zum Erblasser abgebrochen hat, ist für die Auslegung des Testaments ebenso bedeutungslos wie die Tatsache, dass der Erblasser das Familieneinkommen verdient hat. Unerheblich ist ebenso die Frage, in welchem Umfang die Beteiligten von welchem Elternteil zu dessen Lebzeiten in welcher Höhe finanziell unterstützt worden sind. Denn diese Gesichtspunkte betreffen entweder nicht den Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder haben keinerlei Niederschlag in dem Testamentstext gefunden und können deshalb wegen der Formbedürftigkeit eines Testaments (§§ 2247 Abs. 1, 2267 BGB) nicht in die Auslegung einbezogen werden (BGH, Beschluss vom 14.9.2022, IV ZB 34/21).
35
2. Das Einzeltestament des Erblassers vom 1. Juli 2022 ist unwirksam, weil es die wechselbezüglichen und infolge dessen mit dem Tod der Ehefrau bindend gewordenen letztwilligen Verfügungen nach deren Tod abändert, indem es den Beteiligten zu 3. von der Schlusserbfolge ausschließt.
36
a) Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG FamRZ 2005, 1931 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17; siehe auch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.4.2021, 20 W 3/20). Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGHZ 112, 229, 233). Ob Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden (BGH NJW-RR 1987, 1410; OLG München FamRZ 2010, 1846,1847; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17).
37
Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung der Wechselbezüglichkeit, muss nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden, ob sie wechselbezüglich ist oder nicht (BGH NJW-RR 1987, 1410). Führt die Ermittlung des Erblasserwillens weder zur gegenseitigen Abhängigkeit noch zur gegenseitigen Unabhängigkeit der beidseitigen Verfügung, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zu Gunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist allerdings erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel am Erblasserwillen nicht zu beseitigen sind (BayObLG FamRZ 2005, 1931; OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17; Senat, Beschluss vom 11.4.2022, I-3 Wx 82/21 m.w.N.).
38
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen letztwilligen Verfügungen in mehrfacher Hinsicht wechselbezüglich.
39
aa) Der Erblasser und seine Ehefrau haben zunächst wechselbezüglich testiert, soweit sie sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben. Denn die Erbeinsetzung des Ehemannes sollte mit der gleichzeitigen Erbeinsetzung der Ehefrau und die Berufung der Ehefrau mit derjenigen des Ehemannes stehen und fallen.
40
bb) Wechselbezüglichkeit besteht darüber hinaus zwischen der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute und der Berufung der drei testamentarisch bedachten Kinder zu Schlusserben. Der Erblasser hat seine Ehefrau zur Alleinerbin berufen, weil diese als Schlusserbe des gemeinsamen Vermögens die drei Kinder bestellt hat und umgekehrt.
41
Zwar enthält das gemeinsame Testament der Eheleute dazu keine ausdrückliche Erklärung. Die Wechselbezüglichkeit folgt allerdings aus den Umständen des Falles. Es ist in der obergerichtlichen Judikatur anerkannt, dass das Näheverhältnis der Testierenden zu einem als Schlusserbe Berufenen Rückschlüsse auf die Wechselbezüglichkeit der zugrunde liegenden letztwilligen Verfügung zulässt. So entspricht es einerseits der Lebenserfahrung, dass die Einsetzung eines Schlusserben, der mit keinem der testierenden Ehegatten verwandt oder verschwägert ist, dem überlebenden Teil das Recht belässt, die Schlusserbeneinsetzung zu ändern, und dass dies insbesondere dann gilt, wenn eine caritative oder gemeinnützige Organisation zur Schlusserbschaft berufen ist (OLG München, Beschluss vom 7.12.2017, 31 Wx 337/17). Eine Wechselbezüglichkeit ist ferner abgelehnt worden, wenn als Schlusserben die gesetzlichen Erben des überlebenden Ehepartners berufen sind (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2.7.1997, 20 W 193/95). Andererseits spricht die Lebenserfahrung für eine bindende Schlusserbeneinsetzung, wenn ein Verwandter der testierenden Eheleute bedacht ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 9.4.1996, 20 W 265/95). Denn die verwandtschaftliche Nähe des Bedachten legt es im Allgemeinen nahe, dass dem betreffenden Ehepartner daran gelegen ist, dass das gemeinsame Vermögen - und damit auch sein eigener, wenn auch möglicherweise bei Eintritt des Schlusserbfalles bereits geschmälerter Nachlass - dem zum Schlusserben berufenen eigenen Verwandten zukommt. Das gilt in besonderem Maße, wenn Eltern ihre Kinder zu Schlusserben berufen. Es besteht ein Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte den anderen nur deswegen als Erbe eingesetzt hat, weil er darauf vertraut hat, dass das beim Tod des Überlebenden verbliebene gemeinsame Vermögen auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9.12.2024, 14 W 87/24 (Wx)). Das gilt mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch im Entscheidungsfall. Der Umstand, dass es sich bei dem Beteiligten zu 3. nicht um den ehelichen Sohn des Erblassers handelt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn die Eheleute haben in ihrem Gemeinschaftlichen Testament vom 29. September 1997 die beiden ehelich geborenen Söhne und den Beteiligten zu 3. gleich behandelt.
42
Unerheblich ist ebenso, dass der Erblasser im Jahre 2022 abweichend testiert und dadurch zum Ausdruck gebracht habe, sich an das gemeinschaftliche Testament nicht gebunden zu fühlen. Denn für die Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügungen kommt es auf den übereinstimmenden Willen der Eheleute bei Errichtung des Testaments im Jahre 1997 an. Darüber gibt das Verhalten des Erblassers im Jahr 2022 keinen tragfähigen Aufschluss.
43
III.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels demjenigen der Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.
45
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.
46
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 40 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 2 GNotKG. Bei der Bemessung des wirtschaftlichen Interesses der Beteiligten zu 1. und zu 2. an dem Beschwerdeverfahren hat der Senat ‒ den Wertangaben im Erbscheinantrags folgend ‒ einen Nachlasswertes von 150.000 Euro zugrunde gelegt und berücksichtigt, dass in der Beschwerdeinstanz der auf den Beteiligten zu 3. entfallende Erbteil von einem Drittel streitbefangen ist.