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  • 24.07.2017 · IWW-Abrufnummer 195367

    Oberlandesgericht München: Urteil vom 01.06.2017 – 23 U 3956/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG München, 01.06.2017 - 23 U 3956/16

    In dem Rechtsstreit
    ...
    - Kläger und Berufungsbeklagter -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ...
    gegen
    ...
    - Beklagte und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ...
    wegen Auskunft
    erlässt das Oberlandesgericht München - 23. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 folgendes
    Endurteil
    Tenor:

        1.

        Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.08.2016, Az. 6 O 2889/16, wird zurückgewiesen.
        2.

        Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
        3.

        Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
        4.

        Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Der Kläger macht als Pflichtteilsberechtigter im Wege der Stufenklage Ansprüche gegen die Beklagte als Erbin geltend. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers, der Kläger ein Sohn. Mit Erbvertrag vom 11.11.2003 (Anlage K 1) und Nachtrag vom 19.03.2012 (Anlage K 3) setzten der Erblasser und die Beklagte sich gegenseitig als Alleinerben nach dem Tod des Erstverstrebenden und als Schlusserben den anderen Sohn der Beklagten und dessen Tochter ein. Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 19.02.2015 (Anlage K 6) dem Kläger ein Nachlassverzeichnis mit Belegen und erteilte mit Schreiben vom 14.04.2015 weitere Auskünfte über den Nachlass.

    Der Kläger behauptet, die erteilten Auskünfte seien lückenhaft.

    Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses (Aktiva und Passiva) des am 01.09.2014 verstorbenen Erblassers, Siegfried Rudolf M., zum Todestag durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Kläger und sein Rechtsbeistand hinzuziehen sind,

    hilfsweise dass das durch den Notar aufgenommene Verzeichnis im Falle der Dürftigkeit des Nachlasses auf Kosten des Klägers erstellt wird.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte behauptet, sie habe bereits vollständig über den Nachlass Auskunft erteilt. Zudem sei der Nachlass überschuldet und das Vorgehen des Klägers rechtsmissbräuchlich.

    Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines durch einen Notar auf Kosten des Klägers aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Rechtsbeistand des Klägers anwesend ist. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. (Auskunftserteilung) abgewiesen. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs sei nicht rechtsmissbräuchlich. Allerdings führe die Erhebung der Dürftigkeitseinrede durch die Beklagte dazu, dass das notarielle Nachlassverzeichnis auf Kosten des Klägers zu erstellen sei.

    Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Der Antrag des Klägers sei rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte die Auskünfte schon erteilt habe und ein notarielles Nachlassverzeichnis keine höhere Gewähr für die Richtigkeit biete. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Dürftigkeit des Nachlasses durch Erstellung eines Inventarverzeichnisses oder durch eine eidesstattliche Versicherung nachzuweisen. Der Kläger habe auch dann keinen Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis, wenn er sich bereit erkläre, die Kosten dafür zu übernehmen.

    Die Beklagte beantragt daher:

    Das Teilurteil des Landgerichts München I, Az. 6 O 2889/16, vom 12.08.2016 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses des am 01.09.2014 verstorbenen Erblassers Siegfried Rudolf M. zum Todestag durch Vorlage eines durch einen Notar auf Kosten des Klägers aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Rechtsbeistand des Klägers hinzuzuziehen ist. Der Antrag auf Auskunft wird abgewiesen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil.

    Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 Bezug genommen.

    II.

    Die Berufung der Beklagten ist zulässig, verbleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

    1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist die Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Auf den Beschluss des Senats vom 04.01.2017 (Bl. 74 ff d.A.) wird Bezug genommen.

    2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

    2.1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung eines notariellen Verzeichnisses aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zu.

    2.1.1. Der Kläger ist unstreitig Pflichtteilsberechtigter, die Beklagte die Alleinerbin.

    2.1.2. Das Verlangen des Klägers ist nicht rechtsmissbräuchlich.

    2.1.2.1. Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses wird nicht dadurch berührt, dass der Erbe bereits ein privates Verzeichnis vorgelegt hat. Vielmehr kann der Pflichtteilsberechtigte die Ansprüche auf Erteilung eines privaten und eines notariellen Verzeichnisses neben- oder hintereinander geltend machen (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 - V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller in Beckscher Online-Kommentar BGB, Stand 01.08.2016, § 2314 Rz. 22; Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl, § 2314 Rz.7). Das Verlangen nach einem notariell aufgenommenen Verzeichnis ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn zuvor ein privates Verzeichnis vorgelegt wurde. Denn dem notariell aufgenommenen Verzeichnis kommt eine größere Richtigkeitsgarantie zu (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 - V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller, a.a.O, Rz. 23). Der Notar ist für dessen Inhalt verantwortlich, hat den Verpflichteten zu belehren und ist in gewissem Umfang zur Vornahme eigener Ermittlungen und Überprüfung der Richtigkeit der Angaben des Erben verpflichtet (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 - V ZR 124/59]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881, 882; OLG Koblenz, NJW 2014, S. 1972 f; Müller, a.a.O., Rz. 23). Je nach Einzelfall hat der Notar beispielsweise das Grundbuch einzusehen und ggf. Bankunterlagen anzufordern (OLG Koblenz, NJW 2014, S. 1972 [OLG Koblenz 18.03.2014 - 2 W 495/13] f; Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl, § 2314 Rz. 7).

    Nur in besonderen Einzelfällen kann dem Anspruch aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB, wie jedem anderen Anspruch auch, der Einwand des Rechstmissbrauchs oder der Schikane entgegenstehen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BGH NJW 1961, S. 602, 604 [BGH 02.11.1960 - V ZR 124/59]; Stenzel, ZJS 2014, S. 110 ff, 114).

    2.1.2.2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verlangen des Klägers nicht rechtsmissbräuchlich:

    Wie oben dargelegt, schließt allein die Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses nebst ergänzenden Auskünften durch die Beklagte den Anspruch des Klägers nicht aus und macht sein Begehren auch nicht rechtsmissbräuchlich. Besondere Umstände, die zu einem anderen Ergebnis führten, liegen nicht vor. Zwar ist die Beklagte bereits betagt und nach ihrem Vortrag krank und die Parteien sind seit langem verstritten. Dies lässt die Klage aber nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen. Dass der Kläger für das notariell aufgenommene Verzeichnis keinerlei Verwendung hätte und es aus überwiegend pflichtteilsfremden Gründen einforderte, ist - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.05.2017 - nicht ersichtlich. Selbst wenn der Kläger die Vermögensverhältnisse des Erblassers im Jahr 2003 "bestens" gekannt hätte, ließe sich daraus nicht folgern, dass der Kläger den genauen Bestand des Nachlasses 2014 kannte. Insbesondere ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zum Erblasser hatte.

    2.2. Die Beklagte kann sich vorliegend nach Treu und Glauben, § 242 BGB, nicht auf die Dürftigkeit des Nachlasses berufen.

    2.2.1. Grundsätzlich kann der Erbe die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses dann verweigern, wenn ein Aktivnachlass, aus dem die Kosten für den Notar entnommen werden können, nicht vorhanden sind. Die Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses kann nicht unerhebliche Kosten verursachen. Nach § 2314 Abs. 2 BGB fallen die Kosten des notariellen Verzeichnisses dem Nachlass zur Last. Ist ein Aktivnachlass nicht vorhanden, hätte letztlich der Erbe diese Kosten aus seinem Privatvermögen aufzubringen. Dies spricht dafür, entsprechend § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Erben die Möglichkeit zu eröffnen, bei Dürftigkeit des Nachlasses die Erholung eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu verweigern (OLG Schleswig, ZEV 2011, S. 31 [OLG Schleswig 30.07.2010 - 3 W 48/10]; OLG München, Beschluss vom 17.06.2013, 20 U 2127/13, [...] Tz. 5; Otte in Staudinger, BGB, 2015, § 2314 Rz. 105; Weidlich in Palandt, a.a.O., § 2314 Rz. 18). Entsprechendes hat der BGH bereits für den Wertermittlungsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB angenommen (BGH, Urteil vom 19.04.1989, IV a ZR 85/88, [...] Tz. 8). Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten elementarer sein kann als der Wertermittlungsanspruch, bei dem der Pflichtteilsberechtigte von der Zugehörigkeit der zu bewertenden Sache zum Nachlass ohnehin schon Kenntnis hat. Dennoch wird der Pflichtteilsberechtigte nicht ganz schutzlos gestellt. Ihm verbleibt jedenfalls die Möglichkeit, eine private Auskunft nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB und ggf. eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Auskunft vom Erben zu verlangen (OLG Schleswig, ZEV 2011, S. 31).

    2.2.2. Ausgehend hiervon könnte die Beklagte grundsätzlich die Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses verweigern, sofern - wie von ihr behauptet - der Nachlass dürftig wäre. Den Nachweis der Dürftigkeit hat die Beklagte zu führen (Weidlich in Palandt, a.a.O., § 1990 Rz. 2). Indessen kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob tatsächlich der Nachlass überschuldet und kein Aktivnachlass vorhanden ist, wie die Beklagte behauptet. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls ist es der Beklagten nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Einrede der Dürftigkeit nach § 1990 Abs. 1 BGB zu berufen.

    Der Kläger hat der Beklagten mehrfach ausdrücklich angeboten, die gesetzlich anfallenden Notarkosten zu übernehmen. Darüber hinaus hat der Kläger - zuletzt im Schriftsatz vom 03.04.2017 (S. 9, Bl. 92 d.A.) sogar angeboten, die gesetzlich anfallenden Gebühren im Voraus direkt an den Notar zu entrichten. Nachvollziehbare Gründe, weshalb die Beklagte sich dennoch unter Berufung auf die Dürftigkeit des Nachlasses einer notariellen Aufnahme verweigert, hat sie - auch im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.05.2017 - nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich. Zwar verweist die Beklagte zurecht darauf, dass sie, wenn sie das Notariat beauftragt, Kostenschuldnerin bleibt. Das Risiko, selbst Gebühren an den Notar zahlen und anschließend gegen den Kläger klageweise geltend machen zu müssen, besteht damit grundsätzlich. Jedoch wird dieses Risiko deutlich verringert, da sich der Kläger bereit erklärt hat, die Kosten im Voraus direkt an das Notariat zu überweisen. Letztlich verbleibt damit nur die Gefahr, dass seitens des Notariats eine Nachforderung gegenüber dem Vorschuss erhoben wird. Dies wäre aber im wesentlichen dann zu befürchten, wenn sich bei Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses ergäbe, dass der Nachlass erheblich umfangreicher und werthaltiger wäre als von der Beklagten bislang angegeben. Da die Beklagte behauptet, den Nachlass bereits wahrheitsgemäß und vollständig angeführt zu haben und zu diesem auch keine Gegenstände gehören, über deren Wert erhebliche Unklarheit herrscht - wie etwa bei Grundstücken - , erscheint ausgehend vom eigenen Vortrag der Beklagten im hiesigen Verfahren das Risiko erheblicher Nachschussforderungen des Notars gering.

    Die Argumentation der Beklagten, es lasse sich im vorhinein nicht beurteilen, welche Gebühren anfallen werden, erschließt sich nicht. Die Beklagte hat selbst ein Schreiben des Notars Joseph H. vom 21.12.2016 vorgelegt (nach Bl. 71 d.A.), in dem dieser genau ausführt, welche konkreten Gebühren für die Erstellung des notariellen Verzeichnisses anfallen. Zudem ist aus diesem Schreiben auch zu ersehen, dass die Gebühren keinen allzu hohen Umfang erreichen. Selbst ausgehend von einem - vom Kläger behaupteten und von der Beklagten bestrittenen - Geschäftswert von 75.000,00 Euro beliefen sich die Gebühren nur auf knapp 600,00 Euro.

    Ob der vom Landgericht und zum Teil in der Literatur (vgl. Stenzel, ZJS 2014, S. 110 ff, 115, Kuhn / Trappe, ZEV 2011, S. 347 ff, 349; a.A. LG Amberg, Urteil vom 17.12.2015, 12 O 297/15, [...] Tz. 92 ff.) vertretenen Ansicht, der Pflichtteilsberechtigte habe generell bei Dürftigkeit des Nachlasses einen Anspruch auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses auf seine Kosten, zu folgen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben.

    2.3. Soweit nach dem Tenor des Landgerichts bei Aufstellung des Nachlassverzeichnisses ein Rechtsbeistands des Klägers zuzuziehen ist, begegnet das Urteil des Landgerichts keinen Bedenken. Das Anwesenheitsrecht des Klägers gilt auch für die Aufnahme des notariellen Verzeichnisses und umfasst auch die Zuziehung eines Vertreters oder Beistands (Lange in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl, § 2314 Rz. 33).

    3. Die Entscheidung über die Kosten ist dem Schlussurteil vorzubehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 Satz 1, 2, § 713 ZPO.

    4. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.