Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Pflichtteil

    Pflichtteilsanspruch: steuerliche Geltendmachung gegen sich selbst nach dem Tod des Verpflichteten

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, Fachanwalt Steuerrecht, Magdeburg

    | Der BFH hat entschieden, dass zivilrechtlich durch Konfusion erloschene Rechtsverhältnisse im Erbschaftsteuerrecht nicht uneingeschränkt gem. § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen gelten (BFH 5.2.20, II R 1/16, Abruf-Nr. 216750 ). |

    Sachverhalt

    Der Vater (V) des Pflichtteilsberechtigten (P) wurde von seiner Ehefrau (F), der Stiefmutter des P, allein beerbt. P machte zunächst keine Pflichtteilsansprüche geltend. Die F wurde von P allein beerbt. Nachdem der Erbschaftsteuerbescheid bestandskräftig geworden war, beantragte P, den Bescheid gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu ändern und den von ihm geltend gemachten Pflichtteilsanspruch nachträglich als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Er hatte, nachdem F verstorben und er deren alleiniger Erbe geworden ist, mit einem an sich selbst gerichteten Schreiben seinen Pflichtteilsanspruch aus der Erbschaft nach V geltend gemacht. Erbschaftsteuer für den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs entsteht nicht, da der Wert des Reinnachlasses den geltenden Freibetrag übersteigt. Das Finanzamt (FA) lehnte den Änderungsantrag ab. Das FG und ihm folgend der BFH lehnten das Begehren des P wegen Verjährung des Pflichtteilsanspruch ab.

     

     

    Entscheidungsgründe

    Der Pflichtteilsanspruch wird als Nachlassverbindlichkeit und als Erwerb von Todes wegen erst bedeutsam, wenn er geltend gemacht wird (§ 10 Abs. 5 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dann entsteht die Erbschaftsteuer für den Erwerb mit der Geltendmachung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG). Für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit wirkt die Geltendmachung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), zurück. Sie stellt ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO dar (BFH 19.2.13, II R 47/11, BStBl II 13, 332). Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete, ist die Pflichtteilsverpflichtung daher nur dann eine abziehbare Nachlassverbindlichkeit, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hat oder ihn nach dessen Tod geltend macht.

     

    Diese Grundsätze gelten auch, wenn ‒ wie hier ‒ der P zugleich der Erbe der verstorbenen Pflichtteilsverpflichteten F ist. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG umfasst auch das Recht des Berechtigten, die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs als Alleinerbe des Verpflichteten nachzuholen. Gibt der Pflichtteilsberechtigte eine entsprechende Erklärung ab, hat das FA diese für die Besteuerung des Erwerbs des Pflichtteils und für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen (BFH, a. a. O.).

     

    Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der aufgrund Konfusion zivilrechtlich erloschene Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerrechtlich auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ bei Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war. Ist dies der Fall, können aus der Geltendmachung nachträglich nicht die erbschaftsteuerrechtlichen Folgen beansprucht werden. Zwar hindert zivilrechtlich die Verjährung einer Forderung grundsätzlich nicht deren Geltendmachung. Dies gilt jedoch nicht für den durch Konfusion erloschenen Pflichtteilsanspruch. Anderenfalls würde allein aufgrund der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG die Funktion der Verjährung, Rechtsfrieden herbeizuführen, insoweit aufgehoben.

    Relevanz für die Praxis

    Der BFH stellt sich gegen die im Schrifttum zum Teil vertretene Meinung,wonach der Berechtigte sein Bestimmungsrecht auch noch nach Verjährung ausüben könne. Er argumentiert mit dem übergeordneten Gedanken des Rechtsfriedens. Vor diesem Hintergrund sind Berliner Testamente zu überprüfen, ob sie im Hinblick auf die BFH-Entscheidung noch steueroptimiert sind.

     

    Da der Pflichtteilsanspruch der Regelverjährung von drei Jahren unterliegt (§ 195 BGB), sollte eine Fristverlängerung in Erwägung gezogen werden. Für die Gestaltungspraxis besteht einerseits die Möglichkeit, die Verjährungsfrist bereits in der Verfügung von Todes wegen angemessen zu verlängern (hierzu Keim, ZEV 04, 173). Für den Pflichtteilsberechtigten ist dies eine ausschließlich begünstigende Erklärung, von der er allerdings regelmäßig erst Kenntnis erlangen wird, sobald ihm die eröffnete letztwillige Verfügung bekannt geworden ist. Erst in diesem Zeitpunkt wird sie ihm gegenüber wirksam. Bis dahin besteht die Gefahr, dass der Erbe sie widerruft. Dieses unerwünschte Ergebnis lässt sich wiederum vermeiden, indem zu Lebzeiten eine Vereinbarung über die Verlängerung der Verjährungsfrist getroffen wird. Dabei istallerdings die Verlängerung als aufschiebende Bedingung so zu formulieren, dass sie nur gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte auch Schlusserbe des Überlebenden wird. Anderenfalls wäre der Überlebende einer längeren Verjährungsfrist hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs ausgesetzt.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Billig, BFH nimmt Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten in Zusammenhang mit einem Pflichtteilsanspruch, UVR 2017, 345
    • Schneider/Dohse, Pflichtteilsansprüche als Fallstricke in der Nachfolgeplanung, UVR 2018, 28
    Quelle: Ausgabe 09 / 2020 | Seite 148 | ID 46721845