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  • · Fachbeitrag · Testamentsauslegung

    Risiko und Chance zugleich: Grundlagen und Hintergründe der Auslegung

    von RA und VRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar

    | Insbesondere von juristischen Laien verfasste, privatschriftliche Testamente sind oft missverständlich oder widersprüchlich und gelegentlich zeitlich überholt. Sie bedürfen der Auslegung, die im Rechtsstreit letztlich der Richter vornimmt. Die Auslegung kann über den Erfolg eines gerichtlichen Verfahrens entscheiden. Auch der Anwalt sollte es sich daher zur Aufgabe machen, die letztwillige Verfügung mandantengünstig auszulegen. Profunde Grundlagenkenntnisse, die der Autor fortan in einer Beitragsserie vermittelt, helfen, eine etwaige Regresspflicht des Anwalts zu vermeiden. |

    1. Gesetzlicher Rahmen der Auslegung

    Letztwillige Verfügungen enthalten als einseitige Rechtsgeschäfte Willenserklärungen, deren zulässiger Inhalt durch die gesetzlich vorgegebenen Verfügungsmöglichkeiten begrenzt wird. Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Diese Vorschrift aus dem Allgemeinen Teil ist grundsätzlich auch im Erbrecht anwendbar. Sie wird allerdings durch zahlreiche besondere Vorschriften ergänzt. Die meisten dieser Vorschriften sind sogenannte Zweifelsregelungen, die nur Anwendung finden sollen, wenn eine individuelle Auslegung nicht zum Erfolg führt.

    2. Gegenstand und Faktoren der Auslegung

    Gegenstand der Auslegung sind die im Testament enthaltenen Willenserklärungen. Die Frage der Auslegung einer Willenserklärung stellt sich im Erbrecht, wenn das Gesetz an den Willen des Testierenden bei Abgabe der Erklärung anknüpft. Sie kann mithin nicht nur den Inhalt einer Willenserklärung, sondern auch andere Begebenheiten betreffen wie:

     

    • das Vorhandensein einer letztwilligen Verfügung (Testierwille),
    • die konkrete Art der letztwilligen Verfügung (Wechselbezüglichkeit) oder
    • deren Geltung (Fortgeltung zum Beispiel nach Ehescheidung).

    3. Grundlagen der Auslegung

    Die Willenserklärungen sind nicht isoliert, sondern in Zusammenhang mit dem gesamten Testament zu würdigen. Eine Auslegung darf nur vorgenommen werden, wenn tatsächlich letztwillige Verfügungen vorliegen. Diese müssen in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und mit Testierwillen errichtet worden sein.

     

    Wichtig | Einem Testament, das an einem Formmangel leidet, kann nicht durch Auslegung des erklärten Willens zur Wirksamkeit verholfen werden.

     

    a) Ziel ist die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen Sinns

    Ziel der Auslegung ist, ihren rechtlich maßgeblichen Inhalt (Sinn) zu ermitteln (BGH ZEV 97, 376). Insoweit unterscheidet sich die Auslegung von Testamenten, also einseitigen Rechtsgeschäften mit nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht von der Auslegung anderer Willenserklärungen (Palandt/Ellenberger, BGB, 72. Aufl., § 133 Rn. 1).

     

    Der Wille des Erblassers ist der wichtigste Faktor zur Ermittlung des rechtlich maßgeblichen Sinns, nicht jedoch der einzige. Die übrigen Faktoren sind:

     

    • der Wortlaut des Testaments,
    • die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, von denen der Erfolg der Verfügung abhängt (etwa im Sinne des § 2084 BGB) und
    • die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 2066 ff. BGB).

     

    Keine Bedeutung hat - anders als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden - der Empfängerhorizont, weil die letztwillige Verfügung als nicht empfangsbedürftige Willenserklärung keinen Empfänger im rechtlichen Sinne hat (Staudinger/Otte, BGB, 2013, Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 24). Dies gilt auch für die Sicht des von der Verfügung Betroffenen. Die Willenserklärungen in einer letztwilligen Verfügung begründen keinen Vertrauensschutz, weil der Inhalt des Testaments jederzeit geändert werden kann.

     

    MERKE | Der Wille des Erblassers kann nur maßgeblich sein, wenn er formgültig geäußert ist. Bei der Ermittlung dieses Willens dürfen aber auch Umstände herangezogen werden, die außerhalb der Urkunde liegen. Insoweit besagt die sogenannte Andeutungstheorie, dass der Erblasserwille für den Erklärungsinhalt nur maßgeblich ist, wenn er einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck im Testament gefunden hat (h.M.: BGH FamRZ 81, 662; BayObLG FamRZ 04, 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 00, 914).

    b) Formulierungen des BGH zur Auslegung letztwilliger Verfügungen

     

    • „Dieser Aufgabe kann der Richter (Auslegende) nur voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt, sondern auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranzieht und sich auch ihrer zur Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers bedient.“ (BGHZ 86, 41=NJW 83, 672)

     

    • „Gelingt es ihm trotz der Auswertung aller zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlichen Umstände nicht, sich von dem tatsächlich vorhandenen, wirklichen Willen zu überzeugen, muss er sich notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen am ehesten entspricht. Geben die Parteien dem Richter hierzu keine außerhalb der Urkunde liegenden Umstände an die Hand, bleibt er gegebenenfalls darauf angewiesen, sich allein auf eine Ausdeutung des Wortlauts zu beschränken.“ (BGH NJW 81, 2745)

     

    • „Bei einem solchen Vorgehen des Richters handelt es sich, wenn es geboten ist, immer nur um eine zweitbeste Lösung, gewissermaßen um einen Notbehelf, weil der mutmaßliche Erblasserwille den wirklichen Willen des Erblassers eben weniger sicher trifft und ihm daher prinzipiell nicht ganz so nahe kommen kann, als wenn der tatsächliche Wille des Erblassers bewiesen oder sogar zugestanden wäre. Gerade weil es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers geht, und weil dieser auch in den seltenen Fällen klaren und eindeutigen Wortlauts den Vorrang vor eben diesem Wortlaut hat (BGH WM 80, 1171), kann der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenze gesetzt sein.“ (BGH NJW 81, 1562)

     

    MERKE | Bei der Testamentsauslegung geht es nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser sagen wollte (BGH FamRZ 93, 318). Die für die Auslegung entscheidende Frage geht nicht dahin, ob der Wille oder die Erklärung maßgebend sein sollen. Es kommt darauf an, festzustellen, welcher Wille im Rechtssinn als erklärt anzusehen ist (MüKo/Leipold, BGB, 5. Aufl., § 2084 Rn. 8).

    4. Voraussetzungen: Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit

    Für eine Auslegung muss eine letztwillige Verfügung auslegungsfähig und -bedürftig sein (OLG Dresden ZErb 10, 368). Soweit der Erblasser seinen Willen zweifelsfrei erklärt hat, keine Änderungen nach Testamentserrichtung eingetreten sind und er sich nicht geirrt hat, besteht kein Raum für eine Auslegung oder Anfechtung. Der Wortlaut ist zwingend umzusetzen.

     

    Ein (vermeintlich) eindeutiger Wortlaut einer letztwilligen Verfügung ist auszulegen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erblasser mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 86, 41, s.o.). Häufig rechtlich unzutreffend verwandte Begriffe sind:

     

    • „vererben“, „vermachen“ oder
    • „Vorerbe“, „Nacherbe“ und „Ersatzerbe“.

     

    „Nacherbe“ meint häufig „Ersatzerbe“ oder „Schlusserbe“. Die Erbeinsetzung „als Nacherbin auf dasjenige, was von der Erbschaft nach Tod des Überlebenden von uns noch übrig sein wird“ ist nicht als Nacherben-, sondern als Schlusserbeneinsetzung zu qualifizieren (LG Bonn FamRZ 04, 405).

    5. Berücksichtigungsfähige Umstände

    Auch Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, können bei der Ermittlung des maßgeblichen Willens des Erblassers herangezogen werden, wenn sie vor Testamentserrichtung begründet wurden. Nach der Testamentserrichtung eingetretene Umstände können nur Bedeutung für die Auslegung erlangen, wenn sie Rückschlüsse auf den Willen zur Zeit der Errichtung des Testaments zulassen (BayObLG FamRZ 96, 123).

     

    Zu berücksichtigende Umständen sind (BGH FamRZ 09, 1486):

     

    • Wortbedeutungen und Wortsinn,
    • Textzusammenhang (OLG München 9.11.11, 3 U 3868/10, n.v.),
    • Beziehung des Erblassers zum Bedachten,
    • seine Zielvorstellungen (BGH, a.a.O.),
    • andere Erklärungen des Erblassers (zum Beispiel in lediglich zum Teil widerrufenen früheren Testamenten, OLG München, a.a.O.),
    • Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers sowie
    • Testamentsform.

     

    Die Form ist insoweit hilfreich, als beim notariellen Testament grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass juristische Fachtermini in ihrer exakten juristischen Bedeutung verwandt werden (BayObLG FamRZ 96, 1037).

    6. Systematik der Auslegung

    Sind letztwillige Verfügungen unklar, also auslegungsfähig und -bedürftig, ist zur Feststellung der Erbfolge in einer bestimmten Reihenfolge zu prüfen.

     

    a) Erster Schritt: Einfache/erläuternde Auslegung (wirklicher Wille)

    Auf Basis des Wortlauts des formgerecht erklärten Testaments oder geschlossenen Erbvertrags sind zunächst die Rechtswirkungen der Erbfolge zu erforschen. Auszugehen ist von dem Standpunkt und vom Verständnis des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Auch der gelegentlich mit „mutmaßlicher“ Erblasserwille bezeichnete Wille, ist nichts anderes als der wirkliche Wille (BGHZ 86, 41, s.o.; OLG Schleswig FamRZ 12, 666).

     

    b) Zweiter Schritt: Ergänzende Auslegung

    Ist der wirkliche (oder mutmaßliche) Wille des Erblassers nicht festzustellen, ist eine ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen (OLG Schleswig, a.a.O.). Sind in dem Testament oder Erbvertrag Lücken festzustellen, die sich nach der Testamentserrichtung ergeben haben, sind sie durch den hypothetischen Erblasserwillen zu schließen. Maßgebend ist, was der Erblasser verfügt hätte, wenn er bei Testamentserrichtung gewusst hätte, was sich später verändert (OLG Schleswig FamRZ 10, 1178). Anstelle des wirklichen (oder mutmaßlichen) Willens wird sein hypothetischer Wille festgestellt.

     

    c) Dritter Schritt: Wohlwollende Auslegung

    Ist bei einer letztwilligen Verfügung zwar das vom Erblasser verfolgte Ziel eindeutig festzustellen, aber durch mehrere Wege erreichbar, greift § 2084 BGB, wenn zumindest einer der Wege unzulässig ist. Danach gilt im Zweifel der Weg, nach dem die letztwillige Verfügung rechtswirksam das gewünschte Ziel erreicht (Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 2084 Rn. 13).

     

    d) Vierter Schritt: Gesetzliche Auslegungsregeln

    Kann durch die individuelle Auslegung der vorherigen Schritte der Erblasserwille nicht zweifelsfrei erforscht werden, bestimmt sich das Auslegungsergebnis nach den Auslegungsregeln, die das Gesetz vorsieht (Vorrang der individuellen Auslegung, OLG Schleswig FamRZ 12, 402.

    e) Fünfter Schritt: Umdeutung

    Kann zwar der Erblasserwille zweifelsfrei festgestellt werden, aber handelt es sich dabei um einen rechtlich unzulässigen Weg, kann das eigentliche Rechtsgeschäft nach § 140 BGB in ein entsprechendes Ersatzgeschäft umgedeutet werden (LG Bonn FamRZ 04, 405).

     

    f) Sechster Schritt: Anfechtung (subsidiär)

    Sind die vorherigen Schritte nicht erfolgreich und Irrtümer festzustellen, können letztwillige Verfügungen angefochten werden.

     

    MERKE | Die Umdeutung und die Anfechtung letzwilliger Verfügung treten an die Stelle der Auslegung und haben mit ihr nichts gemein. Mit einer Umdeutung kann einer letztwilligen Verfügung gegebenenfalls zum Ziel verholfen werden. Die Anfechtung ist subsidiär, die Auslegung vorrangig.

     

    PRAXISHINWEIS |

    Auch bei Anwendung gleicher Auslegungsmethoden und hoher Sorgfalt kommt es häufig vor, dass Gründe, die für die erste Auslegungsalternative sprechen, auch für die zweite Auslegungsalternative sprechen können. Dies kann, je nachdem, welcher Alternative gefolgt wird, zu konträren Ergebnissen führen. Das ist Risiko und Chance zugleich. Der gute Berater orientiert sich an dem für den Mandanten günstigsten Auslegungsergebnis, obwohl er weiß, dass die gleichen Argumente auch für eine Gegenansicht sprechen können. In diesem Sinne trägt er die Tatsachen unter Angabe der Beweismittel vor. Je exakter diese Darlegungen und das Aufzeigen der Auslegungsalternative sind, desto größer ist die Möglichkeit, das Gericht von der eigenen Auffassung zu überzeugen.

    Dies setzt die Kenntnis der Auslegungsgrundätze und vor allem auch der Beweislastverteilung (beziehungsweise der Verteilung der Feststellungslast im Nachlassverfahren) voraus.

    Das Gericht hat vor Eintritt in die Auslegung die Tatsachen festzustellen, von denen es in seiner Entscheidung bei der Auslegung ausgeht. Es ist die dringendste Aufgabe der Beteiligten, dem Gericht die Tatsachen der (für sie günstigen) Auslegung zu unterbreiten. Das gilt insbesondere für den Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei im Zivilprozess aber auch für den, der im Nachlassverfahren die Feststellungslast trägt.

    Die Amtsmaxime gemäß § 26 FamFG befreit nicht und schließt einen Tatsachenvortrag der Beteiligten nicht aus. Denn diese sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abgeben, § 27 Abs. 1 und Abs. 2 FamFG.

    Weiterführende Hinweise

    • EE 11, 88, zur Auslegung einer Pflichtteilsstrafklausel bei einvernehmlicher Erfüllung des Pflichtteils
    • EE 11, 73, zur Auslegung einer letztwilligen Verfügung über eine wertlose Wohnungseinrichtung
    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 49 | ID 37821690