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  • · Fachbeitrag · Testament

    Gemeinschaftliches Testament: Anfechtung wegen enttäuschter Pflegeerwartung

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    Eine „irrige Annahme oder Erwartung“ des Testierenden i.S. des § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB fehlt, wenn er im Testament selbst Regelungen z.B. durch einen Änderungsvorbehalt für verschiedene Möglichkeiten der künftigen Entwicklung trifft. Eine Anfechtung kann ggf. darauf gestützt werden, dass die Testierenden bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vorausgesetzt haben, der überlebende Ehegatte werde geistig noch in der Lage sein, ein Fehlgehen der Pflegererwartung zu erfassen und von dem ihm eingeräumten Änderungsvorbehalt auch Gebrauch zu machen (OLG Thüringen 14.1.15, 6 W 76/14, Abruf-Nr. 144679).

     

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (E) hat mit ihrem Ehemann (M) ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Als Erben bestimmten sie ihr Patenkind (P), den Beteiligten zu 5) und führten aus: „Diese Erbeinsetzung erfolgt in der Erwartung, dass ... uns in kranken und alten Tagen bei Bedürftigkeit pflegt und wartet. Sofern er diesen Verpflichtungen schuldhaft nicht nachkommt, soll der Überlebende auch berechtigt sein, einen anderen Erben einzusetzen. Insoweit wird ihm Testierfreiheit eingeräumt.“ Als die E gebrechlich wurde, zog sie zu P und dessen Familie in ein eigenes Zimmer. Die Ehefrau und die Mutter des P halfen ihr. P war als Fernfahrer oft nicht zuhause. 2008 starb die Ehefrau des P. Zudem nahmen die körperlichen Kräfte der E ab. P beauftragte daher einen ambulanten Pflegedienst. Später war die E unter der Woche in einer Tagespflegeeinrichtung, bevor sie in ein Altenpflegeheim zog, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Die Beteiligten zu 1) bis 4) sind Nichten bzw. Neffen der E. Die Beteiligte zu 4) (N) focht das gemeinschaftliche Testament an mit der Begründung, der P sei der testamentarischen Auflage zur Pflege der E nicht nachgekommen. Mit Feststellungsbeschluss kündigte das Nachlassgericht an, dem Erbscheinsantrag des P, ihm einen Erbschein als Alleinerbe der E zu erteilen, zu entsprechen. Gegen den Beschluss hat die N Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

     

     

     

    Entscheidungsgründe

    Der Feststellungsbeschluss nach § 352 Abs. 2 FamFG ist nicht zu beanstanden. Die E hat den Änderungsvorbehalt in dem gemeinschaftlichen Testament nicht ausgenutzt. Die N hat das Ehegattentestament nicht wirksam angefochten. Deswegen spricht nichts dagegen, einen den P als testamentarischen Alleinerben ausweisenden Erbschein wie beabsichtigt zu erteilen.

     

    Es fehlt von vornherein an einer „irrigen Annahme oder Erwartung“ des Testierenden i.S. des § 2078 Abs. 2 Alt. 1 BGB, wenn er - wie hier mit dem Änderungsvorbehalt geschehen - im Testament selbst Regelungen für verschiedene Möglichkeiten der künftigen Entwicklung trifft. In einem solchen Fall kann sich der Erblasser nicht in einem Motivirrtum befinden. Seine Regelung für die von ihm antizipierten verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten lässt daher nicht durch Anfechtung außer Kraft setzen (BayObLG FamRZ 01, 873 m.w.N.). Die Anfechtung kann nicht nur auf positiv vorhandene Fehlvorstellungen des Erblassers, sondern auch auf Erwartungen gestützt werden, über die sich der Erblasser bei der Testamentserrichtung keine konkreten Gedanken gemacht hat, die er aber als selbstverständlich vorausgesetzt hat (BGH ZEV 08, 237 m.w.N.). Als eine solche „unbewusste“ Selbstverständlichkeit haben die E und der M bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vorausgesetzt, dass der Überlebende geistig noch in der Lage sein werde, ein Fehlgehen der Pflegeerwartung zu erfassen und von dem Änderungsvorbehalt Gebrauch zu machen. Genau diese in die Zukunft gerichtete „unbewusste“ Selbstverständlichkeit stellt die N mit der Beschwerdebegründung in Abrede, indem sie eine Demenz und Testierunfähigkeit der E behauptet.

     

    Ob die E infolge einer schwergradigen Demenz tatsächlich i.S. von § 2229 Abs. 4 BGB testierunfähig war, ist unerheblich. Denn ein Motivirrtum rechtfertigt die Anfechtung nur, wenn dieser nicht nur ursächlich für den letzten Willen gewesen ist. Er muss für den Erblasser den letztlich entscheidenden, ihn bewegenden Grund darstellen. Dafür kommen nur besonders schwerwiegende Umstände in Betracht, die gerade diesen Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren (BGH, a.a.O.). Hieran fehlt es hier. Nach dem gemeinschaftlichen Testament sollte nur ein „schuldhaftes“ Unterlassen der Pflegepflicht den Änderungsvorbehalt begründen und den Überlebenden in die Lage versetzen, über sein Erbe frei und anderweitig zu bestimmen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass eine von dem P ohnehin nicht erwartete überobligatorische Pflege als zur Anfechtung berechtigender Motivirrtum ausscheidet. In der Unterbringung der E in der Vollzeit- oder auch schon in der Tagespflegeeinrichtung lag kein „schuldhafter“ Verstoß gegen die Pflegepflicht. Der P hat die hochbetagte E zu sich genommen. Er hat sie durch seine Ehefrau und Mutter, später durch einen ambulanten Pflegedienst versorgen lassen. Dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit als oft und lange ortsabwesender Fernfahrer Versorgungsleistungen nicht höchstpersönlich übernehmen konnte, stellt keinen schuldhaften Verstoß gegen die Testamentsauflage dar. Ebenso wenig ist dem P anzulasten, dass er die fortschreitend gebrechlicher werdende E in einer Tagespflegeeinrichtung und schließlich im Vollzeitpflegeheim untergebracht hat, als nach dem Tod seiner Ehefrau und der Erkrankung der Mutter die E nicht mehr durch Familienangehörige betreut werden konnte.

     

    Praxishinweis

    Eine Testamentsanfechtung scheidet aus, wenn dem Testierwilligen bewusst ist, dass der Änderungsvorbehalt bei zwischenzeitlich eintretender Testierunfähigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann. Sonst ist ein Motivirrtum denkbar. Hierauf sollte hingewiesen werden, wenn die Beteiligten eine letztwillige Verfügung mit Änderungsvorbehalt abfassen.

     

    Bedenken gegen die Wirksamkeit des vorliegenden Änderungsvorbehalts bestehen nicht. Auch ein erbvertraglicher Vorbehalt, der es dem Erblasser ermöglichen soll, in einem bestimmten Rahmen über die Vergabe seines Nachlasses einseitig und anders als im Erbvertrag vorgesehen zu verfügen, ist grundsätzlich zulässig. Der Vorbehalt darf nur nicht so weit gehen, bis damit der Erbvertrag seines eigentlichen Wesens entkleidet ist. Es muss eine erbvertragsmäßige Bindung erhalten bleiben (vgl. BGHZ 26, 204; BayObLG NJW-RR 97, 1027, 1028). Das ist nicht nur der Fall, wenn eine vertragsmäßige Verfügung ohne Änderungsvorbehalt bestehen bleibt, sondern auch, wenn die Änderung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich oder inhaltlich beschränkt ist, da auch im letzteren Fall der Erblasser in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt ist (Palandt/Edenhofer, BGB, 74. Aufl., § 2289 Rn. 9).

     

    Ein solcher Änderungsvorbehalt gehört im Erbvertrag niedergelegt, um die Form zu wahren, § 2276 BGB. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen ist dabei nicht erforderlich, dass dies ausdrücklich geschieht. Ausreichend ist, wenn der Vorbehalt in irgendeiner Bestimmung des Erbvertrags wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist, sodass er dieser Bestimmung im Wege der Auslegung zu entnehmen ist. Die Annahme eines Vorbehalts liegt umso näher, je ferner der Begünstigte dem Vertragsgegner und je näher er dem Erblasser steht und umgekehrt (Staudinger/Kanzleiter, BGB, (2014), § 2278 Rn. 15 m.w.N.).

     

    Behalten Eheleute in einem Erbvertrag, in dem sie Kinder vertragsmäßig je zur Hälfte als Schlusserben einsetzen, dem Überlebenden vor, den Nachlass unter den Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zu verteilen, ist die Anordnung eines Vorausvermächtnisses über den gesamten Nachlass zugunsten der Kinder regelmäßig nicht gedeckt (OLG Stuttgart ZErb 03, 16). Für das in einem Ehegattenerbvertrag dem überlebenden Ehegatten vorbehalte Recht, die an sich vereinbarte gleichberechtigte Erbfolge der gemeinsamen Kinder aus triftigen Gründen anders zu regeln, bedarf es sachlich vernünftiger und gerechter Gründe. In diesem Fall ist eine Teilungsanordnung nicht sachgerecht, die wertverschiebenden Charakter hat und deshalb das Grundprinzip des Erbvertrags, die gleichmäßige Beteiligung der Kinder am Nachlass, einfach unterläuft (OLG Koblenz FamRZ 97, 1247). Setzen Ehegatten in einem Erbvertrag ihre beiden Kinder wechselseitig bindend zu gleichen Teilen als Erben ein und soll der überlebende Ehegatte befugt sein, die Anordnung, insbesondere durch eine anderweitige Festlegung der Erbquoten, zu ändern, enthält dies - ohne besondere Anhaltspunkte im Willen des Erblassers - nicht die Ermächtigung des letztversterbenden Ehegatten, die „Erbquote“ eines der beiden Kinder auf null zu setzen (OLG Düsseldorf FamRZ 07, 769 = ZEV 07, 275).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2015 | Seite 110 | ID 43457856