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  • · Fachbeitrag · Praxisfall

    Wechselbezüglichkeit von Verfügungen im Ehegattentestament und deren Folgen

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA Steuerrecht, Magdeburg

    | Ehegatten bestimmen handschriftlich im Testament: „Wir, die Eheleute M und F, setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Nach dem Ableben des letzten Elternteils soll das Haus mit Grundstück unser Sohn S bekommen. Unsere Tochter T soll das Wohnrecht im ersten Stock des Anwesens bis zu Ihrem Ableben haben. Nebenkosten muss sie selber tragen. Eine Mitgift von 35.000 EUR hat Sie zu Ihrer Hochzeit bekommen.“ Nach dem Tod der F errichtet M ein neues Testament und enterbt T. Ist das erste Testament wechselbezüglich? Welches Testament gilt?  |

    1. Begriff der wechselbezüglichen Verfügung

    Wechselbezügliche Verfügungen sind im gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff. BGB) durch den gemeinschaftlichen rechtsgeschäftlichen Willen beider Ehegatten so miteinander verbunden, dass sie sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig bedingen. Nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 1 BGB sind die Verfügungen wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Die Verfügungen sollen nach dem Willen der Testierenden miteinander stehen und fallen. Wechselbezüglich ist nur die einzelne Verfügung, nicht das gemeinschaftliche Testament insgesamt. Die Wechselbezüglichkeit muss daher für jede einzelne Verfügung gesondert betrachtet werden.

     

    Nach § 2270 Abs. 2 BGB ist solch ein Verhältnis der Verfügungen zueinander im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist/ihm nahe steht.

     

    § 2270 Abs. 2 BGB greift nur ein, wenn sich die Zweifel an der Wechselbezüglichkeit nicht klären lassen. Zunächst muss stets versucht werden, aufgrund aller in Betracht zu ziehender Umstände die Frage der Wechselbezüglichkeit zu beantworten. Nur wenn dies misslingt, kann die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB angewendet werden. Im Praxisfall ist es so, dass M und F einander zu Erben einsetzen und nach dem Tod des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an die gemeinsamen Kinder S und T fallen soll. Die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten zu Alleinerben und die Schlusserbeneinsetzung der Kinder legt die Verbundenheit dieser Verfügungen nahe (OLG München ZEV 11, 315; OLG Hamm FamRZ 11, 1172; Landsittel/Rumland, ZEV 12, 644). Sollten im Praxisfall nach Ausschöpfung aller konkreten Umstände dennoch Zweifel an der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen verbleiben, kommt die Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB zum Tragen. Im Ergebnis ist die Wechselbezüglichkeit der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eltern und der Schlusserbeneinsetzung der Kinder zu bejahen.

     

    Da T lediglich ein Wohnrecht erhält, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei ihr lediglich um ein Vermächtnis handelt, mithin S der alleinige Schlusserbe ist. Für die Frage der Wechselbezüglichkeit kann jedoch die Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis dahin stehen. Denn ein Vermächtnis ist ebenso wie die Erbeinsetzung einer wechselbezüglichen Ausgestaltung zugänglich (§ 2270 Abs. 3 BGB). Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Verfügungen im ersten Testament wechselbezüglich sind.

    2. Gilt das erste oder das zweite Testament?

    M kann die wechselbezüglichen Verfügungen, mithin auch die Anordnung, nach der T bedacht wird, nur durch Widerruf beseitigen, § 2271 BGB. Relevant für einen Widerruf ist, ob der andere Ehegatten noch lebt. Lebt er noch, kann er durch eine neue Verfügung von Todes wegen auf die Unwirksamkeit (§ 2270 Abs. 1 BGB) reagieren. Deshalb muss sichergestellt werden, dass der andere stets von dem Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erfährt. Diesem Zweck dient die Norm des § 2271 Abs. 1 BGB, die auf die Rücktrittsvorschriften beim Erbvertrag verweist. Es bedarf einer notariell beurkundeten Widerrufserklärung, die dem anderen Ehepartner in Ausfertigung zugehen muss. Nach dem Tod eines Ehegatten sind durch seine Verfügungen bereits Rechtswirkungen eingetreten, deren nachträgliche Unwirksamkeit Schwierigkeiten bereiten würde. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB schließt den Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen des Überlebenden, der die Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügungen des Verstorbenen zur Folge hätte, aus.

     

    Der überlebende Ehegatte kann seine Testierfreiheit zurückgewinnen, indem er das ihm testamentarisch Zugewendete und grundsätzlich seinen gesetzlichen Erbteil, soweit ein solcher anfällt, ausschlägt (§ 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB). Unter einer Zuwendung wird jedes Rechtsgeschäft verstanden, durch das jemand einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft. Im Praxisfall wurde M der Vermögensvorteil durch seine Erbeinsetzung verschafft. Durch eine Ausschlagung (§§ 1942 ff., 1953, 2176, 2180 BGB) werden die wechselbezüglichen Verfügungen des überlebenden Ehegatten allerdings nicht aufgehoben, sondern er erwirbt nur das Recht, abweichend zu testieren. Der Praxisfall enthält keine Anhaltspunkte, dass M seine Erbenstellung form- und fristgerecht ausgeschlagen hat. Die Bindung an wechselbezügliche Verfügungen bewirkt aber keine Nichtigkeit von Verfügungen, die der Überlebende entgegen der Beschränkung seiner Testierfreiheit trifft. Doch werden diese nur voll wirksam, wenn die wechselbezüglichen später unwirksam/gegenstandslos werden. Hieraus folgt im Umkehrschluss für den Praxisfall: Da M seine Testierfreiheit nicht wieder gewonnen hat, kann die Enterbung (Entzug des Vermächtnisses) der T keine Rechtswirkung entfalten.

    3. Errichtung eines enterbenden Testaments zu Lebzeiten

    Die Rechtslage ist nicht anders zu beurteilen, wenn M zu Lebzeiten der F ein die T enterbendes Testament errichtet. Durch eine neue Verfügung von Todes wegen kann ein Ehegatte seine Verfügung nicht einseitig aufheben, § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB. M kann also seine Testierfreiheit zu Lebzeiten der F nur durch einseitigen notariellen Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments erreichen.

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 175 | ID 42301282