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  • · Fachbeitrag · Grenze der Testierfreiheit

    Erbe gegen Besuche ist sittenwidrig

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, Münster

    | Knüpft ein Erblasser die Erbenstellung seiner Enkelkinder an Besuche bei ihm, ist diese bedingte Erbeinsetzung der Enkel sittenwidrig und damit nichtig. Das hat das OLG Frankfurt aktuell entschieden. |

     

    Der Erblasser E hatte testamentarisch seine Ehefrau F sowie einen Sohn S zu jeweils 25 Prozent als Erben eingesetzt. Die restlichen 50 Prozent sollten seinen beiden Enkeln EN ‒ Kinder eines anderen Sohns ‒ zu gleichen Teilen zukommen. Bedingung war, dass sie den E regelmäßig d. h. mindestens sechsmal im Jahr besuchen. Die Besuchsbedingung war in der Familie bekannt. Nach Ansicht der F haben die damals minderjährigen EN die Besuchspflicht nicht erfüllt. Das Nachlassgericht erteilte antragsgemäß einen Erbschein, der F und S als hälftige Miterben auswies. Die dagegen eingelegte Beschwerde der EN war erfolgreich (OLG Frankfurt 5.2.19, 20 W 98/18, Abruf-Nr. 207718).

     

    Entscheidungsgründe

    Die aufschiebende Bedingung, die die Erbenstellung der EN von der Erfüllung einer ihnen auferlegten Besuchspflicht bei E abhängig macht, ist sittenwidrig und damit nichtig, §§ 134, 138 BGB. Die Nichtigkeit dieser Besuchsbedingung führt jedoch nicht auch dazu, dass die Erbeinsetzung der EN nichtig ist.

     

    Zwar gewährleistet die von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit, dass der Erblasser die Erbfolge nach seinen Vorstellungen gestalten und eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann (vgl. hierzu u. a. Lenz-Brendel in: jurisPK, 8. Aufl., Stand 15.3.17, § 2074, Rn. 29). Die Grenze wird dabei nach überwiegender Ansicht überschritten, wenn die Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setzt und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetzen (vgl. u.a. Lenz-Brendel, a.a.O.). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Die Umstände müssen insbesondere erkennen lassen, ob der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten zu „erkaufen“ sucht (MüKo/Leipold, BGB, 7. Aufl., § 2074, Rn. 21).

     

    Wenn der Erblasser solche Ereignisse zur Bedingung macht, die vor dem Erbfall eintreten, und er den Bedachten von der bedingten Zuwendung nicht informiert, liegt kein unbilliger Versuch einer Einflussnahme vor. Im Übrigen ist u. a. zu beachten, ob die Zuwendung nach ihrem Gewicht überhaupt geeignet ist, die Entscheidung des Bedachten zu beeinflussen und ob die Bedingung schlechthin über das Ob einer Zuwendung entscheiden oder nur deren Inhalt bestimmen soll (MüKo/Leipold, a.a.O.).

     

    Hier hat E faktisch die EN unter Zwischenschaltung deren Eltern dem Druck ausgesetzt, den Vermögensvorteil nur zu erlangen, wenn die im Testament genannten Besuchsbedingungen erfüllt werden. Der zu erlangende Vermögensvorteil für EN war auch so erheblich, dass er ohne Weiteres geeignet war, die Entscheidung über die Besuchsfrage zu beeinflussen.

     

    Die Nichtigkeit der Besuchsbedingung führt jedoch nicht auch zu einer Nichtigkeit der Erbeinsetzung der EN im Übrigen. Dieses Ergebnis folgt nach einer Auffassung schon unmittelbar daraus, dass es sich hierbei um eine Bedingung handelte, mit der in unzulässiger Weise in Freiheitsrechte der EN eingegriffen werden sollte. Dem Schutzzweck entsprechend sollte daher die Zuwendung ohne die unwirksame Bedingung ohne Weiteres aufrechterhalten bleiben (so Müko/Leipold, a.a.O., Rn. 27). Auch nach der Gegenauffassung, die auf den im Einzelfall zu ermittelnden hypothetischen Willen eines Erblassers abstellen will, ergibt sich kein anderes Ergebnis (vgl. u. a. Staudinger/Otte, BGB, Stand 1.3.16, § 2074, Rn. 77). Danach ist zu fragen, ob der E, wenn er gewusst hätte, dass die Besuchsbedingung unwirksam ist, zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewollt hätte, dass jedenfalls die Erbeinsetzung der EN aufrechterhalten bleibt, er also eher eine unbedingte als gar keine Zuwendung gemacht hätte. Davon ist auszugehen. Die enge Bindung des E an die EN spricht dafür.

     

    Relevanz für die Praxis

    Es ist rechtlich möglich, dass der Erblasser die Erfüllung der seinen Enkelkindern auferlegten Besuchspflicht letztlich von dem Willen deren Eltern abhängig macht. Eine nach § 2065 Abs. 1 BGB unzulässige Vertretung des Erblassers in seinem Willen, um seine Erbfolge zu bestimmen, kann darin nicht gesehen werden. Denn dem E kam es hier entscheidend auf den Eintritt des von ihm gewollten Ereignisses (Besuche) an und nicht auf die dahinterstehende Entscheidung der Eltern von EN (Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl., § 2065, Rn. 5).

     

    Die Entscheidung gibt ein Prüfungsschema für bedingte Erbeinsetzungen vor (dazu ausführlich Seiler-Schopp/Rudolf in: Damrau, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Aufl., § 2074 Rn. 25 ff.):

     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2019 | Seite 93 | ID 45844842