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  • · Fachbeitrag · Ausschlagung

    Tücken bei der Erbausschlagung

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA für Steuerrecht, Magdeburg

    | Ein haftungsträchtiger Dauerbrenner in der Praxis ist das Thema Erbausschlagung. Der Beitrag zeigt, an welchen Stellen Gefahren für Sie lauern. |

    1. Gründe für eine Ausschlagung

    Nach §§ 1922, 1942 Abs. 1 BGB geht im Zeitpunkt des Erbfalls die Erbschaft kraft Gesetzes auf den Erben unbeschadet des Rechts über, die Erbschaft auszuschlagen. Die Ausschlagung gibt dem Erben die Möglichkeit, sich von der ihm angefallenen Erbschaft wieder zu befreien. Gründe dafür sind vor allem

    • die Überschuldung des Nachlasses und
    • die Überschuldung des Erben selbst, um zu verhindern, dass seine Gläubiger auf den Nachlass zugreifen können;
    • die Bindung eigener wechselbezüglicher oder vertraglicher Verfügungen aufzuheben (§ 2271 BGB);
    • bei der Erbeinsetzung mit Beschränkungen und Beschwerungen den vermeintlich höherwertigen Pflichtteil zu erlangen (§ 2306 Abs. 1 BGB);
    • als überlebender Ehegatte im gesetzlichen Güterstand die güterrechtliche Lösung zu wählen (Zugewinnausgleich [ZGA] plus kleiner Pflichtteil) und
    • um den Nachlass anderen Personen zukommen zu lassen.

    2. Rechtsfolgen der Ausschlagung

    Die Rechtsfolgen ergeben sich u. a. aus § 1953 BGB. Dessen Abs. 2 bestimmt, dass die Erbschaft demjenigen anfällt, der berufen wäre, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Wird eine werthaltige Erbschaft ausgeschlagen, bestehen i. d. R. Vorstellungen darüber, wem die Erbschaft zugutekommen soll. Ergebnis einer „missglückten“ Ausschlagung ist aber oft, dass die Erbschaft ganz oder teilweise einer anderen Person anfällt.

    3. Gründe für missglückte Ausschlagungen

    Es gibt es verschiedene Gründe, warum Ausschlagungen scheitern.

     

    a) Gesetzliches Erbrecht des Ehegatten nach § 1931 Abs. 2 BGB

    Nach § 1931 Abs. 2 BGB erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft, wenn weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden sind.

     

    • Beispiel

    Das kinderlose Einzelkind (K) schlägt bei gesetzlicher Erbfolge die Erbschaft nach seinem Vater (V) aus, damit seine Mutter (M) Alleinerbin wird. V und M lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Es lebt aber noch die Tochter (N) einer verstorbenen Schwester des V.

    N zählt zu den Verwandten zweiter Ordnung, da gem. § 1925 Abs. 1 BGB auch Kinder von Geschwistern des Erblassers dazugehören.

     

    Lösung: Vor der Ausschlagung waren M und K zu je 1/2 Anteil Erben. Nach der Ausschlagung sind nach § 1931 Abs. 1 und 3, § 1371 Abs. 1 BGB die M zu 3/4 Anteil und N zu 1/4 Anteil Erben des V.

     

    b) Eintrittsprinzip des § 1924 Abs. 3 BGB

    Auch das Eintrittsprinzip (§ 1924 Abs. 3 BGB) kann sich als Fallstrick erweisen:

     

    • Beispiel

    Die volljährigen Kinder K1 und K2 des Erblassers (E) waren neben ihrer Mutter (M) zur gesetzlichen Erbfolge berufen. Um M zur Alleinerbenstellung zu verhelfen, schlugen K1 und K2 die Erbschaft aus. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, weil übersehen wurde, dass an die Stelle der ausschlagenden Kinder gem. § 1924 Abs. 3 BGB i. V. m. § 1953 Abs. 2 BGB deren Kinder treten.

     

    c) § Auslegungsregel des § 2069 BGB

    Bei der Ausschlagung aufgrund testamentarischer Erbfolge ist auch an § 2069 BGB zu denken. Hat der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht und fällt dieser nach der Errichtung des Testaments weg, ist im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.

     

    • Beispiel

    Der Erblasser (E) hat zwei Töchter und zwei Söhne, die testamentarische Erben sind. Die Töchter schlugen die Erbschaft aus, damit die Brüder erben.

     

    Lösung: Das Ziel wird nicht erreicht, sofern eine Auslegung der Verfügung nichts anders ergibt. Denn gem. § 2069 BGB ist im Zweifel anzunehmen, dass an die Stelle von Abkömmlingen des E, die er bedacht hat, bei deren Wegfall deren Abkömmlinge insoweit treten, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an deren Stelle treten würden. Damit treten an die Stelle der Töchter deren Abkömmlinge.

     

    In manchen Fällen ist auch die Unkenntnis über die Reichweite des § 2069 BGB ursächlich für eine missglückte Ausschlagung.

     

    • Beispiel

    E hat ihre Neffen N1 und N2 als Erben eingesetzt. N1 schlägt aus, damit sein Sohn (S) Miterbe wird. S kann aber seine Stellung als Ersatzerbe nicht auf § 2069 BGB stützen. Denn diese Auslegungsregel gilt nur, wenn der Erblasser einen Abkömmling als Erben einsetzt. Auf weitere Verwandte wie Neffen ist die Vorschrift weder direkt noch analog anwendbar. Denkbar ist allenfalls, dass die Verfügung aus sonstigen Gründen dahin ausgelegt werden kann, dass bei Wegfall eines als Erbe eingesetzten Verwandten keine Anwachsung bei den anderen Erben eintreten soll, sondern anstelle des Weggefallenen dessen Abkömmlinge treten sollen.

     

    d) Mehrere Berufungsgründe

    § 1948 Abs. 1 BGB kann sich als Fallstrick in Ausschlagungsfällen erweisen. Danach kann derjenige, der durch Verfügung von Todes wegen als Erbe berufen ist, die Erbschaft als eingesetzter Erbe ausschlagen und als gesetzlicher Erbe annehmen, wenn er ohne die Verfügung als gesetzlicher Erbe berufen sein würde. Dieser Wortlaut führt in der Praxis oft zu Fehlvorstellungen.

     

    • Beispiel

    Die Erblasserin (E) hat ihre Enkelin (EN) testamentarisch als alleinige befreite Vorerbin eingesetzt und deren Verfügungsbefugnis über den Nachlass durch Auflagen beschränkt. E hatte zwei Nacherben benannt. EN, die bei gesetzlicher Erbfolge Alleinerbin der E geworden wäre, schlug die Erbschaft als Testamentserbin mit dem Hinweis aus, durch die Ausschlagung sei die gesetzliche Erbfolge eingetreten.

     

    Lösung: Diese Rechtsansicht ist falsch, weil durch die Ausschlagung der EN die beiden von E eingesetzten Nacherben zur Erbfolge gelangten. Denn gem. § 2102 Abs. 1 BGB enthält die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel zugleich die Einsetzung als Ersatzerbe. § 1948 BGB ist also nur anzuwenden, wenn durch die Ausschlagung die gesetzliche Erbfolge eingreift. Das ist aber insbesondere nicht der Fall, wenn der Erblasser für den Fall des Wegfalls des Erben eine die gesetzliche Erbfolge ausschließende Regelung getroffen hat oder das Gesetz, wie z. B. in § 2102 Abs. 1 BGB, für den Fall der Ausschlagung eine andere Erbfolge vorsieht.

     

    Werden die Voraussetzungen des § 1948 BGB richtig erkannt, können Ausschlagungen der in § 1948 BGB genannten Art wegen § 1643 BGB dennoch zu überraschenden Ergebnissen führen, wenn Minderjährige im Spiel sind.

     

    • Beispiel

    Erblasserin (E) hat ihre Tochter (T) als Alleinerbin eingesetzt. Wegen des Vorwurfs der Erbschleicherei ihrer beiden Schwestern schlägt T, die Mutter des minderjährigen Kindes (K) ist, die Erbschaft als Testamentserbin aus und nimmt sie als gesetzliche Miterbin zu 1/3 an. T und ihr Ehemann schlagen das Erbe als gesetzliche Vertreter des K aus, um die gesetzliche Erbfolge herbeizuführen.

     

    Lösung: Das erreicht sie im Hinblick auf § 2069 BGB nur, wenn die Ausschlagung des K wirksam ist. Denn nach § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB gilt: Schlagen Eltern als gesetzliche Vertreter eines Kindes für das Kind eine dem Kind angefallene Erbschaft aus, bedarf dies grundsätzlich der familiengerichtlichen Genehmigung. Ausnahme: § 1643 Abs. 2 S. 2 BGB. In Fällen, in denen dem Kind die Erbschaft erst infolge der Ausschlagung eines Elternteils anfällt, der das Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil vertritt, ist eine Genehmigung nur erforderlich, wenn dieser Elternteil neben dem Kind berufen war.

     

    Diese Ausnahme wird aber im Wege einer teleologischen Reduktion nicht angewendet, wenn die Ausschlagung des Minderjährigen dazu führt, dass die vom Minderjährigen ausgeschlagene Erbschaft wieder dem erstausschlagenden Elternteil zufällt (Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1643 BGB Rn. 2).

     

    Die Wirksamkeit der Ausschlagung des K und damit die Stellung der T und ihrer Schwestern als Miterben zu je 1/3 hängt von der nicht ohne Weiteres zu erwartenden familiengerichtlichen Genehmigung der Ausschlagungserklärung für K ab.

     

    e) Ausschlagung des Nacherben

    In der Praxis wird oft auch § 2142 Abs. 2 BGB übersehen: Schlägt der Nacherbe die Erbschaft aus, verbleibt sie dem Vorerben, soweit nicht der Erblasser ein anderes bestimmt hat.

     

    • Beispiel

    Eheleute (V und M) hatten sich gegenseitig zu Vorerben eingesetzt und den gemeinsamen Sohn (S) als Nacherben berufen. Als Ersatznacherben waren die Abkömmlinge des S benannt, bei Fehlen von Abkömmlingen sollte eine karitative Einrichtung Nacherbe sein. S erklärte nach dem Tod des V gegenüber dem Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft als Nacherbe mit dem ausdrücklich geäußerten Ziel, „die Erbschaft solle der M als Vollerbin zufallen“.

     

    Lösung: Bei dieser Zielvorstellung blieb § 2142 Abs. 2 BGB unberücksichtigt. Danach wird der Vorerbe nur Vollerbe, wenn der Erblasser nichts anderes, z. B. durch Berufung eines Ersatznacherben ‒ hier die Enkel ‒ angeordnet hat.

     

    f) Volljährigenadoption

    Bei Ausschlagungen wirken als Fallstricke nicht nur erbrechtliche Normen, sondern auch familienrechtliche Vorschriften. Neben § 1643 Abs. 2 BGB ist § 1770 BGB eine weitere relevante familienrechtliche Vorschrift.

     

    • Beispiel

    Gesetzlicher Alleinerbe des E ist sein Bruder B. B, der wie E wohlhabend ist, schlägt die Erbschaft nach E aus, um dadurch sein einziges Kind, die Tochter (T), zu begünstigen. B hatte T, die 1958 geboren ist, 1969 als Kind angenommen. Im Übrigen gibt es von E nur noch in Australien lebende entfernte Verwandte.

     

    Lösung: Das geltende Adoptionsrecht basiert auf dem Adoptionsgesetz (AdG) vom 2.7.76 und ist mit Wirkung zum 1.1.77 in Kraft getreten, Art. 12 § 10 des AdG vom 2.7.76 (BGBl I, S. 1749). Für Adoptionen, die ‒ wie bei T ‒ auf der Grundlage des davor geltenden Rechts erfolgten, bestimmt Art. 12 § 1 Abs. 1 AdG, dass die Vorschriften des neuen Adoptionsrechts über die Annahme Volljähriger gelten, sofern das angenommene Kind zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes volljährig war. Da T zum 1.1.77 volljährig war, greift § 1770 BGB. Dessen Abs. 1 S. 1 ordnet an, dass sich die Wirkungen der Annahme eines Volljährigen nicht auf die Verwandten des Annehmenden beziehen. Folglich sind E und T nicht miteinander verwandt. Damit ist T in Bezug auf E nicht Erbin zweiter Ordnung gem. § 1925 Abs. 1 BGB, sodass die Erbschaft den australischen Verwandten des E anfällt.

     

    Etwas anderes würde nur gelten, wenn B und T von der Möglichkeit gem. Art. 12 § 7 Abs. 2 des AdG Gebrauch gemacht haben, die nach altem Recht erfolgte Adoption nach neuem Recht in der Weise zu wiederholen, dass das Vormundschaftsgericht (jetzt Familiengericht) beim Ausspruch der Annahme gem. § 1772 BGB bestimmt, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten. Die Annahme Minderjähriger wiederum führt zu einer umfassenden Eingliederung des Kindes in die Familie des Annehmenden und damit auch zu einer Verwandtschaft zwischen dem angenommenen Kind und den Verwandten des Annehmenden.

     

    PRAXISHINWEIS | Eine fehlgeschlagene Ausschlagung könnte man „reparieren“, indem die Ausschlagungserklärung wie folgt ausgelegt wird:

     

    Die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung ist davon abhängig, dass die Erbschaft infolge der Ausschlagung einer bestimmten Person zugutekommt.

     

    Dieser Auslegung kann wiederum verschiedene Bedeutung zukommen:

     

    • Handelt es sich nur um die Erwartung, dass die Erbschaft einem bestimmten Dritten anfällt, ist die Ausschlagung wirksam, gleichgültig ob sich die Erwartung erfüllt oder nicht (MüKo/Leipold, BGB, 7. Aufl., § 1947 Rn. 5).

     

    • Geht es darum, die Ausschlagung schlechthin zugunsten der nach dem Gesetz nächstberufenen Personen (§ 1953 Abs. 2 BGB) herbeizuführen, ist dies ebenfalls unschädlich. Denn der Anfall an diese Person ist die stets eintretende Rechtsfolge der Ausschlagung (MüKo/Leipold, a.a.O., § 1947 Rn. 6).

     

    • Soll die Ausschlagung nur für den Fall erfolgen, dass ein bestimmter Dritter infolge der Ausschlagung Erbe wird, liegt eine zur Unwirksamkeit der Ausschlagung führende Bedingung vor. Denn ob der Dritte Erbe wird, ist ‒ oft aus mehreren Gründen ‒ ungewiss. Selbst wenn dem Dritten die Erbschaft anfiele, bliebe noch offen, ob er sie endgültig behält (Staudinger/Otte, BGB, [2017], § 1947, Rn. 7).

     

    • Liegt keine bedingte Ausschlagung vor, bleibt nur die Möglichkeit, die Ausschlagungserklärung gem. § 1954 BGB anzufechten. Allerdings ist es so, dass die Rechtsprechung im Grundsatz davon ausgeht, der Irrtum des Ausschlagenden darüber, wem die Erbschaft infolge der Ausschlagung anfällt, stelle einen nicht zur Anfechtung berechtigenden Rechtsfolgenirrtum dar (OLG Hamm ZEV 98, 225; Staudinger/Otte, a.a.O., § 1954 Rn. 6). Vor diesem Hintergrund sollte die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft aus steuerlichen Gründen nur in Erwägung gezogen werden, wenn „absolut“ sicher ist, wer die Erbschaft infolge der Ausschlagung erhält. Anderenfalls besteht die große Gefahr, dass der Steuersparversuch zum ganzen oder teilweisen Verlust der Erbschaft für den vorgesehenen Begünstigten führt.
     

    Musterformulierung / Anfechtung der Ausschlagung

    An das Amtsgericht ‒ Nachlassgericht ‒

     

    • 1. Am … ist an ihrem letzten Wohnsitz in … meine Mutter, Frau … verstorben. Ich … bin der Sohn des Erblasserin und habe am … mit Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft ausgeschlagen.

     

    • 2. Zum Zeitpunkt der Ausschlagung bin ich irrtümlich davon ausgegangen, meine Erklärung führe zum unmittelbaren Übergang meines Erbteils auf meine Schwester und Miterbin. Meine Vorstellung über die Erbfolge nach erklärter Ausschlagung hat in meiner Erklärung selbst ihren eindeutigen Ausdruck gefunden. Denn ich habe zugleich der Annahme Ausdruck verliehen, dass dadurch meine Schwester Alleinerbin wird. Meine Erklärung verdeutlicht meinen damaligen Glauben, die Ausschlagung sei das Rechtsgeschäft, mit dem ich unmittelbar meinen Erbteil auf meine Schwester übertragen kann. Nun hat sich herausgestellt, dass ich mich mit dieser Annahme geirrt habe und diese Erbfolge nicht eintritt. Dieser Irrtum berechtigt mich zur Anfechtung (siehe OLG Düsseldorf FamRZ 98, 387 = NJW-RR 98, 150; OLG Schleswig ZEV 05, 526).

     

    • 3. Hiermit erkläre ich die Anfechtung der Erbschaftsausschlagung wegen Irrtums und nehme die Erbschaft nach meiner Mutter an.
     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 68 | ID 44753606