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  • · Fachbeitrag · Testament

    Verfügungen in Testament und Nachtrag nicht wechselbezüglich

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Bei gemeinschaftlichen Testamenten wird oft darüber gestritten, ob die Verfügungen wechselseitig sind. Das OLG Schleswig stellt klar, wann dies bei einem Nachtrag der Fall ist. |

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (A) und ihr Mann (B) setzten sich testamentarisch gegenseitig zu Alleinerben ein. Später errichteten sie ein als „Nachtrag“ bezeichnetes Testament: Nach dem Ableben des zuletzt Versterbenden sollte das Vermögen je zur Hälfte an die Geschwister des B (C, D) und der A (E und F) gehen. Nach dem Tod des B hat A ein Testament beurkunden lassen, in dem es u. a. heißt:

     

    • Wortlaut des Testaments der A

    Ich widerrufe hiermit meine etwaigen früheren letztwilligen Verfügungen. Hierzu merke ich an, dass mein verstorbener Ehemann und ich uns darüber einig waren, dass der Testamentnachtrag … für den Längstlebenden von uns nicht verbindlich sein sollte. Der Längstlebende von uns sollte völlig frei sein, insbesondere auch von Todes wegen uneingeschränkt neu verfügen können.

     

    Die A setzte zu gleichen Teilen ihren Bruder, ihre Schwester, ihre Cousine und Herrn H ein. Die Beteiligte zu 1) (C) beantragte erfolgreich einen Erbschein dahin gehend, dass die A von C, D, E und F zu je 1/4 beerbt worden ist. Der Beteiligte zu 5) (H) beantragte, diesen Erbschein als unrichtig einzuziehen. Das AG wies diesen Antrag ab. Die Beschwerde des H ist dagegen erfolgreich.

     

     

    • 1. Werden Verfügungen in zwei zeitlich nacheinander errichteten gemeinschaftlichen Testamenten aufgenommen, kann eine Wechselbezüglichkeit nur bei Vorliegen qualifizierter Voraussetzungen bejaht werden. Die Ehegatten müssen dazu nicht nur den Willen zur Zusammenfassung beider Testamente zum Ausdruck bringen, sondern zusätzlich hinsichtlich der früheren und der späteren Verfügung jeweils deutlich machen, dass auch inhaltlich von einem Abhängigkeitsverhältnis auszugehen ist und die frühere Verfügung entsprechend modifiziert werden soll.
    • 2. Indiziell gegen eine Wechselbezüglichkeit spricht, wenn die beiden Verfügungen zeitlich deutlich auseinanderliegen und räumlich nicht miteinander verbunden sind. Auch eine entsprechende Willensbekundung des Längerlebenden nach dem Tod des Erstversterbenden kann für die Auslegung von Bedeutung sein.
     

    Entscheidungsgründe

    Der Erbschein ist unrichtig und einzuziehen. Die A war durch den Nachtrag zum gemeinschaftlichen Testament (Schlusserbeneinsetzung) nicht gehindert, abweichend zu testieren. Denn die Schlusserbeneinsetzung ist für die A nicht bindend gewesen. Die Erbfolge richtet sich nach dem notariellen Testament der A. Wechselbezügliche Verfügungen sind nur anzunehmen, wenn der Wille der Erblasser, solche zu treffen, auch festgestellt werden kann. Ggf. muss dazu die Zweifelsregel des § 2270 Abs. 2 BGB herangezogen werden (OLG München ErbR 09, 259 ff.; BayObLG NJW-RR 99, 878 = ZEV 99, 227 = FamRZ 99, 1538). Verbleiben dennoch Zweifel, geht dies zulasten desjenigen, der sein Erbrecht auf die Wechselbezüglichkeit stützt, dieser trägt die Feststellungslast (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 2270 Rn. 4).

     

    Erbeinsetzung im gemeinschaftlichen Testament ist wechselbezüglich

    Wechselbezüglich ist die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute im gemeinschaftlichen Testament, vgl. § 2270 Abs. 2, 1. Alt. BGB.

     

    Die Verfügungen im Nachtrag sind nicht deswegen wechselbezüglich, weil sie Bestandteil des ersten Testaments mit der dortigen wechselbezüglichen Erbeinsetzung geworden sind. Ob ein Testament wechselbezügliche Verfügungen enthält, ist für jede Verfügung gesondert im Verhältnis zu den anderen Verfügungen zu prüfen. Haben sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig als Erben eingesetzt, folgt daraus nicht, dass auch eine in diesem Testament enthaltene Schlusserbenbestimmung wechselbezüglich ist. Die Wechselbezüglichkeit ist positiv festzustellen. Es reicht nicht, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, der Längerlebende solle berechtigt sein, die gemeinsam getroffenen Verfügungen einseitig zu ändern.

     

    Verfügungen im Nachtrag sind nicht wechselbezüglich

    Der Nachtrag ist ein formwirksames gemeinschaftliches Testament nach §§ 2265, 2247 BGB. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass die Verfügungen der A und des B darin wechselbezüglich sind.

     

    A und B haben nicht ausdrücklich bestimmt, dass die Verfügungen im Nachtrag abhängig voneinander sind. Das Testament ist auszulegen, §§ 133, 2084 BGB. Es kommt dabei auf den übereinstimmenden Willen beider zu der Zeit an, als sie das Testament errichtet haben. Die Auslegung, A und B wollten das Vermögen der Familie erhalten, wobei beide zufällig zwei Geschwister gehabt hätten, ist nicht zwingend. Es ist auch denkbar, dass jeder überzeugt war, es sei gerecht, das gemeinsame Vermögen gleichmäßig auf die Geschwister beider nach dem Tod des Letztversterbenden zu verteilen, ohne dies verfügt zu haben, weil auch der andere so testiert hat. Hierfür spricht auch, dass E und F ausgeführt haben, beiden Erblassern wären die Schlusserben gleich lieb.

     

    § 2270 Abs. 2, 2. Alt. BGB greift nicht

    Die Bestimmungen im Nachtrag sind auch nicht wegen § 2270 Abs. 2, 2. Alt BGB wechselbezüglich. Nach dieser Vorschrift ist im Zweifel anzunehmen, dass Verfügungen wechselbezüglich sind, wenn der eine Bedachte dem anderen eine Zuwendung macht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist. Bezogen auf die Verfügungen des Nachtragstestaments ist § 2270 Abs. 2, 2. Alt BGB nicht einschlägig. Auch bezogen auf das gemeinschaftliche Testament ist diese Vorschrift nicht anwendbar, weil dieses Testament keine Schlusserbeneinsetzung enthält.

     

    Vielmehr lässt die Zweifelsregel folgenden Schluss zu: Allein der Umstand, dass Ehegatten jeweils Verwandte auch des anderen Partners zu Schlusserben berufen, reicht für die Annahme nicht aus, dass diese Schlusserbeneinsetzung wechselbezüglich ist (ebenso OLG München ErbR 09, 259).

     

    Nehmen die Testierenden Verfügungen in zwei zeitlich nacheinander errichteten gemeinschaftlichen Testamenten auf, kann eine Wechselbezüglichkeit nur bejaht werden, wenn qualifizierte Voraussetzungen vorliegen:

     

    Die Ehegatten müssen den Willen ausdrücken, dass die Testamente zusammengefasst werden sollen, z. B. dadurch, dass sie das zweite Testament als Nachtrag bezeichnen. Sie müssen ferner auch hinsichtlich der früheren und der späteren Verfügung deutlich machen, dass diese auch inhaltlich voneinander abhängen sollen. Es reicht nicht aus, dass die Verfügungen der beiden Testamente sich sachlich ergänzen. Es muss vielmehr festgestellt werden, ob die zunächst ohne Rücksicht auf die spätere Verfügung getroffene gegenseitige Erbeinsetzung durch das spätere Testament in der Weise modifiziert wird, dass diese gegenseitige Erbeinsetzung nun nur noch mit Rücksicht auf die Verfügung des jeweils anderen Ehegatten im späteren Testament gelten soll, der früheren gegenseitigen Erbeinsetzung insoweit nachträglich eine zusätzliche Bedingung i. S. v. Wechselbezüglichkeit beigefügt worden ist.

     

    Für die Auslegung des Testaments ist § 2270 Abs. 2 BGB nicht heranzuziehen. Es muss dem späteren gemeinschaftlichen Testament ein Hinweis auf den Willen der Eheleute entnommen werden können, dass das frühere gemeinsame Testament i. S. einer Wechselseitigkeit der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute mit der Einsetzung von Schlusserben zu ergänzen ist (BayObLG NJW-RR 99, 878 ff. = s. o.; OLG München ErbR 09, 259).

     

    Für Wechselbezüglichkeit reicht allein Bezeichnung als Nachtrag nicht aus

    Die Auslegung nach §§ 133, 2084 BGB führt nicht dazu, dass die wechselseitige Einsetzung der Eheleute als Erben durch den Nachtrag nachträglich eine Bindung i. S. v. Wechselbezüglichkeit derart beigefügt worden ist, dass die jeweilige gegenseitige Erbeinsetzung nun auch in einem wechselbezüglichen Verhältnis zu der jeweiligen Schlusserbeneinsetzung steht. Es kann nicht festgestellt werden, dass eine Verfügung mit der anderen also stehen und fallen und dadurch bedingt sein sollte. Für die Feststellung der Wechselbezüglichkeit reicht die Überschrift „Nachtrag“ nicht aus. Es müsste zusätzlich noch zum Ausdruck gekommen sein, dass die frühere Verfügung nunmehr derart modifiziert wird, dass sie von der späteren i. S. einer Wechselbezüglichkeit abhängig sein soll. Ausdrücklich ist dafür aber gerade nichts bestimmt worden. Der Umstand, dass zwischen beiden Verfügungen fast zwei Jahre liegen, spricht gegen einen derartigen Verknüpfungswillen.

     

    Es ist anerkannt, dass die Verknüpfung i. S. einer Wechselbezüglichkeit umso unwahrscheinlicher erscheint, je größer der zeitliche Abstand zwischen den beiden Testamenten ist (BayObLG NJW-RR 99, 879 = s. o.). Hier spricht auch indiziell dagegen, dass A in ihrem notariellen Testament angemerkt hat, dass die Eheleute gerade nicht von einer Bindung an die Verfügung des Nachtragstestaments ausgegangen sind. Indizien können sich auch aus Willensbekundungen des Überlebenden nach dem Tod des Erstversterbenden ergeben (BayObLG FamRZ 97, 251, 253 = ZEV 96, 432). Dagegen spricht zudem, dass der Nachtrag nicht auf demselben Papier wie das gemeinschaftliche Testament angebracht worden ist, was räumlich möglich gewesen wäre. Dasselbe gilt auch hier für den Hinweis von E und F in der Beschwerdebegründung, die Eheleute hätten die jeweiligen Geschwister auch des anderen Partners deshalb zu Schlusserben berufen, weil sie ihnen jeweils alle „gleich lieb“ gewesen seien.

     

    Bei diesem Auslegungsergebnis fehlt die Grundlage, um die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2, 2. Alt. BGB anzuwenden. Es kann nicht festgestellt werden, dass das frühere gemeinsame Testament i. S. einer Wechselbezüglichkeit der seinerzeit angeordneten gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute mit der Einsetzung von Schlusserben ergänzt werden sollte.

    Relevanz für die Praxis

    Der vorliegende Fall belegt, dass Sie in der anwaltlichen/notariellen Beratung in jedem gemeinschaftlichen Testament und in jedem Erbvertrag genau angeben sollten, welche Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Verfügungen bestehen. Nach der zutreffenden Ansicht des OLG Hamm spricht die Belehrung des Notars über die Bindungswirkungen von wechselbezüglichen Verfügungen für eine Wechselbezüglichkeit (FamRZ 04, 1239). Eine pauschale Belehrung in der notariellen Urkunde reicht aber nicht aus um anzunehmen, dass alle Zuwendungen wechselbezüglich sein sollen. Dagegen spricht schon, dass für jede Verfügung gesondert die Wechselbezüglichkeit festgestellt werden muss (ebenso Litzenburger in: Beck‘scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth, 37. Edition, Stand: 1.11.15, § 2270 Rn. 11).

    Quelle: Ausgabe 04 / 2016 | Seite 56 | ID 43913892