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  • · Fachbeitrag · gemeinschaftliches Testament

    Wechselbezügliche Verfügung: In diesen Fällen können Dritte sie anfechten

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Auch Dritte können wechselbezügliche Verfügungen anfechten. Der BGH differenziert jedoch danach, ob die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden oder des letztversterbenden Ehegatten angefochten wird. Dazu im Einzelnen: |

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (E) und ihr Ehemann (V) errichteten ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten ihre Tochter (T1, die Klägerin) zur Erbin des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten ihre andere Tochter (T2, die Beklagte) und entzogen ihr den Pflichtteil. Später verfasste der V ein Einzeltestament, in dem er E als Alleinerbin einsetzte. Nach seinem Tod lag dem Nachlassgericht nur dieses Einzeltestament vor. Als E verstarb, erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der T1 und T2 je zur Hälfte als ihre Erben auswies. Nachdem die T1 das gemeinschaftliche Testament fand, beantragte sie einen Alleinerbschein nach E. Die T2 focht daraufhin gegenüber dem Nachlassgericht das Testament wegen eines Motivirrtums ihrer Eltern an. Diese seien wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik studiert und ihre Eltern auf Unterhalt verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sie sich jedoch wieder versöhnt.

     

    Das LG hat die Klage der T1 auf Feststellung ihrer Alleinerbenstellung stattgegeben. Das OLG hat die Berufung der T2 zurückgewiesen. Die Revision der T2 führt dazu, dass das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird.

     

     

    Die Anfechtung wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen Dritten wird nicht in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB beschränkt (Abruf-Nr. 186663).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Schlusserbeneinsetzung der T1 durch beide Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament ist wechselbezüglich i. S. v. § 2270 Abs. 1 BGB. Eine wirksame Anfechtung der Verfügung des V zur Schlusserbeneinsetzung hätte daher gem. § 2270 Abs. 1 BGB zur Folge, dass auch die entsprechende Verfügung der E unwirksam wäre. Die Verfügung der E konnte nicht mehr angefochten werden. Nicht hinreichend festgestellt ist, ob die Verfügung des V angefochten werden kann.

     

    Anfechtung der Verfügung der E

    Die T2 konnte die Verfügung der E zur Schlusserbeneinsetzung gem. § 2285 BGB analog nicht anfechten. Nach dieser Vorschrift kann ein Dritter vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag nicht mehr aufgrund §§ 2078, 2079 BGB anfechten, wenn das Recht des Erblassers, die Verfügung aus demselben Grund anzufechten, zur Zeit des Erbfalls erloschen ist. § 2285 BGB gilt unmittelbar für Erbverträge.

     

    Die Norm ist auch auf die wechselbezüglichen Verfügungen des letztverstorbenen Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament entsprechend anwendbar (BGH ZEV 10, 364; FamRZ 1985, 1123). Ein durch ein Erbvertrag gebundener Erblasser ist mit einem überlebenden Ehegatten vergleichbar, soweit dieser das ihm wechselbezüglich Zugewendete nicht ausgeschlagen hat. Das Recht des überlebenden Ehegatten, eine wechselbezügliche Verfügung zu widerrufen, erlischt gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 HS. 1 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten. Der überlebende Ehegatte ist von diesem Zeitpunkt an wie der Erblasser beim Erbvertrag grundsätzlich an seine Verfügung gebunden. Ein überlebender Ehegatte kann ebenso wie ein Vertragserblasser das Anfechtungsrecht des Dritten zerstören, wenn er es unterlässt, das Testament anzufechten.

     

    So liegt es hier. E hat nicht in der Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB ihre Verfügung angefochten. Sie hatte den von der T2 behaupteten Motivirrtum bei ihrer Versöhnung mit ihr erkannt, etwa ein Jahr nachdem sie das gemeinschaftliche Testament verfasst hatte. Die Anfechtungsfrist hätte mit dem Tod des V als frühestmöglichem Anfechtungszeitpunkt zu laufen begonnen.

     

    Anfechtung der Verfügung des V

    § 2285 BGB ist aber nicht auf die Anfechtung einer wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament analog anwendbar. Es fehlt an der vergleichbaren Interessenlage, die für eine Analogie neben einer planwidrigen Regelungslücke erforderlich ist. Dies entspricht auch der h. M. in der Literatur, weil dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 2271 Rn. 31; MüKo/Musielak, BGB, 6. Aufl., § 2271 Rn. 43; Staudinger/Kanzleiter, BGB, 2014, § 2271 Rn. 67; Erman/S. u. T. Kappler, BGB, 14. Aufl., § 2271 Rn. 23; a.A. LG Karlsruhe NJW 58, 714; in einem Obiter Dictum an der h.M. zweifelnd auch BayObLG ZEV 04, 152, 153 = FamRZ 04, 1068).

     

    Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Widerrufsrechts des erstversterbenden Ehegatten und des beim Erbvertrag bestehenden Anfechtungsrechts ist weder § 2285 BGB geeignet, um entsprechend auf die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden Ehegatten angewendet zu werden, noch ist diese Analogie angesichts der dort bestehenden Interessenlage erforderlich.

     

    § 2285 BGB ergänzt das Selbstanfechtungsrecht, das dem Erblasser beim Erbvertrag gem. § 2281 BGB und entsprechend auch dem überlebenden und damit gebundenen Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament (BGHZ 37, 331) hinsichtlich seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Insoweit gilt Folgendes: Die Selbstanfechtung bzw. eine Anfechtung durch einen Dritten setzt Folgendes voraus:

     

    • Es müssen Anfechtungsgründe i. S. v. §§ 2078, 2079 BGB vorliegen.

     

    • Die Anfechtung kann gem. § 2283 Abs. 1, 2 BGB nur innerhalb eines Jahres ab Kenntnis vom Anfechtungsgrund oder der Beendigung der Zwangslage erklärt werden.

     

    • Ein Dritter kann nicht mehr anfechten, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers beim Erbfall bereits erloschen ist, weil die Anfechtungsfrist abgelaufen oder er den Erbvertrag bzw. die wechselbezügliche Verfügung bestätigt hat, § 2284 BGB.

     

    Hat der Erblasser dagegen keine Kenntnis vom Anfechtungsgrund, beginnt auch die Anfechtungsfrist für ihn nicht zu laufen. Deshalb kann sein Anfechtungsrecht beim Erbfall nicht erloschen sein und eine Drittanfechtung bleibt daher möglich. § 2285 BGB drückt den allgemeinen Gedanken aus, dass stets der Wille des Erblassers dafür maßgebend bleibt, ob ein Dritter seinerseits den Bestand der letztwilligen Verfügung angreifen darf oder nicht. Wenn der gebundene Erblasser trotz Kenntnis des Anfechtungsgrunds seine Verfügung bestätigt oder die Anfechtungsfrist verstreichen lässt, gilt diese Entscheidung auch für einen Dritten. Dieser soll nicht aufgrund eines eigenen Anfechtungsrechts die Nachlassregelung gegen den Willen des Erblassers korrigieren können (MüKo/Musielak, a.a.O., § 2285 Rn. 1).

     

    Der erstversterbende Ehegatte ist beim gemeinschaftlichen Testament nicht an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und nicht auf ein Anfechtungsrecht beschränkt. Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann jeder von ihnen seine wechselbezüglichen Verfügungen gem. § 2271 Abs. 1 BGB widerrufen. Er muss nur die Vorschriften über Form und Zugang der Widerrufserklärung nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m . § 2296 BGB beachten. Anders als die Anfechtung erfordert der Widerruf weder einen Grund noch besteht für ihn eine dem § 2283 Abs. 1 BGB vergleichbare Frist.

     

    Das Anfechtungsrecht eines Dritten reicht von vornherein nicht weiter als dieses Recht des Erblassers, sich von seiner Verfügung zu lösen, ohne dass dazu die Drittanfechtung durch § 2285 BGB beschränkt werden müsste.

     

    MERKE | Das Widerrufsrecht des erstversterbenden Ehegatten kann nicht „zur Zeit des Erbfalls“ i. S. v. § 2285 BGB bereits erloschen sein. Denn es erlischt mit seinem Tod.

     

    Würde § 2285 BGB uneingeschränkt analog auf das Erlöschen des Widerrufsrechts durch den Erbfall angewendet, würde Folgendes gelten: Eine Anfechtung Dritter wäre immer und unabhängig davon ausgeschlossen, ob der Erblasser Kenntnis von Tatsachen hatte, die ein Anfechtungsrecht begründen. Damit wäre es nicht mehr möglich, den wahren Willen des Erblassers umzusetzen. Ein solch umfassender Ausschluss der Drittanfechtung bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.

     

    Die analoge Anwendung des § 2285 BGB kann auch nicht auf Fälle beschränkt werden, in denen der Erstversterbende seine Verfügung trotz Kenntnis der später zur Begründung der Anfechtung angeführten Gründe nicht widerruft. Auch in diesen Fällen fehlt es mangels Bindung des Erstversterbenden an seine Verfügung an einer Vergleichbarkeit mit dem in §§ 2281, 2285 BGB geregelten Fall. Der erstversterbende Ehegatte muss - anders als der Letztversterbende - nicht fristgebunden entscheiden, ob er die Verfügung anfechten will. Er lässt mithin nicht (bewusst) eine Anfechtungsfrist verstreichen. Dem Willen des Erstversterbenden wird ausschließlich dadurch Geltung verschafft, dass geprüft wird, ob die Voraussetzungen eines Drittanfechtungsrechts vorliegen. Entscheidend ist stets der Wille des Erblassers. Über dessen Recht, sich von seiner Verfügung zu lösen, geht das Drittanfechtungsrecht nicht hinaus.

     

    Für eine analoge Anwendung des § 2285 BGB sprechen auch nicht die Interessen des letztversterbenden Ehegatten, der auf den Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut hat. Denn § 2285 BGB dient nicht dem Schutz des Vertragserben beim Erbvertrag oder des letztversterbenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament. Geschützt wird das Interesse des Erblassers daran, dass sich sein frei von Irrtum oder Drohung i. S. v. § 2078 BGB gebildeter Wille durchsetzt. Wenn durch die erfolgreiche Anfechtung seiner Verfügung die dazu wechselbezügliche Verfügung des anderen Ehegatten gem. § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam wird, entspricht dies gerade dem die Wechselbezüglichkeit begründenden Willen der Ehegatten, dass ihre Verfügungen miteinander stehen oder fallen sollen.

     

    Zutreffend ist nur, dass der überlebende Ehegatte ggf. nicht reagieren kann. Widerruft ein Ehegatte das gemeinschaftliche Testament zu Lebzeiten, kann der andere aufgrund der Empfangsbedürftigkeit des Widerrufs gem. § 2271 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 2296 Abs. 2 S. 1 BGB regelmäßig reagieren. Dies gilt auch für den Regelfall einer Drittanfechtung. Denn die fristgebundene (§ 2082 BGB) Anfechtung erfolgt regelmäßig unmittelbar nach dem ersten Erbfall.

     

    Nur im hier vorliegenden Sonderfall, in dem das gemeinschaftliche Testament dem Nachlassgericht nach dem ersten Erbfall nicht vorlag, konnte eine Drittanfechtung nicht zu Lebzeiten des letztverstorbenen Ehegatten erfolgen. Der Überlebende konnte nicht reagieren. Dies spricht nicht entscheidend für eine Analogie. Denn es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass die Ehegatten auf den Bestand der eigenen wechselbezüglichen Verfügungen nach ihrem Tod vertrauen können. Das Interesse eines Ehegatten an der Wirksamkeit der eigenen Verfügungen tritt auch in anderen Konstellationen unabhängig davon zurück, ob er noch mit einer neuen Verfügung auf eine Veränderung reagieren kann. Das Recht des überlebenden Ehegatten, sich durch Ausschlagung gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 HS. 2 BGB von dem gemeinschaftlichen Testament zu lösen, kann nicht abbedungen werden (BGH NJW 11, 1353). Hebt er anschließend die eigenen Verfügungen auf, hat dies gem. § 2270 Abs. 1 BGB zur Folge, dass die damit wechselbezüglich verbundenen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten unwirksam sind (BGH, a.a.O.).

     

    Es ist festzustellen, ob die Eltern durch die Beibehaltung des Testaments dieses bestätigt haben oder ob der behauptete Motivirrtum nicht kausal für ihre Verfügung geworden ist. Insoweit fehlt eine ausreichende Tatsachengrundlage. Das bewusste Bestehenlassen der letztwilligen Verfügung kann dafür sprechen, dass der behauptete Irrtum nicht ursächlich für die Verfügung war oder sie jedenfalls zur Zeit des Erbfalls dem Willen des Erblassers entsprach und eine Anfechtung daher ausgeschlossen ist (BayObLG NJW-RR 95, 1096, 1098; MüKo/Musielak, a.a.O., § 2271 Rn. 43; Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2078 Rn. 9). Dies ist nicht hinreichend aufgeklärt.

     

    MERKE | Der Erblasser muss sich aber im Wissen um den Inhalt dieser Verfügung und in Kenntnis des Irrtums dafür entscheiden, daran festzuhalten.

     

    Nicht ausreichend ist, wenn er es nur aus Nachlässigkeit, Passivität oder aus sonstigen anderen Gründen unterlässt, das Testament abzuändern (vgl. BayObLG NJW-RR 02, 367; Staudinger/Otte, BGB, 2013, § 2078 Rn. 30; MüKo/Leipold, a.a.O., § 2078 Rn. 50).

     

    Relevanz für die Praxis

    Nach der Rechtsprechung ist ein Ehegatte bei Geschäftsunfähigkeit des anderen Ehegatten (z. B. durch eine Demenz) nicht gehindert, sein Widerrufsrecht auszuüben (OLG Nürnberg FamRZ 13, 1842 = ZEV 13, 450 mit Anm. Keim). Dies gilt auch, wenn wegen der bestehenden Wechselbezüglichkeit die Verfügungen des geschäftsunfähigen Ehegatten damit entfallen und dieser keine Möglichkeit hat, auf den Wegfall durch Errichtung einer neuen Verfügung von Todes wegen zu reagieren (OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Hamm FamRZ 14, 1484 = FGPrax 14, 71).

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 08 / 2016 | Seite 129 | ID 44149313