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  • 01.04.2010 | Pflichtteil

    Lebensversicherung mit widerruflicher Bezugsberechtigung bei Pflichtteilsergänzung

    von RA/Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA StR, Braunschweig/Magdeburg

    Im Pflichtteilsergänzungsrecht stellt sich stets die Frage nach dem ergänzungspflichtigen Gegenstand der Schenkung. Nach bisher herrschender Meinung sollen bei einer Kapitallebensversicherung im Todesfall mit widerruflicher Bezugsberechtigung nur die vom Erblasser entrichteten Prämien der Pflichtteilsergänzung unterliegen (vgl. BGH NJW 95, 3113; OLG Stuttgart FamRZ 08, 822; Staudinger/Olshausen, BGB, Stand Juni 2006, § 2325, Rn. 37). Hier ist jedoch in jüngster Zeit wieder Bewegung eingetreten, nachdem Gerichte eine entgegengesetzte Entscheidung getroffen haben. Auf dieser Linie liegt ein bemerkenswertes Urteil des OLG Oldenburg, das der Erbrechtspraktiker unbedingt kennen muss (23.2.10, 3 O 267/08, Abruf-Nr. 101038).  

     

    Der Fall des OLG Oldenburg 23.2.10, 3 O 267/08 (vereinfacht)

    Der verwitwete Erblasser E hatte einen Sohn S sowie eine Stieftochter T, die er zur Alleinerbin eingesetzt hatte.  

     

    E hatte eine Lebensversicherung mit widerruflicher Bezugsberechtigung zugunsten der T abgeschlossen, auf die E bis zum Erbfall Prämien in Höhe von ca. 2.000 EUR gezahlt hatte. Nach seinem Tod zahlte die Versicherung an die T einen Betrag von rund 100.000 EUR.  

     

    Der S klagte gegen die T auf Pflichtteilsergänzung. Das LG betrachtete nur die gezahlten Prämien als ergänzungspflichtigen Gegenstand.  

     

    Dem hat sich das OLG Oldenburg nicht angeschlossen. Nach dessen Auffassung bestimmt sich der Schenkungsgegenstand bei widerruflicher Bezugsberechtigung einer Lebensversicherung nicht nach den in den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall vom Erblasser aufgewendeten Versicherungsprämien, also hier rund 2.000 EUR, sondern nach der ausgekehrten Versicherungsleistung.  

     

     

    Die tragenden Gründe der Entscheidung
    • Sowohl nach rechtlicher als auch wirtschaftlicher Betrachtung hat der Erblasser und Versicherungsnehmer nicht nur die Prämien, sondern den ihm bis zum Eintritt des Versicherungsfalls zustehenden Versicherungsanspruch weggegeben (so z.B. auch OLG Düsseldorf, ZEV 08, 292; LG Göttingen NJW-RR 08, 19).

     

    • Bei einer widerruflichen Bezugsberechtigung hat der Berechtigte zu Lebzeiten des Erblassers lediglich eine mehr oder weniger konkrete Aussicht auf den Erwerb der Versicherungssumme. Der Erblasser kann also zu Lebzeiten die Bezugsberechtigung jederzeit anderweitig regeln.

     

    • In einem solchen Fall hat der Erblasser nicht lediglich die Versicherungsprämien, sondern die gesamte Versicherungsleistung zugewendet. Erst mit dem Tod des Versicherungsnehmers wandelt sich die Bezugsberechtigung in eine unwiderrufliche um und es entsteht ein Direktanspruch des Berechtigten gegen die Versicherungsgesellschaft. Erst zu diesem Zeitpunkt hat sich der Erblasser seines Vermögens zugunsten des Berechtigten entäußert.

     

    • Die endgültige Entäußerung des Vermögens tritt erst mit dem Versicherungsfall ein, weil der Erblasser zu Lebzeiten jederzeit einen anderen Bezugsberechtigten wählen kann oder sich die Versicherungsleistung selbst auszahlen lässt.

     

    • In einer Kapital-Lebensversicherung werden regelmäßig Todesfallschutz und Bildung eines Kapitalstocks kombiniert. Inwieweit die geleisteten Versicherungsprämien mit den ausgezahlten Versicherungsleistungen korrespondieren hängt von vielen zufälligen Faktoren wie Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls, Renditestärke des Versicherers, Zeitpunkt der Zahlung der Versicherungsprämien ab.

     

    Die dadurch bedingte Zufälligkeit der Höhe des Anspruchs des Pflichtteilsberechtigten kann dadurch vermieden werden, dass ihm ein quotaler Anspruch auf die ausbezahlte Versicherungsleistung zusteht.

     

    • Bei anderen Zuwendungen in Form des Vertrags zugunsten Dritter auf den Todesfall, zum Beispiel in Form von zugewendeten Fondsanteilen oder Sparbüchern, ist regelmäßig der Wert der Zuwendung im Zeitpunkt des Todesfalls maßgebend.

     

    • Eine differenzierte Behandlung der Versicherungsleistung einerseits und kapitalbildenden Anlageformen andererseits ist nicht begründbar und führt zu einer Umgehung der Schutzvorschrift des § 2325 BGB.
     

    Praxishinweis

    Das OLG Oldenburg hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Denn die Frage nach dem Schenkungsgegenstand bei Lebensversicherungsverträgen spielt in einer Vielzahl von Verfahren eine Rolle und bedingt daher angesichts der noch ausstehenden Entscheidung des BGH ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung. Die mündliche Verhandlung in dieser Sache steht am 28.4.10 vor dem IV. Zivilsenat an.