Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 04.08.2008 | Erbengemeinschaft

    Wie sich Streit in der Erbengemeinschaft vermeiden lässt

    von Dr. Wigo Müller, ArbG.-Direktor a.D., Braunfels-Lahn

    Die Erbengemeinschaft ist eine Zwangsgemeinschaft, die durch den Tod des Erblassers zufällig, d.h. vom Willen der Erben unabhängig entsteht. Streit ist daher in vielen Fällen vorprogrammiert. Streit kann zum einen in den Fällen vermieden werden, in denen ein Miterbe allein handeln kann. In einer der nächsten Ausgaben von EE zeigen wir, wie Sie Streit bei der Verwaltung des Nachlasses durch Miterben verhindern können (zur Nachlassauseinandersetzung bei Erbengemeinschaften vgl. auch Damrau/Möller, EE 07, 181; Möller, EE 08, 11 sowie zur Abschichtung Gemmer, EE 07, 199).  

     

    Verwaltung des Nachlasses durch einen Miterben

    Einziger Zweck der Erbengemeinschaft ist die Verteilung des Nachlasses unter den Erben, also ihre Auflösung. Die Erbengemeinschaft ist weder rechts- noch parteifähig (BGH NJW 06, 3715) und verfügt daher nicht über im Rechtsverkehr handelnde Organe. Der in § 2038 Abs. 1 BGB enthaltene Grundsatz, nach dem die Miterben das Sondervermögen Nachlass gemeinsam verwalten müssen, verfolgt den Zweck, die Miterben und Nachlassgläubiger vor Wertverlusten des Nachlasses zu schützen (BGH NJW 07, 150). Streit kann vermieden werden, wenn der einzelne Miterbe allein handeln kann.  

     

    Übersicht: Verwaltung des Nachlasses durch einen Miterben
    • Geltendmachung von Nachlassforderungen durch einen Miterben:
    • Klagerecht: Der einzelne Miterbe kann die Nachlassforderung auch allein, selbst gegen den Widerspruch von Miterben einklagen (BGH ZEV 05, 63). Das Klagerecht nach § 2039 S. 1 BGB ist ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft. Diese berechtigt den einzelnen Erben, im eigenen Namen für die gesamte Erbengemeinschaft tätig zu werden (BGH NJW 06, 1969). Grund: Die Klageerhebung durch alle Miterben ist oft unausführbar (RGZ 149, 193). Sie gewährleistet, dass jeder Miterbe Nachteile abwenden kann, die der Erbengemeinschaft durch Nachlässigkeit oder Untätigkeit einzelner Miterben drohen und liegt im Interesse der gesamten Erbengemeinschaft, unabhängig davon, ob die Ergebnisse bei der Auseinandersetzung jedem Miterben zugute kommen (BGH NJW 03, 3268).

     

    Praxishinweis: Jeder Miterbe kann auch unter Berufung auf § 2039 S. 1 BGB eine negative Feststellungsklage auf Nichtbestehen einer Nachlassschuld erheben (RG JW 35, 3463).

     

    Er kann auch eine Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) gegen die Zwangsvollstreckung in ein Nachlassgrundstück (BGH NJW 06, 1969) oder eine Wiederaufnahme- oder Nichtigkeitsklage erheben (BGH NJW 54, 1523).

     

    Folge der in § 2039 S. 1 BGB vorgesehenen Klagebefugnis jedes einzelnen Miterben ist, dass ein unbemittelter Erbe auch PKH beanspruchen kann, wenn begüterte Erben vorhanden sind (BVerfG NJW-RR 98, 1081).

     

    Der Wert des Streitgegenstands ist die volle Leistung (OLG Frankfurt NJW-RR 00, 1367). Klagt ein Miterbe gegen einen anderen eine Nachlassforderung ein, steht dessen Anteil außer Streit und daher beim Streitwert vom Wert der Leistung abzuziehen (BGH NJW 67, 443).

     

    Achtung: Zum Schutz der Erbengemeinschaft kann ein einzelner Erbe nur die Leistung an alle Mitgläubiger, die Hinterlegung (BGH ZEV 05, 390) oder die Ablieferung einer zum Nachlass geschuldeten Sache an einen Verwahrer verlangen. Dieser wird vom AG bestellt, in dessen Bezirk sich die Sache zurzeit der Einleitung des Verfahrens befindet, § 165 FGG. Die Klage kann gegen einen anderen Miterben gerichtet werden, der auch an alle leisten oder hinterlegen muss, wenn die Schuld bei der Auseinandersetzung ausgeglichen werden könnte (BGH WM 75, 1179). Die Einziehung der Forderung vor der Auseinandersetzung des Nachlasses verstößt nur ausnahmsweise gegen Treu und Glauben, wenn die Schuld des Miterben mit Sicherheit durch seinen Erbteil gedeckt ist (BGH FamRZ 71, 643).

     

    • Einstweiliger Rechtsschutz: Ein Miterbe kann durch eine einstweilige Verfügung erreichen, dass die von einem Miterben gesicherten Nachlassgegenstände in die Wohnung des Erblassers zurückgebracht werden (AG Rostock ZEV 06, 33).

     

    • Grundbuchberichtigung: Der Miterbe kann die Berichtigung des Grundbuchs verlangen (BGH NJW 66, 773), z.B. die Löschung eines Wohnrechts (BGH FamRZ 71, 643).

     

    • Herausgabe von Nachlassgegenständen: Ein Miterbe kann allein auf Herausgabe des Nachlasses durch den Nachlasspfleger (OLG Brandenburg NJW-RR 08, 95) oder den Nachlassverwalter klagen (OLG Brandenburg ZFE 08, 198).

     

    • Unterlassungsanspruch: Auch einen solchen Anspruch kann der Miterbe allein geltend machen (OLG Hamburg NJW-RR 00, 187).

     

    • Urheberrechtsverletzung: Auch gegen eine solche kann der Miterbe allein vorgehen (OLG Hamm ZUM 06, 641).

     

    • Öffentlich-rechtliche Ansprüche: § 2039 S. 1 BGBgilt auch für öffentlich-rechtliche Ansprüche(BVerwG NJW 65, 1546). Daher kann ein Miterbe im eigenen Namen z.B. einen Anspruch der Erbengemeinschaft auf eine Abfindung nach dem FlurbereinigungsG (BVerwG ZEV 98, 389) und einen Restitutionsanspruch (BVerwGE 126, 316) geltend machen sowie gegen den Entzug eines Nachlassgegenstands klagen (BVerwG ZOV 07, 54).

     

    • Steuerrechtliche Ansprüche: kann der einzelne Erbe z.B. die Aufhebung eines Steuerbescheids verlangen (BFH ZEV 07, 281), den Erlass von Säumniszuschlägen beantragen (BFH BStBl II 90, 360) und Prozesszinsen geltend machen (Nds: FG EFG 03, 1514).

     

    • Schadenersatzansprüche geltend machen: Einen zum Nachlass gehörenden Schadenersatzanspruch kann der Miterbe allein geltend machen (BGH ZEV 08, 285).

     

    • Zur Erhaltung des Nachlasses notwendige Maßregeln: § 2038 Abs. 1 BGB gestattet es jedem Miterben, die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßregeln ohne Mitwirkung der anderen zu treffen. Notwendige Maßregeln sind solche, die der Erhaltung des Nachlasses in seiner Gesamtheit oder einzelner Nachlassgegenstände dienen (BGH JZ 53, 706). Welche Maßregeln notwendig sind, ist vom Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers aus zu entscheiden. Die vom einzelnen Miterben getroffene Maßregel muss so dringlich sein, dass eine vorherige Abstimmung unter den Miterben ausgeschlossen ist oder untunlich erscheint (BGH ZEV 05, 63). Eine vorherige Abstimmung scheidet in Notfällen aus. Der einzelne Miterbe kann daher die Reparatur des vom Sturm beschädigten Dachs oder eines Wasserschadens im geerbten Haus in Auftrag geben.

     

    Praxishinweis: Jeder Miterbe ist daher auch berechtigt, Geschäfte des täglichen Lebens ohne vorherige Abstimmung mit den anderen Miterben vorzunehmen (BGH NJW 07, 150). Der Einzelne kann daher auch den PKW des Erblassers abmelden und z.B. den Bezug seiner Tageszeitung kündigen. Das Kündigungsrecht gilt auch für seine Rundfunk-, Fernseh- Internet- und Fernsprechanschlüsse, seine Lotterie- und Dauerlose, seine Versicherungen, seine Mitgliedschaft in Vereinen etc. Auch der Widerruf einer vom Erblasser erteilten Bankvollmacht ist jedem Miterben möglich (ausführlich dazu Müller, Ratgeber ErbR, 2. Aufl., S. 31). Das LG Bonn (5.3.04, 6 T 41/04, n.v., Abruf-Nr. 081999) hat die Kündigung der Mietwohnung des Erblassers als unaufschiebbare Maßnahme der ordentlichen Verwaltung angesehen.

     

    Sofern ein Erbe notwendige Maßregeln i.S. von § 2038 Abs. 1 BGB allein treffen darf, kann er die Erbengemeinschaft nach außen vertreten (BGH NJW 68, 743). Der einzelne Miterbe handelt hier ausschließlich kraft seines eigenen Willens. Denn nach § 2038 Abs. 1, § 744 Abs. 2 BGB kann er die notwendigen Maßnahmen ohne Zustimmung bzw. ohne Mitwirkung der Miterben treffen (OLG Hamm DB 69, 300).

     

    • Weitere gesetzlich geregelte Befugnisse des einzelnen Miterben:
    • Erbschein beantragen: Jeder Miterbe kann für sich einen Teilerbschein oder nach § 2357 Abs. 1 BGB, einen gemeinschaftlichen Erbschein für alle Erben beantragen.

     

    • Teilungsversteigerung beantragen: Bei dem zum Nachlass gehörenden Grundbesitz kann jeder Miterbe nach § 180 ZVG beim AG die Auflösung der Gemeinschaft durch Zwangsversteigerung erreichen (BGH WM 85, 840). Dies gilt sogar, wenn er nur geringfügig am Nachlass beteiligt ist (BGH ZEV 99, 69). Ein Überschuss aus dem Erlös der Versteigerung tritt an die Stelle des versteigerten Objekts. Das Verfahren nach § 180 ZVG bietet allerdings keine Handhabe, den Erlös im Verhältnis der Erbquoten unter den Erben zu verteilen (OLG Köln NJW-RR 97, 519). Eine Verteilung kann nur außerhalb des Versteigerungsverfahrens erfolgen (BGH NJW 52, 263) und setzt das Einverständnis aller Erben voraus. Sofern dieses nicht zu erreichen ist, muss der Erlös hinterlegt und über seine Verteilung bei der Auseinandersetzung des Nachlasses entschieden werden (OLG Koblenz ZEV 02, 414).

     

    • Nachlassinsolvenz beantragen: § 317 InsO ermöglicht es jedem Miterben, die Nachlassinsolvenz zu beantragen. Einen Antrag auf Nachlassverwaltung kann der einzelne Miterbe nur stellen, wenn er zugleich Nachlassgläubiger ist (Palandt, BGB, 67. Aufl., § 1981 Rn. 3).

     

    • Nachlassinventar errichten: Schließlich kann jeder Miterbe ein Inventar nach §§ 1993 ff. BGB errichten, das zur Abwendung der unbeschränkten Haftung für die Schulden des Erblassers verwendet wird. Die Errichtung des Inventars durch einen Miterben kommt gemäß § 2063 BGB auch den übrigen Erben zustatten.