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  • 01.10.2006 | Erbengemeinschaft

    Erbengemeinschaften durch Vor- und Nachvermächtnis vermeiden

    von RA Gudrun Möller, Nordkirchen

    Es ist ratsam, Erbengemeinschaften zu vermeiden (dazu Möller, EE 06, 122, 138 und 154. Neue Abonnenten können die Beiträge kostenlos anfordern: Fax: 02596 922-99, kein Fax-Abruf!). In der letzten Ausgabe haben wir dargestellt, dass alternativ die Alleinerbschaft neben Vermächtnissen in Betracht kommt. Eine weitere Möglichkeit ist, Erben oder Vorerben und daneben Vorvermächtnisnehmer und einen Nacherben und daneben Nachvermächtnisnehmer zu bedenken. Zwar wurde vor dieser Konstruktion gewarnt. Sie ist aber im Kommen (Werkmüller, ZEV 99, 343). Der folgende Beitrag zeigt, worauf Sie bei diesem Gestaltungsweg achten müssen.  

     

    Checkliste: Vor- und Nachvermächtnis

    Vorvermächtnis: Der Erblasser kann anordnen, dass der Vermächtnisnehmer den Gegenstand, der das Vermächtnis bildet, z.B. ein Haus, an den Untervermächtnisnehmer weiter geben muss. Dies ist nur sinnvoll, wenn der Vermächtnisnehmer den Gegenstand zuvor nutzen kann, so wie bei der Vor- und Nacherbschaft. Dies ist in § 2191 BGB teilweise geregelt.  

     

    Praxishinweis: Die Identität des Vermächtnisgegenstandes beim Vor- und Nachvermächtnis ist nicht so eng wie z.B. das Spezialitätsprinzip im Sachenrecht. Gegenstand des Vermächtnisses kann auch ein Unternehmen sein, also eine Gesamtheit von Rechten und Sachen. Es muss aber möglich sein, das Vermächtnis an den Nachvermächtnisnehmer herauszugeben, obgleich im Zeitpunkt der Entstehung der Herausgabepflicht, z.B. zum Handelsgeschäft andere Verbindlichkeiten gehörten als zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Nachvermächtnisses. Es kann auch andere Maschinen geben. Da diese zum Inbegriff des Geschäfts des Einzelkaufmanns gehören, sind auch sie an den Nachvermächtnisnehmer herauszugeben (AnwK-BGB/Jörg Mayer, § 2191 Rn. 6). Hier sind also auch Elemente des Zweckvermächtnisses (§ 2156 BGB), ggf. auch des Verschaffungsvermächtnisses (§2170 BGB) vorhanden, was für die Herausgabepflicht bedeutsam ist. Es würde sich auch um ein Nachvermächtnis handeln, wenn das Gebot nur dahin ginge, später ein Betriebsgrundstück an den Nachvermächtnisnehmer weiter zu geben. Es ist also wohl weniger die Identität des Vermächtnisgegenstands, wie die h.M. annimmt, als die zeitliche Verschiebung für Vor- und Nachvermächtnis kennzeichnend.  

     

    Man kann auch mehrere Nachvermächtnisse hintereinander schalten. Der Erblasser kann auch ein Rückvermächtnis anordnen: Das Nachvermächtnis fällt wieder an den Vorvermächtnisnehmer zurück. Ein Vermächtnis, das aufschiebend bedingt oder unter Bestimmung eines Anfangstermins angeordnet ist, wird mit Ablauf von 30 Jahren nach dem Erbfall unwirksam, wenn nicht zuvor die Bedingung oder der Termin eintritt (§ 2162 BGB) oder die Ausnahmetatbestände des § 2163 BGB greifen.  

     

    Nachvermächtnis: Es ist ein bedingtes oder befristetes Vermächtnis: Bis zum Anfall beim Nachvermächtnisfall wird der Nachvermächtnisnehmer nach § 2179 BGB durch § 160 ff. BGB geschützt.  

     

    • § 160 BGB: Wegen der Anwendbarkeit dieser Vorschrift hat der Nachvermächtnisnehmer eine rechtlich geschützte Aussicht auf den Vermächtnisanspruch. Diese Aussicht hat noch nicht den Status der Unentziehbarkeit und ist daher kein Anwartschaftsrecht. Diese Aussicht, das bedingte Recht, ist formlos übertragbar, § 398 BGB (Bengel, NJW 90, 1826) und pfändbar.

     

    • Einschränkung der Vererblichkeit der Aussicht des Nachvermächtnisnehmers durch § 2074 BGB: Hat der Erblasser das Nachvermächtnis aufschiebend bedingt angeordnet, gilt im Zweifel, dass die Zuwendung nur erfolgen soll, wenn der Bedachte den Bedingungseintritt erlebt.
    Beispiel: Das Nachvermächtnis fällt dem Sohn an, wenn er sein Examen besteht, er stirbt aber zuvor. Seine Kinder erben das Nachvermächtnis oder die Aussicht auf das Nachvermächtnis nicht.

     

    • Oft ist der Nachvermächtnisfall der Tod des Vorvermächtnisnehmers: Keiner weiß, wann er stirbt, nur dass er sterben wird. Es handelt sich daher um ein künftiges gewisses Ereignis, auch wenn der Zeitpunkt unbekannt ist. Es liegt keine Bedingung vor, sondern eine Befristung, so dass § 2074 BGB nicht eingreift. Fällt also der Ehefrau das Vorvermächtnis beim Erbfall an, ist der Sohn des Erblassers Nachvermächtnisnehmer und stirbt dieser vor der Ehefrau des Erblassers, sind die Kinder des Sohnes Nachvermächtnisnehmer nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB.

     

    • Auch bedingte oder befristete Rechte sind durch Vormerkung sicherbar: Handelt es sich beim vermachten Gegenstand um ein Grundstück, kann der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers durch Vormerkung gesichert werden, wenn der Vorvermächtnisnehmer als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Streitig ist, ob der Nachvermächtnisnehmer einen Anspruch auf Bewilligung einer Vormerkung auch hat, wenn der Erblasser dies nicht besonders angeordnet hat. Gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf die Bewilligung einer Vormerkung? Dies ist umstritten. Die mittlerweile überwiegende Meinung bejaht einen solchen Anspruch aufgrund einer Nebenpflicht des Auflassungsschuldners, also des Vorvermächtnisnehmers (OLG Hamm MDR 84, 402 zum aufschiebend befristeten Vermächtnis; LG Stuttgart ZEV 99, 144; vorsichtiger Bengel, NJW 90, 1826).

     

    • Die Aussicht (das bedingte oder befristete Recht) ist durch Arrest (§ 916 ZPO) oder einstweilige Verfügung (§ 935 ZPO) sicherbar: Zu diesen Mitteln wird der Nachvermächtnisnehmer greifen müssen, wenn der Vorvermächtnisnehmer nicht die Substanz des Vermächtnisses erhält (AnwK-BGB/Jörg Mayer, a.a.O.,§ 2191 Rn. 14).

     

    • Schadenersatzanspruch nach § 160 Abs. 1 BGB: Der Nachvermächtnisnehmer kann Schadenersatz vom Vorvermächtnisnehmer verlangen, wenn Letzterer während der Schwebezeit das Vermächtnis durch sein Verschulden vereitelt oder beeinträchtigt hat. Dies ist z.B. der Fall, wenn er Rechte aufgibt oder auf andere überträgt oder den Vermächtnisgegenstand beschädigt. Erlangt der Vorvermächtnisnehmer infolge des Umstands, der ihm die Leistung des Vermächtnisgegenstands an den Nachvermächtnisnehmer unmöglich macht, Ersatz, kann Letzterer dessen Herausgabe verlangen, § 285 BGB.

     

    • § 161 BGB: Danach wird bei einer aufschiebenden Bedingung eine Verfügung vor Bedingungseintritt mit Eintritt der Bedingung unwirksam. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 161 BGB ist ein aufschiebend bedingtes Vermächtnis sowie eine Verfügung. Die Verfügung von Todes wegen ist aber nicht gemeint. Der Vorvermächtnisnehmer ist nicht derjenige, der unter einer aufschiebenden Bedingung über den Vermächtnisgegenstand verfügt, wenn er z.B. das Haus anderweitig veraäußert. Daher ist § 161 BGB auf den Fall des Vor- und Nachvermächtnisses nicht anwendbar (a.A. Gudian, NJW 67, 431: Die Veräußerung des Hauses durch den Vorvermächtnisnehmer ist dem Nachvermächtnisnehmer gegenüber wirksam und nicht nach § 161 BGB im Nachvermächtnisfall unwirksam).
     
    • § 2191 Abs. 2 BGBbesagt, dass nur einzelne bestimmte Vorschriften aus dem Recht der Vor- und Nacherbschaft entsprechend anwendbar sind. Diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers verbietet nun wohl auch heute noch eine Gesamt-Analogie, nicht aber eine Einzel-Analogie.

     

    • § 2102 BGB ist entsprechend anwendbar: Der Nachvermächtnisnehmer ist bei Wegfall des Vorvermächtnisnehmers auch Ersatzvermächtnisnehmer.

     

    • § 2111 BGB gilt nicht entsprechend: Es gibt keine dingliche Surrogation beim Vor- und Nachvermächtnis entsprechend der Vor- und Nacherbschaft, sondern eine schuldrechtliche, § 285 BGB.

     

    Daneben erfasst das Nachvermächtnis auch Surrogate, die das Vermächtnisrecht selbst als „mitvermacht“ bezeichnet: Statt eines Anspruchs des Beschwerten gegen einen Dritten wird der Ersatzanspruch vom Vermächtnis erfasst, § 2169 Abs. 3 BGB. § 2172 Abs. 2 BGB erfasst Ersatz bei Verbindung oder Vermischung. Gehört eine Forderung, z.B. eine Geldforderung, zum Vermächtnis, erstreckt sich das Vermächtnis auf die gezahlte Geldsumme, § 2173 BGB. Ferner gehören auch Ersatzansprüche bei Rechts- und Sachmängeln hierher, §§ 2182, 2183 BGB.

     

    • § 2113 BGB: Der Vorerbe ist in seiner Verfügungsmacht in der Verfügung über Grundstücke und bei unentgeltlichen Verfügungen beschränkt. Diese Beschränkung gibt es bei dem Vor- und Nachvermächtnis nicht. Ist beim Grundstück eine Vormerkung zugunsten des Nachvermächtnisnehmers eingetragen, bildet diese bereits eine faktische Beschränkung der Verfügungsmacht. Unentgeltliche Verfügungen darf der Vorvermächtnisnehmer nicht tätigen. Eine Verfügung ist zwar wirksam, löst aber Schadenersatzansprüche gemäß § 280 BGB aus.

     

    • § 2115 BGB: Der Nacherbe ist nicht Erbe des Vorerben und muss daher nicht dessen Privatschulden bezahlen. Der Nachvermächtnisnehmer ist nicht Erbe des Vorvermächtnisnehmers und muss nicht für dessen Schulden aufkommen. Aber: Der Nachvermächtnisnehmer hat nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Herausgabe des Vermächtnisses und kann daher nicht mit der Drittwiderspruchsklage des § 771 ZPO gegen den Gläubiger vorgehen, der einen Vermächtnisgegenstand beim Vorvermächtnisnehmer pfändet.

     

    Ähnlich ist es bei der Insolvenz des Vorvermächtnisnehmers: Im Insolvenzverfahren kann der Nachvermächtnisnehmer nur seinen Vermächtnisanspruch anmelden, ohne Vorrechte beanspruchen zu können. Die Ansicht, hier rangiere der Nachvermächtnisnehmer nachrangig gemäß § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO, weil es sich um ein „vom Erblasser angeordnetes Vermächtnis“ handle, übersieht, dass die Vorschrift nur das Nachlass-Insolvenzverfahren des Erblassers betrifft, nicht aber das des Vorvermächtnisnehmers (Siegmann in: MüKo-InsO, § 327 Rn. 6).

     

    • § 2121 BGB verpflichtet den Vorerben, dem Nacherben auf Verlangen ein Verzeichnis der Erbschaftsgegenstände vorzulegen. Normalerweise ergibt sich aus der Verfügung von Todes wegen, welche Gegenstände der Nachvermächtnisnehmer im Nachvermächtnisfall herausverlangen kann. Umfasst das Vermächtnis eine Bibliothek oder ein Handelsgeschäft wird Folgendes vertreten: Eine Meinung will § 2121 BGB analog anwenden (Staudinger/Otte, a.a.O, § 2179 Rn. 13). Nach a.A. hat jeder Vermächtnisnehmer einen Anspruch gegen den Beschwerten auf Auskunft (RGZ 129, 239; BGH WM 64, 950). Aufgrund dieses Auskunftsrechts kann gemäß § 260 BGB die Vorlage eines Bestandverzeichnisses verlangt werden. Der Anspruch folgt aus dem Vermächtnisrecht, gilt also auch für Untervermächtnisse. „Das Auskunftsrecht des Beschwerten ist das Korrelat zum Vermächtnis“ (OLG München OLGE 42, 137). Zwar fällt das Nachvermächtnis erst beim Nachvermächtnisfall an, aber es entstehen die Ansprüche auf Auskunft über den Bestand des Vermächtnisses bereits mit dem Erbfall, also vor Bedingungseintritt (Staudinger/Otte, a.a.O., § 2179 Rn. 13).

     

    • § 2127 BGB: Besteht Grund zur Annahme, dass der Vorerbe die Rechte des Nacherben erheblich verletzt, hat der Nacherbe einen Anspruch auf Auskunft. Diese Vorschrift gilt analog auch für den Nachvermächtnisnehmer (Staudinger/Otte, a.a.O., § 2179 Rn. 13).

     

    • § 2130 BGB: Danach muss bei Eintritt des Nacherbfalls der Vorerbe den Nachlass an den Nacherben in dem Zustand herausgeben, der sich bei der bis zur Herausgebe ordnungsgemäßen Verwaltung ergibt. Und er muss Rechenschaft ablegen. Auch der Vorvermächtnisnehmer muss beim Nachvermächtnisfall das Vermächtnis im ordnungsgemäßen Zustand herausgeben, was sich aus der Anwendung der §§ 2179, 2177, 160 BGB ergibt. Eine nicht ordnungsgemäße Verwaltung beeinträchtigt das bedingte Recht.

     

    • § 2136 ff. BGB gelten nicht entsprechend. Der Erblasser kann trotzdem ein befreites Vorvermächtnis und ein Nachvermächtnis auf den Überrest anordnen. Damit wird zwar vermieden, dass der Nachvermächtnisnehmer zu seiner Sicherung Arreste und einstweilige Verfügungen gegen den Vorvermächtnisnehmer ausbringt. Aber im weiteren muss der Erblasser eingehend klarstellen, was der Vorvermächtnisnehmer (außer dem Eigen-Verbrauch) alles darf, z.B. unentgeltlich verfügen oder stille Reserven eines Unternehmens aufdecken und ausgeben.

     

    Testamentsvollstreckung: Damit kann dem Streit zwischen Erben des Vorvermächtnisnehmers und dem Nachvermächtnisnehmer vorgebeugt werden. Die Aufgaben des Testamentsvollstreckers sind genau festzulegen:  

     

    • Soll nur die Leistung des Vermächtnisses vom Erben an den Vorvermächtnisnehmer oder auch die vom Vorvermächtnisnehmer, bzw. dessen Erben an den davon verschiedenen Nachvermächtnisnehmern sicher gestellt werden?
    • Soll das Vermächtnis beim ersten oder beim zweiten oder bei beiden Vermächtnisnehmern verwaltet werden?
    • Soll der Testamentsvollstrecker nur die Rechte des Nachvermächtnisnehmers für die Dauer des Vorvermächtnisses etwa analog § 2222 BGB wahrnehmen? Denn § 2223 BGB regelt nur einen Ausschnitt aus dem Komplex.

     

    Pflichtteilsfestigkeit: Dies ist auch beim Vor- und Nachvermächtnis ein Problem.  

     

    Beispiel: Erblasser E bestimmt Sohn S zum Alleinerben. Die anderen Kinder, K 1 und K 2, erhalten Vermächtnisse. Witwe W erhält als Vorvermächtnis zwei Häuser, Nachvermächtnisnehmer sind K 1 und K 2. S schlägt sein Vermächtnis aus und verlangt den Pflichtteil, obgleich er aufgrund der Jastrow‘schen Klausel nach dem Letztversterbenden der Eltern auch nur den Pflichtteil erhält. Ist er an den zwei Häusern der W mit dem Pflichtteil beteiligt, oder ist vom Vermögen der W der Anspruch der Nachvermächtnisnehmer K 1 und K 2 abzuziehen, weil der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten sich gegen deren Erben richtet? Nicht anders wäre die Frage, wenn W Alleinerbin wäre und K 1 und K 2 auf den Tod der W aufschiebend bedingte Vermächtnisse hätten.  

    Lösung: Die Ansichten sind geteilt. Der Anspruch des Nachvermächtnisnehmers entsteht mit dem Tod des Erben bzw. Vorvermächtnisnehmers, beruht aber nicht auf dessen Vermächtnis. Der Vorvermächtnisnehmer, bzw. Erbe war bereits mit dem bedingten Recht belastet. Deshalb geht diese Verbindlichkeit dem Pflichtteil vor. Das Nachvermächtnis ist nach dieser Ansicht pflichtteilsfest (Damrau/Riedel/Lenz, Praxiskommentar, § 2311 Rn. 4 Tabelle Stichwort „Nachvermächtnis“; a.A.: Zawar, Das Vermächtnis in der Kautelarjurisprudenz, 83, S. 61). In diesem Zusammenhang wird öfter § 327 Abs. 1 Nr. 2 InsO herangezogen. Dass das bedingte Vermächtnis nicht gegenüber dem Pflichtteilsrecht nachrangig ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift.  

     

     

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2006 | Seite 172 | ID 86969