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  • 01.06.2005 | Der praktische Fall

    Internationales Erbrecht im Erbscheinsverfahren

    von RA und Notar Jürgen Gemmer, FA Steuerrecht, Braunschweig

    Das internationale Erbrecht bereitet in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten. Zugleich nimmt seine Bedeutung auf Grund der Internationalisierung unserer Gesellschaft stetig zu. Anhand eines Praxisfalls beleuchten wir diese Rechtsmaterie näher und erläutern die Systematik der Falllösung.  

     

    Der Fall des BayObLG 29.11.04, 1 ZBR 82/04 (n.v.), Abruf-Nr. 051420

    Der verstorbene Erblasser E lebte zuletzt im Allgäu. Er besaß die französische und die tschechische Staatsbürgerschaft. Er war dreimal verheiratet. Die erste und zweite Ehe ging der Erblasser jeweils mit einer tschechoslowakischen Staatsangehörigen ein. Aus diesen beiden Ehen stammt jeweils eine Tochter. In dritter Ehe war er kinderlos mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet. E hinterließ ein handschriftlich geschriebenes und unterschriebenes Testament mit dem Inhalt, dass er seine Lebensgefährtin L zur Alleinerbin einsetzt. Der Erblasser besitzt Grundvermögen in der Tschechischen Republik. Er besitzt auch Vermögen im Inland. L beantragt die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin. Ist der Erbschein antragsgemäß zu erteilen?  

     

    Da der Erblasser die französische und tschechische Staatsbürgerschaft besaß und zuletzt im Allgäu lebte, muss zunächst geprüft werden, nach welchem Recht sich die Erteilung des Erbscheins richtet. In Betracht kommt deutsches, französisches und tschechisches materielles Erbrecht. Die folgende Checkliste gibt einen Überblick über die Prüfungsabfolge.  

     

    Checkliste: Internationales Erbrecht – Bestimmung des materiell anwendbaren Rechts
    • Der Erblasser war sowohl tschechischer als auch französischer Staatangehöriger. Staatsvertragliche Regelungen, die nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB bei der Ermittlung des anzuwendenden Rechts vorrangig zu beachten wären, bestehen nicht.

     

    Praxishinweis: Für den Einstieg in die Prüfung des anwendbaren Rechts hilft ein Blick in das Werk Ferid/Firsching, Internationales Erbrecht.

     

    • Welches materielle Erbrecht anwendbar ist, richtet sich daher nach dem EGBGB. Nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB bestimmt sich die Rechtsfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Hier besaß E zwei Staatsangehörigkeiten.

     

    • Wird auf das Recht des Staates verwiesen, dem eine Person angehört und gehört sie mehreren Staaten an, ist das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, z.B. durch den gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf des Lebens, Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Bei Doppelstaatlern, die – wie hier – nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, muss die effektive Staatsangehörigkeit festgestellt werden. Dies bedeutet: Es muss geprüft werden, mit welchem Staat der Erblasser am engsten verbunden ist. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, wie z.B. Vermögensdispositionen, berufliche und familiäre Beziehungen, Ausübung politischer Rechte, sprachliche und kulturelle Zugehörigkeit. Die engere Verbindung, an die anzuknüpfen ist, muss sich aus den objektiven Merkmalen ableiten lassen.
    Diese Grundsätze zeigen, dass eine pauschale Anknüpfung an die zuletzt erworbene Staatsangehörigkeit – hier die französische – kein taugliches Kriterium ist. Es müssen zunächst alle Umstände aus der Biographie des Erblassers gesammelt werden, die für die Bindung an die eine oder andere Staatsbürgerschaft sprechen. Diese sind im Kontext zueinander zu gewichten.