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  • 27.01.2012

    Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 07.06.2011 – 12 Sa 1340/10


    Tenor:

    Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 26. Mai 2010 - 6 Ca 764/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um Auskunfts- und Beitragsverpflichtungen des Beklagten nach den Tarifverträgen zum Sozialkassenverfahren im Baugewerbe für die Zeit von Januar 2006 bis März 2007.

    Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Bauge-werbe und nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen im Baugewerbe verpflichtet. Der Beklagte unterhält einen Betrieb, der - in allerdings streitigem Umfang - auch Abbrucharbeiten, Erdbewegungsarbeiten und Kernbohrungen durchführt. Der Beklagte ist seit dem April 2007 Mitglied im Deutschen Abbruchverband. Die Klägerin führte am 16.08.2008 eine Betriebsprüfung bei dem Beklagten durch, bei der der Prüfer nach Durchsicht der Lohn- und Gehaltsunterlagen sowie der Ausgangsrechnungen zu der Feststellung gelangte, dass der Betrieb im Kalenderjahr 2006 zu 70 % (2007: 90%) vorbereitende Abbrucharbeiten und zu 30 % Abbruch von (nicht tragenden) Wänden und Estrichböden, Erdbewegungsarbeiten und Kernbohrungen (2007: 10 %) durchführte (Bl. 15 - 16 d. A.). Auf eine Anfrage zu den Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung, die der Beklagte anzweifelte, teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dem Beklagten unter dem 30.04.2009 mit, dass bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 23.03.2004 aufgrund der vorhandenen statistischen Unterlagen und ergänzender Angaben der Tarifvertragsparteien davon ausgegangen wurde, dass im Geltungsbereich des BRTV-Bau 808.700 gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt waren, von denen 477.919 (= 59,1 %) organisierten Unternehmen angehörten (Bl. 26 d. A.).

    Die Klägerin nimmt den Beklagten, der nicht Mitglied eines der tarifvertragsschliessenden Verbände des Baugewerbes ist, für den Zeitraum Januar 2006 bis März 2007 auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer in Höhe von € 79.452,54 sowie auf Auskunftserteilung über die Anzahl der beschäftigten Angestellten in Anspruch.

    Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Betrieb des Beklagten sei während des gesamten Klagezeitraums 2006 bis 2007 dem Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifvertrags unterfallen. Die Klägerin hat behauptet, die im Betrieb des Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten im Klagezeitraum und in den gesamten Kalenderjahren 2006 und 2007 arbeitszeitlich gesehen überwiegend, d.h. zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet auch mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausmache, folgende Arbeiten ausgeführt: Abbrucharbeiten, Erdbewegungsarbeiten sowie Kernbohrungen. Dabei seien auch die vorbereitenden Abbrucharbeiten als Zusammenhangstätigkeiten den Abbrucharbeiten zuzurechnen. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung der Bautarifverträge seien nicht begründet.

    Die Klägerin hat beantragt,

    den Beklagten zu verurteilen, an sie € 79.452,54 zu zahlen;

    ihr auf dem von ihr zur Verfügung gestellten Formular Auskunft darüber zu erteilen, wie viele gewerbliche Angestellte, die eine nach den Vorschriften des sechsten Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, ausgenommen sind geringfügig Beschäftigte im sinne von § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, in den Monaten Januar 2006 bis März 2007 in dem Betrieb des Beklagten beschäftigt wurden und welche Zusatzversorgungsbeiträge in den jeweiligen Monaten angefallen sind;

    für den Fall, dass die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt wird, an sie eine Entschädigung in Höhe von € 450,-- zu zahlen.

    Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der tarifliche Geltungsbereich sei für seinen Betrieb nicht eröffnet. Er hat dazu behauptet, die bei ihm beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer hätten nur maximal 32 % bauliche Leistungen wie Komplettabbrüche (7 %), Entfernen von Mauerwerk (10 %), Erdarbeiten (10 %) und Kernbohrungen (5 %) erbracht. Die sonstigen Arbeiten (Entfernen von Bodenbelägen, Kabeln, Leuchtstoffröhren, Fenstern, Türen, Sanitäranlagen usw.) dienten nur der Vorbereitung von Abbrucharbeiten. Das Entfernen von Wand- und Deckenverkleidungen, Leichtbauwänden und abgehängter Decken aus Leichtbau-Gips gehöre zur Infrastruktur moderner Gebäude, die den Bedürfnissen des Büromieters laufend angepasst werden müssten. Diese Arbeiten gehörten nicht zu Abbrucharbeiten, sondern zum Facility Management. Der Beklagte hat weiter die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung lägen nicht vor. Er hat zwar eingeräumt, keine genauen Zahlen angeben zu können, die zu einem von der Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abweichenden Ergebnis führten. Das liege aber allein daran, dass weder die von ihm angeschriebenen Bauverbände noch die Klägerin ihre Zahlen herausgäben. Er habe seine Möglichkeiten der Informationsbeschaffung erschöpft und könne darüber hinaus nur Indizien nennen, die zu einer Reduzierung der Zahl der tarifgebundenen Betriebe und Arbeitnehmer in den letzten Jahren geführt haben müssten. Hierzu hat er zunächst auf die Nichtberücksichtigung der Kleinbetriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern, die 90 % der Betriebe im Baugewerbe ausmachten, die Nichtberücksichtigung der steigenden Zahl von OT-Mitgliedschaften und die rückläufige Zahl von Beschäftigten im Bauhauptgewerbe angeführt. Auch werde in der Erläuterung der Arbeitsmarktdaten aus Nürnberg darauf hingewiesen, dass die Bindung der Beschäftigten an Tarifverträge in der langen Sicht eindeutig eine rückläufige Tendenz zeige. Zudem hat er gemeint, dass nicht auf die Beschäftigtenzahlen im gesamten Baugewerbe, sondern nur die in der Abbruchbranche abzustellen sei. Hier unterfielen 70 - 75 % der Beschäftigten nicht den Bautarifverträgen.

    Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 26.05.2010 den Beklagten zur Zahlung der eingeklagten Beiträge und zur Erteilung der verlangten Auskünfte verurteilt. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 83 - 87 d.A.).

    Der Beklagte hat gegen das ihm am 5.07.2010 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil erst am 30.08.2010 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt. Zuvor hatte er mit Telefax seines Prozessbevollmächtigten am 27.08.2010 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Mit Faxschreiben vom 30.08.2010 wies ihn das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass bislang kein Eingang einer Berufungsschrift festzustellen sei. Noch am selben Tag hat der Beklagte per Fax ein Wiedereinsetzungsgesuch wegen Versäumnis der Berufungsfrist und eine auf den 27.07.2010 datierte Berufungsschrift eingereicht. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.2010 ist die Berufungsbegründungsschrift am 22.09.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

    Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs behauptet der Beklagte, die Rechtsanwaltsfachangestellte Frau A habe die Berufungsschrift am 27.07. 2010 vorbereitet und zur Unterschrift vorgelegt. Später habe sie sie einkuvertiert, frankiert und zur Post gegeben. Die Post werde auf dem Empfangstresen im Eingangsbereich, dem Arbeitsplatz der Büroleiterin Frau B, zentral gesammelt, von dieser bei Verlassen des Büros um 16.00 Uhr mitgenommen und in den Doppelbriefkasten am Eingang zur S-Bahn (Ecke Neuer Wall/Jungfernstieg) eingeworfen. Dieser werde täglich um 16.30 und um 17.30 Uhr geleert. Die Berufungsschrift sei mit normaler Post gesandt worden, weil ein Fristablauf nicht zu befürchten gewesen sei. Der Beklagte hat zur Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen der Frau A (Bl. 104 d. A.) und der Frau B (Bl. 177 d. A.) sowie des Weiteren einen Ausdruck der E-Akte des Falles vorgelegt (Bl. 130 d. A.).

    In der Sache selbst wiederholt und vertieft der Beklagte sein erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere hebt er zur Frage, ob das Quorum des § 5 Abs 4 TVG erreicht sei, folgendes noch einmal hervor: die unzulänglichen Antworten auf seine Anfragen stützten die Annahme, das Quorum sei erreicht, nicht. Vielmehr sei es so, dass die vorliegenden Zahlen aus der Vergangenheit unter Berücksichtigung der Umstände, dass (1) eine Umkehrung des festgestellten Trends einer Flucht aus den Tarifverträgen nicht plausibel sei bzw. gemacht worden sei, dass (2) die nachhaltige Erstarkung von OT-Mitgliedschaften nicht berücksichtigt worden sei bzw. nicht klar sei, ob die Zahlen eine Unterscheidung zwischen ordentlicher und OT-Mitgliedschaft überhaupt hergeben und dass (3) die sog. Kleinbetriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern, die etwa 35 % der Gesamtarbeitnehmerzahl beschäftigten - bei den Zahlen des Statistischen Bundesamts überhaupt nicht berücksichtigt seien, erkennen lassen, dass die Zahlen, die in der Vergangenheit zu einer Überschreitung des Quorums führten, nicht mehr plausibel seien. Der Beklagte behauptet zudem (3), dass sich aus der einschlägigen Literatur ergebe, dass Organisationsgrad und Betriebsgröße im umgekehrten Verhältnis zueinander stehen. Die Möglichkeit von OT-Mitgliedschaften sei auch im Baugewerbe, so im Regionalverband Rheinland-Pfalz, gegeben (Aufnahmeantrag Bl. 152 d. A.). Der Beklagte vertritt weiter die Auffassung, dass der Grundsatz des Vorrangs des fachspezifischen Tarifvertrags vor dem allgemeineren Tarifvertrag es gebiete, bei der Bestimmung des Quorums auf den betroffenen Gewerbezweig, hier die Abbruchbetriebe, und nicht auf das Baugewerbe insgesamt abzustellen sei. Er wiederholt in diesem Zusammenhang seine Behauptung, dass im Abbruchgewerbe die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nur eine Minderheit der Arbeitnehmer repräsentierten, während die weitaus überwiegende Zahl der Betriebe und der Arbeitnehmer beim Deutschen Abbruchverband bzw. beim Norddeutschen Abbruchverband organisiert sei.

    Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens des Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 22.09.2010 sowie die Schriftsätze vom 27.09.2010, 30.03. 2011, 17.05.2011 und vom 6.06.2011 nebst Anlagen verwiesen (Bl. 121 - 125, 128 - 129, 146 - 148, 165 - 166 u. 175 -176 d. A.).

    Der Beklagte beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 26.05.2010, Az. 6 Ca 764/09, abzuändern und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Zu den Ausführungen des Beklagten zum Erreichen des Quorums nach § 5 Abs. 4 TVG weist die Klägerin darauf hin, dass das vom Beklagen selbst vorgelegte statistische Material des Statistischen Bundesamts (Bl. 49 - 63 d. A.) Zahlen auch zur Betriebsgrößenklasse 1 - 19 enthalte. Die Möglichkeit von OT-Mitgliedschaften bei entsprechender Ausgestaltung der Satzungen in anderen Bereichen außerhalb des Baugewerbes habe auf das Erreichen des Quorums keine Auswirkungen. Literaturmeinungen zur Frage des Organisationsgrades begründeten keine Fakten. Hilfsweise macht sich die Klägerin das tatsächliche Vorbringen des Beklagten zur betrieblichen Tätigkeit zu Eigen.

    Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf die Berufungserwiderung vom 29.11.2010 sowie auf die Schriftsätze vom 14.09.2010, 17.09.2010, 12.04.2011 und vom 31.05.2011 verwiesen (Bl. 140 - 142, 109 - 110, 113 - 114, 159 und 169 - 170 d. A.).

    Entscheidungsgründe

    I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und im Ergebnis auch im Übrigen zulässig.

    1. Zwar ist die Berufung zunächst nicht gemäß §§ 66 Abs. 1 ArbGG form- und fristgerecht innerhalb eines Monats nach der am 5.07.2010 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, also bis spätestens am 5.08.2010, sondern erst am 30.08. 2010 eingelegt worden. Dem Beklagten war jedoch auf seinen Antrag vom 30.08. 2010 gemäß §§ 233, 234 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, weil sein Prozessbevollmächtigter an der Einhaltung der Berufungsfrist ohne sein Verschulden, und daher nicht über § 85 Abs. 2 ZPO dem Kläger zurechenbar, an der rechtzeiteigen Einreichung der Berufung gehindert war.

    Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH 11.01.2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577; 9.09.1997 - IX ZB 80/97 - NJW 1997, 3446) gehört zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss er zunächst eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren, die gewährleistet, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Der weiter erforderlichen Ausgangskontrolle ist in der Regel Genüge getan, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der ausgehenden Post, etwa durch Führen eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich.

    Nach diesen Maßstäben besteht kein Anhalt dafür, dass ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten an dem Fristversäumnis mitgewirkt haben könnte (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Beklagte hat ausgeführt und durch Vorlage zweier eidesstattlicher Versicherungen der Mitarbeiterinnen A und B glaubhaft gemacht, dass Frau A die Berufungsschrift vorbereitet, zur Unterschrift vorgelegt, später einkuvertiert, den Umschlag frankiert und zur Post gegeben hat. Der Postausgang ist bei dem Prozessbevollmächtigten so organisiert, dass die ausgehende Post zentral auf dem Empfangstresen im Eingangsbereich, dem Arbeitsplatz der Büroleiterin Frau B, gesammelt, von dieser beim Verlassen des Büros um 16.00 Uhr mitgenommen und in den Briefkasten eingeworfen wird. Dieser wird täglich um 16.30 Uhr und um 17.30 Uhr geleert. Da die Post weitgehend per E-Mail und Fax erledigt wird, ist die Menge der "normalen" Post überschaubar. Am fraglichen Tag sind fünf Briefe rausgegangen. Der weiter vorgelegte Ausdruck der elektronischen Akte des Falles belegt zudem, dass die Berufungsschrift tatsächlich am 27.07.2010, mithin mehr als eine Woche vor Ablauf der Frist, gefertigt worden ist. Der Prozessbevollmächtigte durfte sich bei diesen Umständen darauf verlassen, dass die Berufungsschrift bei normalem Postverlauf mit Sicherheit vor dem Ende der Frist beim Landesarbeitsgericht eingehen würde.

    Der Wiedereinsetzungsantrag ist zudem gemäß § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO innerhalb der Frist von einem Monat nach Behebung des Hindernisses gestellt worden. Das Hindernis war mit Zugang des Hinweises des Gerichts vom 27.08.2010, dass bislang keine Berufung eingegangen sei, am 30.08.2010 behoben. Noch am gleichen Tag hat der Beklagte den Wiedereinsetzungsantrag gestellt und gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Das Unterschriftserfordernis des § 519 Abs. 1 ZPO ist dabei trotz fehlender Unterzeichung der Berufungsschrift gewahrt, weil die Berufungsschrift gleichzeitig als Anlage mit dem vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Wiedereinsetzungsgesuch dem Gericht übersandt worden ist (BGH NJW 1986, 1760).

    2. Die Berufung ist des Weiteren ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

    II. Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes für gewerbliche Arbeitnehmer für den Zeitraum Januar 2006 bis März 2007 in Höhe von € 79.452,54 sowie zur Erteilung von Auskünften für denselben Zeitraum verurteilt. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung folgt aus §§ 18, 22 VTV, die zur Auskunftserteilung aus § 21 VTV. Der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV in der Fassung vom 15.12.20005) fand kraft seiner Allgemeinverbindlichkeit während des gesamten Klagezeitraums auf den Betrieb des Beklagten Anwendung.

    1. Der Beklagte unterhielt im Klagezeitraum einen Betrieb, der unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fiel. Darunter fallen gemäß § 1 Abs. 2 VTV diejenigen Betriebe, in denen überwiegend entweder die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V genannten Beispielstätigkeiten oder aber Leistungen im Sinne der Bestimmungen der Abschnitte I - IV ausgeführt werden. Ob überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden, bemisst sich danach, ob die überwiegende betriebliche Arbeitszeit der gewerblichen Arbeitnehmer auf derartige bauliche Leistungen entfällt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 28.04.2004 AP Nr. 264 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Der Betrieb des Beklagten war im gesamten Klagezeitraum und in den Kalenderjahren 2006 und 2007 ein baugewerblicher Betrieb, in dem überwiegend Abbrucharbeiten im Sinne des § 1 Abs.2 Abschnitt V Nr. 29 erbracht wurden.

    Sowohl nach dem Vortrag der Klägerin, aber auch nach dem Vortrag des Beklagten selbst, den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat, hat der Beklagte in den Kalenderjahren 2006 - 2007 einen baugewerblichen Betrieb geführt, in dem zu mehr als 50 % der Arbeitszeit aller gewerblichen Arbeitnehmer Abbrucharbeiten durchgeführt wurden.

    Der Beklagte hat - im Ergebnis unstreitig - ausgeführt, dass die Arbeitnehmer des Betriebes in und an Gebäuden zu insgesamt 67 % Bodenbeläge, Leuchtstoffröhren, Türen, Fenster, Sanitäranlagen, Wand- und Deckenverkleidungen, Fassadenverkleidungen, Leichtbauwände, abgehängte Leichtbau/Gips-Decken und Mauerwerk entfernt sowie zu 7 % Komplettabbrüche durchgeführt haben. Damit haben die Arbeitnehmer des Betriebes zumindest zu 74 %, und damit überwiegend, bauliche Leistungen in Gestalt von Abbrucharbeiten erbracht.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG 18.03. 2009 - 10 AZR 242/08 - juris) liegen Abbrucharbeiten vor, wenn die Tätigkeit zum Substanz- oder Funktionsverlust, d.h. zur vollständigen oder teilweisen Beseitigung eines Bauwerks oder Bauwerksteils führt. Das trifft auf alle hier aufgeführten Arbeiten zu und gilt insbesondere auch für das mit insgesamt 37 % angegebene Entfernen von Leichtbauwänden, Wand- und Deckenverkleidungen sowie von abgehängten Decken. Der Umstand, dass Büros den Bedürfnissen des Büromieters angepasst werden müssen, steht der Annahme eines Funktionsverlustes nicht entgegen. Das wäre nur anders, wenn die bestehenden Wände lediglich verschoben würden. Das ist jedoch nach dem Vortrag des Beklagten nicht der Fall.

    2. Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist auch der Höhe nach berechtigt. Der Beklagte hat die nachvollziehbaren Berechnungen, die auf den vom Beklagten mitgeteilten Bruttolohnsummen beruhen, nicht in Zweifel gezogen.

    3. Die Zubilligung eines Entschädigungsbetrages beruht auf § 61 Abs. 2 ArbGG. Der Höhe nach entspricht die Entschädigung 80 % der von der Klägerin behaupteten Beitragssumme für den Zahlungszeitraum. Das ist angemessen und ausreichend.

    4. Letztendlich ist der den Beitragseinzug regelnde Tarifvertrag (VTV) wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden. Die von dem Beklagten gegen seine Wirksamkeit vorgebrachten Bedenken führen nicht dazu, die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 24.02.2006 mit Wirkung zum 1.01.2006 (Bundesanzeiger Nr. 71 vom 11.04.2006, Seiten 2729 ff) durch die Berufungskammer von Amts wegen zu überprüfen.

    Nach § 5 Abs. 1 S. 1 TVG kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien dann für allgemeinverbindlich erklären, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen (Nr. 1) und wenn die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse erscheint (Nr. 2). § 5 TVG ist verfassungsgemäß (BVerfG 24.05.1977 - 2 BvL 11/74 - BVerfGE 44,322).

    Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 25.06.2002 - 9 AZR 406/00 - DB 2003, 2287; 22.10.2003 - 10 AZR 13/03 - DB 2004, 712; 28.03.1990 - 4 AZR 536/89 - AP TVG § 5 Nr. 25, auch HessLAG 2.02.2011 - 18 Sa 635/10 - juris) haben die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen (§ 293 ZPO entsprechend), ob die für die AVE nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG erforderliche Beschäftigtenzahl erreicht ist; denn eine AVE ist nur wirksam, wenn die zuständige Behörde bei der AVE die durch das Gesetz gezogenen Grenzen eingehalten hat. Da regelmäßig davon auszugehen ist, dass der zuständige Minister die Allgemeinverbindlichkeit nur erklärt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, spricht der erste Anschein deshalb für die Rechtmäßigkeit der AVE. Nur bei einem Parteivortrag, der geeignet ist, erhebliche Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 TVG aufkommen zu lassen, hat das Gericht die tatsächlichen Grundlagen einer AVE zu überprüfen.

    Das Vorbringen des Beklagten begründet keine erheblichen Zweifel. Er nennt lediglich generalisierend einige Anhaltspunkte, die zu einem Rückgang des Organisationsgrades beitragen könnten, ohne jedoch zu einem dieser Anhaltspunkte weitere konkrete Hinweise zu geben, die es ermöglichten, Ausmaß und Umfang ihrer abstrakt denkbaren Auswirkungen auf den Organisationsgrad im Baugewerbe konkreter, d.h. mit einer, wenn auch nur vagen Zahl zu bestimmen. Ausgangspunkt seiner Behauptung ist das Antwortschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 30.04.2009 (Bl. 26 d.A.). Danach ist bei der AVE vom 23.03.2004 - also nicht den Klagezeitraum 2006 - 2007 betreffend - von einem Organisationsgrad von 59,1 % ausgegangen worden. Gegenüber dieser Zahl wendet der Beklagte zunächst ein, dass Kleinbetriebe (1 - 19 Mitarbeiter) nicht berücksichtigt worden seien. Schon dem kann nicht gefolgt werden. Selbst das statistische Material, auf das der Beklagte sich beruft, enthält Angaben zu den Betrieben mit einer Betriebsgröße von 1 - 19 Personen. Darüber hinaus sind in die vom Ministerium geschätzte Zahl der Beschäftigten ergänzend auch Angaben der Tarifvertragsparteien und der Klägerin eingegangen. Dass diese keine Angaben zu Kleinbetrieben enthalten, wurde nicht behauptet. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Zahlen unter Ausklammerung der Kleinbetriebe geschätzt und berechnet wurden. Aus diesem Grund kann auch dem zweiten, damit zusammenhängenden Einwand, Kleinbetriebe wiesen einen niedrigeren Organisationsgrad auf, keine Bedeutung beigemessen werden. Zudem ist in keiner Weise bestimmbar, in welcher konkreten Größenordnung sich diese allgemeine Feststellung auf die Zahlen im Baugewerbe auswirken. Das gleiche Manko haftet auch dem dritten Einwand an, OT-Mitgliedschaften seien nicht berücksichtigt worden. Auch hier ist nicht klar, in welchem tatsächlichen Umfang die OT-Mitgliedschaften im Klagezeitraum gegenüber vergangenen Zeiträumen und Zahlenbestimmungen angewachsen sind. Der letzte Hinweis des Beklagten, es gebe einen Trend zur Flucht aus dem Tarifvertrag, ist durch keinerlei konkrete Zahlen für das Baugewerbe belegt. Die Zahlen aus dem Antwortschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 30.04.2009, die zur Feststellung einer Organisationsquote von 59,1 % führten - geben eher Anlass zur Annahme einer Unterbrechung dieses Trends; denn die dort genannte Quote ist deutlich höher als die vom Beklagten genannte Quote von 51 % für das Jahr 2000.

    Dem Beklagten ist zuzugestehen, dass er bei der Informationsbeschaffung bei den Bauverbänden auf eine - befremdlich - defensive Reaktion gestoßen ist und es ihm auf diesem Wege wohl nie gelänge, den hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegungslast für das Vorliegen erheblicher Zweifel an den Voraussetzungen der AVE zu genügen. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass - wie aus anderen Rechtsstreiten zu ersehen - das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bei entsprechend konkreten Nachfragen zugänglicher und offener für nähere Auskünfte ist.

    Für die Bestimmung des Quorums nach § 5 Abs. 1 TVG ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf die Beschäftigtenzahlen und den Organisationsgrad in den Unternehmen des Abbruchgewerbes abzustellen, sondern auf die des gesamten vom Geltungsbereich des VTV erfassten Betriebe des Baugewerbes. Das folgt bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 1 sowie des § 5 Abs. 4 TVG, die beide auf den Geltungsbereich des Tarifvertrags abstellen.

    Der Beklagte hat gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

    Für die Zulassung der Revision war kein gesetzlich gebotener Anlass gegeben (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

    VorschriftenVTV-Bau § 18, VTV-Bau § 21