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  • 07.10.2011

    Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 02.03.2011 – 6 Sa 1243/10


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Kassel vom 09.06.2010 - 4 Ca 12/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen sowie hilfsweise ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

    Der am 1. Februar 1972 geborene, geschiedene und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit 9. April 1990 als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt.

    Die Beklagte ist ein großer Automobilhersteller. Sie beschäftigt an ihrem Produktionsstandort in A eine große Anzahl von Arbeitnehmern. Es besteht ein Betriebsrat.

    Das Betreten des Werkes ist den Arbeitnehmern nur mittels eines Werksausweises möglich. Neben der Funktion des Zugangs zum Werk enthält dieser Werksausweis eine Bezahlfunktion. Diese funktioniert so, dass der Arbeitnehmer beim Kauf an offenen Ausgabestellen (Betriebsrestaurants), wie auch an Warenautomaten den Werksausweis mit Bezahlfunktion vor die Abbuchungsfläche hält. Der Automat bucht dann den Warenpreis von dem Werksausweis ab und gibt die ausgewählte und bezahlte Ware frei. Gleichzeitig kann man an einem Displayfeld den durchgeführten Bezahlvorgang optisch nachverfolgen. Auf dem Display erscheint der ursprüngliche Wert der Bezahlfunktion, darunter der Warenwert und nach entsprechendem Abbuchungsvorgang der neue - geringere - Chipkartenwert. Vor dem ersten Kaufvorgang muss der Werksausweis mit Geld "aufgeladen" werden. Dies erfolgt mit Geldscheinen am Aufladeautomat. Diese eingezahlten Beträge werden auf ein Sammelkonto der Beklagten gebucht und dem Chip auf dem Werksausweis des Arbeitnehmers gutgeschrieben. Der Arbeitnehmer kann nun über das Guthaben auf seinem Werksausweis an Zigarettenautomaten, Getränkeautomaten, im Betriebsrestaurant etc. verfügen. Die so entstandenen Umsätze werden dann von dem Sammelkonto der Beklagten durch die Beklagte bezahlt, entweder an den Zigarettenautomatenauffüller, den Betreiber der Betriebsgastronomie oder an andere Automatenaufsteller. Die pro Buchung anfallenden Datensätze sind über die Kartennummer pseudonymisiert. Die Speicherung erfolgt zu Abrechnungszwecken mit den Automatenaufstellern und Lieferanten.

    An zwei Zigarettenautomaten, die von der B GmbH & Co. KG auf dem Betriebsgelände der Beklagten, und zwar im Originalteile-Center 3, sowie in der Halle 2 aufgestellt waren, kam es seit September 2008 zu Fehlfunktionen in Form von Aufbuchungen. An allen bei der Beklagten aufgestellten Zigarettenautomaten wird dann, wenn ein Schacht für eine bestimmte Zigarettenmarke leer ist, der zuvor vom Werksausweis abgebuchte Kaufpreis - also bei einer Zigarettenpackung 4,00 EUR, später 5,00 EUR - wieder gutgeschrieben. Bei den beiden Zigarettenautomaten mit Fehlfunktionen wurde jedoch bei der Rückbuchung des Kaufpreises der zuvor abgebuchte Kaufpreis in dreifacher Höhe wieder gutgeschrieben und die Karte entsprechend aufgewertet, so dass im Ergebnis nach einem solchen Vorgang die Bezahlfunktion des Werksausweise mit einem Mehrwert von 8,00 EUR bzw. 10,00 EUR versehen wurde.

    Am 14. Januar 2010 meldete der Leiter der Gastronomie dem Ermittlungsdienst der Beklagten, dass es an einem Zigarettenautomaten im Originalteile-Center 3 (abgekürzt OTC 3) zu einem Fehler gekommen sei, der dazu geführt habe, dass der Automat Geld auf den Werksausweis auflädt, wenn ein leerer Schacht angewählt wurde. Am 22. Januar 2010 meldete der Leiter der Gastronomie, dass dieser Defekt an einem weiteren Zigarettenautomaten, nämlich dem Automaten in der Halle 2, Hallengeschoss, Feld D24, aufgetreten sei. Dieser Automat war allerdings am 17. September 2009 aufgrund eines Defekts auf Veranlassung des Teamsprechers Kostenstelle 4266 (Herrn C) von der B ausgetauscht worden, ohne dass die Gastronomie der Beklagten darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Die Beklagte ermittelte daraufhin, dass an beiden Automaten insgesamt 342 Karten (Werksausweise und Gastkarten) entsprechende Aufbuchungsvorgänge (d.h. einen Guthabenzuwachs) ausgewiesen haben und es sich insgesamt um einen Betrag von ca. 32.000,00 EUR handelte. Die Werkssicherheit und die Personalabteilung der Beklagten beantragten daraufhin bei der Konzernrevision und der Abteilung Datenschutz der Beklagten eine Aufhebung der Pseudonymität der erhobenen Daten.

    Die Saldenverfolgung der Kartennummer 12345678, die der Kläger erhalten hat, ergab im Zeitraum 29. Juni 2008 bis 16. September 2009 in insgesamt 145 Fällen eine Aufbuchungssumme bzw. einen Guthabenzuwachs von 1.180,00 EUR (vgl. EDV-Liste Anlage 4 zur Klageerwiderung vom 14. April 2010, Bl. 34-58 d.A.). Die Auflistungen mit Zuordnung der Kartennummern erhielt die Personalabteilung (Herr D) am 2. Februar 2010. Daraufhin erfolgte zunächst eine Anhörung der Arbeitnehmer, bei denen es zu Guthabenzuwachs in der Weise gekommen war, dass die Beklagte davon ausging, dass der Guthabenzuwachs von dem betroffenen Arbeitnehmer nicht unbemerkt geblieben sein kann. Die Beklagte geht davon aus, dass bei zweimaligem Aufbuchungsvorgang in unmittelbarer zeitlicher Folge und bei dreimaligem Aufbuchungsvorgang zu unterschiedlichen Zeiten, der Arbeitnehmer die Fehlfunktion bemerkt haben muss. Die Beklagte geht weiter davon aus, dass nur bei manipulativer Verwendung des Werksausweises der fehlerhafte Aufbuchungsvorgang ausgelöst wird. Die Beklagte hat insoweit behauptet, die B habe Versuche durchgeführt und festgestellt, dass eine Aufbuchung nur dann erfolge, wenn der Werksausweis vor dem Leser hin und her bewegt werde (Beweis: E E, Technischer Leiter der B und Gutachten eines technischen Sachverständigen, der den vorhandenen und sichergestellten Zigarettenautomaten begutachtete).

    Die Befragung des Klägers erfolgte am 8. Februar 2010. Dem Kläger wurde unter anderem dabei vorgehalten, dass er am 3. Mai 2009 innerhalb von fünf Minuten neunzehn Mal eine Aufbuchung von 12,00 EUR bei einer Abbuchung von 4,00 EUR erhalten hat. Auf den Vorhalt, dass dies doch sicher kein Zufall sei, antwortete der Kläger: "Ja, ich weiß, ich habe eine riesen Dummheit gemacht, mir fehlen nun selbst die Worte". Wegen des weiteren Inhalts der Befragung des Klägers wird auf das Befragungsprotokoll, vorgelegt als Anlage 3 zur Klageerwiderung der Beklagten vom 14. April 2010, Bl. 32 d.A. verwiesen.

    Die Beklagte hörte am 11. Februar 2010 den Personalausschuss des Betriebsrates, der zur selbständigen Erledigung der Mitbestimmungsaufgaben hinsichtlich personeller Einzelmaßnahmen befugt ist, zu ihrer Absicht an, den Kläger wegen Eigentums-/Vermögensdelikten bzw. des Verdachts auf diese Delikte zu Lasten der Beklagten außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen. Der Personalausschuss fasste nach Anhörung des Klägers am 11. Februar 2010 den Beschluss der außerordentlichen, wie der ordentlichen, Kündigung des Klägers zuzustimmen. Gemäß den protokollierten Ausführungen des Klägers anlässlich der Personalausschusssitzung vom 11. Februar 2010 hat der Kläger ausgeführt: "Ich habe den Werksausweis aufgelegt, die Marke gedrückt, wenn der Schacht leer war, den Werksausweis abgehoben und wieder aufgelegt; so wurde der Werksausweis aufgeladen. Am 3. Mai 2009 habe ich 19x aufgebucht, das war eine Dummheit von mir". Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Klägers in der Personalausschusssitzung wird auf das Kurzprotokoll dieser Sitzung, vorgelegt als Anlage 5 zur Klageerwiderung vom 14. April 2010, Bl. 59 d.A., verwiesen.

    Mit Schreiben vom 11. Februar 2010 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. April 2010. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 12. Februar 2010 eingegangenen und der Beklagten am 19. Februar 2010 zugestellten, Kündigungsschutzklage.

    Der Kläger hat behauptet, er habe seinen Werksausweis nicht unsachgemäß verwendet, sondern nur ganz normal an das Gerät gehalten, um Zigaretten zu ziehen. Er habe weder den Werksausweis bewegt, um Aufbuchungen zu erreichen, noch habe er bei den Aufbuchungen jemals einen Signalton gehört. Der Kläger hat weiter gemeint, der Beklagten müsste die Fehlfunktion des Automaten in der Halle 2 bereits länger bekannt gewesen sein, da dieser Automat im Oktober/November 2009 stillgelegt worden sei. Der Kläger hat weiter behauptet, er habe die Aufbuchungen zunächst auch nicht bemerkt. Die Angaben, die er in seiner Befragung gemacht habe, könne er nicht mehr nachvollziehen, da er so durcheinander gewesen sei. Der Kläger hat weiter gemeint, aus den an einigen Tagen erfolgten Mehrfachaufbuchungen könne auch nicht geschlossen werden, dass er hier absichtlich und wissentlich Aufbuchungen vornehmen wollte. Es sei vielmehr so, dass es zum Beispiel von Marlboro ca. 12 - 14 Fächer am Automaten gibt. Ist eines leer, nimmt man das nächste Fach, ist dieses auch leer, geht man wiederum zum nächsten Fach. Insoweit könne es dazu kommen, dass mehrfache Buchungen hintereinander erfolgen. Der Kläger hat weiter gemeint, er habe sich auch nicht zu Lasten der Beklagten bereichern wollen. Es sei für ihn überhaupt nicht erkennbar gewesen, dass die Beklagte etwas mit den Automaten zu tun gehabt habe. Der Kläger hat weiter gemeint, die Beklagte habe den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht beachtet. Da es in über 300 Fällen zu den Aufbuchungen auf den Werksausweis gekommen sei, sei nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien die Beklagte zwischen zu kündigenden und nicht zu kündigenden Arbeitnehmern unterschieden habe. Der Kläger hat schließlich die Ansicht vertreten, die Kündigung sei auch unverhältnismäßig, eine Weiterbeschäftigung sei der Beklagten mangels Wiederholungsgefahr zumutbar, schließlich sei im Rahmen der Interessenabwägung auch seine persönliche Situation zu berücksichtigen.

    Der Kläger hat beantragt,

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 11. Februar 2010 nicht aufgelöst wurde.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei wirksam. Sie hat behauptet, die fehlerhaften Aufbuchungen hätten nur durch unsachgemäße Verwendung des Werksausweises in Verbindung mit der Anwahl eines leeren Zigarettenschachtes erfolgen können. Im Übrigen habe der Kläger jedoch in seiner Anhörung die bewusste Aufbuchung auf seinen Werksausweis eingeräumt. Zudem belege das wiederholte Aufbuchen an den bestimmten Tagen, wo der Kläger die Fehlfunktion des Automaten entdeckt hatte, seinen Vorsatz, sich zu Lasten des Automatenaufstellers bzw. der dahinterstehenden wirtschaftlichen Eigentümer zu bereichern.

    Die Beklagte hat weiter vorgetragen, sie habe angesichts der großen Anzahl von Manipulationsfällen den Entschluss gefasst, diesen Missbrauch durch arbeitsrechtliche Sanktionen in ihrer gesamten Breite zu verfolgen. Maßgeblich für die arbeitsrechtlichen Maßnahmen seien die konkreten Umstände im Einzelfall gewesen, wie zum Beispiel Häufigkeit der Aufbuchungen, Aufbuchungen im Minutentakt hintereinander, erkennbarer Vorsatz, Höhe des Schadens etc.. Dabei habe sie bei dem Großteil der Manipulationsfälle nach Abwägung aller vorliegenden Indizien im jeweiligen Einzelfall Sanktionsmaßnahmen nach der Arbeitsordnung ergriffen, lediglich in zwölf Einzelfällen habe man sich zur Kündigung entschlossen. Diese Interessenabwägung sei im Einzelfall des Klägers zu dessen Lasten ausgefallen, da aufgrund der Häufigkeit und der zeitlichen Abfolge der Aufbuchungen, sowie der Schadenshöhe die Grenzen des Zumutbaren im Vergleich zum Großteil der Manipulationsfälle bei weitem überschritten worden seien und der Kläger die Beklagte über einen doch erheblichen Zeitraum geschädigt habe.

    Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 9. Juni 2010 die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dass die außerordentliche Kündigung aufgrund Vorliegens eines wichtigen Grundes iSv § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist. Der bewusste, wiederholte und unsachgemäße Einsatz eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Werksausweises mit Bezahlfunktion an Warenautomaten im Betrieb des Arbeitgebers unter Ausnutzung eines erkennbaren bzw. bekannten Defekts des Automaten mit der Folge der Erlangung eines unberechtigten Vermögensvorteils, der dann bewusst zur Inanspruchnahme weiterer Leistungen des Arbeitgebers verwendet wird, für die ansonsten eigenes Geld in der Form des "Auffüllens" des Werksausweises hätte aufgebracht werden müssen, stelle eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar, die es dem Arbeitgeber unzumutbar mache, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Der Kläger habe der Beklagten einen Vermögensschaden zugefügt. Das in Ausnutzung der Fehlfunktion des Zigarettenautomaten entstandene Wertguthaben habe der Kläger auch an anderen Warenausgabe- bzw. Verkaufsstellen im Betrieb eingesetzt. Der Inanspruchnahme dieser Leistungen (Betriebsgastronomie, Warenautomaten) habe keine Gegenleistung des Klägers (Auffüllen der Bargeldfunktion des Werksausweises) gegenüber gestanden. Der Beklagten seien dadurch entsprechende Einnahmen entgangen. Da der Kaufpreis für den Wareneinkauf von der Beklagten zu entrichten war, sei dieser ein entsprechender Schaden entstanden. Das Arbeitsgericht hat weiter angenommen, dass der Kläger bewusst und zielgerichtet zur Erlangung von unberechtigtem Wertguthaben die Fehlfunktion des Zigarettenautomaten ausgenutzt habe. Dabei sei ihm auch bewusst gewesen oder hätte ihm zumindest bewusst sein müssen, dass er durch die Verwendung der aufgebuchten Beträge für Leistungen der Betriebsgastronomie der Beklagten der Beklagten im Ergebnis einen Schaden zufügt. Aus den gesamten Umständen des vorliegenden Einzelfalles ergebe sich mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger die Aufbuchungsvorgänge bemerkt hat bzw. hätte bemerken müssen, dass seine teilweise gegenteilige Einlassung nur als Schutzbehauptung zu werten sei. Dies ergebe sich aus der vom Kläger nicht bestrittenen Übersicht der Saldenverfolgung, der Bargeldfunktion seines Werksausweises und aus dem Umstand, dass die optische Anzeige (Display) des Automaten das Wertguthaben der Bezahlfunktion des Werksausweises jeweils ausweist. Durch dieses Verhalten habe der Kläger gezeigt, dass er Leistungen seines Arbeitgebers und Dritter ohne entsprechende Berechtigung in Anspruch nehme und damit das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen in besonders schwerwiegender Weise beeinträchtigt bzw. zerstört, so dass grundsätzlich von einem, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund iSv § 626 BGB auszugehen sei. Das Arbeitsgericht hat weiter angenommen, dass auch unter Berücksichtigung aller Einzelheiten des vorliegenden Sachverhaltes und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien die ausgesprochene außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Insoweit sei zwar zugunsten des Klägers dessen langjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit, seine persönliche Lebenssituation sowie der Umstand zu werten, dass das Arbeitsverhältnis in Ermangelung von Abmahnungen in der Vergangenheit offensichtlich bis zum fraglichen Vorfall völlig unbeanstandet war. Zu Ungunsten des Klägers falle aber ins Gewicht, dass eine rechts- bzw. vertragswidrige Zueignung von Werten durch die vorsätzliche Erlangung von Wertguthaben in Ausnutzung einer technischen Fehlfunktion einen erheblichen Verstoß gegen die im Arbeitsverhältnis bestehende Treue- und Loyalitätspflicht darstelle bei der für den Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Tuns auch ohne weiteres erkennbar war, das heißt ihm dabei auch deutlich hätte sein müssen, dass der Arbeitgeber einen solchen Verstoß nicht hinnehmen kann. Wenn ein Arbeitnehmer - wie hier - in erheblichem Umfang sich geldwerte Vorteile durch bewusste und wiederholte Ausnutzung eines erkennbaren bzw. bekannten Automatendefekts verschaffe und dadurch weitere Leistungen des Arbeitgebers in Anspruch nehme, wie die, dass durch die unberechtigte Verwendung der Bargeldfunktion des Werksausweises eigene Geldmittel erspart werden, stelle dies eine derart erhebliche Störung der Vertrauensgrundlage im Arbeitsverhältnis dar, dass deren Wiederherstellung nicht zu erwarten sei. Das Arbeitsgericht hat schließlich auch gemeint, die Kündigung sei nicht als sog. "herausgreifende Kündigung" zu werten. Auch wenn mehrere Kündigungen wegen eines gleichartigen Kündigungsgrundes ausgesprochen werden, hänge es von den bei jeder Kündigung zu berücksichtigenden Besonderheiten, zum Beispiel der jeweiligen Betriebszugehörigkeit, ab, ob die Kündigung aller Arbeitnehmer berechtigt ist oder nicht. Allerdings dürfe der Arbeitgeber nicht ohne sachliche Differenzierungskriterien bei einem von mehreren Arbeitnehmern begangenen Vorfall mit gleichem Wert etwa nur einen Arbeitnehmer herausgreifen und es bei den anderen, ebenso belasteten Arbeitnehmern bei einer Verwarnung belassen. Wenn jedoch der Arbeitgeber wegen desselben Vorfalls nicht allen beteiligten Arbeitnehmern kündigt, sei nicht ohne weitere Anhaltspunkte anzunehmen, dass nicht das beanstandete Verhalten, sondern ein anderer Grund für die Kündigung ausschlaggebend gewesen sei. Insoweit spiele es durchaus eine Rolle, ob sich Arbeitnehmer - wie hier der Kläger - bei einer Vielzahl von Abbuchungsvorgängen unter systematischem Einsatz der Bargeldfunktion des Werksausweises und Ausnutzung der Automatenfehlfunktion Vermögensvorteile in nicht unbeträchtlichem Umfang verschafft haben. Gerade in Fällen, in denen lediglich vereinzelt Aufbuchungsvorfälle bei Arbeitnehmern zu verzeichnen gewesen seien, dürfte die Kenntnis der Fehlfunktion des Automaten und dessen bewusste Ausnutzung nicht ohne weiteres bejaht werden können, insoweit bestünden durchaus Unterschiede zum Fall des Klägers. Im Übrigen lasse sich der Einwand der Beklagten nicht entkräften, diese habe in jedem Einzelfall eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen. Jedenfalls im Falle des Klägers, der sich Vermögensvorteile in einem Wert von mehr als 1.000,00 EUR verschafft habe, sei diese Interessenabwägung nicht zu beanstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Erwägungen des Arbeitsgerichtes wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.

    Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung vom 2. März 2011 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt.

    Der Kläger meint, der Umstand, dass die Beklagte trotz eines gleichartigen Verhaltens von mehr als 300 Arbeitnehmern nur zwölf Kündigungen ausgesprochen habe, gebe zu erkennen, dass dieses Verhalten nicht per se ihr Vertrauen so nachhaltig zerstört habe, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter keinen Umständen zumutbar sei. Soweit die Beklagte sich auf die Frage des erkennbaren Vorsatzes beziehe, bedürfe dieses näherer Darlegung, da doch das Display den neuen - höheren - Chipkartenwert nach jeder Aufbuchung sichtbar anzeige. Auch die Prognoseentscheidung falle zu Gunsten des Klägers aus. Dieser habe sein rechtswidriges Verhalten lange vor Aufdeckung der Affäre bereits eingestellt.

    Der Kläger rügt weiter, der Vortrag zur Betriebsratsanhörung sei rudimentär. Was den Betriebsrat letztlich zur Kündigungsabsicht im Detail mitgeteilt worden sei, bliebe unklar. Ob und wann der Beklagten eine abschließende Stellungnahme des Personalausschusses zugegangen sei, lasse sich dem Vortrag der Beklagten ebenfalls nicht entnehmen. Angesichts dessen hätte es keines weiteren Bestreitens der Betriebsratsanhörung mehr bedurft.

    Der Kläger bezieht sich schließlich auf Beweisverwertungsverbote. Der Kläger meint, die vorgelegten Listen dürften nicht zu seinen Lasten Verwendung finden. Es liege ein Verstoß gegen § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG vor. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG lasse eine Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat. Die Beklagte habe ihrem eigenen Vorbringen zufolge gegen 342 Arbeitnehmer ermittelt, denen die fraglichen Aufbuchungen unterlaufen sein sollen. Die Beklagte möge erläutern, wie sie dies getan hat. Es müssten für jeden einzelnen dieser Arbeitnehmer tatsächliche verdachtsbegründende Anhaltspunkte vorgelegen haben, bevor die Daten des einzelnen Arbeitnehmers ausgewertet wurden. Die umgekehrte Vorgehensweise, die durch die Gegenseite offenbar vorgenommen wurde, sei unzulässig. Ferner dürfte die Beklagte mit den vorgelegten Listen gegen die Bestimmungen des § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG verstoßen haben.

    Der Kläger beantragt,

    unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Kassel vom 9. Juni 2010 - 4 Ca 12/10 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Februar 2010 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. April 2010 nicht aufgelöst wird und die Beklagte zu verurteilen, im Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag den Kläger zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Einrichter weiterzubeschäftigen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Zur erstinstanzlich nicht bestrittenen Betriebsratsanhörung trägt die Beklagte auf den Seiten 11 und 12 ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes (Bl. 137, 138 d.A.) ergänzend vor, dass am 9. Februar 2010 den Betriebsratsmitgliedern, die Mitglieder im Personalausschuss sind, die Unterlagen des Klägers überreicht wurden, und zwar ein Blatt mit der organisatorischen Zuordnung und der summarischen Nennung des Sachverhaltes, sowie ein Blatt mit den ergänzenden Personaldaten des Klägers. Darüber hinaus sei den Personalausschussmitgliedern die Werksschutzmeldung des Ermittlungsdienstes vom 26. Januar 2010 übergeben worden und eine Auflistung aller Aufbuchungsvorgänge des Klägers nebst Eintragungen, wie sie auch Gegenstand der Gerichtsakte sind. Der Personalausschuss habe am 11. Februar 2010 getagt. Der Kläger sei bei der Personalausschusssitzung zugegen gewesen. Die Mitglieder des Ausschusses Personal des Betriebsrates haben im Anschluss an die Personalausschusssitzung in geheimer Beratung getagt, d.h. ohne den Kläger oder Vertreter des Personalwesens. Im Anschluss an die alleinige Tagung habe der Personalausschuss der Arbeitgeberin mitgeteilt, dass man der Kündigung zustimme. Die Zustimmung zur Kündigung sei anschließend dokumentiert worden auf dem im Vorfeld übergebenen SAP-Ausdruck mit der "organisatorischen Zuordnung", auf welchem die Betriebsratsmitglieder ihre Zustimmung mit Original-Unterschrift und dem Datum vom 11. Februar 2010 bestätigen und den Mitarbeitern des Personalwesens der Beklagten übergaben.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichtes. Das Arbeitsgericht hat den Tatsachenvortrag der Parteien umfassend gewürdigt und ist auf sämtliche ernsthaft in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte eingegangen. Der Einwand der Berufung, dass die Beklagte "nur" zwölf Kündigungen ausgesprochen habe, obwohl es bei mehr als 300 Arbeitnehmern zu unrechtmäßigen Aufbuchungen gekommen sei, lässt entgegen der Ansicht des Klägers nicht erkennen, dass die Beklagte damit dokumentiert hat, dass dieses Verhalten nicht per se ihr Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers so nachhaltig zerstört habe, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar ist. Bei den 342 Vorgängen handelt es sich um Arbeitnehmer der Beklagten, Mitarbeiter von Fremdfirmen und Gastkarten. Betroffen waren rund 120 Arbeitnehmer der Beklagten selbst. Im Gegensatz zu der vom Kläger angeführten Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. September 2008 - 6 Sa 384/08 - hat die Beklagte vorliegend vorgetragen, dass sie jeden Einzelfall geprüft habe. Aus Sicht der Beklagten habe der Verdacht bestanden, dass Mitarbeiter ab zwei Aufbuchungsvorgängen in unmittelbarer Folge oder ab drei Aufbuchungsvorgängen zu unterschiedlichen Zeiten genau gemerkt haben, dass unrechtmäßige Aufbuchungen zu ihren Gunsten erfolgt sind. Diese Wertung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Richtig ist zwar der Einwand des Klägers, dass auch bei einmaligen Aufbuchungsvorgängen auf dem Display des Warenautomaten der neue - höhere - Chipkartenwert sichtbar ist. Wie aber der Streitfall zeigt, will der Kläger beispielsweise am 3. Mai 2009 sogar die in Folge 19x vorgekommene höhere Anzeige des Chipkartenwertes, die seine Chipkarte um 152,00 EUR erhöht hat, nicht bemerkt haben. Die Annahme der Beklagten, dass ein Arbeitnehmer eine einmalige Aufbuchung von 8,00 EUR bzw. 10,00 EUR nicht bemerkt, entspricht der Lebenserfahrung. Die Beklagte dokumentiert mit ihrer Differenzierung damit nicht, dass bewusst herbeigeführte Guthabenzuschriften und deren anschließende Verwendung für weitere Einkäufe mit der Chipkartenfunktion des Werksausweises kein Eigentums- und Vermögensdelikt zu Lasten der Beklagten ist, das ihr Vertrauen in die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nachhaltig gestört hat. Im Gegenteil. Die Beklagte hat lediglich berücksichtigt, dass es in der Tat vorkommen kann, dass man die unrechtmäßige Aufbuchung nicht bemerkt. Dies kann natürlich auch dann geschehen, wenn das Display - was unstreitig ist - den höheren Chipkartenwert anzeigt. Des weiteren hat die Beklagte differenziert nach Häufigkeit und Anzahl der Aufbuchungen insgesamt (so ihr erstinstanzlicher Vortrag). Auch dies ist nicht zu beanstanden. Auch die Prognoseentscheidung kann im Streitfall entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Der Umstand, dass es nach dem 17. September 2009 zu keinen fehlerhaften Aufbuchungen auf der Bargeldfunktion des Werksausweises des Klägers mehr gekommen ist, liegt schließlich daran, dass der mit der fehlerhaften Funktion ausgestattete Zigarettenautomat aus dem Werk der Beklagten ab diesem Zeitpunkt entfernt wurde. Der Kläger rügt auch zu Unrecht, die Interessenabwägung des Arbeitsgerichtes sei floskelhaft. Das Arbeitsgericht hat sehr wohl eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen vorgenommen. Der Kläger trägt auch keinen Gesichtspunkt vor, den das Arbeitsgericht insoweit außer Acht gelassen haben soll.

    Die Rechtmäßigkeit der Kündigung scheitert auch schließlich nicht an der Beweisfälligkeit der Beklagten. Das Arbeitsgericht durfte bei der Subsumtion die vorgelegte Saldenverfolgung (EDV-Listen) verwerten. Dem steht nicht § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG oder § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG entgegen. Aus § 286 ZPO iVm Art. 103 Abs. 1 GG folgt die Verpflichtung des Gerichtes, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen. Zwar genießt im Zivilprozess die Wahrheitspflicht keinen generellen Vorrang vor allen anderen Prozesszwecken. Rechtswidrig erlangte Beweismittel sind deshalb nicht schlechthin immer im Prozess verwertbar. Vielmehr kann ein rechtswidriges Verhalten einer Prozesspartei auch prozessuale Auswirkung in Form eines Verwertungsverbotes haben. Dies gilt allerdings nur dann, wenn durch die Verwertung einer rechtswidrig erlangten Information oder eines Beweismittels ein erneuter bzw. perpetuierter Eingriff in rechtlich geschützte Positionen der anderen Prozesspartei erfolgt. Dies ist zu verneinen. Nichts anderes gilt für ein aus § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG hergeleitetes Beweisverwertungsverbot. Hier steht insbesondere die sogenannte Theorie von der Wirksamkeitsvoraussetzung allein nicht der Verwertung für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel entgegen. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis durch die Verwertung beeinträchtigt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Persönlichkeitsrecht allerdings nicht schrankenlos gewährleistet ist. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch die Wahrnehmung überwiegend schutzwerter Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Allerdings reicht alleine das allgemeine Interesse an einer funktionsfähigen Zivilrechtspflege nicht aus, um im Rahmen der Abwägung stets von einem gleichen oder gar höheren Gewicht ausgehen zu können, als es dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zukommt. Entscheidend ist aber, dass vorliegend die Saldenverfolgung gemäß vorgelegtem Datensatz unstreitig ist. Im Arbeitsgerichtsprozess gilt, wie im Zivilprozess, die Dispositionsmaxime und der Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Das entscheidende Gericht darf nur die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen verwerten. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss die Bindung des Gerichts an den Vortrag der Parteien und einen vorgetragenen, entscheidungserheblichen Sachverhalt. Ein entsprechender Vortrag kann nicht ohne gesetzliche Grundlage (wie zum Beispiel ausnahmsweise in Form der Präklusionsvorschriften) unbeachtet und unverwertet gelassen werden. Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführten Sachvortrag muss das entscheidende Gericht berücksichtigen. Ein Verwertungsverbot von Sachvortrag kennt das deutsche Zivilprozessrecht nicht. Der beigebrachte Tatsachenstoff ist entweder unschlüssig oder unbewiesen, aber nicht unverwertbar. Dies gilt umso mehr, wenn der Sachverhalt unstreitig ist. Das Gericht ist an ein Nichtbestreiten grundsätzlich gebunden. Es darf für unbestrittene Tatsachen keinen Beweis verlangen und erheben. Die Annahme eines Sachvortragsverwertungsverbotes steht in deutlichem Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Zivil- und Arbeitsgerichtsverfahrens (vgl. BAG Urteil vom 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - unter B ii 1 b) bb) (1) der Gründe, AP Nr. 210 zu § 626 BGB).

    Selbst wenn man mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - (NZA 2011, 571) grundsätzlich auch die Verwertung von unstreitigem Sachvortrag bei Rechtswidrigkeit der diesem Sachvortrag zugrundeliegenden Informationsbeschaffung bejaht, so ergibt sich vorliegend gleichwohl kein Verbot der Verwertung der unstreitigen Tatsachen. Die Verwertung der unstreitigen Tatsachen erweist sich nämlich auf der Grundlage der anzustellenden Güterabwägung dennoch als zulässig. Ein möglicher, durch Berücksichtigung des Sachvortrags der Beklagten perpetuierter rechtswidriger Eingriff in rechtlich geschützte Positionen des Klägers wiegt nicht so schwer, dass der Anspruch der Beklagten mit seinem unbestrittenen Vorbringen gehört zu werden, zurücktreten müsste.

    Die Beklagte eröffnet die Möglichkeit zum bargeldlosen Erwerb von Speisen und Getränken in der Betriebsgastronomie und an Automaten. Gleiches gilt für Zigaretten. Der bargeldlose Einkauf des Arbeitnehmers wird EDV-mäßig erfasst und abgerechnet. In der Regel ist dabei eine Abrechnung mit dem Arbeitnehmer nicht erforderlich, da dieser nur den zuvor eingezahlten und auf dem Bargeldchip des Werksausweises gutgeschriebenen Betrag ausgeben kann. Gleichwohl besteht ein zunächst anonymisiertes Buchungskonto. Alle Aufbuchungen und Abbuchungen werden erfasst. Kommt es zu Aufbuchungs- oder Abbuchungsfehlern, so muss auf die erfassten Buchungsvorgänge zurückgegriffen werden. Eine andere Beweisführung ist nicht möglich. Die Personalabteilung der Beklagten hat im Streitfall aufgrund des Verdachtes, dass es zu unrechtmäßigen Aufbuchungen gekommen sein könnte, zunächst noch anonymisiert die Buchungsvorgänge eingesehen. Die Beklagte hat dann in den Fällen, in denen es zu einer Häufung von unrechtmäßigen Aufbuchungen gekommen ist, die Anonymisierung aufgehoben. Dieses Vorgehen ist nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden und führt auch zu keinem Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG. Dass im bargeldlosen Zahlungsverkehr Buchungsvorgänge anfallen und anfallen müssen, ist allgemein bekannt. Dass diese Buchungsvorgänge auch dazu dienen, den Zahlungsvorgang zu dokumentieren und überprüfbar zu machen, ist ebenfalls allgemein bekannt und entspricht dem, was jeder Arbeitnehmer bei der Nutzung seiner EC-Karte zum bargeldlosen Einkauf täglich erlebt. Jeder gewissenhafte Arbeitnehmer wird auch von Zeit zu Zeit Buchungsvorgänge auf seinem Konto auch bezüglich des bargeldlosen Einkaufs mit der EC-Karte überprüfen. Eine EC-Karte kann nicht ohne das Bestehen eines Kontos, das die Zahlungsvorgänge erfasst, genutzt werden. Mit der Nutzung der EC-Karte willigt man daher auch in das Erfassen der Zahlungsvorgänge in elektronischen Dateien ein und in deren Funktion unter anderem der Richtigkeitskontrolle der Zahlungsvorgänge. Im Streitfall besteht insoweit nur der Unterschied zu einem Girokonto insoweit, als hier in der Regel keine Kontobewegungen dem Arbeitnehmer mitgeteilt werden. Er kann die Richtigkeit von Aufbuchungen und Abbuchungen vielmehr an den Displayanzeigen des Einzahlungsautomaten bzw. der Ausgabestellen feststellen. Gleichwohl willigt der Arbeitnehmer mit der Nutzung des Werksausweises zum bargeldlosen Einkauf auch in die Erfassung der Buchungsvorgänge ein. Dem steht nicht entgegen, dass bei der Beklagten die Möglichkeit, Speisen, Getränke und Zigaretten im Bargeldeinkauf zu erwerben, nicht besteht. Die Beklagte hat die Buchungsvorgänge auch nur im Hinblick auf die Überprüfung der Richtigkeit der Zahlungsvorgänge genutzt, das heißt systemgerecht und nicht etwa andere Zwecke damit verfolgt, wie eine Verhaltens- oder Leistungskontrolle.

    Auch eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG begründet kein Verwertungsverbot der unstreitigen Daten aus der Saldenverfolgung des Buchungskontos des Klägers. Auch die sog. Theorie von der Wirksamkeitsvoraussetzung rechtfertigt nicht die Anerkennung eines Verwertungsverbotes für mitbestimmungswidrig, aber ansonsten rechtmäßig erlangte Informationen oder Beweismittel (vgl. BAG Urteil vom 13.12.2007 - 2 AZR 237/06 - AP Nr. 210 zu § 626 BGB unter B II 1 b) dd) der Gründe). Weiter ist für den Streitfall von Bedeutung, dass vorliegend der Personalausschuss, dem das Mitbestimmungsrecht aus § 102 BetrVG übertragen wurde, der Kündigung zugestimmt hat. Mit der Befugnis, das Mitbestimmungsrecht bei Kündigungen auszuüben, hat der Personalausschuss auch die Kompetenz, die Zustimmung zur Kündigung wegen unter Missachtung von Mitbestimmungsrechten erworbener Kenntnis des Kündigungssachverhaltes zu verweigern. Die Beklagte spricht keine Kündigung ohne Zustimmung des Betriebsrates aus. Darüber hinaus kommt ein prozessuales Verwertungsverbot nur in Betracht, wenn im Entscheidungsfall der Schutzzweck der verletzten Norm eine solche prozessuale Sanktion zwingend gebietet. Zwar handelt der Arbeitgeber, der das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates oder eine Betriebsvereinbarung missachtet, rechtswidrig. Für diesen Fall sehen aber sowohl das Betriebsverfassungsrecht kollektivrechtliche Sanktionen und den allgemein betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch, als auch das Individualrecht (z.B. Leistungsverweigerungsrechte) Reaktionsmöglichkeiten vor. Ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers ist somit durchaus sanktionsbewehrt. Einer darüber hinausgehenden - individualprozessrechtlichen - Sanktion bedarf es deshalb nicht (vgl. BAG Urteil vom 13.12.2007 - 2 AZR 537/06 - aaO.). Darüber hinaus ist weiter erheblich, dass im Entscheidungsfall der Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG nicht über den des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG hinausgeht. Ist eine Verwertung der unstreitigen Saldenverfolgung - wie hier vertreten - im Rahmen der Güterabwägung zulässig, so gilt dies auch für ein Verwertungsverbot nach § 87 Abs. 1 Ziff. 6 BetrVG.

    Die Kündigung des Klägers ist auch nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Auf die erstmals in der zweiten Instanz erhobene Rüge der fehlerhaften Betriebsratsanhörung hat die Beklagte mit dem Berufungserwiderungsschriftsatz ergänzend vorgetragen. Dieser Vortrag ergibt die schlüssige Darlegung einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung mit abschließender zustimmender Stellungnahme zur Kündigung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung. Dieser Einlassung ist der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr entgegen getreten.

    Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sie erfolglos blieb.

    Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.

    VorschriftenBGB § 626, BDSG § 32 Abs. 1 S. 2, BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6