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  • 14.02.2011

    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 01.12.2010 – 6 Sa 185/10


    In dem Rechtsstreit

    pp.

    hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 01.12.2010 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 18.02.2010 - 5 Ca 1967 b/09 - teilweise abgeändert:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.011,10 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 12.10.2009 zu zahlen.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

    Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/10 und die Beklagte 9/10.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf eine sog. Erhöhungsrente.

    Der am ...1949 geborene Kläger ist seit dem 18.11.1971 bei der Beklagten als Vertriebsmitarbeiter beschäftigt. Im Januar 2002 erkrankte er und erhielt seit Mitte des Jahres 2003 von der Beklagten Versorgungsleistungen auf Grundlage des Tarifvertrags über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen T. AG nebst Versorgungsordnung (TV Kapitalkontenplan, VO = Bl. 33 - 48 d. A.). Mit diesen Regelungen haben die Tarifvertragsparteien das vormalige Gesamtversorgungssystem abgelöst. Dabei sind für unterschiedliche Besitzstandsgruppen Übergangsregelungen vereinbart worden. Auf den Kläger sind unstreitig die Sonderregelungen der Besitzstandsgruppe I nach Ziffer 10 der VO zum TV Kapitalkontenplan anwendbar.

    Unter Ziffer 10.8. der VO finden sich folgende Regelungen:

    "10.8 Versorgungsleistungen bei Erwerbsminderung und Dienstunfähigkeit

    10.8.1 Teilweise Erwerbsminderung und Dienstunfähigkeit

    10.8.1.1 Ein Versorgungsfall wegen Invalidität nach Ziffer 3.2.1 gilt auch dann als eingetreten, wenn ein Arbeitnehmer sein 40. Lebensjahr vollendet hat und die Voraussetzungen des entsprechenden Versicherungsfalls gemäß § 36 Absatz 1 Buchstaben g) und h) i. V. m. Absatz 2 Buchstabe c) VAP-Satzung i. V. m. den einschlägigen Beschlüssen und Protokollerklärungen der Vertreterversammlung in der jeweils gültigen Fassung nachweist. Dasselbe gilt unabhängig vom Lebensalter, wenn der vorstehende Versorgungsfall durch einen bei der Deutschen T. AG erlittenen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eintritt.

    Der Arbeitnehmer kann in den Fällen der Sätze 1 und 2 nur die nach Ziffer 10.3 Absatz 2 ermittelte, erreichbare VAP-Altersrente (Garantierente) beanspruchen. Erhält er trotz ernsthaften Betreibens seines Rentenantrags, ggf. im Klageweg, keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, so wird die Garantierente um den Betrag der Schätzrente nach Ziffer 10.3 erhöht (Erhöhungsrente). Die Dynamisierung der Erhöhungsrente richtet sich nach Ziffer 10.7.

    10.8.1.2 ... Die Erhöhungsrente wird solange gewährt, wie die Vo- raussetzungen für ihre Gewährung nach Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 vorliegen. ...

    10.8.1.3 Gezahlte Erhöhungsrenten sind in dem Umfang zurückzu- zahlen, in dem nachträglich für den Zahlungszeitraum gesetzliche Renten gezahlt werden.

    10.8.1.4 Bei Bezug einer gesetzlichen Rente wegen teilweiser Er- werbsminderung und Vorliegen der Voraussetzungen der Ziffer 10.8.1.1 erhält der Arbeitnehmer für die Zeit des Bezugs dieser gesetzlichen Rente zusätzlich vom Arbeitgeber eine EM-Erhöhungsrente. Die EM-Erhöhungsrente beträgt 75 % der erstmalig festgesetzten gesetzlichen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Insoweit entfällt auch eine Rückzahlung nach Ziffer 10.8.1.3. Die EM-Erhöhungsrente nach Satz 1 darf zusammen mit der gesetzlichen Rente wegen Erwerbsminderung zum Zeitpunkt der erstmaligen Zahlung die Höhe der zum Neuordnungsstichtag festgestellten Schätzrente nicht übersteigen. Im Fall des Übersteigens wird die EM-Erhöhungsrente entsprechend gekürzt. Die Dynamisierung der EM-Erhöhungsrente richtet sich nach Ziffer 10.7.

    10.8.1.5 ...

    Protokollnotiz: Bis zur Erteilung eines bestandskräftigen Bescheides des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers zu der vom Arbeitnehmer beantragten gesetzlichen Rente und der erneuten bestätigten Dienstunfähigkeit werden von der Bruttobetriebsrentenleistung 10 % einbehalten. Soweit die gesetzliche Rente bewilligt oder abgelehnt wird, erfolgt eine Spitzabrechnung unter Berücksichtigung der ggf. abzuführenden Beitragslasten."

    Die Beklagte zahlte dem Kläger neben der Garantierente zunächst auch eine Erhöhungsrente nach Ziff. 10.8.1.1 Satz 4 VO in Höhe der Schätzrente. Diese belief sich im Januar 2008 auf 1.258,56 EUR. Seit 01.04.2009 beträgt diese Rente 1.277,53 EUR.

    Die Beklagte ist aufgrund der Anrechnungsmöglichkeiten daran interessiert, dass der dienstunfähige Arbeitnehmer eine gesetzliche Rente wegen (teilweiser) Erwerbsminderung bezieht. Sie fordert daher alle dienstunfähigen Arbeitnehmer unabhängig von ihrer konkreten gesundheitlichen Entwicklung alle ein bis drei Jahre auf, beim Rentenversicherungsträger eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.

    Der Kläger beantragte erstmals am 17.02.2003 eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30.04.2003 ab (Bl. 92 f.). Am 19.04.2004 stellte der Kläger einen weiteren Antrag, der mit Bescheid vom 14.01.2005 (Bl. 94 f.) zurückgewiesen wurde.

    Zum dritten Mal beantragte der Kläger am 02.05.2006 eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 10.08.2006 (Bl. 96) legte er unter dem 23.08.2006 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2006 teilte die Deutsche Rentenversicherung mit, dass dem Widerspruch des Klägers nicht stattgegeben werden könne, weil er diesen trotz bzw. "nach der Aufforderung vom 25.08.2006" ... "nicht begründet und neue Tatsachen nicht vorgetragen" habe (Bl. 49 - 50 d. A.).

    Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 15.03.2007 auf seine - aus ihrer Sicht bestehenden - tarifvertraglichen Pflichten hin und kündigte an, dass er, sollte er den nächsten Widerspruch wieder nicht begründen, mit einer zumindest teilweisen Einstellung der betrieblichen Versorgungsleistungen rechnen müsse (Bl. 51 d. A.).

    Anfang des Jahres 2008 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 12.03.2008 legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2008 zurückgewiesen wurde.

    In den Bescheiden der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bzw. der Deutsche Rentenversicherung werden unterschiedliche Diagnosen genannt.

    Für die Zeit von November 2008 bis März 2009 zahlte die Beklagte dem Kläger keine Erhöhungsrente. Die Garantierente beließ sie ihm. Die monatlichen Einbehalte von der Erhöhungsrente für die Monate Januar bis Juni 2008 in Höhe von 146,40 EUR, bzw. 149,01 EUR für die Monate Juli bis Oktober 2008 sowie April bis Juni 2009 und schließlich in Höhe von 150,21 EUR für die Monate Juli bis Oktober 2009 zahlte die Beklagte bislang nicht an den Kläger aus.

    Gegen die Ankündigung der Beklagten, die Erhöhungsrente einzubehalten, wandte sich der Kläger am 24.10.2008 sowie - über seine Prozessbevollmächtigten - unter dem 29.01., 09.03. und 08.04.2009 (vgl. hierzu das Schreiben vom 29.01.2009, Bl. 62 - 63 d. A.). Er trug vor, dass er aufgrund extremer familiärer Belastungen die Begründung des Widerspruchs zum Rentenbescheid vermutlich nicht abgeschickt habe (vgl. Bl. 58 d. A.).

    Mit seiner Klage macht der Kläger die im Zeitraum 01.01.2008 bis 31.10.2009 nicht ausgezahlte Erhöhungsrente (8.909,20 Euro brutto) geltend. Er hat gemeint, dass sowohl der Abzug von 10 % wie auch die Streichung der Erhöhungsrente unberechtigt seien. Er habe das Verfahren auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ernsthaft betrieben. Der Kläger hat behauptet, seinen Widerspruch mit Schreiben vom 22.06.2008 begründet zu haben (vgl. Bl. 83 d. A.). Er habe auf seine psychosomatischen Erkrankungen hingewiesen.

    Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger sein Rentenverlangen nicht entsprechend der tarifvertraglichen Vorgaben betrieben habe. Sofern dem Rentenantrag nicht stattgegeben werde, müsse das Widerspruchsverfahren durchgeführt und - sollte auch dieses erfolglos bleiben - geprüft werden, ob ein Klageverfahren Erfolgsaussichten habe. Bis zum letzten Punkt dieser Pflichtenkette sei der Kläger nie gelangt, denn er habe bereits seine Widersprüche nicht begründet. Deshalb hätte die Beklagte schon im Jahr 2006 und nicht erst 2008 die Erhöhungsrente entziehen können. Selbst wenn der Kläger das Schreiben vom 22.06.2008 abgesandt haben sollte, stelle es keine ausreichende Widerspruchsbegründung dar.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und ihrer im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts verwiesen.

    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung. Der Einbehalt und die Kürzung der Erhöhungsrente seien rechtmäßig. Der Kläger habe sein Rentenverlangen nicht ernsthaft betrieben, weil er seinen Widerspruch nicht ordnungsgemäß begründet habe. Aus dem Widerspruchsbescheid vom 15.11.2006 gehe hervor, dass der Kläger den am 23.08.2006 erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.08.2006 nach Aufforderung vom 25.08.2006 nicht begründet und keine neue Tatsachen vorgetragen habe.

    Gegen das ihm am 25.03.2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 23.04.2010 Berufung eingelegt und diese am 12.05.2010 begründet.

    Der Kläger bezieht sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er meint, das Arbeitsgericht habe den Tarifvertrag falsch ausgelegt, weil es die sozialrechtlichen Vorschriften zur Beantragung von Rentenleistungen wegen Erwerbsminderung außer Acht gelassen habe. Nur bei einem rechtswidrigen Verstoß gegen Ziffer 10.8.1.1 VO sei eine Rentenkürzung oder -einstellung zulässig. Er, der Kläger, habe seine Widersprüche nicht begründen müssen. Das ergebe sich aus den Besonderheiten des sozialrechtlichen Antragsverfahrens, insbesondere aus der (beschränkten) Mitwirkungspflicht gemäß § 60 SGB I. Werde ein Folgerentenantrag gestellt, müssten bezogen auf den vorherigen Antrag weitergehende gesundheitliche Einschränkungen vorgetragen werden. Der Kläger habe aber keine Verschlechterung seines Gesundheitszustands vortragen können. Die Beklagte hätte ihn vor erneuter Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, zunächst ärztlich untersuchen lassen müssen.

    Der Kläger hat beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 18.02.2010, Az. ö. D. 5 Ca 1967 b/09 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.909,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagzustellung zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Auch die Beklagte bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie meint, Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 VO regele eine (negative) Anspruchsvoraussetzung für die Erhöhungsrente. Nach der tariflichen Systematik zielten die Tarifvertragsparteien darauf ab, die Aufstockungsleistungen zu objektivieren und im Interesse einer dauerhaften Finanzierbarkeit zu begrenzen, soweit ein Anspruch auf kongruente Versicherungsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe. Sie hätten sich auf eine aktive Mitwirkung der Anspruchsteller verständigt, um sozialrechtliche Fragen nicht im Rahmen der betrieblichen Versorgung klären zu müssen. Der Kläger habe das Antragsverfahren bei der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ernsthaft betrieben. Das "Betreiben" verlange eine aktive Förderung des Antragsverfahrens, eigene Initiative und Mitwirkung. Die vorrangige Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung könne nur erreicht werden, wenn der Antragsteller das Antragsverfahren nach besten Kräften fördere. Der Kläger sei aber nicht einmal den Aufforderungen nachgekommen, seine Widersprüche zu begründen. Er hätte die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die er im Rentenantragsverfahren geltend gemacht hat, auch in das Widerspruchsverfahren einbringen, auf besondere persönliche Befindlichkeiten hinweisen und durch Stellungnahmen seines behandelnden Arztes o.ä. ergänzen müssen. Ob es im sozialrechtlichen Rentenverfahren eine Begründungspflicht gebe, sei nicht entscheidend. Maßgebend sei hier die Tarifbestimmung der Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 VO, die einen tariflichen Anspruch gestalte. Sie, die Beklagte, habe ein Interesse, dass Empfänger von Erhöhungsrenten regelmäßig Anträge auf gesetzliche Rentenleistungen stellen. Die Erhöhungsrente werde nämlich nur so lange gewährt, wie keine gesetzliche Rente zu erlangen sei.

    Entscheidungsgründe

    A. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 lit. b ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

    B. Die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung in Höhe von 8.010,34 EUR brutto nebst Zinsen. Soweit er Zahlung weiterer 898,86 EUR verlangt, ist seine Klage gegenwärtig nicht begründet.

    I. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung der einbehaltenen Erhöhungsrente für die Monate November 2008 bis März 2009 verlangen. Er hat auch Anspruch auf Auszahlung der Teile der Erhöhungsrente, die die Beklagte für die Monate Januar bis Oktober 2008 sowie für den Monat April 2009 einbehalten hat.

    1. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 VO zum Kapitalkontenplan. Danach wird die Garantierente des Arbeitnehmers um den Betrag der Schätzrente nach Ziffer 10.3 erhöht (Erhöhungsrente), wenn er trotz ernsthaften Betreibens seines Rentenantrags, ggf. im Klageweg, keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält.

    a. Die Regelungen der Ziffer 10 der VO zum TV Kapitalkontenplan finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Gemäß § 1 TV Kapitalkontenplan gilt der Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Deutschen T., die unter den Geltungsbereich des MTV bzw. MTV-AZB fallen, soweit sie Mitglied der V. Dienstleistungsgewerkschaft e. V. (...) sind. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt. Sie sind ferner darüber einig, dass auf den Kläger die Sonderregelungen der Besitzstandsgruppe I nach Ziffer 10 der VO anwendbar sind. Der Kläger fällt in den in Ziffer 10.1 beschriebenen Geltungsbereich. Er stand am 31.12.1997 in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Das Arbeitsverhältnis war nach dem Versorgungstarifvertrag versicherungspflichtig in der VAP. Der seit 1971 bei der Beklagten beschäftigte Kläger hat schließlich die Pflichtversicherungszeit von 10 Jahren zurückgelegt.

    b. Der Kläger erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 VO. Obwohl er seinen Rentenantrag ernsthaft betrieben hat, erhält er keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

    aa) Unstreitig hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Sämtliche Anträge des Klägers auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung waren bislang erfolglos. Das im Jahr 2009 eingeleitete Antragsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

    bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts kann dem Begehren des Klägers nicht entgegengehalten werden, er habe sein Rentenantragsverfahren nicht ernsthaft betrieben. Richtig ist zwar, dass es hierbei nicht um die Sanktion wegen eines schuldhaften Verstoßes geht. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Anspruchsvoraussetzung. Der Anspruch auf Erhöhungsrente, d. h. auf eine die Garantierente übersteigende Rente, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seinen (erfolglosen) Rentenantrag ernsthaft betrieben hat. Bezogen auf den streitbefangenen Zeitraum hat der Kläger diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt. Seine Bemühungen um eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung genügen den sich aus der Tarifnorm ergebenden Anforderungen.

    (1) Es kann offen bleiben, ob der Kläger überhaupt verpflichtet war, alle ein bis zwei Jahre Rentenanträge zu stellen. Dem TV Kapitalkontenplan oder der VO lässt sich eine solche Pflicht nicht entnehmen. Es wäre auch bedenklich, die Arbeitnehmer bei unveränderter gesundheitlicher Situation wieder und wieder zur Antragstellung zu zwingen. Im vorliegenden Fall muss die Frage nicht entschieden werden, weil der Kläger nach Ablehnung eines Antrags mit dem neuen Antrag kaum mehr als ein Jahr gewartet hat.

    (2) Das streitbefangene Rentenantragsverfahren hat der Kläger Anfang des Jahres 2008 ordnungsgemäß eingeleitet und danach ernsthaft betrieben. Er hat sogar Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung des Rententrägers eingelegt. Einer Begründung des Widerspruchs bedurfte es nicht. Satz 4 der Ziffer 10.8.1.1 VO kann nicht entnommen werden, dass der Arbeitnehmer im Widerspruchsverfahren seinen Widerspruch näher begründen muss. Das ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung.

    (a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (statt vieler: BAG 31.08.2010 - 3 AZR 489/08 - zitiert nach JURIS).

    (b) Der Wortlaut der Tarifbestimmung setzt ein ernsthaftes Betreiben voraus. Das Adjektiv "ernsthaft" meint "ernst gesinnt" oder "ernst gemeint" (vgl. Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch Band II Seite 572). Unter Ernsthaftigkeit wird demnach eine ernste Gesinnung oder Aufrichtigkeit verstanden. Mit dem Betreiben einer Sache ist gemeint, die Angelegenheit voranzutreiben, zu beschleunigen oder weiterzuführen (Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch Band I Seite 654). Zusammengefasst bedeutet das, dass nur derjenige ein Antragsverfahren ernsthaft betreibt, der es nicht bei der Einleitung des Verfahrens belässt, sondern es mit der gebotenen Konsequenz vorantreibt. Dazu muss der Antragsteller die erforderlichen Mitwirkungshandlungen form- und fristgerecht vornehmen. Bezogen auf das Rentenantragsverfahren reicht es also nicht aus, lediglich einen Rentenantrag zu stellen. Vielmehr müssen die sich im sozialgerichtlichen Verfahren aus § 60 SGB I ergebenden Mitwirkungspflichten erfüllt werden. Dem Wortlaut der Tarifbestimmung lässt sich dagegen nicht eindeutig entnehmen, dass der Arbeitnehmer in jedem Fall Widerspruch gegen einen ablehnenden Rentenbescheid einlegen muss. Das Widerspruchsverfahren wird in Ziffer 10.8.1.1 VO nicht genannt. Dafür, dass das nicht ausdrücklich erwähnte Widerspruchsverfahren dennoch zum ernsthaften Betreiben des Rentenantrags gehört, spricht jedoch, dass der Rentenantrag "ggf. im Klageweg" zu betreiben ist. Die Erhebung der Klage vor dem Sozialgericht setzt aber die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens voraus.

    Selbst wenn mit der Beklagten davon ausgegangen wird, dass das ernsthafte Betreiben des Rentenantrags die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens voraussetzt, ergibt sich daraus nicht, dass der Widerspruch begründet werden muss. Bei unterstellter Pflicht, ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, verlangt das ernsthafte Betreiben des Antragsverfahrens nicht mehr, als dass der Widerspruch form- und fristgerecht eingelegt wird (vgl. §§ 83, 84 SGG). Damit hat der Antragsteller nämlich alles getan, um eine Überprüfung des Rentenbescheids durch die Widerspruchsstelle herbeizuführen. Ein Widerspruch ergreift im Zweifel alle Verfügungssätze des angefochtenen Verwaltungsakts. Das SGG verlangt weder einen substantiierten Antrag noch die Begründung des Widerspruchs (BSG 31.01.2008 - B 13 R 43/07 B).

    Aus Ziffer 10.8.1.1 VO ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht, dass der Arbeitnehmer im Widerspruchsverfahren mehr tun muss als das Gesetz von ihm verlangt, um eine Überprüfung durch die Widerspruchsstelle herbeizuführen. Wie ausgeführt, lässt sich dem Wortlaut bereits nicht eindeutig entnehmen, dass überhaupt ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden muss. Erst recht finden sich im Wortlaut der Tarifbestimmung keine Hinweise darauf, dass der Arbeitnehmer seinen Widerspruch begründen muss. Richtig ist, dass mehrere Regelungen der VO erkennen lassen, dass die Tarifparteien die Erhöhungsrente dem Arbeitnehmer nur dann zugestehen wollen, wenn dieser keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erlangen kann. So heißt es in Ziffer 10.8.1.2 Satz 2: "Die Erhöhungsrente wird solange gewährt, wie die Voraussetzungen für ihre Gewährung nach Ziffer 10.8.1.1 Satz 4 vorliegen". Nach Ziffer 10.8.1.3 sind gezahlte Erhöhungsrenten in dem Umfang zurückzuzahlen, in dem nachträglich für den Zahlungszeitraum gesetzliche Renten gezahlt werden. Die betroffenen Arbeitnehmer sollen also zunächst einen Dritten, nämlich die gesetzliche Rentenversicherung, in Anspruch nehmen. Erst wenn von diesem keine Rente zu erlangen ist, soll die Beklagte zur Zahlung einer Erhöhungsrente verpflichtet sein. Dahinter steckt der Wunsch, die Belastungen der Beklagten möglichst gering zu halten. Diesem Regelungszweck kann in der Tat nur genügt werden, wenn der Arbeitnehmer überhaupt einen Rentenantrag stellt und das Antragsverfahren ernsthaft betreibt. Ohne entsprechenden Antrag ist keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erlangen. Aber auch ein unter Missachtung der einschlägigen Verfahrensvorschriften betriebenes Antragsverfahren liefe dem von den Tarifvertragsparteien verfolgten Sinn und Zweck zuwider. Daraus folgt, dass die sozialrechtlichen Vorschriften zur Beantragung von Rentenleistungen wegen Erwerbsminderung einzuhalten sind, damit von einem "ernsthaften Betreiben" gesprochen werden kann. Das betrifft im Wesentlichen die Mitwirkungspflichten aus § 60 SGB I. Danach muss der Antragsteller Tatsachen angeben und ermöglichen, dass Auskünfte von Dritten eingeholt werden. Er muss Änderungen mitteilen sowie Beweismittel bezeichnen und schließlich Beweisurkunden vorlegen. Aus § 21 Abs. 2 SGB X ergibt sich weiterhin die Verpflichtung, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere bekannte Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Nur derjenige, der diese Mitwirkungspflichten erfüllt, betreibt sein Rentenantragsverfahren ernsthaft. Damit aber ist auch den Anforderungen der Tarifbestimmung in Satz 4 von Ziffer 10.8.1.1 VO genügt. Warum ein Arbeitnehmer mehr tun soll als ein sonstiger Rentenantragsteller, der ein Antragsverfahren den gesetzlichen Bestimmungen gemäß betreibt, ist nicht erkennbar.

    (c) Weil im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren eine Pflicht zur Begründung des Widerspruchs nicht vorgesehen ist, lässt sich diese auch nicht als Anforderung in die streitgegenständliche Tarifbestimmung hineininterpretieren. Der Kläger hat im Antragsverfahren seine Mitwirkungspflichten gemäß § 60 SGB I erfüllt und form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt. Folglich hat er seinen Rentenantrag ernsthaft betrieben.

    2. Unstreitig hat die Beklagte von der auf den Zeitraum 01.01.2008 bis 30.04.2009 entfallenden Erhöhungsrente des Klägers 8.011,10 EUR brutto einbehalten. Auszahlung dieses Betrages kann der Kläger verlangen. Ferner hat er Anspruch auf die begehrten Zinsen gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

    II. Soweit der Kläger Zahlung der von der Beklagten für die Monate Mai bis Oktober 2009 von der Erhöhungsrente einbehaltenen 898,19 EUR brutto begehrt, ist seine Klage gegenwärtig nicht begründet.

    Gemäß der Protokollnotiz zu Ziffer 10.8.1.5 VO sind bis zur Erteilung eines bestandskräftigen Bescheides des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers zu der vom Arbeitnehmer beantragten gesetzlichen Rente und der erneuten bestätigten Dienstunfähigkeit von der Bruttobetriebsrentenleistung 10 % einzubehalten. Eine Spitzabrechnung erfolgt erst, soweit die gesetzliche Rente bewilligt oder abgelehnt wird.

    Der Kläger hat im Berufungstermin erklärt, dass das im Mai 2009 mit einem erneuten Antrag eingeleitete Rentenantragsverfahren gegenwärtig noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb durfte die Beklagte für die Zeit ab Mai 2009 von der Bruttobetriebsrentenleistung monatlich jeweils 10 % einbehalten.

    Erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Kläger mit einem um 15:32 Uhr beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz mitgeteilt, dass er den Antrag nicht schon im Mai, sondern erst im Juli 2009 gestellt hat. Dieser Schriftsatz lag bis zur Verkündung des Urteils nicht vor. Der in ihm enthaltene Sachvortrag konnte deshalb bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

    C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, sodass die Revision nicht zuzulassen war. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, sondern ist einzelfallbezogen. Im Kern ging es um die Frage, ob der Kläger mit seinem Verhalten die tarifvertraglichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllte.