01.04.2025 · IWW-Abrufnummer 247378
Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 08.11.2024 – 2 AGH 4/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Anwaltsgerichtshof NRW, Urteil vom 08.11.2024, Az. 2 AGH 4/24
1. Die Berufung des Angeschuldigten gegen das Urteil des Anwaltsgerichts Hamm (2 AnwG 82/22) vom 15.11.2023 wird verworfen.
2. Der Angeschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewandte Vorschriften: §§ 43, 113, 197 BRAO, § 14 S. 1 BORA
1
G r ü n d e :
2
I.
3
Durch das in der Sitzung vom 15.11.2023 in seiner Abwesenheit verkündete Urteil der 2. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer A. wurde der angeschuldigte Rechtsanwalt für schuldig befunden, ab Mai 2022 gegen die Pflicht, sich innerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, nicht würdig erwiesen zu haben, indem er ein Empfangsbekenntnis nicht unverzüglich erteilte. Gegen ihn sind ein Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 1.000 EUR verhängt worden.
4
Gegen das ihm am 11.12.2023 per PZU zugestellte Urteil legte der Angeschuldigte am selben Tag per beA beim OLG Hamm und eingehend am Folgetag zusätzlich in Papierform beim Anwaltsgericht Hamm Berufung ein.
5
II.
6
Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden. Zur Sache hat der Senat folgende Feststellungen getroffen:
7
1. Zur Person
8
Der im Senatstermin 69 Jahre alte Angeschuldigte hat am 00.00.1984 sein erstes und am 00.00.1988 in Düsseldorf sein zweites juristisches Staatsexamen abgelegt, ist seit dem 00.00.1988 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und als Einzelanwalt tätig. Er ist verwitwet und hat keine Unterhaltspflichten. Nach eigenen Angaben verfügt er über monatliche Einkünfte aus seiner Anwaltstätigkeit in Höhe von etwa 2.500 € und zusätzlich über eine Rente von ca. 2.600 €.
9
Berufsrechtlich ist der angeschuldigte Rechtsanwalt mehrfach, zuletzt durch Urteil des Anwaltsgerichts Hamm vom16.02.2022, ferner strafrechtlich zweimal in Erscheinung getreten.
10
2. Zur Sache
11
Dem angeschuldigten Rechtsanwalt wird eine Berufspflichtverletzung nach § 43 BRAO, § 14 S. 1 BORA vorgeworfen. Er soll das Empfangsbekenntnis zu einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 11.05.2022 im anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahren nicht unverzüglich erteilt haben.
12
Das anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren (Az. 6 EV 306/22) war auf Antrag des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer A. ursprünglich mit der Begründung eingeleitet worden, der Angeschuldigte habe trotz Aufforderung der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit einer bei der Kammer eingegangenen Mandantenbeschwerde die Herausgabe der angeforderten Handakten verweigert.
13
Die Generalstaatsanwaltschaft gewährte dem angeschuldigten Rechtsanwalt mit Schreiben vom 27.04.2022 und nach dessen Rückfrage vom 04.05.2022, auf welche seiner Aktenzeichen sich die Anfrage beziehe, erneut unter dem 11.05.2022, rechtliches Gehör. In beiden Fällen wurde die Rückgabe des Empfangsbekenntnisses mit der Formulierung „Um Rückgabe des Empfangsbekenntnisses bitte ich in jedem Falle.“ erbeten. Das Empfangsbekenntnis zu dem Anhörschreiben vom 27.04.2022 übermittelte der Angeschuldigte gemeinsam mit seinem Schreiben vom 04.05.2022. Das Empfangsbekenntnis-Formular, welches dem Schreiben vom 11.05.2022 (Bl. 10 f d.A.) beigefügt war, gelangte nicht zur Akte.
14
Unter dem 18.07.2022 erinnerte die Generalstaatsanwaltschaft den Angeschuldigten unter Hinweis auf dessen berufsrechtliche Verpflichtung aus § 14 BORA an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses zu dem Schreiben vom 11.05.2022, welches abschriftlich noch einmal beigefügt wurde (Bl. 14 d.A). Das Schreiben vom 18.07.2022 wurde dem Angeschuldigten am 22.07.2022 per PZU zugestellt.
15
Die Kanzlei des Angeschuldigten übermittelte der Generalstaatsanwaltschaft die untere Hälfte des Schreibens vom 18.07.2022 ohne weiteren Kommentar per Telefax am 25.07.2022 (Bl. 16 d.A.). Ohne darin auf das Telefax und das Thema „Empfangsbekenntnis“ einzugehen, äußerte sich der Angeschuldigte mit Schreiben vom 28.07.2022, mit der Post am Folgetag bei der Generalstaatsanwaltschaft eingegangen, zu der Mandantenbeschwerde und begründete seine Auffassung, wonach eine Pflicht zur Vorlage der Handakten nicht bestehe.
16
Die Generalstaatsanwaltschaft gelangte zu der Einschätzung, dass eine Berufspflichtverletzung wegen der unterbliebenen Vorlage der Handakten mangels ausreichender Belehrung nicht angenommen werden könne. Ein Verstoß gegen Berufspflichten im Zusammenhang mit der ursprünglichen Mandantenbeschwerde sei aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erkennbar.
17
Allerdings stelle die in diesem Ermittlungsverfahren unterbliebene Abgabe des Empfangsbekenntnisses einen Berufsverstoß nach § 14 Satz 1 BORA dar. Das Telefax vom 27.07.2022 sehe man nicht als Empfangsbestätigung an. Eine Anhörung des angeschuldigten Rechtsanwalts zu diesem Vorwurf erfolgte sodann mit Schreiben vom 21.09.2022, welches erneut mit PZU zugestellt wurde (Bl. 23 d.A.). Dessen Reaktion blieb aus.
18
Zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 15.11.2023 um 14:30 Uhr wurde der Angeschuldigte unter dem 13.07.2023, zugestellt am Folgetag, ordnungsgemäß geladen. Bei Aufruf zur Sache erschien der Angeschuldigte nicht.
19
Die Vorsitzende gab nach dem Aufruf der Sache bekannt, dass der Angeschuldigte gegen 14:15 Uhr im Eingangsbereich des Gerichts erschienen sei. Er habe einen Anwaltsausweis vorgelegt, worauf hin ihm von dem Justizwachtmeister mitgeteilt worden sei, dass er angewiesen sei, Anwälte, die in eigener Angelegenheit erscheinen, zu kontrollieren. Die Kontrolle verweigerte der Angeschuldigte, worauf hin die Vorsitzende, die Berichterstatterin und die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft sich zur Pforte begaben, um mit dem Angeschuldigten zu sprechen. Dort erläuterte die Vorsitzende dem Angeschuldigten, dass die Anweisung nicht durch das Anwaltsgericht, sondern durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts in Ausübung ihres Hausrechts erteilt worden sei. Der Angeschuldigte übergab daraufhin eine handschriftliche Notiz (Bl. 55 d.A.), die als Anlage zum Protokoll genommen wurde. Darin heißt es:
20
Anwaltsgericht, Verfahren K., 6 ERV 306/22
21
stelle ich Befangenheitsantrag, da ich ohne Kontrolle nicht vorgelassen werde (trotz Anwaltsausweis). Dies ist eine Vorverurteilung, würdelos und beleidigend.
22
K., 15.11.2023, 14:20
23
Nach Übergabe der Notiz verließ der Angeschuldigte das Gerichtsgebäude.
24
Die Kammer beschloss, in Abwesenheit des Angeschuldigten zu verhandeln. Das Ablehnungsgesuch verwarf die Kammer zuvor durch Beschluss als unzulässig mit der Begründung, dass nicht erkennbar sei, wer abgelehnt werde. Zudem sei der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden. Schließlich sei der Angeschuldigte von der Vorsitzenden darauf hingewiesen worden, dass die Zugangskontrolle nicht durch die erkennenden Richter, sondern durch die Inhaberin des Hausrechts angeordnet worden sei.
25
In der Berufungsverhandlung ließ sich der Angeschuldigte dahingehend ein, dass er Empfangsbekenntnisse, wenn ein entsprechend vorbereitetes Formular in Papierform beiliege, in der Regel in der Weise abgebe, dass er es unterzeichne und anschließend beim Amtsgericht Soest einwerfe, von wo aus es an das zuständige Gericht weitergeleitet werde. Dadurch entstünden ihm keine Kosten. Die Handhabung praktiziere er seit Jahrzehnten. Nur ausnahmsweise komme es vor, dass er ein Empfangsbekenntnis per Telefax übermittle. Eine Aufforderung in dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022, ein Empfangsbekenntnis abzugeben, habe er nicht wahrgenommen. Er könne sich auch nicht erinnern, ob dem Schreiben ein vorbereitetes Empfangsbekenntnis beigelegen habe und ob er es abgegeben habe. Möglicherweise sei es auf dem Postweg verloren gegangen. Empfangsbekenntnisse gebe er nur ab, wenn ihm dafür ein vorbereitetes Formular zur Verfügung gestellt werde. Ein Postausgangsbuch führe er nicht und lasse auch keine Kopien der unterzeichneten Empfangsbekenntnisse für seine Handakte anfertigen.
26
Posteingänge, die nicht eindeutig einer Akte zugeordnet werden können, z.B. weil sein Aktenzeichen nicht genannt wird, lege er zunächst auf einen Stapel auf der Fensterbank, in dem sich auch private Korrespondenz befinde, und befasse sich damit, sobald er Zeit habe.
27
Die Absendernummer der Telefaxübermittlung am 25.07.2022 (Bl. 16 d.A.) sei seine. Er habe das Telefax jedoch selbst nicht übermittelt und seinem Personal auch keinen entsprechenden Auftrag erteilt. Eine Erklärung dafür habe er nicht.
28
In seiner Berufungsschrift beanstandet der Angeschuldigte, dass erstinstanzlich über seinen Ablehnungsantrag nicht entschieden worden sei.
29
III.
30
1.
31
Die Feststellungen zur Person beruhen auf dem Inhalt der Beiakten sowie den Angaben des angeschuldigten Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung, an denen zu zweifeln der Senat keine Veranlassung hat.
32
2.
33
Den Sachverhalt hat der Senat aufgrund der Angaben des angeschuldigten Rechtsanwalts, an denen sich für den Senat ebenfalls kein Anlass zu Zweifeln ergab, und der vom Senat erhobenen Beweise festgestellt, namentlich durch die Verlesung der Schreiben der GStA Hamm vom 11.05.2022 und vom 18.07.2022 sowie des Telefaxes vom 25.07.2022, (Bl. 10, 14 und 16 der Gerichtsakte).
34
Danach steht zur sicheren Überzeugung des Senats fest, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt ein Empfangsbekenntnis zum Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022 nicht erteilt hat, obwohl er dieses erhalten hat und zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses aufgefordert wurde.
35
Der Geschehensablauf folgt aus den verlesenen Akteninhalten und den Angaben des Angeschuldigten. Generell ist davon auszugehen, dass Schreiben von Behörden und Gerichten in Papierform, in denen ausdrücklich zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses aufgefordert wird, ein entsprechendes Formular auch beiliegt. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstellen handelt es sich insoweit um eine Routinetätigkeit, die keine besonderen Kenntnisse oder Entscheidungen erfordert, sondern lediglich Aufmerksamkeit und Zuverlässigkeit, die bis auf wenige Ausnahmefälle gegeben sind.
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Da Fehler in der Geschäftsstelle, aber auch in der Anwaltskanzlei oder bei der Post nicht ausgeschlossen werden können, gehört es zur geübten Praxis, nach einer gewissen Zeit an die Abgabe eines ausstehenden Empfangsbekenntnisses zu erinnern. Vorliegend geschah das durch das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 18.07.2022 (Bl.14 d.A), welches dem Angeschuldigten nachweislich am 25.07.2022 per PZU zuging. Hätte der Angeschuldigte das in jenem Schreiben erwähnte und abschriftlich noch einmal beigefügte Schreiben vom 11.05.2022 nicht erhalten, wäre zu erwarten gewesen, dass er in seiner Stellungnahme vom 28.07.2022 darauf eingeht. Auch das Fehlen eines Formulars zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses thematisierte er darin nicht, gab es aber auch nicht nachträglich ab.
37
Eine weitere Chance, sich zur Erfüllung seiner Pflicht zur Abgabe des Empfangsbekenntnisses zu äußern, hat der Angeschuldigte nach Zugang des Anhörschreibens der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.09.2022 (Bl. 23 d.A.) ebenfalls nicht genutzt. Das hätte indes nahegelegen, wenn er seinerzeit, nämlich noch in zeitlicher Nähe zum vorgeworfenen Verhalten, der Auffassung gewesen wäre, der Vorwurf sei unberechtigt.
38
Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat diesen äußeren Ablauf letztlich auch nicht in Frage gestellt, sondern darauf verwiesen, dass er sich nicht erinnern könne und nicht über eine Dokumentation verfüge, um die Abgabe des Empfangsbekenntnisses zu belegen.
39
IV.
40
Das Anwaltsgericht Hamm hat ‒ entgegen den Ausführungen des Angeschuldigten in der Berufungsschrift ‒ den Ablehnungsantrag in der Hauptverhandlung vom 15.11.2023 sehr wohl beschieden und mit der Begründung, es sei bereits nicht ersichtlich, gegen wen es gerichtet sei, als unzulässig verworfen. Ob diese Entscheidung zutrifft, wofür freilich einiges spricht, kann indes dahingestellt bleiben. Denn in Ermangelung einer Zurückweisungsmöglichkeit des Berufungsgerichts muss der Senat angesichts der erstinstanzlich getroffenen Sachentscheidung selbst in der Sache entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob der Richter der I. Instanz zu Recht abgelehnt worden war (vgl. Schmitt, in Meyer-Goßner, StPO, 67. Aufl., § 28 Rn. 9 i.V.m. § 328 Rn. 4).
41
V.
42
Das Verhalten des Rechtsanwalts erfüllt den Tatbestand einer Berufspflichtverletzung nach §§ 43 BRAO, 14 S. 1 BORA.
43
Gemäß § 14 S. 1 BORA hat der Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen u. a. von Gerichten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Dies ist bezüglich des Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022 unterblieben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis tatsächlich erteilt hat und es auf dem gerichtsinternen Postweg verlustig gegangen ist, haben sich für den Senat nicht ergeben. Der Angeschuldigte konnte selbst schon nicht (sicher) sagen, oder Anhaltspunkte dafür benennen, dass er das Empfangsbekenntnis im konkreten Fall tatsächlich unterzeichnet und beim Amtsgericht Soest eingeworfen hat.
44
Die vom angeschuldigten Rechtsanwalt in den Raum gestellte (theoretische) Möglichkeit eines Verlustes auf dem gerichtsinternen Postweg schließt der Senat im Übrigen aus, weil die fehlende Reaktion des Rechtsanwalts auf die ausdrückliche Erinnerung in dem mehr als zwei Monate späteren Schreiben vom 18.07.2022 und auf das Anhörschreiben vom 21.09.2022 damit nicht in Einklang zu bringen ist. Wer weiß, dass er ein Empfangsbekenntnis bereits abgegeben hat und dennoch daran erinnert wird, muss davon ausgehen, dass es den Empfänger nicht erreicht hat. Entweder gibt ein sorgfältiger Rechtsanwalt es dann ‒ unter dem Datum des tatsächlichen Zugangs ‒ erneut ab oder verweist darauf, dass, wann und wie er es bereits abgegeben hat.
45
Der Angeschuldigte hat sich demnach nicht so verhalten, wie es von einem Rechtsanwalt zu erwarten gewesen wäre, der bemüht ist, seine berufsrechtliche Verpflichtung nach § 14 S. 1 BORA zu erfüllen.
46
Gemäß § 113 Abs. 1 BRAO ist die schuldhafte Pflichtverletzung zu ahnden, wofür grundsätzlich schon leichte Fahrlässigkeit genügt (vgl. Reelsen, in: Weyland, BRAO, 11. Aufl. 2024, § 113 Rn. 7). Eine solche ist ohne weiteres zu bejahen. Der Umstand, dass sowohl das Ursprungsschreiben als auch das Erinnerungsschreiben ohne Reaktion geblieben sind, schließt einmaliges Fehlverhalten aus und lässt mindestens den Schluss auf ein vom angeschuldigten Rechtsanwalt zu vertretendes Organisationsversagen innerhalb des Büros zu.
47
Insbesondere kann sich der angeschuldigte Rechtsanwalt von dem Vorwurf, eine berufsrechtlich gebotene aktive Handlung - unverzügliche Abgabe eines Empfangsbekenntnisses - schuldhaft unterlassen zu haben, nicht unter Hinweis auf seine fehlende Erinnerung oder die unterbliebene Dokumentation entlasten.
48
Bereits in dem Urteil des Senats vom 09.06.2023 (Az. 2 AGH 1/23) ging es um die Frage, ob der Vorwurf einer Berufspflichtverletzung, die in der unterbliebenen Rücksendung einer Gerichtsakte liegt, dadurch ausgeräumt werden kann, dass der Angeschuldigte sich an Details nicht erinnern kann und eine entsprechende Veranlassung behauptet, ohne konkrete Angaben in zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Umstände machen zu können oder Belege vorzulegen.
49
Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 01.06.2016 - Az. 1 StR 597/15) hat sich der Senat seinerzeit auf den Standpunkt gestellt, dass für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit erforderlich ist. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, dass vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt.
50
Der Senat hat sich damals von der Erkenntnis leiten lassen, dass das von dem Angeschuldigten als wahrscheinlich beschriebene Verhalten, an welches er sich konkret nicht erinnern, es ihm jedoch auch nicht widerlegt werden könne, nicht plausibel erscheint, zumal einzelne Reaktionen des Angeschuldigten unplausibel vor dem Hintergrund der in den Raum gestellten Vorgehensweise erschienen.
51
Unter Zugrundelegung der Bewertung einer fehlenden Erinnerung in Kombination mit der Nennung einer möglichen Handhabung, die ein Verschulden des zur Erteilung eines Empfangsbekenntnis Verpflichteten entfallen ließe, jedoch ohne jegliche objektiven Anknüpfungstatsachen (Postausgangsbuch, Faxbericht, Kopie des ausgefüllten Empfangsbekenntnisses in der Akte etc.) kann das vorgeworfene Unterlassen mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit angenommen werden.
52
Die Behauptung, dass der Angeschuldigte die Rückgabe von Empfangsbekenntnissen über das Amtsgericht Soest auch an andere Gerichte früher einmal so gehandhabt haben will, steht dem nicht entgegen. Weder gibt er an, bis wann und wie oft er so vorgegangen sein will, noch erklärt er sich dazu, aus welchen Gründen und nach welcher Systematik er Empfangsbekenntnisse in anderer Weise (beispielsweise durch Telefax) erteilt. Das Empfangsbekenntnis zu dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.04.2022 hat er bspw. nicht über das Amtsgericht Soest zurückgesandt, sondern zusammen mit seinem Anschreiben vom 04.05.2022 mit der Post unmittelbar an die Generalstaatsanwaltschaft Hamm (Bl. 7 d.A.), was seiner Darstellung widerspricht.
53
Die Missachtung einer Handlungspflicht wäre nicht sanktionierbar, wenn der Pflichtige sich darauf beschränken könnte, die Vermutung zu äußern, er habe die Pflicht erfüllt, könne sich aber an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Zumindest ist von ihm die Nennung oder Vorlage objektiver Anhaltspunkte zu fordern, die eine Pflichterfüllung naheliegend oder doch zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen (z.B. die Vorlage eines sorgsam geführten Postausgangsbuchs bzw. Kopie des Empfangsbekenntnisses für die Handakte oder Aussage eines Kanzleimitarbeiters zum konkreten Vorgang der Übersendung). Dabei ist sein gesamtes Verhalten zu berücksichtigen. Widersprüchliche Erklärungsansätze oder unter den Umständen ungewöhnliches Verhalten stellen die Glaubhaftigkeit der Schilderung infrage.
54
VI.
55
Die vom Anwaltsgericht verhängten Maßnahmen begegnen keinen Bedenken.
56
Gemäß § 113 Abs. 1 BRAO ist gegen einen Rechtsanwalt, der schuldhaft gegen Berufspflichten verstößt, eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zu verhängen.
57
Für die Zumessung der konkreten Maßnahme kommt es im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens darauf an, inwiefern das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes betroffen ist und damit das Ansehen der Anwaltschaft beschädigt wurde; entscheidend ist ferner, welche Maßnahme erforderlich ist, um den Anwalt künftig zur Wahrung seiner beruflichen Pflichten anzuhalten und Gefahren für das rechtssuchende Publikum und die Rechtspflege zu beseitigen; auch strafrechtlich zulässige Erschwerungs- und Milderungsgründe können berücksichtigt werden (Reelsen, in: Weyland § 114 Rn. 67).
58
Gegen den Angeschuldigten spricht, dass er auch noch in der Berufungsverhandlung keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigte, sondern die Verantwortlichkeit ausschließlich bei anderen sah. Bereitschaft zu einer Verhaltensänderung ließ er nicht erkennen.
59
Hinzu kommen seine mehrfachen berufsrechtlichen Vorbelastungen, zuletzt wenige Monate vor dem hier zu entscheidenden Vorfall, was der Senat nicht gänzlich außer Acht gelassen hat.
60
Durch sein Verhalten hat der Angeschuldigte ‒ was besonders schwer wiegt ‒ eine Kernpflicht der anwaltlichen Tätigkeit verletzt und dadurch das Vertrauen in die Stellung des Rechtsanwalts als Garant für eine reibungslose Abwicklung des gerichtlichen Verfahrens insgesamt in Frage gestellt und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft beschädigt. Die zu treffende anwaltsgerichtliche Maßnahme muss sich schließlich daran orientieren, wie betroffene Belange der Rechtspflege gewahrt werden können. Deren Funktionsfähigkeit hängt in erheblichem Maße von einer vertrauensvollen Kommunikation der Organe der Rechtspflege ab. Durch die Pflichtverletzung hat der angeschuldigte Rechtsanwalt gezeigt, dass er seine diesbezüglichen anwaltlichen Pflichten nicht verinnerlicht hat.
61
Auch wenn mit der Verhängung einer Geldbuße schwere Pflichtverletzungen geahndet werden sollen (vgl. Dittmann, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 114 Rn. 9) und dies erst recht für die Koppelung von Verweis und Geldbuße gelten muss, erscheint insgesamt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände die Verhängung beider Maßnahmen angemessen, wobei der Senat im Hinblick darauf, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt bis zuletzt keine Einsicht gezeigt hat, und unter Berücksichtigung seiner gesicherten wirtschaftlichen Verhältnisse die vom Anwaltsgericht verhängte Geldbuße von 1.500 € für angemessen und erforderlich, um dem Angeschuldigten eindringlich vor Augen zu führen, dass er sein Verhalten ändern muss.
62
VII.
63
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 2 BRAO.
64
Die Revision gegen das Urteil war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 145 Abs. 1 und Abs. 2 BRAO. Es war insbesondere nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichtverletzungen zu entscheiden, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Tenor:
2. Der Angeschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewandte Vorschriften: §§ 43, 113, 197 BRAO, § 14 S. 1 BORA
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G r ü n d e :
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I.
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Durch das in der Sitzung vom 15.11.2023 in seiner Abwesenheit verkündete Urteil der 2. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer A. wurde der angeschuldigte Rechtsanwalt für schuldig befunden, ab Mai 2022 gegen die Pflicht, sich innerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, nicht würdig erwiesen zu haben, indem er ein Empfangsbekenntnis nicht unverzüglich erteilte. Gegen ihn sind ein Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 1.000 EUR verhängt worden.
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Gegen das ihm am 11.12.2023 per PZU zugestellte Urteil legte der Angeschuldigte am selben Tag per beA beim OLG Hamm und eingehend am Folgetag zusätzlich in Papierform beim Anwaltsgericht Hamm Berufung ein.
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II.
6
Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden. Zur Sache hat der Senat folgende Feststellungen getroffen:
7
1. Zur Person
8
Der im Senatstermin 69 Jahre alte Angeschuldigte hat am 00.00.1984 sein erstes und am 00.00.1988 in Düsseldorf sein zweites juristisches Staatsexamen abgelegt, ist seit dem 00.00.1988 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und als Einzelanwalt tätig. Er ist verwitwet und hat keine Unterhaltspflichten. Nach eigenen Angaben verfügt er über monatliche Einkünfte aus seiner Anwaltstätigkeit in Höhe von etwa 2.500 € und zusätzlich über eine Rente von ca. 2.600 €.
9
Berufsrechtlich ist der angeschuldigte Rechtsanwalt mehrfach, zuletzt durch Urteil des Anwaltsgerichts Hamm vom16.02.2022, ferner strafrechtlich zweimal in Erscheinung getreten.
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2. Zur Sache
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Dem angeschuldigten Rechtsanwalt wird eine Berufspflichtverletzung nach § 43 BRAO, § 14 S. 1 BORA vorgeworfen. Er soll das Empfangsbekenntnis zu einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 11.05.2022 im anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahren nicht unverzüglich erteilt haben.
12
Das anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren (Az. 6 EV 306/22) war auf Antrag des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer A. ursprünglich mit der Begründung eingeleitet worden, der Angeschuldigte habe trotz Aufforderung der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit einer bei der Kammer eingegangenen Mandantenbeschwerde die Herausgabe der angeforderten Handakten verweigert.
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Die Generalstaatsanwaltschaft gewährte dem angeschuldigten Rechtsanwalt mit Schreiben vom 27.04.2022 und nach dessen Rückfrage vom 04.05.2022, auf welche seiner Aktenzeichen sich die Anfrage beziehe, erneut unter dem 11.05.2022, rechtliches Gehör. In beiden Fällen wurde die Rückgabe des Empfangsbekenntnisses mit der Formulierung „Um Rückgabe des Empfangsbekenntnisses bitte ich in jedem Falle.“ erbeten. Das Empfangsbekenntnis zu dem Anhörschreiben vom 27.04.2022 übermittelte der Angeschuldigte gemeinsam mit seinem Schreiben vom 04.05.2022. Das Empfangsbekenntnis-Formular, welches dem Schreiben vom 11.05.2022 (Bl. 10 f d.A.) beigefügt war, gelangte nicht zur Akte.
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Unter dem 18.07.2022 erinnerte die Generalstaatsanwaltschaft den Angeschuldigten unter Hinweis auf dessen berufsrechtliche Verpflichtung aus § 14 BORA an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses zu dem Schreiben vom 11.05.2022, welches abschriftlich noch einmal beigefügt wurde (Bl. 14 d.A). Das Schreiben vom 18.07.2022 wurde dem Angeschuldigten am 22.07.2022 per PZU zugestellt.
15
Die Kanzlei des Angeschuldigten übermittelte der Generalstaatsanwaltschaft die untere Hälfte des Schreibens vom 18.07.2022 ohne weiteren Kommentar per Telefax am 25.07.2022 (Bl. 16 d.A.). Ohne darin auf das Telefax und das Thema „Empfangsbekenntnis“ einzugehen, äußerte sich der Angeschuldigte mit Schreiben vom 28.07.2022, mit der Post am Folgetag bei der Generalstaatsanwaltschaft eingegangen, zu der Mandantenbeschwerde und begründete seine Auffassung, wonach eine Pflicht zur Vorlage der Handakten nicht bestehe.
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Die Generalstaatsanwaltschaft gelangte zu der Einschätzung, dass eine Berufspflichtverletzung wegen der unterbliebenen Vorlage der Handakten mangels ausreichender Belehrung nicht angenommen werden könne. Ein Verstoß gegen Berufspflichten im Zusammenhang mit der ursprünglichen Mandantenbeschwerde sei aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erkennbar.
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Allerdings stelle die in diesem Ermittlungsverfahren unterbliebene Abgabe des Empfangsbekenntnisses einen Berufsverstoß nach § 14 Satz 1 BORA dar. Das Telefax vom 27.07.2022 sehe man nicht als Empfangsbestätigung an. Eine Anhörung des angeschuldigten Rechtsanwalts zu diesem Vorwurf erfolgte sodann mit Schreiben vom 21.09.2022, welches erneut mit PZU zugestellt wurde (Bl. 23 d.A.). Dessen Reaktion blieb aus.
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Zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 15.11.2023 um 14:30 Uhr wurde der Angeschuldigte unter dem 13.07.2023, zugestellt am Folgetag, ordnungsgemäß geladen. Bei Aufruf zur Sache erschien der Angeschuldigte nicht.
19
Die Vorsitzende gab nach dem Aufruf der Sache bekannt, dass der Angeschuldigte gegen 14:15 Uhr im Eingangsbereich des Gerichts erschienen sei. Er habe einen Anwaltsausweis vorgelegt, worauf hin ihm von dem Justizwachtmeister mitgeteilt worden sei, dass er angewiesen sei, Anwälte, die in eigener Angelegenheit erscheinen, zu kontrollieren. Die Kontrolle verweigerte der Angeschuldigte, worauf hin die Vorsitzende, die Berichterstatterin und die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft sich zur Pforte begaben, um mit dem Angeschuldigten zu sprechen. Dort erläuterte die Vorsitzende dem Angeschuldigten, dass die Anweisung nicht durch das Anwaltsgericht, sondern durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts in Ausübung ihres Hausrechts erteilt worden sei. Der Angeschuldigte übergab daraufhin eine handschriftliche Notiz (Bl. 55 d.A.), die als Anlage zum Protokoll genommen wurde. Darin heißt es:
20
Anwaltsgericht, Verfahren K., 6 ERV 306/22
21
stelle ich Befangenheitsantrag, da ich ohne Kontrolle nicht vorgelassen werde (trotz Anwaltsausweis). Dies ist eine Vorverurteilung, würdelos und beleidigend.
22
K., 15.11.2023, 14:20
23
Nach Übergabe der Notiz verließ der Angeschuldigte das Gerichtsgebäude.
24
Die Kammer beschloss, in Abwesenheit des Angeschuldigten zu verhandeln. Das Ablehnungsgesuch verwarf die Kammer zuvor durch Beschluss als unzulässig mit der Begründung, dass nicht erkennbar sei, wer abgelehnt werde. Zudem sei der Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden. Schließlich sei der Angeschuldigte von der Vorsitzenden darauf hingewiesen worden, dass die Zugangskontrolle nicht durch die erkennenden Richter, sondern durch die Inhaberin des Hausrechts angeordnet worden sei.
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In der Berufungsverhandlung ließ sich der Angeschuldigte dahingehend ein, dass er Empfangsbekenntnisse, wenn ein entsprechend vorbereitetes Formular in Papierform beiliege, in der Regel in der Weise abgebe, dass er es unterzeichne und anschließend beim Amtsgericht Soest einwerfe, von wo aus es an das zuständige Gericht weitergeleitet werde. Dadurch entstünden ihm keine Kosten. Die Handhabung praktiziere er seit Jahrzehnten. Nur ausnahmsweise komme es vor, dass er ein Empfangsbekenntnis per Telefax übermittle. Eine Aufforderung in dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022, ein Empfangsbekenntnis abzugeben, habe er nicht wahrgenommen. Er könne sich auch nicht erinnern, ob dem Schreiben ein vorbereitetes Empfangsbekenntnis beigelegen habe und ob er es abgegeben habe. Möglicherweise sei es auf dem Postweg verloren gegangen. Empfangsbekenntnisse gebe er nur ab, wenn ihm dafür ein vorbereitetes Formular zur Verfügung gestellt werde. Ein Postausgangsbuch führe er nicht und lasse auch keine Kopien der unterzeichneten Empfangsbekenntnisse für seine Handakte anfertigen.
26
Posteingänge, die nicht eindeutig einer Akte zugeordnet werden können, z.B. weil sein Aktenzeichen nicht genannt wird, lege er zunächst auf einen Stapel auf der Fensterbank, in dem sich auch private Korrespondenz befinde, und befasse sich damit, sobald er Zeit habe.
27
Die Absendernummer der Telefaxübermittlung am 25.07.2022 (Bl. 16 d.A.) sei seine. Er habe das Telefax jedoch selbst nicht übermittelt und seinem Personal auch keinen entsprechenden Auftrag erteilt. Eine Erklärung dafür habe er nicht.
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In seiner Berufungsschrift beanstandet der Angeschuldigte, dass erstinstanzlich über seinen Ablehnungsantrag nicht entschieden worden sei.
29
III.
30
1.
31
Die Feststellungen zur Person beruhen auf dem Inhalt der Beiakten sowie den Angaben des angeschuldigten Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung, an denen zu zweifeln der Senat keine Veranlassung hat.
32
2.
33
Den Sachverhalt hat der Senat aufgrund der Angaben des angeschuldigten Rechtsanwalts, an denen sich für den Senat ebenfalls kein Anlass zu Zweifeln ergab, und der vom Senat erhobenen Beweise festgestellt, namentlich durch die Verlesung der Schreiben der GStA Hamm vom 11.05.2022 und vom 18.07.2022 sowie des Telefaxes vom 25.07.2022, (Bl. 10, 14 und 16 der Gerichtsakte).
34
Danach steht zur sicheren Überzeugung des Senats fest, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt ein Empfangsbekenntnis zum Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022 nicht erteilt hat, obwohl er dieses erhalten hat und zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses aufgefordert wurde.
35
Der Geschehensablauf folgt aus den verlesenen Akteninhalten und den Angaben des Angeschuldigten. Generell ist davon auszugehen, dass Schreiben von Behörden und Gerichten in Papierform, in denen ausdrücklich zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses aufgefordert wird, ein entsprechendes Formular auch beiliegt. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstellen handelt es sich insoweit um eine Routinetätigkeit, die keine besonderen Kenntnisse oder Entscheidungen erfordert, sondern lediglich Aufmerksamkeit und Zuverlässigkeit, die bis auf wenige Ausnahmefälle gegeben sind.
36
Da Fehler in der Geschäftsstelle, aber auch in der Anwaltskanzlei oder bei der Post nicht ausgeschlossen werden können, gehört es zur geübten Praxis, nach einer gewissen Zeit an die Abgabe eines ausstehenden Empfangsbekenntnisses zu erinnern. Vorliegend geschah das durch das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 18.07.2022 (Bl.14 d.A), welches dem Angeschuldigten nachweislich am 25.07.2022 per PZU zuging. Hätte der Angeschuldigte das in jenem Schreiben erwähnte und abschriftlich noch einmal beigefügte Schreiben vom 11.05.2022 nicht erhalten, wäre zu erwarten gewesen, dass er in seiner Stellungnahme vom 28.07.2022 darauf eingeht. Auch das Fehlen eines Formulars zur Abgabe eines Empfangsbekenntnisses thematisierte er darin nicht, gab es aber auch nicht nachträglich ab.
37
Eine weitere Chance, sich zur Erfüllung seiner Pflicht zur Abgabe des Empfangsbekenntnisses zu äußern, hat der Angeschuldigte nach Zugang des Anhörschreibens der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.09.2022 (Bl. 23 d.A.) ebenfalls nicht genutzt. Das hätte indes nahegelegen, wenn er seinerzeit, nämlich noch in zeitlicher Nähe zum vorgeworfenen Verhalten, der Auffassung gewesen wäre, der Vorwurf sei unberechtigt.
38
Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat diesen äußeren Ablauf letztlich auch nicht in Frage gestellt, sondern darauf verwiesen, dass er sich nicht erinnern könne und nicht über eine Dokumentation verfüge, um die Abgabe des Empfangsbekenntnisses zu belegen.
39
IV.
40
Das Anwaltsgericht Hamm hat ‒ entgegen den Ausführungen des Angeschuldigten in der Berufungsschrift ‒ den Ablehnungsantrag in der Hauptverhandlung vom 15.11.2023 sehr wohl beschieden und mit der Begründung, es sei bereits nicht ersichtlich, gegen wen es gerichtet sei, als unzulässig verworfen. Ob diese Entscheidung zutrifft, wofür freilich einiges spricht, kann indes dahingestellt bleiben. Denn in Ermangelung einer Zurückweisungsmöglichkeit des Berufungsgerichts muss der Senat angesichts der erstinstanzlich getroffenen Sachentscheidung selbst in der Sache entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob der Richter der I. Instanz zu Recht abgelehnt worden war (vgl. Schmitt, in Meyer-Goßner, StPO, 67. Aufl., § 28 Rn. 9 i.V.m. § 328 Rn. 4).
41
V.
42
Das Verhalten des Rechtsanwalts erfüllt den Tatbestand einer Berufspflichtverletzung nach §§ 43 BRAO, 14 S. 1 BORA.
43
Gemäß § 14 S. 1 BORA hat der Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen u. a. von Gerichten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Dies ist bezüglich des Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft vom 11.05.2022 unterblieben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis tatsächlich erteilt hat und es auf dem gerichtsinternen Postweg verlustig gegangen ist, haben sich für den Senat nicht ergeben. Der Angeschuldigte konnte selbst schon nicht (sicher) sagen, oder Anhaltspunkte dafür benennen, dass er das Empfangsbekenntnis im konkreten Fall tatsächlich unterzeichnet und beim Amtsgericht Soest eingeworfen hat.
44
Die vom angeschuldigten Rechtsanwalt in den Raum gestellte (theoretische) Möglichkeit eines Verlustes auf dem gerichtsinternen Postweg schließt der Senat im Übrigen aus, weil die fehlende Reaktion des Rechtsanwalts auf die ausdrückliche Erinnerung in dem mehr als zwei Monate späteren Schreiben vom 18.07.2022 und auf das Anhörschreiben vom 21.09.2022 damit nicht in Einklang zu bringen ist. Wer weiß, dass er ein Empfangsbekenntnis bereits abgegeben hat und dennoch daran erinnert wird, muss davon ausgehen, dass es den Empfänger nicht erreicht hat. Entweder gibt ein sorgfältiger Rechtsanwalt es dann ‒ unter dem Datum des tatsächlichen Zugangs ‒ erneut ab oder verweist darauf, dass, wann und wie er es bereits abgegeben hat.
45
Der Angeschuldigte hat sich demnach nicht so verhalten, wie es von einem Rechtsanwalt zu erwarten gewesen wäre, der bemüht ist, seine berufsrechtliche Verpflichtung nach § 14 S. 1 BORA zu erfüllen.
46
Gemäß § 113 Abs. 1 BRAO ist die schuldhafte Pflichtverletzung zu ahnden, wofür grundsätzlich schon leichte Fahrlässigkeit genügt (vgl. Reelsen, in: Weyland, BRAO, 11. Aufl. 2024, § 113 Rn. 7). Eine solche ist ohne weiteres zu bejahen. Der Umstand, dass sowohl das Ursprungsschreiben als auch das Erinnerungsschreiben ohne Reaktion geblieben sind, schließt einmaliges Fehlverhalten aus und lässt mindestens den Schluss auf ein vom angeschuldigten Rechtsanwalt zu vertretendes Organisationsversagen innerhalb des Büros zu.
47
Insbesondere kann sich der angeschuldigte Rechtsanwalt von dem Vorwurf, eine berufsrechtlich gebotene aktive Handlung - unverzügliche Abgabe eines Empfangsbekenntnisses - schuldhaft unterlassen zu haben, nicht unter Hinweis auf seine fehlende Erinnerung oder die unterbliebene Dokumentation entlasten.
48
Bereits in dem Urteil des Senats vom 09.06.2023 (Az. 2 AGH 1/23) ging es um die Frage, ob der Vorwurf einer Berufspflichtverletzung, die in der unterbliebenen Rücksendung einer Gerichtsakte liegt, dadurch ausgeräumt werden kann, dass der Angeschuldigte sich an Details nicht erinnern kann und eine entsprechende Veranlassung behauptet, ohne konkrete Angaben in zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Umstände machen zu können oder Belege vorzulegen.
49
Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 01.06.2016 - Az. 1 StR 597/15) hat sich der Senat seinerzeit auf den Standpunkt gestellt, dass für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil ausschließende Gewissheit erforderlich ist. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, dass vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt.
50
Der Senat hat sich damals von der Erkenntnis leiten lassen, dass das von dem Angeschuldigten als wahrscheinlich beschriebene Verhalten, an welches er sich konkret nicht erinnern, es ihm jedoch auch nicht widerlegt werden könne, nicht plausibel erscheint, zumal einzelne Reaktionen des Angeschuldigten unplausibel vor dem Hintergrund der in den Raum gestellten Vorgehensweise erschienen.
51
Unter Zugrundelegung der Bewertung einer fehlenden Erinnerung in Kombination mit der Nennung einer möglichen Handhabung, die ein Verschulden des zur Erteilung eines Empfangsbekenntnis Verpflichteten entfallen ließe, jedoch ohne jegliche objektiven Anknüpfungstatsachen (Postausgangsbuch, Faxbericht, Kopie des ausgefüllten Empfangsbekenntnisses in der Akte etc.) kann das vorgeworfene Unterlassen mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit angenommen werden.
52
Die Behauptung, dass der Angeschuldigte die Rückgabe von Empfangsbekenntnissen über das Amtsgericht Soest auch an andere Gerichte früher einmal so gehandhabt haben will, steht dem nicht entgegen. Weder gibt er an, bis wann und wie oft er so vorgegangen sein will, noch erklärt er sich dazu, aus welchen Gründen und nach welcher Systematik er Empfangsbekenntnisse in anderer Weise (beispielsweise durch Telefax) erteilt. Das Empfangsbekenntnis zu dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.04.2022 hat er bspw. nicht über das Amtsgericht Soest zurückgesandt, sondern zusammen mit seinem Anschreiben vom 04.05.2022 mit der Post unmittelbar an die Generalstaatsanwaltschaft Hamm (Bl. 7 d.A.), was seiner Darstellung widerspricht.
53
Die Missachtung einer Handlungspflicht wäre nicht sanktionierbar, wenn der Pflichtige sich darauf beschränken könnte, die Vermutung zu äußern, er habe die Pflicht erfüllt, könne sich aber an Einzelheiten nicht mehr erinnern. Zumindest ist von ihm die Nennung oder Vorlage objektiver Anhaltspunkte zu fordern, die eine Pflichterfüllung naheliegend oder doch zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen (z.B. die Vorlage eines sorgsam geführten Postausgangsbuchs bzw. Kopie des Empfangsbekenntnisses für die Handakte oder Aussage eines Kanzleimitarbeiters zum konkreten Vorgang der Übersendung). Dabei ist sein gesamtes Verhalten zu berücksichtigen. Widersprüchliche Erklärungsansätze oder unter den Umständen ungewöhnliches Verhalten stellen die Glaubhaftigkeit der Schilderung infrage.
54
VI.
55
Die vom Anwaltsgericht verhängten Maßnahmen begegnen keinen Bedenken.
56
Gemäß § 113 Abs. 1 BRAO ist gegen einen Rechtsanwalt, der schuldhaft gegen Berufspflichten verstößt, eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zu verhängen.
57
Für die Zumessung der konkreten Maßnahme kommt es im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens darauf an, inwiefern das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes betroffen ist und damit das Ansehen der Anwaltschaft beschädigt wurde; entscheidend ist ferner, welche Maßnahme erforderlich ist, um den Anwalt künftig zur Wahrung seiner beruflichen Pflichten anzuhalten und Gefahren für das rechtssuchende Publikum und die Rechtspflege zu beseitigen; auch strafrechtlich zulässige Erschwerungs- und Milderungsgründe können berücksichtigt werden (Reelsen, in: Weyland § 114 Rn. 67).
58
Gegen den Angeschuldigten spricht, dass er auch noch in der Berufungsverhandlung keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigte, sondern die Verantwortlichkeit ausschließlich bei anderen sah. Bereitschaft zu einer Verhaltensänderung ließ er nicht erkennen.
59
Hinzu kommen seine mehrfachen berufsrechtlichen Vorbelastungen, zuletzt wenige Monate vor dem hier zu entscheidenden Vorfall, was der Senat nicht gänzlich außer Acht gelassen hat.
60
Durch sein Verhalten hat der Angeschuldigte ‒ was besonders schwer wiegt ‒ eine Kernpflicht der anwaltlichen Tätigkeit verletzt und dadurch das Vertrauen in die Stellung des Rechtsanwalts als Garant für eine reibungslose Abwicklung des gerichtlichen Verfahrens insgesamt in Frage gestellt und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft beschädigt. Die zu treffende anwaltsgerichtliche Maßnahme muss sich schließlich daran orientieren, wie betroffene Belange der Rechtspflege gewahrt werden können. Deren Funktionsfähigkeit hängt in erheblichem Maße von einer vertrauensvollen Kommunikation der Organe der Rechtspflege ab. Durch die Pflichtverletzung hat der angeschuldigte Rechtsanwalt gezeigt, dass er seine diesbezüglichen anwaltlichen Pflichten nicht verinnerlicht hat.
61
Auch wenn mit der Verhängung einer Geldbuße schwere Pflichtverletzungen geahndet werden sollen (vgl. Dittmann, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 114 Rn. 9) und dies erst recht für die Koppelung von Verweis und Geldbuße gelten muss, erscheint insgesamt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände die Verhängung beider Maßnahmen angemessen, wobei der Senat im Hinblick darauf, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt bis zuletzt keine Einsicht gezeigt hat, und unter Berücksichtigung seiner gesicherten wirtschaftlichen Verhältnisse die vom Anwaltsgericht verhängte Geldbuße von 1.500 € für angemessen und erforderlich, um dem Angeschuldigten eindringlich vor Augen zu führen, dass er sein Verhalten ändern muss.
62
VII.
63
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 2 BRAO.
64
Die Revision gegen das Urteil war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 145 Abs. 1 und Abs. 2 BRAO. Es war insbesondere nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichtverletzungen zu entscheiden, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.