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  • 12.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230193

    Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 13.04.2022 – 6 U 198/21

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



    Tenor:

    Die Berufung des Antragsgegners gegen das am 09. September 2021 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln ‒ 81 O 57/21 ‒ wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
     
    1

    G r ü n d e :
    2

    I.
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    Die Antragstellerin verlangt von dem Antragsgegner zu unterlassen, sich herabsetzend über sie gegenüber der Rechtsanwaltskammer L. zu äußern.
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    Die Antragstellerin war aufgrund eines Bürogemeinschaftsvertrages vom 03.10.2019 Mitglied der von dem Antragsgegner angeführten Bürogemeinschaft. Zwischen den Beteiligten gab es zunehmend Spannungen, für die der jeweils andere verantwortlich gemacht wird. Die Antragstellerin kündigte den Vertrag mit Wirkung zum 31.03.2021.
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    Streitgegenständlich ist ein Schreiben des Antragsgegners an die Rechtsanwaltskammer L. vom 08.04.2021, auf das Bezug genommen wird. Danach wollte sich der Antragsgegner gegenüber befürchteten standesrechtlichen Beanstandungen der Antragstellerin absichern. Hierbei bezeichnete der Antragsgegner die Antragstellerin ohne sie namentlich zu nennen als „paranoid veranlagte Kollegin“ und begründete sein Anliegen mit den „gezeigten paranoiden Verhaltensweisen der Kollegin".
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    Das Landgericht hat am 17.06.2021 eine Beschlussverfügung erlassen, mit der es dem Antragsgegner untersagt hat, die Antragstellerin bzw. ihr Verhalten wie in dem im Tenor der Beschlussverfügung eingeblendeten Schreiben an die Rechtsanwaltskammer vom 08.04.2021 geschehen als „paranoid veranlagt“  bzw. als „gezeigte paranoide Verhaltensweisen“ zu bezeichnen.
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    Mit Urteil vom 09.09.2021, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt. Es hat insbesondere ausgeführt, dass ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. § 823 Abs. 1 BGB vorliege. Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin und der Meinungsfreiheit des Antragsgegners falle vorliegend zu Lasten des Antragsgegners aus. Soweit von einer Tatsachenbehauptung auszugehen wäre, rechtfertige das vom Antragsgegner zur Begründung vorgebrachte Verhalten der Antragstellerin nicht die Einordnung als paranoid. Gehe man von einem durch die Meinungsfreiheit geschützten Werturteil aus, sei im Besonderen zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner die Antragstellerin ohne triftigen Grund als paranoid bezeichne. Es sei dem Antragsgegner nur darum gegangen, sie gegenüber der Rechtsanwaltskammer in ein schlechtes Licht zu rücken und sie als gestörte Person darzustellen. Ein Beitrag zur Meinungsbildung liege nicht vor. Die Äußerung sei für sein Anliegen unerheblich gewesen, sodass auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen vorliege. Auf ein Verfahrensprivileg könne er sich ebenso wenig stützen, weil kein Verfahren anhängig gewesen sei.
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    Auch ohne namentliche Benennung sei die Antragstellerin für die Rechtsanwaltskammer durch die Angaben und Bezugnahmen im Schreiben hinreichend erkennbar und identifizierbar gewesen.
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    Mit seiner Berufung wendet sich der Antragsgegner gegen seine Verurteilung.
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    Er rügt, dass der Tatbestand bereits nicht richtig erfasst worden sei. Der Satz:
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    „Ferner soll die Antragstellerin Absprachen mit den Mitgliedern missachtet haben, weil sie trotz ihrer Bitte einen Kollegen nicht unverzüglich zurückgerufen habe.“,
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    ergebe bereits logisch keinen Sinn und sei von keiner Partei so vorgetragen worden.
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    In der Sache handele es sich bei den beiden Aussagen um von der Meinungsfreiheit geschützte Werturteile, die auf nachweisbar wahren Tatsachen beruhten. Das Landgericht verkenne, dass er eine Einordnung als „paranoid“ nie getroffen habe, sondern lediglich davon gesprochen habe, dass das Verhalten der Antragstellerin den Schluss nahelege, dass sie paranoid veranlagt sei respektive sie paranoide Verhaltensweisen zeige. Es sei fraglich, auf welcher fachlichen Basis das Landgericht zu der Einschätzung habe gelangen können, die streitgegenständlichen Verhaltensweisen der Antragstellerin würden eine Einordnung als paranoid nicht rechtfertigen. Es handele sich um eine medizinisch-psychologische Frage, so dass eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens habe erfolgen müssen.
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    Die Meinungsäußerung sei jedenfalls zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. Er sei von der Antragstellerin fortwährend und ohne (Rechts-)Grund öffentlich bzw. gegenüber öffentlichen Stellen in ein schlechtes Licht gerückt worden. So habe die Antragstellerin erfolglos ein gerichtliches Verfahren gegen ihn angestrengt, um ihn zu verpflichten, den Internetauftritt auf seine Kosten hin an das Ausscheiden der Antragstellerin anzupassen. Außerdem habe sie ihn in einer an sämtliche Mitglieder der Bürogemeinschaft adressierten E-Mail vom 14.03.2021 wahrheitswidrig des Diebstahls bzw. der Unterschlagung ihrer Post bezichtigt. In einer E-Mail vom gleichen Tag habe sie ihn gegenüber der Rechtsanwaltskammer L. durch die Weiterleitung zur Kenntnisnahme einer Beleidigung bezichtigt. Im April 2021 habe sie sich bei der Rechtsanwaltskammer L. über die Gestaltung des Briefkopfes der Bürogemeinschaft beschwert und der Wahrheit zuwider behauptet, dass der Briefkopf Kolleginnen und Kollegen liste, mit denen keine Bürogemeinschaft mehr bestehe. Aufgrund dieses Verhaltens habe zu befürchten gestanden, dass die Antragstellerin auch in Zukunft bei jeder sich bietenden Gelegenheit rechtliche Schritte ihm gegenüber einleiten werde, was sich letztlich auch bewahrheitet habe.
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    Die streitgegenständlichen Äußerungen seien im Rahmen einer Eingabe an die Rechtsanwaltskammer erfolgt und damit entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts durch das Verfahrensprivileg gedeckt und die Zivilgerichte nicht zuständig.
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    Schließlich sei allein durch das in dem streitbefangenen Schreiben angegebene Datum des Ausscheidens aus der Bürogemeinschaft schon keine Identifizierung der Antragstellerin möglich.
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    Der Verfügungsgrund sei mit der Erklärung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 14.06.2021 entfallen, in dem er erklärt habe, dass „die Unterlassungserklärung wie von dem erkennenden Gericht angeregt, guten Gewissens und mit Gottes Segen abgegeben werden“ könne.
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    Der Antragsgegner beantragt,
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    unter Abänderung des am 09. September 2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln (Az.: 81 O 57/21) die einstweilige Verfügung vom 17. Juni 2021 aufzuheben und dem Widerspruch des Verfügungsbeklagten vollumfänglich stattzugeben.
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    Die Antragstellerin beantragt,
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                  die Berufung zurückzuweisen.
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    Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
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    II.
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    Die zulässige Berufung des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg.
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    1. Der Rechtsweg ist gem. § 17a Abs. 5 GVG von dem Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht mehr zu prüfen. In erster Instanz war nicht gerügt worden, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht eröffnet sei, obwohl dem Antragsgegner durch den Widerspruch und die Durchführung der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Rüge gegeben war (vgl. Lückemann in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. § 17a GVG Rn. 18 mwN). Der ordentliche Rechtsweg nach § 13 GVG wäre aber ohnehin eröffnet, weil es hier um die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem BGB bzw. UWG geht.
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    2. Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen zu verlangen. Es entspricht zwar gefestigter Rechtsprechung, dass ehrkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder ‒verteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, regelmäßig nicht mit gesonderten Ehrschutzklagen abgewehrt werden können (st. Rspr. seit BGH NJW 1965, 1803). Dies gilt auch für vergleichbare förmliche Verfahren (s. Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 136 mwN). Ob etwaiges Parteivorbringen wahr und die geschilderten Tatsachen entscheidungserheblich sind, soll allein im Ausgangsverfahren nach der dort geltenden Verfahrensordnung geprüft werden und soll nicht durch die Möglichkeit einer gesonderten Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem separaten Prozess unterlaufen werden (vgl. BGH GRUR 1987, 568, 569 ‒ Gegenangriff).
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    Vorliegend erfolgten die von der Antragstellerin gerügten Äußerungen im Rahmen einer Eingabe des Antragsgegners an die Rechtsanwaltskammer mit der Bitte um vorsorgliche Prüfung eines Briefkopfs seiner Bürogemeinschaft. Es gab demnach weder ein schwebendes förmliches Verfahren mit den Parteien als Beteiligten noch handelte es sich bei den streitbefangenen Äußerungen des Antragsgegners um Sachvortrag, dessen Überprüfung einem etwaigen Verfahren vor der Rechtsanwaltskammer vorzubehalten war. Ein Bedürfnis nach Privilegierung der im Rahmen der Eingabe an die Rechtsanwaltskammer getätigten Äußerungen ist nicht ersichtlich, weil weder die psychische Veranlagung der Antragstellerin, die an der Eingabe nicht beteiligt war, noch deren Verhalten gegenüber dem Antragsgegner für das Ergebnis der erbetenen Vorabprüfung des Briefkopfes relevant oder sonst von der Rechtsanwaltskammer zu bewerten waren.
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    3. Der vom Antragsgegner gerügte Satz im Tatbestand ist offensichtlich fehlerhaft iSd § 319 ZPO, weil der Kollege S. die Antragstellerin nicht zurückgerufen haben soll, nicht sie den Kollegen. Einer Berichtigung bedarf es jedoch nicht, weil die inhaltliche Richtigkeit des Satzes nicht entscheidungserheblich ist.
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    4. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund gem. §§ 935, 936, 920 Abs. 2, 924 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht.
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    a. Der Antragstellerin steht ein Anspruch entsprechend §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts iSd. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu. Mit der Aussage über die Antragstellerin greift der Antragsgegner in rechtswidriger Weise in deren grundrechtlich gewährleistetes und als sonstiges Recht im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Ebenso ist der Anspruch aus §§ 1004 Abs. a, 823 Abs. 2 BGB iVm § 185 StGB begründet.
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    aa. Dass die Bezeichnung einer bestimmten Person als „paranoid veranlagt“ und die Beschreibung ihres Verhaltens als „gezeigte paranoide Verhaltensweisen“ tatbestandlich einen Eingriff in ihre Ehre und ihren sozialen Geltungsanspruch und eine Beleidigung darstellt, wird vom Antragsgegner nicht ernsthaft in Abrede gestellt. Nach dem ICD-10-Code F60.0 (ICD ist ein weltweit anerkanntes System, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden) ist eine paranoide Persönlichkeitsstörung durch übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung, Nachtragen von Kränkungen, durch Misstrauen sowie eine Neigung, Erlebtes zu verdrehen, gekennzeichnet, indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich oder verächtlich missdeutet werden. Der Antragsgegner verteidigt sich insoweit damit, dass eine hinreichende Erkennbarkeit der Person der Antragstellerin nicht vorgelegen habe, weil sie nicht ausdrücklich benannt und ein Rückschluss allein aus den Angaben in seinem Schreiben nicht möglich gewesen sei.
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    Dazu hat das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt, dass durch seine Bezugnahme auf das Ausscheiden der „Kollegin“ am 31.03.2021, die die Antragstellerin mit E-Mail vom 25.02.2021 der Rechtsanwaltskammer bekanntgegeben hatte, eine Erkennbarkeit vorgelegen habe. Eine namentliche Nennung ist nicht erforderlich (vgl. Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 93). Darüber hinaus wird durch die ausdrückliche Benennung der Kollegen-/Innen C., T. und E. in dem Schreiben deutlich, dass diese nicht mit der als „paranoid veranlagten Kollegin“ gemeint sein können. Weiter ist durch die Bezugnahme auf ein Telefonat vom selben Tag und die offensichtlich bereits vorab erfolgte Mitteilung über das Verhalten der „paranoid veranlagten Kollegin“ hinreichend glaubhaft gemacht, dass dem Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer, mit dem offenbar vorab kommuniziert worden war, eine Zuordnung der Äußerung zur Antragstellerin ohne Weiteres möglich war. Ein Vollbeweis ist insoweit nicht erforderlich. Im Verfügungsverfahren genügt eine Glaubhaftmachung gem. §§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO.
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    bb. Der Eingriff stellt sich auch als rechtswidrig dar, weil die Interessen des Antragsgegners nicht die schutzwürdigen Belange der Antragstellerin überwiegen. Da es sich bei § 823 Abs. 1 BGB um einen offenen Tatbestand handelt, gilt hier nicht der Grundsatz, dass die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit indiziert. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 29. November 2016 ‒ VI ZR 382/15 ‒, Rn. 15, juris).
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    Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin findet vor allem ihre Schranke in der Meinungsfreiheit des Antragsgegners. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sind u.a. die Schwere des Eingriffs, insbesondere in welche Persönlichkeitssphäre eingegriffen wurde, ein etwaiges eigenes Verhalten der Verletzten, das dem Eingriff vorausgeht, das Motiv und der Zweck sowie die Art und Intensität des Eingriffs, zu berücksichtigen (vgl. Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 823 Rn. 96 ff. mwN).
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    aaa. Die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt Werturteile sowie Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie meinungsbezogen sind (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 ‒ 1 BvR 901/11 ‒, Rn. 19, juris). Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 ‒ 1 BvR 901/11 ‒, Rn. 18, juris). Diese Unterscheidung ist deshalb grundsätzlich geboten, weil der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG bei Meinungsäußerungen regelmäßig stärker ausgeprägt ist als bei Tatsachenbehauptungen (BGH, Urteil vom 05. Dezember 2006 ‒ VI ZR 45/05 ‒, Rn. 14, juris).
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    Werturteile genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nach Inhalt und Form (vgl. BVerfG NJW 2000, 2413). Unerheblich ist die Qualität der Äußerung, ob etwa geäußerte Gründe emotional oder rational sind und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten werden (Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 102 mwN). Auch abwertende Kritik darf, solange sie sachbezogen ist, scharf, schonungslos, ausfällig sein (Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 102 mwN). Enthält aber die Meinungsäußerung Tatsachenbestandteile, fällt deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit im Rahmen der Abwägung maßgeblich ins Gewicht (s. Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 102 mwN).
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    bbb. Indem der Antragsgegner die Antragstellerin als „paranoid veranlagte“ Kollegin beschreibt, die „paranoide Verhaltensweisen“ gezeigt habe, hat er aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums vom Wortlaut und Sinnzusammenhang ausgehend nicht die Behauptung aufgestellt, die Antragstellerin leide tatsächlich an einer psychischen Erkrankung, sondern diese besitze nach seiner Einschätzung eine Veranlagung, eine Paranoia auszubilden und habe bereits entsprechende Verhaltensweisen an den Tag gelegt. In diesen Äußerungen ist ein Tatsachenkern enthalten, weil die Veranlagung zur Paranoia wissenschaftlich überprüft werden kann. Es ging dem Antragsteller jedoch ersichtlich nicht darum, der Rechtsanwaltskammer eine Mitteilung über einen möglichen Krankheitszustand der Antragstellerin zu machen. Der Schwerpunkt der Äußerung liegt für das unvoreingenommene und verständige Publikum vielmehr in der Wertung, dass der Antragsgegner die Antragstellerin aufgrund ihres Vorverhaltens aus seiner Laiensicht für paranoid veranlagt hält. Die Äußerungen werden vorrangig durch die subjektive Beziehung des Antragsgegners zum Inhalt seiner Aussage charakterisiert. Das Element des Dafürhaltens und Wertens bildet danach trotz des Tatsachenkerns den Schwerpunkt der Äußerungen.
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    Soweit der Antragsgegner rügt, dass das Landgericht ‒ soweit es von einer Tatsachenbehauptung ausgegangen sei - ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens entschieden habe, die vom Antragsgegner vorgebrachten Vorfälle rechtfertigten keine Einordnung als paranoid veranlagt, versteht der Senat die Ausführungen des Landgericht dahingehend, dass eine solche Einordnung aus Sicht des Landgerichts nicht glaubhaft gemacht war. Eine Beweisaufnahme durch die vom Antragsgegner geforderte Einholung eines Sachverständigengutachtens war dem Landgericht im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO ohnehin verwehrt.
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    ccc. Die Meinungsfreiheit hat zwar im Grundsatz Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz, soweit eine Äußerung Bestandteil der für eine freiheitlich demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden ständigen geistigen Auseinandersetzung in Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung ist (Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 102). Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG, GRUR 2022, 335, 337 Rn. 31 mwN). Schutzwürdige Interessen Dritter treten umso mehr zurück, je weniger die Äußerung auf deren Beeinträchtigung, sondern auf einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abzielt (Sprau in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 823 Rn. 102).
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    Vorliegend ist zunächst zu berücksichtigen, dass die streitbefangenen Äußerungen nicht öffentlich, sondern nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt wurden. Mit dem Schreiben, in dem die Äußerungen enthalten waren, verfolgte der Antragsgegner die Bitte um eine Vorabprüfung des Briefkopfes seiner Bürogemeinschaft. Es ging weder um ein Thema von öffentlicher Bedeutung noch um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. In diesem Rahmen hat der Antragsgegner seine Meinung geäußert, die Antragstellerin sei paranoid veranlagt und zeige entsprechende Verhaltensweisen. Dabei handelt es sich allerdings - wegen des lediglich begrenzten oder internen Adressatenkreises ‒ nicht um einen nur geringfügigen Eingriff. Denn die Antragstellerin wurde nicht nur schlicht in ein negatives Licht gerückt. Der Antragsgegner hat auch nicht in einer aufgeheizten Situation lediglich seinen Frust zum Ausdruck gebracht. Er hat der Antragstellerin durch die besondere Art des Vorwurfs gerade ihre berufliche Eignung und damit ihr berufliches Ansehen gegenüber der für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Überwachung der Einhaltung des Berufsrechts durch die Berufsträger im Bezirk zuständigen Stelle abgesprochen. Dies stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Sozial- bzw. Berufssphäre der Antragstellerin dar, da anzunehmen ist, dass eine paranoid veranlagte Rechtsanwältin diese krankhaften Züge auch gegenüber Mandanten und Gerichte zu Tage treten lassen wird, weshalb aus Sicht der Antragsgegnerin die Gefahr bestand, dass die Rechtsanwaltskammer sich zu Überprüfungen oder sonstigen Maßnahmen ihr gegenüber veranlasst sehen könnte.
    41

    Das Vorverhalten der Antragstellerin mag, den Vortrag des Antragsgegners als wahr unterstellt, schwierig gewesen sein und zur Eskalation im Rahmen der Abwicklung der Bürogemeinschaft beigetragen haben. Eine Rechtfertigung oder Wahrnehmung berechtigter Interessen lässt sich damit hingegen nicht begründen. Die schwerwiegendste persönliche Beschuldigung hinsichtlich des „Diebstahls“ ihrer Post, die die Antragstellerin unberechtigterweise dem Antragsgegner gegenüber erhoben hatte, hatte sie bereits mit E-Mail vom 16.03.2021 zurückgenommen. Der Senat hat aber zur Kenntnis genommen und mitberücksichtigt, dass sie auf die Antwort des Antragsgegners „Geht doch!“ mit „…lassen Sie sich überraschen…“ geantwortet hat, was seitens des Antragsgegners als Ankündigung weiterer Streitigkeiten geklungen haben muss. Auf der anderen Seite ist in diesem Rahmen auch das Vorverhalten des Antragsgegners zu berücksichtigen, welches ebenfalls zur Eskalation beigetragen hat, indem er etwa die Antragsgegnerin weiterhin gegen ihren ausdrücklichen Willen duzte und in einer E-Mail vom 13.03.2021 diejenige Person, die die Adresse der gesamten Bürogemeinschaft umgemeldet hat, als „kollegiales Arschloch“ bzw. „akademischen Vollpfosten“ bezeichnete, in dem Wissen, dass die einzige, die dafür ernsthaft in Betracht kam, die Antragstellerin war, weil nur sie die Bürogemeinschaft zum 31.03.2021 verlassen wollte, weshalb eine Ummeldung durch sie im Laufe des Monats März nahelag.
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    Die Behauptung, dass „in demselben Zeitraum“ weitere Kollegen und Kolleginnen die Bürogemeinschaft verlassen hätten, auf die sich der Vorwurf ebenso bezogen haben könne, überzeugt nicht. Denn es ist bereits nicht vorgetragen worden, dass diese Kollegen und Kolleginnen deshalb auch im März 2021 eine Ummeldung vorgenommen haben, sodass der Vortrag des Antragsgegners insoweit nicht hinreichend substantiiert geschweige denn glaubhaft gemacht wäre.
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    Auch unter Berücksichtigung der weiteren vielfältigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien wie die Frage der Entfernung des Profils der Antragsgegnerin von der Internetseite, der Nichtzahlung der Rechnung des IT-Unternehmens, Differenzen bzgl. der Einhaltung von Absprachen zum Weihnachtsgeld und der Beteiligung an einem Geldbeitrag zum Geburtstag einer Mitarbeiterin, geht die Abwägung der beiderseitigen Interessen zu Lasten des Antragsgegners aus. Auch wenn sich der Antragsgegner unrechtmäßig verfolgt und belästigt fühlte, bestand keine sachbezogene Veranlassung, sich gegenüber dem Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit der Überprüfung des Briefkopfs in der abwertenden Weise über die Antragstellerin zu äußern. Das möglicherweise berechtigte Motiv seines Eingriffs, sich vor weiteren aus seiner Sicht aus der Luft gegriffenen Angriffen in Form von Verfahren und Eingaben schützen zu wollen, steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu der bei der Antragstellerin durch den Eingriff in ihre berufliche Sozialsphäre eingetretenen Beeinträchtigung, zumal die Abwertung der Person der Antragsgegnerin gegenüber der Rechtsanwaltskammer nicht einmal geeignet war, die Antragsgegnerin zukünftig an der Einleitung von aus Sicht des Antragsgegners unbegründeten oder willkürlichen Eingaben und Verfahren zu hindern.
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    Ob mangels Sachbezugs eine Schmähkritik vorliegt, bei der ohnehin auf die Interessenabwägung verzichtet werden kann, bedarf keiner Entscheidung.
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    cc. Die für den Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung tatsächlich vermutet (vgl. Herrler in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. § 1004 Rn. 32). Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht durch die im Schriftsatz vom 14.06.2021 die angekündigte Unterlassungserklärung entfallen. Eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung liegt bislang nicht vor.
    46

    dd. Ob der Unterlassungsanspruch daneben auf Normen des UWG gestützt werden könnte, kann dahingestellt bleiben.
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    b. Der Verfügungsgrund nach §§ 935, 940 ZPO ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Der Verfügungsgrund besteht in der (objektiv begründeten) Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 935 ZPO, Rn. 10). Der Gläubiger hat in der Regel die Besorgnis darzulegen und die dazu behaupteten Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 935 ZPO, Rn. 11). Die Antragstellerin hat am 26.04.2021 Kenntnis von dem Schreiben erlangt und nach erfolgloser Abmahnung des Antragsgegners unter dem 27.05.2021 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht. Das zeitnahe gerichtliche Vorgehen zeigt, dass es ihr mit der Unterbindung der Äußerungen eilig war. In der Sache bestand die berechtigte Besorgnis der Antragstellerin, dass ohne die zeitnahe Unterbindung der ehrverletzenden Äußerungen insbesondere ihr berufliches Ansehen erheblichen Schaden nehmen könnte.
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    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gem. § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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    Streitwert: 4.000 €

    RechtsgebietStrafrechtVorschriften§ 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1 BGB, § 185 StGB