26.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217563
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 14.05.2020 – 2 Sa 382/19
Familienfeiern anlässlich eines runden Geburtstages eines Elternteils (80. Geburtstag des Vaters) zählen nicht zu den "dringenden persönlichen Gründen", die nach § 40 Abs. 4 Satz 1 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der bis zum 30. September 2019 geltenden Fassung einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung begründen.
In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte/r: Deutsche Orchestervereinigung
gegen
Land Rheinland-Pfalz
- beklagtes und berufungsbeklagtes Land -
Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwalt D., D-Straße, D-Stadt
hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2020 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Hambach als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Keßler und den ehrenamtlichen Richter Preiß als Beisitzer für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 08.05.2019 - 1 Ca 1348/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung von Aushilfskosten.
Die Klägerin ist seit dem 01. April 2002 beim beklagten Land als Musikerin im Philharmonischen Staatsorchester A-Stadt beschäftigt. Sie ist dort als Geigerin in den 1. Violinen Tutti tätig. Seit dem 01. Oktober 2002 ist sie Mitglied der Deutschen Orchestervereinigung e.V.. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung und kraft individualvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (im Folgenden: TVK) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. § 40 TVK in der bis zum 30. September 2019 geltenden Fassung enthält in § 40 u.a. folgende Regelungen:
Die wöchentliche Arbeitszeit eines Orchestermusikers wird in Diensten bemessen, die sich in Proben und Aufführungen unterteilen. Je nach Werk kann die Besetzung variieren. Insbesondere in größeren Instrumentengruppen wie den 1. Violinen kann es somit sein, dass nicht alle eingeteilt sind. Dies ermöglicht es unter den Kollegen, die Dienste zu tauschen. Die Diensteinteilung wird zumeist durch einen Diensteinteiler der jeweiligen Instrumentengruppe vorgenommen. Wenn also Orchestermusiker einen individuellen Freiwunsch haben, wird das zunächst mit dem Diensteinteiler der Gruppe besprochen und so möglichst ein Diensttausch mit den Kollegen arrangiert. In manchen Fällen kann eine Befreiung nach individuellen Wünschen auch dann erzielt werden, wenn sich zwar kein Diensttausch regeln lässt, aber der Musiker als seine Vertretung eine private Aushilfe organisiert. Dies läuft üblicherweise so ab, dass die Aushilfe über einen Pool vom Theater bestellt und sodann dem Musiker in Rechnung gestellt wird.
Im November 2017 wurde die Klägerin von ihrem Vater, geb. 00.00.1900, zur Feier seines 80. Geburtstages am 07. Januar 2018 eingeladen. Per E-Mail vom 20. November 2017 fragte die Klägerin beim Diensteinteiler der Gruppe der 1. Violinen unter Verweis auf den 80. Geburtstag ihres Vaters am 07. Januar 2018 nach, ob sie für das Neujahrskonzert an diesem Tag nicht eingeteilt werden könnte, was ihr vom Diensteinteiler zunächst auch für die Woche vom 03. bis 07. Januar 2018 bestätigt wurde. Anfang Dezember 2017 gab der Diensteinteiler der Klägerin sodann telefonisch bekannt, dass sich die Besetzung der 1. Violinen von zehn auf zwölf geändert habe, so dass eine Freistellung nur möglich sei, wenn sie eine Aushilfe für ihre Vertretung bestellen würde. Daraufhin stellte die Klägerin einen Antrag auf Arbeitsbefreiung vom 15. Dezember 2017 (Bl. 14 d. A.) für die Zeit vom 06. bis 07. Januar 2018 aufgrund des 80. Geburtstages ihres Vaters am 07. Januar 2018 und kreuzte in dem von ihr verwandten Formular sowohl "außertarifliche Arbeitsbefreiung" als auch "Arbeitsbefreiung nach § 40 TVK" an. Weiterhin kreuzte sie an, dass eine Privataushilfe gestellt werde für die nachfolgend aufgeführten fünf Proben in der Zeit vom 03. bis 06. Januar 2018 und die Vorstellung (Neujahrskonzert) am 07. Januar 2018. Mit arbeitgeberseitigem Schreiben vom 18. Dezember 2017 (Bl. 15 d. A.) wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr außertarifliche Arbeitsbefreiung für das Neujahrskonzert bei Stellung einer privaten Aushilfe gewähren werden könne, während der Antrag auf Arbeitsbefreiung nach § 40 Abs. 4 TVK abgelehnt werde, weil der runde Geburtstag des Vaters nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift falle. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 (Bl. 16 d. A.) legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 15. Dezember 2017 ein und teilte mit, dass sie zur reibungslosen Durchführung ihrer Freistellung am 07. Januar 2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und mit dem Vorbehalt einer späteren rechtlichen Überprüfung die Aushilfskosten tragen werde.
Gemäß dem Dienstplan (Bl. 17 d. A.) wurden für das Neujahrskonzert am 07. Januar 2018 fünf Proben angesetzt, und zwar die Orchesteralleinprobe (OA) am 03. Januar, zwei Orchesteralleinproben am 04. Januar, eine Hauptprobe (HP) am 05. Januar und eine Generalprobe (GP) am 06. Januar 2018. Für die fünf Proben und die Aufführung in der Zeit vom 03. bis 07. Januar 2018 wurde als Aushilfe Frau S. organisiert. Unter dem 19. Februar 2018 wurden der Klägerin unter dem Betreff "Kostenersatz wegen außertariflicher Arbeitsbefreiung" die Kosten der in der Zeit vom 03. bis 07. Januar 2018 angefallenen Aushilfstätigkeit in Höhe eines Gesamtbetrags von 161,51 EUR in Rechnung gestellt (Bl. 18 d. A.), der von ihr bezahlt wurde.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin das beklagte Land auf Rückzahlung der Aushilfskosten in Höhe von 161,51 EUR nach § 812 Abs. 1 BGB mit der Begründung in Anspruch, dass die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt sei, weil sie einen Anspruch auf Freistellung nach § 40 Abs. 4 TVK habe und daher nicht verpflichtet sei, die Aushilfskosten zu tragen.
Hinsichtlich des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 08. Mai 2019 - 1 Ca 1348/18 - verwiesen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
Das beklagte Land hat beantragt,
Mit Urteil vom 08. Mai 2019 - 1 Ca 1348/18 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.
Gegen das ihr am 24. September 2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 22. November 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.
Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die tarifvertraglichen Voraussetzungen für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Freistellung erfüllt. Maßgeblich sei allein die Rechtsfrage, ob der ihrem Antrag auf Freistellung nach § 40 Abs. 4 TVK zugrunde liegende Lebenssachverhalt als durch § 40 Abs. 4 TVK erfasst gelten müsse. Der Antragsteller eines Antrags nach § 40 Abs. 4 TVK habe einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Der mit "zum Beispiel" eingeleitete Klammerzusatz in § 40 Abs. 4 TVK zwinge den Arbeitgeber zu prüfen, ob der ihm zur Entscheidung angetragene Sachverhalt geeignet sei, Merkmale aufzuweisen, die zu einer Gewährung des Antrags führten. Bei der Prüfung und Entscheidungsfindung seien die Besonderheiten des Berufsbilds der Orchestermusikerinnen und -musiker zu berücksichtigen, weil den Tarifvertragsparteien bewusst gewesen sei, dass sie mit dem TVK ein Tarifregelwerk speziell für die Belange dieses Berufsbildes aufsetzten. Die wesensprägende Besonderheit dieses Berufsbilds sei die Arbeitszeit nach Diensten und nicht nach Stunden. Unmittelbare Konsequenz des Arbeitszeitregimes nach Diensten sei die höchst problematische Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem. Überspitzt formuliert hätten die Orchestermusikerinnen und -musiker immer dann zu arbeiten, wenn alle anderen längst im Feierabend seien. Dies werde insbesondere dadurch illustriert, dass gerade die Samstage und Sonntage die Wochentage mit arbeitsmäßiger Schwerpunktbelastung seien, Aufführungen bzw. Konzerte meist in den Abendstunden stattfänden und die Erreichbarkeitsverpflichtung (§ 10 TVK) sie einer hohen persönlichen Unplanbarkeit im Vergleich zu anderen Berufsbildern aussetze. Die Heranziehung dieser Umstände bei der Auslegung von § 40 Abs. 4 TVK stelle keine unzulässige Lückenschließung dar. § 40 Abs. 4 TVK enthalte die nicht abschließende Aufzählung von Ereignissen, die "zum Beispiel" zur Gewährung einer Freistellung führten, während dies bei den Absätzen 1, 2 und 3 gerade nicht der Fall sei. Eben diese Unterscheidung habe einen regelungshistorischen Hintergrund. Die Tarifvertragsparteien hätten im Zuge der Novellierung des TVK vor der Frage gestanden, wie sie sachgerecht mit der im BAT seither gestrichenen Regelung zum sog. Ortszuschlag umgehen sollten. Als Kompensation für den Wegfall des Ortszuschlags - insbesondere von dessen Stufe 1 und 2 - habe die Deutsche Orchestervereinigung in den Tarifvertragsverhandlungen ausweislich der vorgelegten Protokolle ursprünglich drei freie Tage gefordert. Dieser Vorschlag habe sich im Ergebnis als zwischen den Tarifvertragsparteien nicht konsensfähig erwiesen. Schließlich habe sich die Deutsche Orchestervereinigung aber jedenfalls mit dem Aspekt der Regelmäßigkeit durchsetzen können: der Ortszuschlag sei im weiteren Sinne Vergütungsbestandteil gewesen und monatlich gezahlt worden. Dieser Gedanke der Schaffung einer Tarifnorm als Kompensation für einen regelmäßigen finanziellen Anspruch habe zum heutigen Wortlaut von § 40 Abs. 4 TVK geführt, indem es dort "in jeder Spielzeit" heiße. Hätte man nur einen Anspruch für einmalige Ereignisse schaffen wollen, wäre das Attribut "in jeder Spielzeit" widersinnig verwendet worden.
Vor diesem Hintergrund erweise sich die Einlassung des beklagten Landes, die Einbeziehung aller Geburtstage in den Anwendungsbereich von § 40 Abs. 4 TVK würde im Ergebnis bedeuten, dass jedem Musiker in jeder Spielzeit ein zusätzlicher freier Tag zu gewähren wäre, als zutreffend in dem Sinne, dass genau dies Zweck der Regelung gewesen sei. Dem Berufsbild der Orchestermusikerinnen und -musiker sei der individuelle Urlaubsanspruch in dem Sinne fremd, als ihr Erholungsurlaub aufgrund tariflicher Vorgabe als sozusagen teilkollektiviert gelte: jede Spielpause lege automatisch einen Großteil der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs fest. Wie das Arbeitsgericht zu Recht hervorhebe, sei den Orchestermusikerinnen und -musikern hierdurch die Teilnahme an besonderen Feierlichkeiten im familiären und persönlichen Umfeld oftmals verwehrt. Vor diesem Hintergrund sei der Regelung in § 40 Abs. 4 TVK zu ihrer vollen Wirksamkeit zu verhelfen, um wenigstens über diese Stellschraube eine punktuell bessere Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem zu ermöglichen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gehe es in diesem Zusammenhang nicht um eine rechtswidrige Beschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie, sondern darum, das Auslegungspotential von Tarifnormen sorgfältig auszuloten.
Die Klägerin beantragt,
Das beklagte Land beantragt,
Das beklagte Land erwidert, die Berufung sei bereits aufgrund der fehlenden Berufungsanträge in der Berufungsbegründungsschrift unzulässig. Unabhängig davon verteidige es das Urteil des Arbeitsgerichts. Die von der Klägerin vorgelegten Protokolle zeigten, dass entgegen den Ausführungen der Klägerin in den Tarifverhandlungen nicht abgesprochen und kommuniziert worden sei, dass § 40 Abs. 4 TVK auch Geburtstage erfassen solle, was schlicht unwahr sei. Gemäß dem vorgelegten Protokoll der Tarifverhandlung vom 24. August 2006 habe der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, Herr M., den zitierten Vorschlag gemacht, wonach zu den dringenden persönlichen Gründen "beispielsweise Kommunion, Konfirmation, Firmung und sonstige weltanschauliche Feiern, Einschulungen, Schulentlassungen, Eheschließungen, Silberhochzeit und Umzug" gehören sollten. Hieraus seien dann noch Firmung und sonstige weltanschauliche Feiern, Einschulungen, Schulentlassungen und Silberhochzeit "gestrichen" worden. Der Klägerin sei sehr wohl ermöglicht worden, am 80. Geburtstag ihres Vaters teilzunehmen. Sie habe jedoch die Aushilfe bezahlen müssen. So werde im Übrigen in fast allen deutschen Berufsorchestern verfahren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. a ArbGG statthaft, weil sie im Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist. Die Berufung ist auch sonst zulässig, insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).
Unschädlich ist, dass die fristgerecht eingegangene Berufungsbegründung keinen förmlichen Berufungsantrag enthält. Die für die Berufungsbegründung vorgeschriebene Erklärung des Berufungsklägers, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen beantragt werden (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO), muss nicht notwendig in einem förmlichen, vom übrigen Inhalt der Begründung abgesetzten, bestimmt gefassten Antrag niedergelegt werden, sondern es genügt, dass der innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereichte Schriftsatz des Berufungsklägers seinem Inhalt nach deutlich erkennen lässt, in welchem Umfang das Urteil angefochten wird (BGH 13. Mai 1998 - VIII ZB 9/98 - NJW-RR 1999, 211). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht, weil sich hieraus eindeutig ergibt, dass die Klägerin das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts insgesamt angefochten hat und ihren erstinstanzlich gestellten Sachantrag weiterverfolgt.
II. Die Berufung der Klägerin hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der von ihr zum Zwecke einer außertariflichen Arbeitsbefreiung geleisteten Aushilfskosten in Höhe von 161,51 EUR nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Der von ihr geltend gemachte Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung nach § 40 Abs. 4 S. 1 TVK anlässlich des 80. Geburtstages ihres Vaters hat nicht bestanden. Die von der Klägerin geleistete Zahlung aufgrund der von ihr gleichzeitig beantragten und absprachegemäß gewährten außertariflichen Arbeitsbefreiung gegen Stellung einer Privataushilfe auf ihre Kosten ist mithin nicht ohne Rechtsgrund erfolgt.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, sind die tarifvertraglichen Voraussetzungen für den von der Klägerin reklamierten Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 40 Abs. 4 S. 1 TVK nicht erfüllt. Die Familienfeier anlässlich des 80. Geburtstags des Vaters der Klägerin fällt nicht unter die Vorschrift. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung.
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung (BAG 19. Februar 2020 - 5 AZR 179/18 - Rn. 16, juris; BAG 12. Dezember 2018 - 4 AZR 147/17 - Rn. 35, juris).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung in § 40 Abs. 4 S. 1 TVK, dass Feierlichkeiten anlässlich eines runden Geburtstags eines Elternteils - wie hier des 80. Geburtstages des Vaters der Klägerin - nicht zu den "dringenden persönlichen Gründen" zählen, die einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung begründen.
Ausgehend vom Wortlaut der tariflichen Regelung haben die Tarifvertragsparteien im Klammerzusatz mit den aufgeführten Beispielfällen verdeutlicht, was sie unter "dringenden persönlichen Gründen" verstehen, nämlich "z. B. Eheschließung und Umzug aus persönlichen Gründen, Kommunion oder Konfirmation des eigenen Kindes, Todesfälle eines engen Angehörigen und ähnliche persönliche Anlässe". Während die ersten beiden Beispiele den Arbeitnehmer selbst betreffen, sind die ebenfalls von den Tarifvertragsparteien einbezogenen familiären Ereignisse in den weiteren Beispielen auf besonders herausragende, einmalige familiäre Ereignisse beschränkt. Das spricht gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts dafür, dass reine Familienfeiern wie Geburtstage nicht als "ähnliche persönliche Anlässe" anzusehen sind. Aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen ergibt sich, dass § 40 Abs. 4 S. 1 TVK jedenfalls keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit über die von der gesetzlichen Regelung in § 616 Abs. 1 BGB erfassten Fälle hinaus begründet. § 616 Abs. 1 BGB enthält dispositives, durch Einzel- oder Tarifvertrag abdingbares Recht. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 40 Abs. 1 TVK Gebrauch gemacht und darin festgelegt, dass als Fälle nach § 616 BGB, in denen der Musiker unter Fortzahlung der Vergütung und der in Monatsbeiträgen festgelegten Zulagen von der Arbeit freigestellt wird, nur die nachfolgend aufgeführten Anlässe gelten. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 40 Abs. 4 S. 1 TVK für weitere Fälle aus "dringenden persönlichen Gründen" einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung festgelegt haben, handelt es sich bei den hierzu aufgeführten Beispielsfällen um weitere Fälle, die im Rahmen des § 616 Abs. 1 BGB grundsätzlich anerkannt sind. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich mithin, dass jedenfalls diejenigen familiären Ereignisse, die nicht unter § 616 Abs. 1 BGB fallen, nicht als "ähnliche persönliche Anlässe" im Sinne der tariflichen Regelung angesehen werden können. Im Bereich der familiären Vorkommnisse, für die eine Fortzahlung der Vergütung gemäß § 616 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wird danach unterschieden, ob es sich um besondere Familienereignisse wie Todesfälle, Begräbnis, Krankheit, Geburt, eigene Hochzeit u.s.w. oder aber um Familienfeiern handelt. Nur die ersteren Angelegenheiten sollen in der Regel unter § 616 Abs. 1 BGB fallen, während die Familienfeiern grundsätzlich der privaten Lebensführung zugerechnet werden, für die dem Arbeitgeber eine Gehaltsfortzahlung nicht aufzubürden ist (vgl. BAG 25. Oktober 1973 - 5 AZR 156/73 - Rn. 12, NJW 1974, 663). Danach muss es sich bei den Familienereignissen stets um ein besonders herausragendes, im Grundsatz einmaliges Ereignis handeln, wie dies bei den genannten Beispielsfällen der Kommunion oder Konfirmation des eigenen Kindes und beim Todesfall eines engen Angehörigen der Fall ist, nicht aber bei Feierlichkeiten anlässlich eines runden Geburtstages, die der privaten Lebensführung zuzuordnen sind (vgl. Münchener Kommentar zum BGB 8. Aufl. § 616 Rn. 43; BeckOK Arbeitsrecht 55. Edition § 616 BGB Rn. 23; beck-online Großkommentar BGB Stand: 01. Februar 2020 § 616 Rn. 23).
Falls die Tarifvertragsparteien über die in der Regel unter § 616 Abs. 1 BGB fallenden Ereignisse hinaus auch Familienfeiern wie die Feierlichkeiten anlässlich eines runden Geburtstages mit hätten einbeziehen wollen, hätten sie sicherlich einen entsprechenden Beispielsfall mit aufgenommen. Die tatsächlich aufgenommenen Beispielsfälle, die nicht über die von § 616 Abs. 1 BGB umfassten Fälle hinausgehen, stehen der Annahme der Klägerin entgegen, dass nach dem Zweck der Regelung letztlich jedem Musiker in jeder Spielzeit ein zusätzlicher freier Tag gewährt werden sollte. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Formulierung "in jeder Spielzeit" nicht in diesem Sinne, sondern vielmehr anspruchsbeschränkend zu verstehen. Mit der Formulierung "in jeder Spielzeit" wird der Anspruch dahingehend eingeschränkt, dass bei mehreren persönlichen Anlässen im Sinne der Tarifregelung der Anspruch auf bezahlte Freistellung nur einmal in jeder Spielzeit und damit nicht mehrfach in einer Spielzeit ausgelöst werden kann.
Unabhängig von der Frage, inwieweit die von der Klägerin angeführten Tarifverhandlungen in Anbetracht des Tarifwortlauts überhaupt ein anderweitiges Auslegungsergebnis rechtfertigen können, spricht deren Ergebnis nicht für, sondern vielmehr gegen eine weite Auslegung der Tarifnorm in dem Sinne, dass aufgrund der Vielzahl der erfassten Fälle letztlich jedem Musiker in jeder Spielzeit ein zusätzlicher freier Tag zu gewähren wäre. Ausweislich des von der Klägerin selbst vorgelegten Protokolls der Tarifverhandlungen vom 24. August 2006 hat die Deutsche Orchestervereinigung einen Formulierungsvorschlag unterbreitet, nach dem zu den dringenden persönlichen Gründen "beispielsweise Kommunion, Konfirmation, Firmung und sonstige weltanschauliche Feiern, Einschulungen, Schulentlassungen, Eheschließungen, Silberhochzeit und Umzug" gehören sollen. Aus diesem Formulierungsvorschlag, der ebenfalls keine Familienfeiern anlässlich eines (runden) Geburtstages aufführt, sind sogar noch die Beispielsfälle "Firmung und sonstige weltanschauliche Feiern, Einschulungen, Schulentlassungen und Silberhochzeit" herausgenommen worden. Auch wenn die Deutsche Orchestervereinigung als Kompensation für den Wegfall des Ortszuschlags weitergehende Forderungen gestellt haben mag, ändert dies nichts daran, dass sie sich in diesem Punkt letztendlich nicht durchsetzen konnte. Auch der Umstand, dass die Arbeitszeit der Orchestermusikerinnen und -musiker nach Diensten bemessen wird, die zu Zeiten anfallen, zu denen andere Arbeitnehmer regelmäßig frei haben, führt nicht etwa dazu, dass die Tarifregelung zur besseren Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem extensiv entgegen dem Tarifwortlaut dahingehend ausgelegt werden kann, dass im Ergebnis jedem Musiker in jeder Spielzeit ein zusätzlicher freier Tag zu gewähren ist.
3. Nach § 40 Abs. 4 S. 3 TVK kann der Arbeitgeber darüber hinaus in sonstigen dringenden Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung bis zu drei Tagen gewähren. Im Übrigen kann nach § 40 Abs. 4 S. 4 TVK in begründeten Fällen bei Verzicht auf die Vergütung kurzfristige Arbeitsbefreiung gewährt werden, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass der vorliegende Fall zu den "sonstigen dringenden Fällen" gehören kann, war das beklagte Land jedenfalls nicht aufgrund einer "Ermessensreduzierung auf Null" zur Gewährung einer bezahlten Arbeitsbefreiung nach § 40 Abs. 4 S. 3 TVK verpflichtet. Im Streitfall ist es nicht zu beanstanden, dass das beklagte Land eine bezahlte Freistellung abgelehnt und der Klägerin eine Teilnahme an der Feier des 80. Geburtstages ihres Vaters nur gegen Stellung einer Aushilfe auf ihre Kosten ermöglicht hat, zumal nach der geänderten Besetzung der 1. Violinen von zehn auf zwölf ohne die gestellte Aushilfe die Dienste der Klägerin auch benötigt worden wären.
Nach Auffassung der Kammer schließt die tarifvertragliche Regelung eine solche "außertarifliche Arbeitsbefreiung" bei Stellung einer Privataushilfe gemäß der in der Klageschrift geschilderten Praxis auf der Grundlage einer entsprechenden Absprache der Parteien nicht aus, wenn wie hier kein tarifvertraglicher Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung besteht. Das beklagte Land war mangels Anspruchs der Klägerin auf bezahlte Freistellung nicht verpflichtet, als Ersatz für die benötigten Dienste selbst eine anderweitige Aushilfe für das Neujahrskonzert auf eigene Rechnung zu organisieren, um der Klägerin eine Teilnahme an der Feier zu ermöglichen.
Eine Arbeitsbefreiung unter Verzicht auf die Vergütung hat die Klägerin nicht geltend gemacht, so dass dahingestellt bleiben kann, ob ihr ggf. bei einem erklärten Verzicht auf die Vergütung kurzfristige Arbeitsbefreiung zur Teilnahme an der Feier des 80. Geburtstags ihres Vaters hätte gewährt werden können und müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Keßler
Preiß
Verkündet am: 14.05.2020