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  • 10.11.2016 · IWW-Abrufnummer 189802

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 05.10.2016 – VII ZB 45/14

    ZPO § 522 Abs. 1 Satz 1

    Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht eingelegt ist. Dazu kann es gehören, dass das Berufungsgericht ermittelt, ob die gewählte Telefaxnummer dem Berufungsgericht zugeordnet ist. Des Weiteren kann bei Bestehen einer gemeinsamen Briefannahmestelle zu ermitteln sein, ob der gewählte Telefaxanschluss aufgrund einer Geschäftsordnungsregelung Teil einer gemeinsamen Posteingangsstelle ist.


    Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, die Richter Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterinnen Graßnack und Borris
    beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 25. August 2014 aufgehoben.

    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

    Gegenstandswert: 1.884,61 €



    Gründe



    I.

    1


    Die Beklagte wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist.


    2


    Das Urteil, mit dem die Beklagte zur Zahlung von Vergütung für Reparaturarbeiten an einem Heizkessel und Beseitigung einer Verstopfung einer Abwasseranlage in Höhe von 1.884,62 € verurteilt worden ist, ist der Beklagten am 24. April 2014 zugestellt worden. Die auf den 23. Mai 2014 datierte Berufungsschrift ist am 30. Mai 2014 beim Berufungsgericht, dem Landgericht P., eingegangen. Auf dem Schriftsatz ist "vorab per Fax: 2017-1009" vermerkt.


    3


    Mit Verfügung vom 4. Juni 2014 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts der Beklagten mitgeteilt, dass bei der Poststelle des Landgerichts weder am 23. Mai noch am 24. Mai 2014 ein Faxeingang vermerkt und die Berufung aufgrund Fristablaufs unzulässig sei. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mitgeteilt, dass die Berufungsschrift rechtzeitig vorab an das Berufungsgericht unter der Telefaxnummer 2017-1009 gefaxt worden sei und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt werde. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2014, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat er die Ausführungen ergänzt.


    4


    Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte Folgendes ausgeführt und hierzu eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten T. vorgelegt: Die Berufungsschrift sei durch die Mitarbeiterin T. am 23. Mai 2014 gefertigt, vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet und von der Mitarbeiterin T. an die Faxnummer des Landgerichts P. 2017-1009 gefaxt worden. Der Sendebericht zeige die Übertragung von zwei Seiten sowie die Mitteilung, dass das Fax ordnungsgemäß übertragen worden sei.


    5


    Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Beklagte mache eine Übersendung des Berufungsschriftsatzes per Fax am 23. Mai 2014 zwar glaubhaft. Allerdings sei die Faxnummer, an die das Fax ausweislich des Faxprotokolls abgeschickt worden sei, nicht diejenige des Landgerichts P., sondern des Amtsgerichts P. Für den rechtzeitigen Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes komme es darauf an, wann das zuständige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Schriftstück erhalte. Gebe es eine gemeinsame Posteingangsstelle zweier Gerichte, so sei der Schriftsatz dort mit Einreichung bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert sei. Gebe es jedoch getrennte Faxnummern, so erlange nur das Gericht, zu welchem die Faxnummer gehöre, die Verfügungsgewalt. So liege es im Streitfall. Dass an diesem fehlerhaften Ablauf die Beklagte bzw. deren Prozessbevollmächtigte kein Verschulden treffe, lasse sich nicht feststellen. Die Beklagte habe ohnehin im Rahmen ihres Wiedereinsetzungsantrags nichts dazu vorgetragen, warum sie die Faxnummer des Amtsgerichts verwendet habe.


    6


    Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde. Im Rechtsbeschwerdeverfahren führt sie aus, auf der Internetseite "Dienstleistungsportal der Landesverwaltung Brandenburg" sei unter service.brandenburg.de ausdrücklich als Telefaxnummer des Landgerichts P. auch die Nummer mit der Endung -1009 vermerkt gewesen. Auch das Gerichtsverzeichnis des Justizportals des Bundes und der Länder habe die Telefaxnummer -1009 als Faxnummer des Landgerichts P. ausgewiesen. Diese Umstände sprächen dafür, dass Sendungen an die Faxnummer -1009 auch in die Verfügungsgewalt des Landgerichts P. gelangten. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob es eine gemeinsame Verfügung der Leiter des Landgerichts und des Amtsgerichts gegeben habe, worin geregelt sei, dass die Telefaxanschlüsse eines Gerichts zugleich als Anschluss des anderen Gerichts gälten.




    II.

    7


    Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.


    8


    1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1 , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert ( § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten wegen Verfristung als unzulässig verworfen, ohne zuvor die hierzu gebotenen Feststellungen zu treffen. Das verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG NJW-RR 2008, 446 f., [BVerfG 09.10.2007 - 1 BvR 1784/05] [...] Rn. 8 ff.; BGH, Beschluss vom 10. März 2011 - VII ZB 28/10 , NJW-RR 2011, 790 Rn. 3).


    9


    2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.


    10


    a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks allein darauf an, wann es in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt ist.


    11


    Wird bei Übersendung mittels Telefax eine andere Empfängernummer als die des angeschriebenen Gerichts verwendet, bleibt entscheidend, wann der Schriftsatz nach Weiterleitung durch das zunächst angewählte Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt.


    12


    Wird ein Schriftstück allerdings bei einer gemeinsamen Eingangsstelle mehrerer Gerichte eingereicht, so gilt es mit der Einreichung bei dem Gericht eingegangen, an das es adressiert ist. Nur dieses Gericht erlangt die tatsächliche Verfügungsgewalt ( BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 382/15 , MDR 2016, 1038 Rn. 11; Beschluss vom 23. April 2013 - VI ZB 27/12 , NJW-RR 2013, 830 Rn. 12; Beschluss vom 23. Mai 2012 - IV ZB 2/12 , NJW-RR 2012, 1461 Rn. 9).


    13


    b) Das Berufungsgericht durfte die Berufung mit der gegebenen Begründung nicht als unzulässig verwerfen. Es hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht eingelegt ist, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO .


    14


    Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Telefaxnummer mit der Endung -1009 ausschließlich dem Amtsgericht P. zugeordnet sei. Mangels Begründung kann nicht nachvollzogen werden, warum das Gericht feststellt, bei diesem Anschluss handele es sich nicht um ein Empfangsgerät des Landgerichts.


    15


    Das Berufungsgericht prüft nicht, ob mit Eingang des korrekt an das Landgericht adressierten Schriftsatzes per Telefax dieser als in die Verfügungsgewalt des Landgerichts gelangt zu gelten hat. Dies wäre der Fall, wenn der genutzte Anschluss Teil einer gemeinsamen Posteingangsstelle war, für den aufgrund einer Geschäftsordnungsregel galt, dass die bei einem dieser Anschlüsse eingehenden Telefaxschreiben als bei der angeschriebenen Gerichtsstelle eingegangen anzusehen sind.


    16


    Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht überhaupt Ermittlungen dazu vorgenommen hätte, wie bei den Justizbehörden P. die Telefaxannahme im Mai 2014 organisiert war. Zu solchen Ermittlungen bestand aber jedenfalls angesichts des Umstandes, dass zwischen diesen Stellen eine gemeinsame Briefannahmestelle eingerichtet ist, Anlass.


    17


    c) Demnach ist nicht auszuschließen, dass die angegriffene Verwerfung der Berufung zu Unrecht erfolgt ist.




    III.

    18


    Der angefochtene Beschluss ist mithin aufzuheben, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit zu geben, die unterlassene Prüfung nachzuholen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:


    19


    Sollten die Ermittlungen des Berufungsgerichts ergeben, dass der Telefaxanschluss mit der Endung -1009 am 23. Mai 2014 ausschließlich dem Amtsgericht P. zugewiesen war, ohne dass eine Regelung über eine gemeinsame Faxannahmestelle existierte, wäre der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu prüfen ( § 233 ZPO ).


    20


    Dieser kann nicht wegen Verschuldens bei der Auswahl des Telefaxanschlusses zurückgewiesen werden. Nach den Darlegungen der Beklagten ist die Frist weder aus eigenem noch aus ihr zurechenbarem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten versäumt.


    21


    Zwar hat sie in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vom 13. Juni 2014 und im Schriftsatz vom 20. Juni 2014 keine Ausführungen dazu gemacht, warum die Mitarbeiterin T. die Faxnummer mit der Endung -1009 für die des Landgerichts P. hielt. Grundsätzlich müssen alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung durch einen gerichtlichen Hinweis nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erörtert und vervollständigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2016 - VI ZB 7/16 , NJW-RR 2016, 952 Rn. 14; Beschluss vom 3. Dezember 2015 - V ZB 72/15 , NJW 2016, 874 Rn. 8 f.; Beschluss vom 25. September 2013 - XII ZB 200/13 , NJW 2014, 77 Rn. 9).


    22


    Deshalb wäre der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 10. September 2014 bei der neuen Entscheidung zu berücksichtigen. Mit diesem Schriftsatz hat sie auf den Beschluss des Landgerichts, mit dem ihr (erstmals) die Auffassung des Berufungsgerichts mitgeteilt worden war, dass die Berufungsschrift an einen falschen Telefaxanschluss übermittelt worden sei, reagiert. Sie hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Internet im Gerichtsverzeichnis des Justizportals des Bundes und der Länder sowie im Dienstleistungsportal der Landesverwaltung Brandenburg die Telefaxnummer -1009 als Faxnummer des Landgerichts P. ausgewiesen war. Hiernach hätte die Beklagte die Anforderungen, die der Bundesgerichtshof an die Auswahl der richtigen Telefaxnummer des Empfängergerichts stellt, erfüllt. Dafür genügt es, wenn die Empfängernummer anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorgenommen wird, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht Eick Halfmeier Jurgeleit (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2013 - VI ZB 27/12 , NJW-RR 2013, 830 Rn. 8 und vom 12. Juni 2012 - VI ZB 54/11 , NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7; jeweils m.w.N.).


    Eick
    Halfmeier
    Jurgeleit
    Graßnack
    Borris

    Vorschriften§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 233 ZPO, § 139 ZPO