02.07.2025 · IWW-Abrufnummer 248912
Arbeitsgericht Duisburg: Urteil vom 02.05.2024 – 3 Ca 1245/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 02.05.2024, Az. 3 Ca 1245/23
1. Das Versäumnisurteil vom 27.10.2023 wird aufrechterhalten.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. De Streitwert wird auf 8100,-€ festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen
1
Tatbestand
2
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 AGG.
3
Unter dem 28.6.2023 schaltete die Beklagte über Kleinanzeigen eine Stellenausschreibung (Abl. Bl. 14 ff d. GA) im Internet mit folgendem Inhalt:
4
Rechtsanwaltsfachangestellte in H. gesucht!
5
Wir suchen zur Unterstützung unseres Teams in H. ‒ L., erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit.
6
Es erwartet sie: ein entspanntes und angenehmes Arbeitsklima
überdurchschnittliche Vergütung entsprechend ihrer Qualifikationen
…
7
Sie haben Erfahrung und Kenntnisse mit:
8
der Software R.A-Micro und MS-Office
der Organisation von Terminen und Fristen im Anwaltsbüro,
Kundenbetreuung
der Anfertigung von Schriftsätzen (sowohl nach Diktat, als auch eigenständig)
der Erstellung von Abrechnungen nach RVG
Zwangsvollstreckung
Mahnwesen
9
Auf diese Stellenanzeige bewarb sich der Kläger per E-Mail (Abl. Bl. 12 d. GA), deren Zugang streitig ist, mit folgendem Inhalt:
10
„Sehr geehrte Damen und Herren,
11
mit großem Interesse habe ich Ihre Stellenausschreibung gelesen. Ich möchte mich hiermit sehr gerne bei Ihnen bewerben. Durch meine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung bin ich für Ihre ausgeschriebene Stelle bestens geeignet. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word, Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und alle weiteren anfallenden Tätigkeiten im Büro. Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Groß- und Außenhandel sowie im Sekretariat und der Buchhaltung. Meine Stärken sind unter anderem ein hohes Engagement, Belastbarkeit sowie Teamfähigkeit. Durch ein Studium bilde ich mich derzeit berufsbegleitend weiter. Über eine Rückmeldung sowie ein Vorstellungsgespräch würde ich mich sehr freuen. Ich wäre ab sofort verfügbar.“
12
Der Kläger versandte an die Beklagte unter dem 29.6.2023 (Ablichtung Blatt 20, der Gerichtsakte) den Inhalt der E-Mail auch als Anschreiben. Auf diesem Anschreiben war seine Anschrift in F. sowie seine Telefonnummer und seine E-Mail-Adresse aufgeführt. Dem Anschreiben und auch der E-Mail waren keine weiteren Bewerbungsunterlagen beigefügt, insbesondere kein Lebenslauf und kein Zeugnis.
13
Die Beklagte berücksichtigte den Kläger bei der Stellenausschreibung nicht.
14
Mit seiner am 5.9.2023 beim Arbeitsgericht anhängig gemachten und am 12.9.2023 zugestellten Klage begehrt der Kläger eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung von der Beklagten in Höhe von mindestens 8100 €. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn wegen seines Geschlechts diskriminiert. Die Stelle sei für eine weibliche Rechtsanwaltsfachangestellte ausgeschrieben worden und da er dem männlichen Geschlecht angehöre, sei er beim Bewerbungsverfahren nicht mehr berücksichtigt worden. In der Stellenausschreibung fehle der Zusatz (m/w/d). Der Kläger ist der Auffassung, er sei für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen. Er behauptet, eine Ausbildung als Industriekaufmann zu haben und die Anforderungen der Stellenausschreibung zu erfüllen. Er besitze auch gute Kenntnisse im Arbeitsrecht, Zivilrecht und Gesellschaftsrecht. Der Kläger beruft sich zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs ausführlich auf die einschlägige Rechtsprechung zur Entschädigungspflicht bei Diskriminierung in der Stellenausschreibung. Er ist insbesondere der Auffassung, seine evtl. fehlende fachliche Eignung führe nicht dazu, dass die Entschädigungspflicht für die Beklagte entfalle. Es sei bereits fraglich, ob er objektiv ungeeignet sei. Denn er habe selbst ein juristisches Studium durchlaufen. Die objektive Eignung eines Stellenbewerbers sei jedenfalls kein Kriterium für eine „vergleichbare Situation“ beziehungsweise „vergleichbare Lage“ im Sinne des § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Entschädigungs- beziehungsweise Schadenersatzanspruch nach § 15 AGG. Für den gesetzlichen Anwendungsbegriff des AGG sei es infolge eines formalen Bewerberbegriffs auch nicht erforderlich, dass eine Bewerbung subjektiv ernsthaft sei (BAG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 8AZR 470/14).
15
Der Kläger behauptet, bei der Beklagten hätte er ein Gehalt in Höhe von 2700,- € brutto verdient. Er ist der Auffassung eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehälter sei angemessen.
16
Trotz ordnungsgemäßer Ladung ist der Kläger zum Gütetermin vom 27.10.2023 unentschuldigt nicht erschienen. Das Gericht hat daraufhin ein klageabweisendes Versäumnisurteil verkündet (Blatt 54 der Gerichtsakte). Das Versäumnisurteil wurde dem Kläger unter dem 3.11.2023 zugestellt. Gegen dieses Versäumnisurteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3.11.2023 Einspruch eingelegt.
17
Der Kläger beantragt zuletzt,
18
das Versäumnisurteil vom 27.10.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basis Zinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen. Die Höhe der Entschädigung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte jedoch 8100,- € nicht unterschreiten.
19
Die Beklagte beantragt,
20
das Versäumnisurteil vom 27.10.2023 aufrechtzuerhalten.
21
Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nicht zusteht. Es habe keine Diskriminierung bei der Stellenausschreibung gegeben. Die Stelle wurde im Plural ausgeschrieben, da die Beklagte mehrere Rechtsanwaltsfachangestellte suchte und auch immer noch sucht. Darüber hinaus erfülle der Kläger die Voraussetzungen der ausgeschriebenen Stelle auch nicht, da er kein Rechtsanwaltsfachangestellter ist. Beklagte behauptet, der Kläger sei allein deshalb nicht bei der Stellenausschreibung berücksichtigt worden, weil er für die Stelle keine Befähigung besitzt. Die vom Kläger in seiner Bewerbung aufgeführten Qualifikationen hätten nichts mit den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle zu tun. Die Beklagte bestreitet darüber hinaus den Zugang der Bewerbung des Klägers per E-Mail.
22
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe:
24
I.
25
Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht beim Arbeitsgericht eingereicht und begründet worden, § 59 ArbGG.
26
II.
27
Der zulässige Einspruch hat das Verfahren gem. §§ 59 ArbGG, 342 ZPO in die Lage vor der Säumnis versetzt. Gemäß § 343 S. 1 ZPO war das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten, da die Klage zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund Diskriminierung beim Bewerbungsverfahren. Es liegt weder eine Diskriminierung bei der Stellenausschreibung vor, noch war das Geschlecht des Klägers kausal für die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung.
28
1.
29
Nach § 15 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
30
a)
31
Bei der Beklagten handelt es sich um einen Arbeitgeber iSv § 6 Abs. 2 AGG. „Arbeitgeber“ ist derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (BAG 19.8.2010 ‒ 8 AZR 370/09, NZA 2011, 200).
32
b)
33
Als Beschäftigte im Sinne des AGG gelten auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis, § 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Der Kläger ist „Bewerber“ iSv § 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Er hat sich auf eine Stellenanzeige beworben. Die Eigenschaft als Bewerber ist formal danach zu bestimmen, ob ein Bewerbungsschreiben eingegangen (BAG 21.2.2013 ‒ 8 AZR 68/12, NZA 2013, 955; 19.12.2019 ‒ 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707) und dem Arbeitgeber zugegangen ist. Vorliegend hat die Beklagte die Stellenausschreibung über das Internet Portal Kleinanzeigen geschaltet. Der Kläger hat jedenfalls per Anschreiben geantwortet. Damit ist ein Bewerbungsschreiben zugegangen.
34
c)
35
Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch auch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 IV AGG, § 61 b I ArbGG).
36
d)
37
Zudem wurde der Kl. dadurch, dass er von der Beklagten nicht eingestellt wurde, unmittelbar iSv § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Er hat durch die Nichteinstellung eine weniger günstige Behandlung iSv § 3 Abs. 1 AGG erfahren als der letztlich eingestellte Bewerber/die letztlich eingestellte Bewerberin.
38
2.
39
Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes.
40
a)
41
Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht ‒ gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens ‒ handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. etwa BAG, NZA 2017, 310 = NJW 2017, 1409 Rn. 62; BAGE 155, 149 = NZA 2016, 1394 Rn. 53; NJOZ 2015, 1065 Rn. 34 mwN = NZA 2015, 896 Os.).
42
b)
43
Der Kläger hat nicht dargetan, dass er eine Benachteiligung wegen seines Geschlechts erfahren hat. Er hat keine Indizien iSv § 22 AGG vorgetragen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und seinem Geschlecht der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand. Die Beklagte hat den Kläger insbesondere nicht im Hinblick auf das Diskriminierungsmerkmal „Geschlecht“ iSd § 1 AGG benachteiligt. Hierzu im Einzelnen:
44
aa)
45
Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden, § 1 I AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, § 3 I 1 AGG. Auch der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. BAGE 122, 54 = NJW 2007, 3515 = NZA 2007, 1098 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. Thüsing, in: MünchKomm-BGB, § 15 AGG Rdnr. 20; Müller-Glöge, in: MünchKomm-BGB, § 611 a BGB Rdnr. 64). Dabei setzt eine Benachteiligung weder ein schuldhaftes Handeln noch eine Benachteiligungsabsicht des Arbeitsgebers voraus (BAG 27.1.2011 ‒ 8 AZR 580/09, NZA 2011, 737).
46
bb)
47
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist die Stellenausschreibung der Beklagten allerdings nicht geeignet, die Vermutung iSv § 22 AGG zu begründen, dass er wegen seines Geschlechts diskriminiert wurde. Die Beklagte hat die Stelle nicht entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgeschrieben:
48
(1)
49
Unter einer Ausschreibung iSv § 11 AGG ist die an eine unbekannte Vielzahl von Personen gerichtete Aufforderung eines Arbeitgebers zu verstehen, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben (vgl. Suckow in Schleusener/ders./Voigt, AGG, 4. Aufl., § 11 Rn. 13; Stein in WendelingSchröder/ders., AGG, § 11 Rn. 10). Die Auslegung veröffentlichter Stellenausschreibungen erfolgt deshalb nach ähnlichen Maßstäben wie die Auslegung typischer Willenserklärungen bzw. Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Stellenanzeigen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen potenziellen Bewerbern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Bewerbers zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAGE 154, 8 = NZA 2016, 438 Rn. 12).
50
(2)
51
Die Beklagte hat die Stelle nicht entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgeschrieben. Ihre Stellenausschreibung knüpft weder unmittelbar iSv § 3 I AGG noch mittelbar iSv § 3 II AGG an ein bestimmtes Geschlecht an. Sie ist bereits deshalb nicht geeignet, die Vermutung iSv § 22 AGG zu begründen, dass der Kläger im Auswahl/Stellenbesetzungsverfahren wegen seines Geschlechts benachteiligt wurde. Denn die Stellenausschreibung ist vielleicht nach dem Wortlaut der Überschrift: „Rechtsanwaltsfachangestellte in H. gesucht!“ noch mehrdeutig, da sowohl Singular feminin als auch Plural gemeint gewesen sein könnten. Aus dem der Überschrift folgenden Text wird jedoch zweifellos klar, dass der Plural verwendet wurde und nicht etwa Singular feminin. Denn hier schreibt die Beklagte: „Wir suchen zur Unterstützung unseres Teams in H.-L. erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit.“ Damit verwendet die Beklagte eindeutig den Plural, da sie ansonsten „eine“ Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit gesucht hätte. Da der Plural für alle Geschlechter gleich ist, ist eine Verwendung (m/w/d) nicht erforderlich, um eindeutig diskriminierungsfrei zu formulieren. Dementsprechend lag keine geschlechterspezifische und damit diskriminierende Stellenausschreibung vor und damit liegt im Wortlaut der Stellenausschreibung kein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers wegen seines Geschlechts.
52
cc)
53
Selbst wenn man ‒ wie der Kläger ‒ der Ansicht sein sollte, dass die Stellenausschreibung diskriminierend war, so hätte die Beklagte die Vermutung der Benachteiligung des Klägers jedenfalls widerlegt.
54
(1)
55
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sogenannte Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe ‒ bzw. hier die Schwerbehinderung ‒ zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 27.8.2020 ‒ 8 AZR 45/19, BAGE 172, 78 Rn. 30 = NZA 2021, 200; 23.1.2020 ‒ 8 AZR 484/18, BAGE 169, 302 Rn. 36 = NZA 2020, 851).
56
(2)
57
Nach der Rechtsprechung des BAG kann die Kausalitätsvermutung im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der/die erfolglose Bewerber/in eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/den Beruf an sich ist. Ist dies der Fall, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung ausschließlich aus diesem Grund ohne Erfolg blieb; mit einer solchen Bewerbung muss der Arbeitgeber sich regelmäßig nicht weiter beschäftigen. In einem solchen Fall besteht demzufolge regelmäßig kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund (BAG, Urteil v. 14.6.2023 ‒ 8 AZR 136/22; BAG 11.8.2016 ‒ 8 AZR 406/14, NZA-RR 2017, 132 Rn. 85).
58
(3)
59
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze wäre eine entsprechende Vermutung jedenfalls widerlegt: Die Bewerbung des Klägers erfüllt unter keinem Gesichtspunkt die Voraussetzungen der Stellenausschreibung. Denn die Beklagte suchte als Rechtsanwaltskanzlei Rechtsanwaltsfachangestellte und somit Personen, die diesen Ausbildungsberuf erlernt haben. Denn nur nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung darf der Betroffene sich Rechtsanwaltsfachangestellte/r nennen und ist insbesondere auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung und des Mahnwesens in der Lage die gesetzlichen Anforderungen und Vorgaben zu erfüllen. Der Kläger hingegen behauptet von sich in seiner Bewerbung, er habe eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung sowie Berufserfahrung im Büro, der Personalabteilung, dem Vertrieb, im Groß- und Außenhandel sowie im Sekretariat und der Buchhaltung. Diese Behauptungen belegt er nicht etwa mit entsprechenden Zeugnissen und einem Lebenslauf. Er verkennt anscheinend, dass der Ausbildungsberuf „Rechtsanwaltsfachangestellte/r“ nicht mit einer kaufmännischen Ausbildung (welche kaufmännische Ausbildung meint er??) gleichzusetzen ist. Daher kann er auch die von der Beklagten geforderten Erfahrungen und Kenntnisse bei Zwangsvollstreckungen und im Mahnwesen noch nicht einmal behaupten. Kausal für die Nichtberücksichtigung des Klägers war daher ausschließlich die mangelnde Qualifikation des Klägers ‒ die er darüber hinaus in seiner Bewerbung noch nicht einmal konkret aufgezeigt und mit Zeugnissen unterlegt hat.
60
Der Kläger irrt, wenn er meint, dass die Rechtsprechung des BAG zur objektiven Eignung ihm insofern zugutekommt, als er eine Diskriminierung durch jede Stellenausschreibung geltend machen kann, auch wenn er objektiv die Voraussetzungen für diese Stelle nicht erfüllt.
61
III
62
Der Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
63
Der Streitwert wurde gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ZPO in ausgeurteilter Höhe festgesetzt. Er dient ebenfalls der Wertfestsetzung nach § 63 II GKG.
Tenor:
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. De Streitwert wird auf 8100,-€ festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen
1
Tatbestand
2
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 AGG.
3
Unter dem 28.6.2023 schaltete die Beklagte über Kleinanzeigen eine Stellenausschreibung (Abl. Bl. 14 ff d. GA) im Internet mit folgendem Inhalt:
4
Rechtsanwaltsfachangestellte in H. gesucht!
5
Wir suchen zur Unterstützung unseres Teams in H. ‒ L., erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit.
6
Es erwartet sie: ein entspanntes und angenehmes Arbeitsklima
überdurchschnittliche Vergütung entsprechend ihrer Qualifikationen
…
7
Sie haben Erfahrung und Kenntnisse mit:
8
der Software R.A-Micro und MS-Office
der Organisation von Terminen und Fristen im Anwaltsbüro,
Kundenbetreuung
der Anfertigung von Schriftsätzen (sowohl nach Diktat, als auch eigenständig)
der Erstellung von Abrechnungen nach RVG
Zwangsvollstreckung
Mahnwesen
9
Auf diese Stellenanzeige bewarb sich der Kläger per E-Mail (Abl. Bl. 12 d. GA), deren Zugang streitig ist, mit folgendem Inhalt:
10
„Sehr geehrte Damen und Herren,
11
mit großem Interesse habe ich Ihre Stellenausschreibung gelesen. Ich möchte mich hiermit sehr gerne bei Ihnen bewerben. Durch meine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung bin ich für Ihre ausgeschriebene Stelle bestens geeignet. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word, Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und alle weiteren anfallenden Tätigkeiten im Büro. Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Groß- und Außenhandel sowie im Sekretariat und der Buchhaltung. Meine Stärken sind unter anderem ein hohes Engagement, Belastbarkeit sowie Teamfähigkeit. Durch ein Studium bilde ich mich derzeit berufsbegleitend weiter. Über eine Rückmeldung sowie ein Vorstellungsgespräch würde ich mich sehr freuen. Ich wäre ab sofort verfügbar.“
12
Der Kläger versandte an die Beklagte unter dem 29.6.2023 (Ablichtung Blatt 20, der Gerichtsakte) den Inhalt der E-Mail auch als Anschreiben. Auf diesem Anschreiben war seine Anschrift in F. sowie seine Telefonnummer und seine E-Mail-Adresse aufgeführt. Dem Anschreiben und auch der E-Mail waren keine weiteren Bewerbungsunterlagen beigefügt, insbesondere kein Lebenslauf und kein Zeugnis.
13
Die Beklagte berücksichtigte den Kläger bei der Stellenausschreibung nicht.
14
Mit seiner am 5.9.2023 beim Arbeitsgericht anhängig gemachten und am 12.9.2023 zugestellten Klage begehrt der Kläger eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung von der Beklagten in Höhe von mindestens 8100 €. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn wegen seines Geschlechts diskriminiert. Die Stelle sei für eine weibliche Rechtsanwaltsfachangestellte ausgeschrieben worden und da er dem männlichen Geschlecht angehöre, sei er beim Bewerbungsverfahren nicht mehr berücksichtigt worden. In der Stellenausschreibung fehle der Zusatz (m/w/d). Der Kläger ist der Auffassung, er sei für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen. Er behauptet, eine Ausbildung als Industriekaufmann zu haben und die Anforderungen der Stellenausschreibung zu erfüllen. Er besitze auch gute Kenntnisse im Arbeitsrecht, Zivilrecht und Gesellschaftsrecht. Der Kläger beruft sich zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs ausführlich auf die einschlägige Rechtsprechung zur Entschädigungspflicht bei Diskriminierung in der Stellenausschreibung. Er ist insbesondere der Auffassung, seine evtl. fehlende fachliche Eignung führe nicht dazu, dass die Entschädigungspflicht für die Beklagte entfalle. Es sei bereits fraglich, ob er objektiv ungeeignet sei. Denn er habe selbst ein juristisches Studium durchlaufen. Die objektive Eignung eines Stellenbewerbers sei jedenfalls kein Kriterium für eine „vergleichbare Situation“ beziehungsweise „vergleichbare Lage“ im Sinne des § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Entschädigungs- beziehungsweise Schadenersatzanspruch nach § 15 AGG. Für den gesetzlichen Anwendungsbegriff des AGG sei es infolge eines formalen Bewerberbegriffs auch nicht erforderlich, dass eine Bewerbung subjektiv ernsthaft sei (BAG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 8AZR 470/14).
15
Der Kläger behauptet, bei der Beklagten hätte er ein Gehalt in Höhe von 2700,- € brutto verdient. Er ist der Auffassung eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehälter sei angemessen.
16
Trotz ordnungsgemäßer Ladung ist der Kläger zum Gütetermin vom 27.10.2023 unentschuldigt nicht erschienen. Das Gericht hat daraufhin ein klageabweisendes Versäumnisurteil verkündet (Blatt 54 der Gerichtsakte). Das Versäumnisurteil wurde dem Kläger unter dem 3.11.2023 zugestellt. Gegen dieses Versäumnisurteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3.11.2023 Einspruch eingelegt.
17
Der Kläger beantragt zuletzt,
18
das Versäumnisurteil vom 27.10.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basis Zinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen. Die Höhe der Entschädigung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte jedoch 8100,- € nicht unterschreiten.
19
Die Beklagte beantragt,
20
das Versäumnisurteil vom 27.10.2023 aufrechtzuerhalten.
21
Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nicht zusteht. Es habe keine Diskriminierung bei der Stellenausschreibung gegeben. Die Stelle wurde im Plural ausgeschrieben, da die Beklagte mehrere Rechtsanwaltsfachangestellte suchte und auch immer noch sucht. Darüber hinaus erfülle der Kläger die Voraussetzungen der ausgeschriebenen Stelle auch nicht, da er kein Rechtsanwaltsfachangestellter ist. Beklagte behauptet, der Kläger sei allein deshalb nicht bei der Stellenausschreibung berücksichtigt worden, weil er für die Stelle keine Befähigung besitzt. Die vom Kläger in seiner Bewerbung aufgeführten Qualifikationen hätten nichts mit den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle zu tun. Die Beklagte bestreitet darüber hinaus den Zugang der Bewerbung des Klägers per E-Mail.
22
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe:
24
I.
25
Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht beim Arbeitsgericht eingereicht und begründet worden, § 59 ArbGG.
26
II.
27
Der zulässige Einspruch hat das Verfahren gem. §§ 59 ArbGG, 342 ZPO in die Lage vor der Säumnis versetzt. Gemäß § 343 S. 1 ZPO war das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten, da die Klage zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund Diskriminierung beim Bewerbungsverfahren. Es liegt weder eine Diskriminierung bei der Stellenausschreibung vor, noch war das Geschlecht des Klägers kausal für die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung.
28
1.
29
Nach § 15 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.
30
a)
31
Bei der Beklagten handelt es sich um einen Arbeitgeber iSv § 6 Abs. 2 AGG. „Arbeitgeber“ ist derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (BAG 19.8.2010 ‒ 8 AZR 370/09, NZA 2011, 200).
32
b)
33
Als Beschäftigte im Sinne des AGG gelten auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis, § 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Der Kläger ist „Bewerber“ iSv § 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Er hat sich auf eine Stellenanzeige beworben. Die Eigenschaft als Bewerber ist formal danach zu bestimmen, ob ein Bewerbungsschreiben eingegangen (BAG 21.2.2013 ‒ 8 AZR 68/12, NZA 2013, 955; 19.12.2019 ‒ 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707) und dem Arbeitgeber zugegangen ist. Vorliegend hat die Beklagte die Stellenausschreibung über das Internet Portal Kleinanzeigen geschaltet. Der Kläger hat jedenfalls per Anschreiben geantwortet. Damit ist ein Bewerbungsschreiben zugegangen.
34
c)
35
Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch auch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 IV AGG, § 61 b I ArbGG).
36
d)
37
Zudem wurde der Kl. dadurch, dass er von der Beklagten nicht eingestellt wurde, unmittelbar iSv § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Er hat durch die Nichteinstellung eine weniger günstige Behandlung iSv § 3 Abs. 1 AGG erfahren als der letztlich eingestellte Bewerber/die letztlich eingestellte Bewerberin.
38
2.
39
Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes.
40
a)
41
Zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht ‒ gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens ‒ handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. etwa BAG, NZA 2017, 310 = NJW 2017, 1409 Rn. 62; BAGE 155, 149 = NZA 2016, 1394 Rn. 53; NJOZ 2015, 1065 Rn. 34 mwN = NZA 2015, 896 Os.).
42
b)
43
Der Kläger hat nicht dargetan, dass er eine Benachteiligung wegen seines Geschlechts erfahren hat. Er hat keine Indizien iSv § 22 AGG vorgetragen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und seinem Geschlecht der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand. Die Beklagte hat den Kläger insbesondere nicht im Hinblick auf das Diskriminierungsmerkmal „Geschlecht“ iSd § 1 AGG benachteiligt. Hierzu im Einzelnen:
44
aa)
45
Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden, § 1 I AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, § 3 I 1 AGG. Auch der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. BAGE 122, 54 = NJW 2007, 3515 = NZA 2007, 1098 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. Thüsing, in: MünchKomm-BGB, § 15 AGG Rdnr. 20; Müller-Glöge, in: MünchKomm-BGB, § 611 a BGB Rdnr. 64). Dabei setzt eine Benachteiligung weder ein schuldhaftes Handeln noch eine Benachteiligungsabsicht des Arbeitsgebers voraus (BAG 27.1.2011 ‒ 8 AZR 580/09, NZA 2011, 737).
46
bb)
47
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist die Stellenausschreibung der Beklagten allerdings nicht geeignet, die Vermutung iSv § 22 AGG zu begründen, dass er wegen seines Geschlechts diskriminiert wurde. Die Beklagte hat die Stelle nicht entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgeschrieben:
48
(1)
49
Unter einer Ausschreibung iSv § 11 AGG ist die an eine unbekannte Vielzahl von Personen gerichtete Aufforderung eines Arbeitgebers zu verstehen, sich auf die ausgeschriebene Stelle zu bewerben (vgl. Suckow in Schleusener/ders./Voigt, AGG, 4. Aufl., § 11 Rn. 13; Stein in WendelingSchröder/ders., AGG, § 11 Rn. 10). Die Auslegung veröffentlichter Stellenausschreibungen erfolgt deshalb nach ähnlichen Maßstäben wie die Auslegung typischer Willenserklärungen bzw. Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Stellenanzeigen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen potenziellen Bewerbern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Bewerbers zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAGE 154, 8 = NZA 2016, 438 Rn. 12).
50
(2)
51
Die Beklagte hat die Stelle nicht entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts ausgeschrieben. Ihre Stellenausschreibung knüpft weder unmittelbar iSv § 3 I AGG noch mittelbar iSv § 3 II AGG an ein bestimmtes Geschlecht an. Sie ist bereits deshalb nicht geeignet, die Vermutung iSv § 22 AGG zu begründen, dass der Kläger im Auswahl/Stellenbesetzungsverfahren wegen seines Geschlechts benachteiligt wurde. Denn die Stellenausschreibung ist vielleicht nach dem Wortlaut der Überschrift: „Rechtsanwaltsfachangestellte in H. gesucht!“ noch mehrdeutig, da sowohl Singular feminin als auch Plural gemeint gewesen sein könnten. Aus dem der Überschrift folgenden Text wird jedoch zweifellos klar, dass der Plural verwendet wurde und nicht etwa Singular feminin. Denn hier schreibt die Beklagte: „Wir suchen zur Unterstützung unseres Teams in H.-L. erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit.“ Damit verwendet die Beklagte eindeutig den Plural, da sie ansonsten „eine“ Rechtsanwaltsfachangestellte in Vollzeit oder Teilzeit gesucht hätte. Da der Plural für alle Geschlechter gleich ist, ist eine Verwendung (m/w/d) nicht erforderlich, um eindeutig diskriminierungsfrei zu formulieren. Dementsprechend lag keine geschlechterspezifische und damit diskriminierende Stellenausschreibung vor und damit liegt im Wortlaut der Stellenausschreibung kein Indiz für eine Benachteiligung des Klägers wegen seines Geschlechts.
52
cc)
53
Selbst wenn man ‒ wie der Kläger ‒ der Ansicht sein sollte, dass die Stellenausschreibung diskriminierend war, so hätte die Beklagte die Vermutung der Benachteiligung des Klägers jedenfalls widerlegt.
54
(1)
55
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sogenannte Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe ‒ bzw. hier die Schwerbehinderung ‒ zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 27.8.2020 ‒ 8 AZR 45/19, BAGE 172, 78 Rn. 30 = NZA 2021, 200; 23.1.2020 ‒ 8 AZR 484/18, BAGE 169, 302 Rn. 36 = NZA 2020, 851).
56
(2)
57
Nach der Rechtsprechung des BAG kann die Kausalitätsvermutung im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der/die erfolglose Bewerber/in eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/den Beruf an sich ist. Ist dies der Fall, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung ausschließlich aus diesem Grund ohne Erfolg blieb; mit einer solchen Bewerbung muss der Arbeitgeber sich regelmäßig nicht weiter beschäftigen. In einem solchen Fall besteht demzufolge regelmäßig kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund (BAG, Urteil v. 14.6.2023 ‒ 8 AZR 136/22; BAG 11.8.2016 ‒ 8 AZR 406/14, NZA-RR 2017, 132 Rn. 85).
58
(3)
59
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze wäre eine entsprechende Vermutung jedenfalls widerlegt: Die Bewerbung des Klägers erfüllt unter keinem Gesichtspunkt die Voraussetzungen der Stellenausschreibung. Denn die Beklagte suchte als Rechtsanwaltskanzlei Rechtsanwaltsfachangestellte und somit Personen, die diesen Ausbildungsberuf erlernt haben. Denn nur nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung darf der Betroffene sich Rechtsanwaltsfachangestellte/r nennen und ist insbesondere auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung und des Mahnwesens in der Lage die gesetzlichen Anforderungen und Vorgaben zu erfüllen. Der Kläger hingegen behauptet von sich in seiner Bewerbung, er habe eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung sowie Berufserfahrung im Büro, der Personalabteilung, dem Vertrieb, im Groß- und Außenhandel sowie im Sekretariat und der Buchhaltung. Diese Behauptungen belegt er nicht etwa mit entsprechenden Zeugnissen und einem Lebenslauf. Er verkennt anscheinend, dass der Ausbildungsberuf „Rechtsanwaltsfachangestellte/r“ nicht mit einer kaufmännischen Ausbildung (welche kaufmännische Ausbildung meint er??) gleichzusetzen ist. Daher kann er auch die von der Beklagten geforderten Erfahrungen und Kenntnisse bei Zwangsvollstreckungen und im Mahnwesen noch nicht einmal behaupten. Kausal für die Nichtberücksichtigung des Klägers war daher ausschließlich die mangelnde Qualifikation des Klägers ‒ die er darüber hinaus in seiner Bewerbung noch nicht einmal konkret aufgezeigt und mit Zeugnissen unterlegt hat.
60
Der Kläger irrt, wenn er meint, dass die Rechtsprechung des BAG zur objektiven Eignung ihm insofern zugutekommt, als er eine Diskriminierung durch jede Stellenausschreibung geltend machen kann, auch wenn er objektiv die Voraussetzungen für diese Stelle nicht erfüllt.
61
III
62
Der Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
63
Der Streitwert wurde gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ZPO in ausgeurteilter Höhe festgesetzt. Er dient ebenfalls der Wertfestsetzung nach § 63 II GKG.